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Fanhistorie XLI - Mein erstes Auswärtsspiel: 2. April 1994

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Im Dezember1982 habe ich am Abendgymnasium I in Frankfurt mit 25 Jahren mein Abitur gemacht.
Zuvor habe ich mit noch nicht 16 Jahren und dem Realschulabschlusszeugnis in der Tasche bei Siemens AG Dental-Depot meine Lehre als Groß- und Außenhandelskauffrau (damals natürlich noch nur „Mann“) angefangen, beendet, und in diesem Beruf gearbeitet.
Nach dem Abitur habe so ca. 25 ½ Jahre Soziologie studiert, erst von Bafög und dann von einem Halbtags-Bürojob gelebt und dann bin ich 1990 zur Firma LIBRI in die Verlagsauslieferung für Bücher gegangen.
Bis zum Jahre 2001 – in dem Libri nach Bad Hersfeld umgezogen ist - hat fast jeder Mensch  in Frankfurt, dem ich erzählte, dass ich bei LIBRI arbeite gemeint, „oh je dort, da habe ich auch mal gearbeitet, dass war aber schrecklich“.
Ich arbeitete also bei Libri und mit mir ein nicht so besonders gut aussehender Herr – so ca. 8 Jahre älter als ich – der da irgendwie gar nicht hinpasste.
Er sprach fließend französisch und englisch sowieso. Er war sehr gebildet. Er redete sehr gepflegt und benutzte Fremdwörter. Alles im Gegensatz zu den anderen Büromenschen dort, die eher schlichten Gemütes waren. Außerdem war er ganz „heiß“ auf Überstunden, was ich nun mal überhaupt nicht verstehen konnte und seine Tischmanieren waren im Gegensatz zu seinem sonstigen Auftreten nicht manierlich.
Na ja, es kam wie es (fast) kommen musste, er lud mich zum Essen ein, und ich, ohne Beziehung und einsam, ließ mich auf die von ihm angestrebte Beziehung ein.
Das Geheimnis seiner Bildung lichtete sich dahingehend, dass er zum damaligen Zeitpunkt „Freigänger“ des nahen preungesheimer Gefängnisses war. Er war einst ein erfolgreicher Wirtschaftanwalt mit Millionenerlösen – zumindest seine Erwähnung in einem populären Buch incl. Bild von ihm habe ich gesehen – die, wie er sagte seiner Frau, leider nicht gereicht hatten, und der nun wegen Steuerhinterziehung im Gefängnis saß.
Allerdings war er schon draußen, als er mit mir diese Beziehung begann. Nun durfte ich Geschichten lauschen, so dass ich mir vorkam als wäre ich bei "Dallas". Aber leider hatte er überhaupt kein Geld mehr, nur sehr viele Schulden.
Jedenfalls konnte ich ihn öfters erfolgreich überreden mit mir zur Eintracht zu gehen.
Wir schrieben sowieso das Jahr 1991 und die Eintracht spielte „Fußball 2000“, so dass das Mitgehen nicht nur mir zuliebe erfolgte, denn es wurde ja was geboten fürs Geld.
Wir hatten immer einen Sitzplatz, denn damals fing es mit meinen Knochen an schlimm zu werden, dass ich kaum noch laufen und vor allen Dingen stehen konnte.
Er begleitete mich auch auf den Paulsplatz die Rostock-Geschichte anzusehen. (Siehe Bild im Steckbrief.)
Dann am 28.12.1992 lernte ich in Kur in Sasbachwalden den Mann meines Lebens kennen. Ich verliebte mich so was von unsterblich, und diese Liebe beruhte auf Gegenseitigkeit. Allerdings hatte sie einen „kleinen“ Schönheitsfehler, denn der Mann meiner Träume war verheiratet und hatte auch nicht vor an diesem Zustand etwas zu ändern oder mit mir „offen“ fremd zu gehen.
Dies hatte er mir sogar schon vor dem Kennen lernen gesagt. Das Verlieben passierte trotzdem und ich machte mit meinem Ex-Juristen Schluss. Dieser belatscherte mich dann ständig, dass diese Liebe doch verheiratet wäre, niemals zu mir kommen würde und machte mir sogar einen Heiratsantrag.
