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Eine Woche der Eintracht

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Während sich am Mittwoch in aller Frühe eine handvoll unentwegter Frankfurter auf den Weg nach Cottbus machten (darunter ein etwas desolater Beverungen) und auf ein paar Hundert Eintrachtler aus dem Osten im Block trafen, stand schon am Donnerstag Abend die Versammlung der Fan-und Förder-Abteilung an. Von 5600 Mitgliedern bequemten sich um die 140 nach Griesheim, um zu erfahren, dass sich der Vorstand nicht in der Lage sah, zu dem derzeit alles beherrschenden Thema Stellung zu beziehen. Leider hielten sich auch die anderen Gruppierungen zurück; nur wenige Ultras waren anwesend, niemand vom FSG und nur wenige Forumler – und dies trotz der Tatsache, dass die Anwesenheit von Heribert Bruchhagen schon Tage vor der Versammlung angekündigt wurde.

Somit verstrich eine schöne Gelegenheit, zwei Tage vor dem geplanten Boykott mit wesentlichen Ansprechpartnern zu diskutieren. Die Tatsache, dass nur 140 Mitglieder an der Versammlung teilnahmen, lässt mich an den Aktionen zur Mitgliederwerbung zweifeln; es stellt sich die Frage: Wozu? Wozu braucht eine FanAbteilung Unmengen von Mitgliedern, wenn schon die derzeitigen kein wirkliches Interesse an ihrer Abteilung haben. Ist es wirklich so, dass der Erhalt des Stadionmagazins, die Option auf verbilligte Dauerkarten oder der Platz auf einem Mainz-Schiff die einzigen Beweggründe sind, Mitglied bei Eintracht Frankfurt zu werden? Die Fufa gibt allem Anschein nach von Zeit zu Zeit ein Din A 4 Info raus – sieht sich aber nicht in der Lage, dies zu jedem Heimspiel zu tun. Jetzt kann man über den Inhalt des Zettels sicherlich geteilter Meinung sein, allein: Wenn schon 5600 Leute nicht willens sind, Infos zu jedem Heimspiel zu erstellen – was nutzen dann weitere 5000. Könnte es nicht ratsam sein, mehr auf Qualität, denn auf Quantität zu setzen? Dann müssten wir uns vielleicht im nächsten Jahr nicht mehr darüber ärgern, dass eine Aktion wie „Fufa-Zelt beim Marathon“ eine der wesentlichsten in diesem Jahr war, während zu den Kernproblematiken „Stadionverbot“ und „Bratwurst-Walter/Wach“ kein Fufa-Zelt zu sehen war. So schön die Aktion „DfB-Pokal-Nachbildung“ auch war, so würde ich mir von der Fanabteilung doch mehr Engagement in Richtung Fan-Basis wünschen: Die Ebbelwoi-Gläser für die Bembelbar in Berlin war doch schon mal ein gutes Zeichen. Leider völlig daneben war in der Stellungnahme zum Stadionverbot der Tritt gegen das FSG, die sich immerhin inhaltlich positioniert hatten – und in den Rundbriefen an die EFCs kein negatives Feedback erhielten.

Samstag:

Grau der Tag, grau die Stimmung. Es war bitter, zu wissen, dass die Eintracht spielt – und du draußen stehst, weil du der Ansicht bist, dass sich Dinge ändern müssen. In den letzten Jahren haben sich viele Leute kennen gelernt, sei es durch Fahrten, durch GD-Treffen und durch allerlei Querverbindungen – und alle haben eines gemeinsam: den Adler im Herzen – und nicht nur auf der Brust. Wir haben gefeiert, diskutiert; waren beleidigt und erfreut – und haben nicht zuletzt beim Pokalendspiel in Berlin eine Riesenparty hingelegt: Wir waren stolz auf unser Team, machten Erfolg nicht am gewinnen fest und feierten, dass die Wände wackelten. Dabei sind wir beileibe nicht kritiklos. Aber wir wussten (und wissen) wo wir noch vor wenigen Jahren standen: Am Abgrund.
Wir haben eine kreative Fanszene, TV, Radio, Fan geht vor, Bembelbar, Fanhaus Louisa, Choreos und Dauersupport, Forum, EFCs, Ultras, Tankard – wir haben unsere Lieder und unsere Geschichte und viele von uns sind Freunde geworden. Die Eintracht steht mit vergleichsweise bescheidenen Mitteln national und international prima da – und was geschieht? Viele von denen, die in den letzten Jahren die Aktivitäten, von denen alle profitieren, maßgeblich initiierten, froren sich in einer Halbzeit die Füße ab – weil sie eine Meinung haben – und sich nicht von Polizei und Presse gängeln lassen wollen. Und was geschieht? Wir wurden ausgepfiffen, einige wurden in HZ zwei am Support gehindert! das Team wurde ausgepfiffen und ging mit nulldrei unter. Ich war einfach nur traurig und wütend – und freute mich des abends über ein Konzert von Anne Clark in – Mainz. Und das am 11.11.. Auf dem Weg dorthin standen junge Eintracht-Fans am Bahnhof Stadion und sangen Lieder darüber, dass sie die Türkei hassen. In Mainz liefen einige Narren umher, die einen waren O5er, die anderen Karnevalisten und auf dem Rückweg mit der letzten S-Bahn versuchten einige verpickelte Frankfurter die Türen der S-Bahn bei laufender Fahrt zu öffnen. Pia ging hin, ein zorniger Satz – und schon war Ruhe im Karton.

