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Nibelungenlied

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So, heute bin ich mal auf der Suche nach echten Kennern der geschichtlichen Hintergründe für das Nibelungenlied. Da hier im Eintracht-Forum ja einige Spezialisten unterwegs sind, hilft mir vielleicht jemand auf die Sprünge...  

Bin gerade in der Diskussion wer tatsächlich hinter dem Hunnenkönig Etzel in der Sage steht. Allgemeine Meinung geht natürlich in den historischen Hunnenkönig Attila. Nachdenklich macht mich aber, dass der römische Feldherr Aetsius, analog zu Etzel in der Sage, die Burgunder (in der Region Worms) vernichtend geschlagen hatte - nicht Attila, wie man durch die Sage glauben könnte. Aetsius wurde dabei übrigens erheblich von Hunnen (!) unterstützt. Vrgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Flavius_A%C3%ABtius

Auch eine sprachliche Ableitung von Aetius zu Etzel empfinde ich jetzt nicht als besonders gewagt.

Meine Frage: Kommt in der Deutung der Person Etzel tatsächlich nur Attila in Frage oder macht es aus historischer Sicht nicht viel mehr Sinn, dass sich hinter dieser Person eigentlich der historische Aetsius verbirgt? Wie ist der aktuelle Stand der Forschung? Wikipedia schreibt Etzel = Attila, wie ebenfalls die meisten anderen Quellen, die ich ergoogeln konnte. Diese recht einhellige Meinungen stehen doch aber eigentlich im Gegensatz zu den historischen Erkenntnissen? Oder befinde ich mich auf dem Holzweg?

Übrigens war es Aetsius, der gut 20 Jahre nach der Vernichtung der Burgunder auch Attila selbst schlug. Das aber nur am Rande und hat nichts mit meiner Frage zu tun.
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Es gibt da noch eine Außenseitermeinung : Heinz Ritter " Der Nibelungen Tod in Soest ".Danach war es ein " Atto ", ein germanischer Clanchef. Es geht bei dem Thema Nibelungenlied oder Thidreksaga aber insgesamt weniger um Geschichtswissenschaft, denn um Literaturwissenschaft.
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owladler schrieb:
Es gibt da noch eine Außenseitermeinung : Heinz Ritter " Der Nibelungen Tod in Soest ".Danach war es ein " Atto ", ein germanischer Clanchef. Es geht bei dem Thema Nibelungenlied oder Thidreksaga aber insgesamt weniger um Geschichtswissenschaft, denn um Literaturwissenschaft.  


Ergänzend dazu: Das altgermanische Wort "Attala" heißt so viel wie "Väterchen" und kann wahrscheinlich auf etliche Stammesfürsten angewandt worden sein. Der "hunnische" Name Attilas ist unbekannt.
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owladler schrieb:
Es gibt da noch eine Außenseitermeinung : Heinz Ritter " Der Nibelungen Tod in Soest ".Danach war es ein " Atto ", ein germanischer Clanchef. Es geht bei dem Thema Nibelungenlied oder Thidreksaga aber insgesamt weniger um Geschichtswissenschaft, denn um Literaturwissenschaft.  

Letzteres hätte ich jetzt auch nochmal unterstrichen. Es ist vollkommen unerheblich, ob damit Attila gemeint ist oder jemand anderes, da es sich nicht um Geschichtsschreibung handelt. Ich weiß nicht in wiefern du das Nibelungenlied mal gelesen hast, aber das ist zwar an einigen Stellen greifbar real, an anderen aber eben alles andere als das.
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Na endlich....Antworten!

Ich warte schon den ganzen Tag darauf wie ihr das seht.

Die Frage ist nämlich wirklich ganz interessant.

Was ist Fiktion und was ist Wirklichkeit und wo mischt sich beides.....
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Auf der Suche nach dem Nibelungenschatz? Lorsch ist da ja mein Tipp, denn so steht's ja geschrieben.
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Achso, das "Problem" des Nibelungenliedes sehe ich eigentlich viel weniger bei dem Verschwimmen von Wahrheit und Dichtung als vielmehr in der Textgenese, die ja durch (vermutlich) mehrere Autoren und die Zusammenführung verschiedener Sagenkreise sowie Überlieferungsstufen ein extrem vielschichtiges Werk entstehen hat lassen. Außerdem steht es an der Entwicklungsstufe genau zwischen mündlicher und schriftlicher Tradierung.
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JaNik schrieb:
Auf der Suche nach dem Nibelungenschatz? Lorsch ist da ja mein Tipp, denn so steht's ja geschrieben.


Da bin ich mir leider sicher, das ist wohl eine der fiktiven Stellendisappointed:

Schade eigentlich......
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eintracht-grenzenlos schrieb:

Was ist Fiktion und was ist Wirklichkeit und wo mischt sich beides.....


Das mit Etzel ist eine Diskussion innerhalb der Familie über die Weihnachtsfeiertage. Da interessiert sich niemand für die Eintracht, also müssen wir andere Themen suchen.  

