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Hackentrick schrieb:
Mein erstes Fussballspiel im Waldstadion sah ich in Begleitung meines Vaters 1974 - das legendäre WM-Spiel Deutschland gegen Polen. Nach diesem Erlebnis waren wir beide desöfteren draussen, um die Eintracht anzufeuern. Wir hatten immer Stehplätze im Block L, wo grösstenteils ältere Herrschaften (mind. 2.000 potentielle Nationaltrainer oder ehemalige BL-Profis) zu meiner Belustigung lautstark ihre Kommentare zum Spielverlauf abgaben.

Im frühreifen Alter von 13 Jahren erlaubten meine Eltern mir, gemeinsam mit Klassenkameraden ohne Begleitung Erziehungsberechtigter die Spiele der Eintracht zu besuchen. Der Weg zum Stadion war kurz und ungefährlich, ich hatte nette, vertrauenserweckende Freunde, die zum Teil bereits ein Jahr älter waren... also stand dem nichts im Wege.

Vor, während und nach den Spielen wanderten unsere Blicke immer wieder anhimmelnd Rchtung G-Block und den Fans in den farbenprächtigen, eindrucksvollen Kutten. Wir wollten unbedingt dazugehören!

Ich weiss nicht, wie meine damaligen Kumpels es hinbekommen haben - meine Jeansweste habe ich heimlich von meiner Oma anfertigen lassen, die mit Sicherheit nicht die geringste Ahnung von meinem Treiben hatte. Hinten ein rückengrosser, runder Eintrachtadler, vorne ein Aufnäher '1.FCN + SGE' in Freundschaft, einige andere Sticker und Buttons, dazu ein schwarz-weisser Schal (ebenfalls aus Oma's Produktion)... fertig war mein Samstagsanzug zur Heldenverehrung!

Es gab ein kleines Problem, das jedoch schnell gelöst wurde: die Eltern durften das Outfit nicht sehen, daher versteckte ich es im Fahrradkeller und zog es erst zum Spieltag hervor, brachte es zusammengefaltet aus der Wohnsiedlung heraus und schlüpfte kurz vor Treffpunkt Oberforsthaus in die Kluft.

Das erste Spiel im G-Block: März 1980, M'gladbach zu Gast, eine Menge Tore und ein Sieg! Wir fühlten uns dazugehörig zwischen den Fans (mittenrein trauten wir uns aber noch nicht so richtig), sangen die Lieder mit, klatschten mit den anderen, trugen stolz unsere Westen (Jens hatte sogar eine kleine Kette von Schulter zu Schulter hängen) und waren glücklicher als Weihnachten und Geburtstag zusammen!

Nach dem Spiel traten wir den Heimweg an - immer noch beseelt von dem Dazugehörigkeitsgefühl und dem tollen Erlebnis an diesem Tag, das uns irgendwie älter und unantastbar machte, bis wir unter Absingen der Strophe 'Sch....mönchengladbach, wir singen Sch....mönchengladbach' ...

...die Unterführung an der Strassenbahnhaltestelle erreichten, wo uns Gladbacher Fans stellten. Sie waren mindestens fünf Jahre älter, sahen zehnmal so gefährlich aus, waren in der deutlichen Überzahl und vier Köpfe grösser als wir. Unsere Gesänge verstummten, wir bekamen Angst. 'Jacke her... Deine und Deine auch' - so oder ähnlich lautete der barsche Befehl des fürchterlichsten der Borussen-Truppe.

Angstschlotternd zogen wir die Kutten aus, die Gladbacher griffen sie jubelnd und rannten davon. Wir standen mit Tränen in den Augen in der Unterführung und waren fassungslos... Als uns die Sprache wiedergegeben wurde, schworen wir Rache. "Wenn wir die Gladbacher nächstes Jahr wieder treffen, kommen wir mit dem ganzen G-Block und schlagen sie zu Brei!", verkündeten wir übermütig.

Es kam besser: vorzeitiger als von uns vermutet empfing die Eintracht die Borussia bereits am 21. Mai 1980 wieder im Waldstadion, gewann das Spiel 1:0 und wurde dadurch UEFA-Pokalsieger! Aber das ist eine andere Geschichte...


Hallo Hackentrick,

Ich bin Jan aus Hamburg und schreibe/gestalte derzeit meine Bachelor-Arbeit zum Thema "Kuttenfans" im Bereich Grafik-Design an der HAW Hamburg. Entstehen soll ein Buch mit Texten und Bildern zur Fankultur der Kutten. Angedacht ist auch, dass das Buch zum Verkauf veröffentlicht wird.

Derzeit befinde ich mich in der Recherche nach Fotos, Texten und anderem Material. Dabei bin ich auf deinen Text aufmerksam geworden.

Würde die Erzählung gerne in meiner Arbeit verwenden – melde Dich doch mal bei mir: jkamensky@gmx.de

Vielen Dank und beste Grüße,
Jan