Sonntag:

Grau das Wetter, hell die Stimmung. Die zweite Mannschaft der Eintracht trat gegen Schwalmstadt an; die Ultras präsentierten uns eine schwarz-weiße Choreografie, die Jungs auf dem Platz spielten wie einst im Mai und auf der „Haupttribüne“ standen etliche, die noch einen Tag zuvor am Gleisdreieck gefröstelt hatten und lieferten sich mit der Gegentribüne einen fabelhaften Wechselgesang. Dazu gesellte sich ein Regenbogen und auch Heribert Bruchhagen, der am Ende ein sechszueins unserer Amas erleben durfte. darunter waren auch jeweils zwei Treffer von Dominik Stroh-Engel und Jochen Höfler, die zur Winterpause einen neuen Kollegen aus Siegen bekommen. Viele von uns fragten sich, weshalb die Eintracht einen Stürmer verpflichtet, wenn wir doch zwei Jungs in den Reihen haben, welche durchaus auch mal eine Chance im Profi-Bereich verdient hätten.

Letztlich war es dann doch ein versöhnlicher Nachmittag – mit allem, was Fußball so liebenswert macht. Leute der Fufa waren dabei, Vorstand von Ag und EV, Ultras, FSG, Normalos, zwei, drei Polizisten – und es fiel kaum ein böses Wort – abgesehen von dem enttäuschenden Verlauf des Samstags.

Abends im Taxi stieß ich dann noch auf die folgenden Zeilen aus einem Buch der Engländer Martin King und Martin Knight namens „Hoolifan“:

Und überall in den Städten, an jedem Wochenende, gibt es Trunkenheit, Pöbelei und Schlägereien. Man wird verhaftet, und am Montag morgen steht man vor dem örtlichen Richter und verantwortet sich wegen Öffentlicher Ruhestörung oder ähnlichem. Man erhält eine Verwarnung oder zahlt eine Geldstrafe. Man macht das gleiche in der Nähe eines Stadions, und schon ist man ein Hooligan. Ein Monster. Eine Gefahr für die Grundfesten unserer Gesellschaft. Das ist alles kompletter Unfug, und die meisten Leute wissen das auch.

Dazu passt auch die Meldung, dass sich DfB Präsident Zwanziger bei der Politik über mangelnde Unterstützung zum Thema Gewalt in den Stadien beschwert. Es sei schwierig, das Thema aufzugreifen, wenn gleichzeitig Hallennutzungsgelder gefordert und die Sportförderung gekürzt werden. Er könne nicht erkennen, dass die integrative Kraft des Sports tatsächlich geschätzt werde. (Videotext hr)
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die gemengelage vom wochenende sehr gut auf den punkt gebracht.  
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Sehr schön Beve.

Besonders die Beschreibung dieser merkwürdigen - fast morbiden- Stimmung am Samstag ist dir außerordentlich gut gelungen. Man kam sich vor wie in einem falschen Film. Es " passte " wirklich alles . Wetter, Stimmung, Ergebnis ,Forum. Sogar das gute Odenwälder Stöffsche schmeckte seltsam fad.
Das letztere bilde ich mir sicherlich nur ein.
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Ein wirklicher toller Post! Dazke!!  
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Wie immer sehr gute Beschreibung der Lage der Dinge.

Für mich hat der Sonntag einen schon stark entschädigt für den "morbiden Samstag" und die grausamen Diskussionen vor und nach dem Boykott hier im Forum.

Leider ist die Zukunft der schönen Nachmittage am Riederwald mit grandiosen UF-Choreos und geiler Stimmung arg in Gefahr.
Am 22. November gibt es ein Sicherheitstreffen des Hessischen Fussballverbandes, bei dem es darum geht, ob die SVs auch auf die Oberliga ausgeweitet werden, das wäre das absolute Ende. Da werden die fast wöchentlichen, absolut ekelhaften rassistischen Ausschreitungen in den Ost-Oberligen mit allen anderen Oberligen vom DFB in einen Topf geworfen und Druck auf die Verbände ausgeübt, die SV-Praxis flächendeckend zwingend auszuführen.
Wir können nur hoffen, das sich der Verein bei dieser Sitzung genug Gehör verschaffen kann. Nach den von keinerlei Sachkenntnis getrübten Äusserungen des HFV-Vorsitzenden im "HR-Heimspiel", das die Hooligans der Eintracht jetzt zu den Amas gehen, bin ich da aber skeptisch.