Aber unabhängig davon, ob Fiktion oder Wirklichkeit, basiert das Nibelungenlied auf historische Ereignisse, daher finde ich tatsächlich interessant, ob man die allgemeine Meinung, bei Etzel handelt es sich um Attila, wirklich so stehen lassen kann. Vielleicht ist Etzel auch der historische Attila und Aetius in einer Person?

Wikipedia erklärt es so:

Wikipedia schrieb:
Etzel ist der deutsche Name für Attila, den Hunnenkönig. Wenn man die lautliche Entwicklung des Deutschen berücksichtigt, entsprechen 'Attila' und 'Etzel' einander genau ('i-Umlaut' von a zu e und 'Zweite Lautverschiebung' von tt zu tz). Attilas Hauptstadt war aber weder dort, wo das Nibelungenlied sie lokalisiert, noch wirkte er an der Zerstörung des Burgunderreiches mit. Forscher, die die Figuren der Sage mit den Ereignissen des 5. Jahrhunderts verbinden wollen, setzen daher den Etzel der Nibelungensage eher mit dem römischen Magister militum Aetius gleich, der in seiner Jugend als Geisel im Austausch für Attila bei den Hunnen lebte und hunnische Hilfstruppen bei der Zerschlagung des Burgunderreiches einsetzte. Das wird jedoch heute von der Mehrzahl der Forscher nicht angenommen, weil man annimmt, dass sich die Sagen in erster Linie um bedeutende historische Namen rankten, wie Attila, aber mit ihnen so frei umgingen, dass auch eine grobe Veränderung der Fakten kein Problem darstellt.


Die letzte Passage steht für mich keineswegs im Widerspruch zu der Annahme, Etzel sei der historische Aetius. Aetius war kaum weniger bedeutend. Er war aufgrund seiner militärischen Macht schon mal bedeutender als der römische Kaiser eines - zugegeben - untergehenden Weltreiches. Und er war letztendlich der Bezwinger von Attila.

Grundsätzlich kann es tatsächlich egal sein, ob die Nibelungensage reine Fiktion ist oder nicht. Genauso wie die Artus-Sage oder meinetwegen das Evangelium. Aber so richtig zufrieden macht mich das nicht. Ich würde es gerne genauer wissen...  
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Übrigens habe ich in meinen Eingangsposting Aetius mehrmals falsch geschrieben. Es möge durch meinen schweren Kopf, den ich zum Zeitpunkt der Erstellung hatte, entschuldigt werden...
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Ist halt schwierig. Es war halt keiner dabei

Ich zitiere mal.


"Das Nibelungenlied – das bedeutendste mittelhochdeutsche Heldenepos – kennen wir aus 34 bruchstückhaften Handschriften. Es entstand in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, vermutlich irgendwo zwischen Passau und Wien. Der anonyme Autor griff germanische Heldensagen auf und gestaltete ein mittelhochdeutsches Epos

1757 wurde das jahrhundertelang vergessene und gerade erst wieder entdeckte Nibelungenlied von Johann Jakob Bodmer erstmals auszugsweise veröffentlicht."

Hm ,also wenn man bedenkt das zwischen den historischen Ereignissen und der Niederschrift grob gerechnet 1000 Jahre lagen, ohne Internet und Bibliotheken und teilweise sogar ohne Buchdruck,  dann mag sich schon mal ein Fehler einschleichen. Trotzdem tippe ich mal auf Attila als Etzel.

Ich tipp auch immer auf Heimsieg für den FC Bayern. ,-)
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Ihr lieben Leut, um nur ein kurzes Wort dazu zu sagen - und das ganz ausdrücklich nicht als Spezialist für Mediävestik.

Es ist ein hochinteressantes, aber dummerweise bodenloses Thema.

Das Nibelungenlied ist, wie der Name schon sagt: ein Lied. Mit anderen Worten: Dichtung. Glaube aber keiner, dass Dichter Dokumentaristen oder Historiker sind. In diesem Sinne verstanden, dürfte man ihnen keinesfalls glauben.

Dichter schaffen es aber, um es mal zugespitzt zu formulieren, die Unwahrheit zu sagen (im historischen Sinn), und zugleich in einem viel umfassenderen Sinn, Wahrheit zu schaffen. Das ist in der Tat nämlich ein höchst artifizieller Akt.

Wir stehen also beim Nibelungenlied grundsätzlich vor einem ähnlichen (allerdings nicht ganz so komplizierten) Komplex wie etwa bei 'Ilias' und 'Odyssee' des Homer. Was hat es da, um nur mit Schliemann zu beginnen, an ausgrabungen, Thesen, Widerlegungen, neuen Ausgrabungen usw. gegeben, bis heute. Die viel besprochene neue Publikation von Raoul Schrott (den Mann sollten wir übrigens rein des Namens wegen schon verpflichten - was für ein fest fürs Forum) bringt zwar interessante neue Facetten - aber dadurch sind im Prinzip weder die älteren Deutungen widerlegt, noch würde Schrott durch evtl. spätere Publikationen entwertet: weil, im eigentlichen Sinne,  s e h r  v i e l e s  zugleich zutrifft.