Wie oft und was wir noch miteinander unternahmen weiß ich nicht mehr, ich ging jedenfalls regelmäßig zu den Heimspielen und über Ostern 1994 lud er mich ein mit ihm nach Berlin zu fahren.
Wir fuhren also zusammen nach Berlin. Er zeigte mir Werder an der Havel, Potsdam und Babelberg. Es war alles sehr schön, wenn ich mich nicht so nach dem Anderen sehnt hätte. Hatte richtige Schmerzen und der arme Jurist konnte mich nicht aufheitern. Er fuhr sogar nach Dessau, damit ich die Geburtsstätte des Bauhauses sehen konnte. Wir aßen dort zu Mittag und fuhren weiter auf der Autobahn Richtung Frankfurt. Da stand dann das Schild „Leipzig“.
OK, es war Samstag so 13.00 oder 14.00 h und – ah, die Eintracht spielt ja heute gegen den VfB Leipzig. Ich sagte dies, und dann später kam von ihm: “Wollen wir da hinfahren?“. Ich getraute mich erst nicht, aber, da er ja fast alles mir zuliebe tat, sagte ich dann „klar“. So fuhren wir also nach Leipzig, fuhren durch die ganze Stadt immer dem Schild „Zentralstadion“ nach und gelangten auf einen Parkplatz. Leider fasste ich den Entschluss meinen Foto nicht mitzunehmen. Wegen Gedränge und so.
Aber irgendwie war es komisch, außer uns war so wirklich niemand da, alles leer.
Allerdings fand sich jemand in einem Kassenhäuschen der uns eine Karte verkaufte (siehe Bild im Steckbrief) und dann betraten wir das Stadion, das Wiki so beschreibt:
„Das Stadion am Elsterflutbecken, dessen 23 Meter hoher Wall aus 1,5 Millionen Kubikmetern Kriegstrümmern geformt wurde, entstand zwischen 1954 und 1956 unter der Leitung von Karl Souradny. Es wurde 1956 mit einer Kapazität von 100.000 Sitzplätzen eröffnet und war bis zu seinem Umbau 2000 das größte Stadion Europas. Hier fanden die Turn- und Sportfeste der DDR, alle wichtigen DDR-Fußball-Länderspiele und Leichtathletik-Wettkämpfe statt.“
Und es war der Wahnsinn, wir hatten so ungefähr eine ganze Stadionseite für uns alleine. Laut Eintracht-Archiv waren 8,500 Zuschauer da. Um auf die Toilette zu kommen musste ich "stundenlang" laufen und zu trinken gab es gar nichts.
Das Spiel war dann ein typisches Eintracht-Spiel. Diva halt. Gegen den Tabellenletzten, den ersten Deutschen Meister überhaupt, dem diese Spielzeit allerdings nur drei Siege gelangen, verloren wir mit 1:0, dass Jürgen Rische schon in der 29.Minute schoss.
Ich erinnere mich nur an Langeweile und Ödnis.
Niemand weit und breit, erst recht keine Frankfurter und dieses leere Stadion.
(Oh hätte ich doch nur meinen Foto mitgenommen…)
Auf der Rückfahrt kamen wir dann auf der Autobahn in einen fürchterlichen Schneesturm und hielten an einer Raststätte an.
Und siehe da, da waren Eintrachtfans. So mit Kutte, Gesang und Bierflasche.
Allerdings getraute ich mich nicht mich zu erkennen zu geben, aber das ist eine andere Geschichte, die ich ein anderes Mal erzähle.
Der Jurist half mir dann noch in diesem Sommer bei meinem Umzug nach Niederrad und heiratete kurz drauf eine Psychologin.
Diese verbot ihm den Umgang mit mir und ich habe ihn seither nie wieder gesehen.  
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Sehr schön geschrieben, aber warum versteckst du denn diesen schönen Beitrag hier im Dies und Das?
Fällt doch auch eher unter die Kategorie Fanhistorie