Apropos Heimspiel: Da kommen minutenlang OXXen-Fans zu Wort, 20 Minuten Nationalmannschaft, aber kein Ton von den Protesten, obwohl der HR jemand am GD hatte und Interviews gemacht hat. Diese Sendung muss einfach sterben!
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sehr gut geschrieben, danke für den tollen bericht.
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schwarzer_geier schrieb:
...Apropos Heimspiel: Da kommen minutenlang OXXen-Fans zu Wort, 20 Minuten Nationalmannschaft, aber kein Ton von den Protesten, obwohl der HR jemand am GD hatte und Interviews gemacht hat. Diese Sendung muss einfach sterben!


Erstmal auch danke für den schönen Bericht, Beve. Irgendwie passte auch das "bestuhlte Publikum" bei Anne Clark zu diesem komischen Tag...

Aber dem schwarzen Geier muss ich auch rechtgeben. Kein Wort, obwohl sogar über Fangewalt im Rahmen des Nationalmannschaftsberichts geredet und Bilder gezeigt wurden. Man konnte vielmehr richtig sehen, wie toll und wichtig sich der Moderator beim Gespräch mit Löw (gefühlte zwei Stunden) fand...  
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schwarzer_geier schrieb:

Apropos Heimspiel: Da kommen minutenlang OXXen-Fans zu Wort, 20 Minuten Nationalmannschaft, aber kein Ton von den Protesten, obwohl der HR jemand am GD hatte und Interviews gemacht hat. Diese Sendung muss einfach sterben!


Fussballfans fehlt ganz einfach die Lobby ... und den Leuten, die Samstag am GD waren (u.a. auch ich), erst recht.

... vielleicht sollten wir mal sowas wie 'ne 'Förderabteilung' gründen.
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DAZKE BEVE
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Naja Beve: Hält man sich die Entwicklung der letzten Tage vor Augen hätte die Überschrift wohl eher „Woche der Zwietracht“ oder „keine Woche der Eintracht“ heißen müssen. Ganz gleich wie man zu dem Boykott vom Samstag steht – die Diskussion im Vorfeld, wie die Aktion dann über die Bühne gegangen ist und auch die Nachwehen hinterlassen bei mir ein äußerst ungutes Gefühl.

Als jemand, der - was dieses Thema angeht – sagen wir mal die Rolle eines Beobachter einnimmt, war ich schon sehr erstaunt darüber mit welcher Heftig- und Geschwindigkeit gerade hier im Forum die Giftpfeile hin und her flogen. Dieses unsägliche Schwarzweißdenken, die Unfähigkeit andere Meinungen als solche zu akzeptieren statt sie zu disqualifizieren, diese zum Teil widerlichen Hasstiraden: Nein danke.

Ich hoffe nur, dass aus dieser „Woche der Zwietracht“ nicht Wochen oder gar Monate werden, und schon gar kein Bock habe ich auf solche Hirnpygmäen, wie sie Du am Bahnhof Stadion angetroffen hast.  Die Vorstellung, mit solchen Leuten in Istanbul zu weilen, lässt mich schaudern. Denn auf diesen kleinen Ausflug freue ich mich schon wie ein kleines Kind.

güle güle

YZ
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Ach Beve, insbesondere den Samstag den hast du sehr treffend getroffen. Man wußte net ob man fluchen, heulen oder einfach nur ins Bett gehen sollte. Gott sei Dank traf man nach dem Spiel noch mal auf ein paar bekannte Gesichter, da war es dann nicht mehr ganz so schlimme.

Aber ja, der Samstag der war komisch, irgendwie total falsch.
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Danke Beve.
Super geschrieben...

Ich hoff du schreibst irgendwann mal ein ganzes Buch voller Erlebnisse.
Da kriegt man ja nicht genug von.
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Gude Beve,

mir gefällt deine Beschreibung von dem Gefühl aus Berlin am besten. So gings uns da .
So sollte es uns wieder gehen und dein Beitrag stimmt mich froh auch in diese Richtung.
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mal wieder... einfach nur gut,
danke !
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Danke Beve, du triffst genau meine aktuelle Fan-Seele.

Anne Clark's Hit "Sleeper in Metropolis", passt prima zu dieser Woche  
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Sowohl Lob und ein erfreulicher Rückblick, als auch Kritik und die bittere Wahrheit - sehr schön Beve!

Genau wegen diesen Texten liebe ich das Forum hier...

Ein solcher "echter Beve" macht alle Forum-Trolls aufeinmal wett!

Mal wieder etwas erfreutere Grüße,
The_Lizard_King
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vielen dank @beve,
für dein statement und vor allem für die tatsache,das jemand involviertes,nicht von einer "gespaltenen fanszene" spricht.

ihr könnt euch gar nicht vorstellen,wie mich diese floskel ärgert!
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Danke Beve, dass tut gut - gerade heute !!!
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Klasse, Axel
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Gut wie immer, kann mich dem Lob nur anschließen.

Aber wer ist Anne Clark ?


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