Die großen Handelswege der alten Zeit (wie etwa die Seidenstraße) waren zugleich Wege des Austauschs, des Erzählens. Da wurde über Religionen ebvenso palavert wie darüber, in welcher Karawanserei es die schärfsten Frauen gibt, oder eben über Heldentaten. Jetzt lasst irgendwo in der Kalmükensteppe an einem Rastplatz einen Kelten, einen Hunnen, einen Trupp Germanen, vielleicht sogar einen verlaufenen Iren am Lagerfeuer zusammenhocken.

Es wird geklönt. Es wird geprotzt dass es kracht. Lasst jetzt zufällig einen der Herrschaften einen fahrenden Sänger sein (höchstwahrscheinlich der Ire    ). Der merkt sich alles sehr genau und ist gottfroh an diesem tollen Material, dass er später zu einem möglichst lukrativen Gesang an den Fürstenhöfen verarbeiten kann. Er kompiliert. Und trifft damit in der Mixtur - wenn er gut ist, womöglich die Realität noch genauer, als sie "einfach so" ist.

Und wenn's noch a bisserl komplizierter sein darf, jo, dann verwurstet halt ein Sänger gleich ganze Dichtungskomplexe von gleich mehreren Kollegen - wer soll da noch durch blicken? Dies ist zum Beispiel der Fall bei der ganzen Gralsliteratur (König Artus, Lancelot, Iwein, Parsifal, Merlin etc. etc. ) Das ist u-f-e-r-l-o-s.

So in etwa kann man sich das vorstellen. Und das ist eben genau keine Entwertung der Dichtkunst, sondern ihre besondere Qualität. Gestalten großer alter Dichtung historisch festlegen zu wollen, ist somit ein Unterfangen, dass von vornherein zum Scheitern verurteilt ist: weil es einfach der völlig inadäquate Ansatz ist.

Das heißt konkret für den guten Etzel: in ihm sind - womöglich - Attila, Atala, Aetsius oder gar der isländische Atli verschmolzen (zu Letzterem gibt es einen eigenen , vergleichbaren großen Gesang) und sicherlich noch viele andere Unbekannte mehr. Oder das legendäre Nibelungengold. Kann sein, ein King hat's auf Frust oder um die Erben zu ärgern versenkt. Kann sein, wir haben es hier mit dem keltischen Brauch zu tun, rituelle Opfergefässe auf Gold in Gewässern zu deponieren. Die Helvetier machten das ganz gern, und warum? Na klar, die waren ja auch am Rhein, am jungen zwar, aber der führte (und führt) relativ viel Gold mit sich. Was ist nun das Wagner'sche Rheingold? Von jedem ebbes, und noch viel mehr (Goldnes Vlies, Schwarzes Meer etc. etc.).

Was im Endeffekt entsteht, umfasst alle diese Einzelteile, ist als Ganzes aber etwas völlig Neues: große Dichtung. Oder um es mit unseren Worten hier zu sagen: ganz großes Kino  

Langer Rede kurzer Sinn: ich persönlich würde nur einem Attila über den Weg trauen: unserem  
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Danke lieber Matthias, das hast du wunderschön verständlich, humorvoll und "einfach" beschrieben!


Dazu noch ein Wort unseres großen Dichters:


[…] Ich sehe immer mehr, fuhr Goethe fort, daß die Poesie ein Gemeingut der Mensch-heit ist, und daß sie überall und zu allen Zeiten in hunderten und aber hunderten von Menschen hervortritt. Einer macht es ein wenig besser als der andere und schwimmt ein wenig länger oben als der andere, das ist alles. Der Herr v. Matthisson muß daher nicht denken, er wäre es, und ich muß nicht denken, ich wäre es, sondern jeder muß sich eben sagen, daß es mit der poetischen Gabe keine so seltene Sache sei, und daß niemand eben besondere Ursache habe, sich viel darauf einzubilden, wenn er ein gutes Gedicht macht. Aber freilich wenn wir Deutschen nicht aus dem engen Kreise unserer eigenen Umge-bung hinausblicken, so kommen wir gar zu leicht in diesen pedantischen Dünkel. Ich sehe mich daher gerne bei fremden Nationen um und rate jedem, es auch seinerseits zu tun. National-Literatur will jetzt nicht viel sagen; die Epoche der Welt-Literatur ist an der Zeit und jeder muß jetzt dazu wirken, diese Epoche zu beschleunigen. Aber auch bei solcher Schätzung des Ausländischen dürfen wir nicht bei etwas Besonderem haften bleiben und dieses für musterhaft ansehen wollen. Wir müssen nicht denken, das Chinesische wäre es, oder das Serbische, oder Calderon, oder die Nibelungen; sondern im Bedürfnis von etwas Musterhaftem müssen wir immer zu den alten Griechen zurückgehen, in deren Werken stets der schöne Mensch dargestellt ist. Alles übrige müssen wir nur historisch betrachten und das Gute, so weit es gehen will, uns daraus aneignen.« […]




Mit den Nibelungenlied hat er sich viel und ausgiebig in seinen letzten Jahren beschäftigt. (auch wenn er Weltenbürger war...gg)

         


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