P.S. An Libri fahre ich täglich 2 mal auf dem Weg ins Büro vorbei.
Ich glaube, da hat sich nicht wirklich etwas geändert.
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Hallo wib!
Es ist echt Wahnsinn, was Du alles erzählen kannst. Ich freue mich schon darauf, die Fortsetzungen zu lesen. Großes Kino. DANKE!

PS Traue mich auch nicht so richtig zu Auswärtsspielen. vllt. mal in der nächsten Saison.
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Eieieieieieieiei, Monatelang gab es nur gejammer und gedöns in diesem Forum, der Umgangston war richtig frostig, kaum lesenswerte Beiträge von einigen Lichtblicken mal abgesehen und dann diese Woche, die mich an letztes Jahr erinnert. Eine Fanhistorie nach der anderen, und nein ich finde das nicht schlecht, ganz im gegenteil!

Danke WIB für diesen tollen Lebensbericht! Das war wunderbar zu lesen!
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Fie Fön, fass fie fositive Freativität fcheinbar fandelsteckend firkt. Fine Fpielpause firkt Funder (ach hätte die in dem annern Fred bloss nicht mit dem Feisch angefangen - Findewald, Butt und so...)

In dem Sinne Fanke Fön Fabine  
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Nö, das ist nicht die Spielpause. Das ist der Ruck, der seit Oxx***** durch die Mannschaft und jetzt, nach dem euphorisierenden 1:0, auch durchs Forum geht.

Diese neuen Fanhistorien unterscheiden sich, wenn ich mich recht erinnere, ein wenig von den älteren; sie sind noch persönlicher geschrieben, verbinden die eigene Biographie ausdrücklicher mit der Eintracht. Finde das sehr schön.

Nur: hier müsste konsequenterweise auch die Fanhistorienüberschrift drüber, das Ganze mit einer Fackel beleuchtet ab nach "Unsere Eintracht".

An WiB und alle anderen Historienschreiber dieses denkwürdigen Forumstages: Glückwunsch und Respekt  

P.S. Am Preungesheimer Knast bin ich 4 Jahre lang wochentäglich vorbeigetigert, auf dem Weg zur Schule. Auf dem Rückweg verbotenerweise in einem eingerüsteten Rohbau Abenteuer gesucht und gefunden. Zu spät nach Hause gekommen, Ohrfeige abgeholt. Hat sich trotzdem gelohnt. Tempi passati. Aber die Eintracht hält sich dorsch.
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womeninblack schrieb:

Um auf die Toilette zu kommen musste ich "stundenlang" laufen und zu trinken gab es gar nichts.


Das aber wenigstens gegen Bargeld     ,-)
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Hi Bine,
was soll ich sagen, (außer, die Juristen sind so schlecht nun auch wieder nicht ), mit Herz und Verve geschrieben. Großes Theater, könnt Ihr ALLE bitte mal aufhören, mir Gänsehaut über den ganzen Körper zu jagen?

Meinen größten Respekt und ganz liebe Grüße
Uli
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Hallo Sabine,
ein toller Beitrag. Mich würde wirklich sehr interessieren, wieso Du Dich damals in der Raststätte nicht getraut hast, Dich zu erkennen zu geben.  Vielleicht erzählst Du uns diese Geschichte auch noch.
LG Regina
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Gehöre auch zu denen, die irgendwann mal bei Libri gearbeitet haben,
als Leiharbeiterin während des Studiums. Kann mich noch gut erinnern, dass wir damals fast nur "Ganz unten" von Günther Wallraff verpackt haben. War irgendwie passend.
Bewundere deine Offenheit, deine Berichte lese ich immer mit großem Interesse.
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Libri? Ich auch, 1980 ca. 3 Monate.

peter
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Ihr aaale Babbsägge
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Libri?

habe ich in den 70ern ein paar mal als Schüler im Hochregallager ausgeholfen, wenn die Anlage still stand. Hab ich eigentlich als ganz cool in Erinnerung , die ganze Kletterei.
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Dazke, Bine!
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Supi und wieder eine schöne persönliche Geschichte. REcht herzlichen Dank dafür. Was war das für eine Forumswoche. Geil !
Libri? Bad Hersfeld >>> Waldhessen  
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Berichte von Dir sind für mich ja immer ein " muß ".

Danke für den detailierten Bericht bezüglich " mein erstes Auswärtsspiel mit dem verheirateten Mann""
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Dirty-Harry schrieb:
Berichte von Dir sind für mich ja immer ein " muß ".

Danke für den detailierten Bericht bezüglich " mein erstes Auswärtsspiel mit dem verheirateten Mann""  


A****loch....    
Musst schon richtig lesen.
Der Mann mit dem ich in Leipzig war, war nicht verheiratet, der wollte mich nur heiraten.
Der Verheiratete war nur in meinem Kopf.
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Auch wunderschön in der Dir eigenen, authentischen Art geschrieben. Danke.
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Danke Sabine Wieder ein sehr schöner Bericht. Ach, ist das schön, dass es mit den Fanhistorien weitergeht!
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feine Geschichte..nett zu lesen


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