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Fanhistorie LXVII - Mein erstes Eintrachtspiel – die etwas abweichende Fanhistorie

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Ja, das kann man oft hören: Zum ersten Mal mit dem Papa im Stadion. Leuchtende Kinderaugen, überwältigt von den Menschenmassen, den Rufen, dem Spiel – und seitdem Eintrachtfan. Ich war auch mit meinem Papa zum ersten Mal im Stadion. Ich war neun, und ich habe es gehasst.

Berlin, Olympiadion, 34. Spieltag. Es ist der 4. April 1970 und die Hertha spielt gegen diese Frankfurter. Ist mir doch egal. Meine Eltern haben sich gerade scheiden lassen, ich wurde von meiner Mutter und meinem neuen Vater aus meinem geliebten Berlin gegen meinen Willen nach Walldorf in Hessen verschleppt. Ganz toll. Jetzt war ich zu Besuch bei meiner Tante in Berlin, und mein Vater traf sich mit mir. Am liebsten wäre ich zum einem gerade stattfindenden Rummel gegangen, aber er hatte Fußballkarten. Drei Stück. Eine für mich, eine für ihn und eine für eine mir bis dahin unbekannte junge Frau im Pelzmantel, die blond, hübsch und definitiv nicht meine Mutter war. Im Stadion saß ich zwischen ihnen auf einer langen Holzbank auf der Gegentribüne. Unten auf dem Rasen liefen die zwei Mannschaften ein. Es war kalt. Ich wollte auf den Rummelplatz.

Um meine Stimmung etwas anzuheben, fragte mich mein Vater, für welche Mannschaft ich sei. Schließlich sei es doch lustig, wo ich doch jetzt in der Nähe von Frankfurt wohne, dass ausgerechnet die Eintracht gegen Hertha blablabla. Erwähnte ich schon, dass ich auf den Rummelplatz wollte? Jedenfalls habe ich dies jetzt meinem Vater mitgeteilt. Er wechselte einen etwas verzweifelten Blick mit dem blonden Pelzmantel und schlug mir vor, dass wir nach dem Spiel zum Rummel gehen würden, wenn ich den Sieger der gerade eben angefangenen Partie richtig vorhersagen würde. Eine Wette also. Ich kann mich nicht mehr erinnern, ob ich damals instinktiv seinen Plan durchschaute, mich mit diesem Trick quasi zum Anhänger einer Mannschaft zu machen, jedenfalls sagte ich, ohne zu zögern: „Unentschieden“.

Nun lief das Spiel. Unter den 30.000 Zuschauern im Stadion war ich mit einiger Sicherheit der Einzige, der das Geschehen  umso angenehmer empfand, je mehr es sich von den beiden Toren entfernte. Ballgeschiebe im Mittelfeld, Fehlpässe, unnötige Ballverluste – das war meine Welt.

Die Aufstellung der Hertha lässt einen heute eher kalt:

Weber, Enders, Ferschl, Patzke, Wild, Witt,Brungs, Gayer, Horr, Steffenhagen, Kronsbein. Und damit war man unter Kronsbein auf dem dritten Tabellenplatz. Die Eintracht war 8., aber was für eine Mannschaft: Kunter, Hubert, Lutz, Schämer, Trinklein, Wirth, Hölzenbein, Kalb, Grabowski, Heese, Nickel, Lindemann. Trainer war Ribbeck. Als wenn mir das nicht völlig am ***** vorbei gegangen wäre. Ich wollte ein Remis, und ein Null zu Null schien mir eine tragfähiger Grundlage dafür zu sein. Bis zur 69. Minute hat auch alles prima geklappt, dann verwandelte Horr zum 1:0 für die Hertha. Ein Großteil der Dummköpfe rings um mich herum jubelten. Klar, die wollten ja auch nicht zum Rummel. Ich habe jetzt aber nicht etwa für die Eintracht gebrüllt, um den ja noch möglichen Ausgleich zu fördern. Vielmehr verharrte ich endgültig sauer und verbittert schweigend auf meinem Platz. Steffenhagen hat dann in der 84. mit dem 2:0 alles klar gemacht. Fussball war Scheisse.  

Der Rest kann schnell erzählt werden. Mein Vater ist dann natürlich doch hinterher mit mir und dem Pelzmantel zum Rummel gegangen. In der Schule in Walldorf und später auf dem Gymnasium in Gross-Gerau waren die meisten aus meiner Klasse Bayern- oder Eintrachtfans. Ich selbst interessierte mich kaum für Fussball, spielte Tennis in der Vereinsmannschaft und schaute mir Wimbledon im Fernsehen an. Wenn ich gefragt wurde, nannte ich Hertha als meine Lieblingsmannschaft, das ging als plausibel durch, weil ich ja aus Berlin stammte. Erst die WM 74 in Deutschland hat mich für Fussball interessiert, ab dann habe ich auch Samstags die Sportschau gesehen und den Kicker gelesen. Mit Hertha bin ich bis in die dritte Liga gegangen, nach dem Wiederaufstieg konnte ich mich aber nicht mehr mit Hertha identifizieren. Ist nicht so hübsch, wenn nach einer Fehlentscheidung weite Teile des Publikunms „Jude, Jude“ rufen. Längst ging ich in Frankfurt ins Waldstadion zur Eintracht, und ab 1987 bin ich ausschließlicher Eintrachtfan.    

Am 2. Februar spielen wir wieder in Berlin. Ich werde da sein, meine Liebste im Arm und werde für die Eintracht singen, bis ich heiser bin. Vielleicht reicht es aber doch nicht zum Auswärtssieg. Wenn das denn so sein sollte, hätte ich nur noch eine kleine Anregung: Könnten wir vor der Bembelbar ein kleines Karusell aufstellen, wenn das Spiel unentschieden ausgeht?      

   
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Eine sehr emotionale Geschichte Stefan.
Ich denkle, mit Fußball und Rummel konntest Du an diesem Tag leben.
Ich kenne Dich ja als Eintrachtfan durch und durch.
Erstaunlich, dass man offensichtlich doch seinen Fußballverein wechseln kann.
War die Emotion für die Hertha früher ähnlich hoch wie die für die SGE heute oder hat sich die Eintrachtverrücktheit erst später entwickelt?
Am 2. Februar brauchst Du übrigens kein Karusell, das gibt einen 3er in Berlin.
Dir und Miso noch ein schönes Weihnachtsfest.
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Sehr schön!  
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Hm, der Mann ist also erst seit 20 Jahren auf der Seite des Lichts. Andererseits, Konvertiten sollen ja angeblich ganz besonders fanatisch sein. *Gleich notieren* Unbedingt mal zum Fernsehgugge besuchen.
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Mir doch egal, soll der Saftsack doch sehen, wer ihn da wärmt  
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schlusskonferenz schrieb:
Mir doch egal, soll der Saftsack doch sehen, wer ihn da wärmt    


Hmm, den Bapper vom Forumsstand vor der Saison nicht erhalten? Die Direktive hieß "Heiß auf die Eintracht!" - und daran halte ich mich auch.  
Dank entflammtem Herzen kann ich somit dieses Angebot externer Wärmelieferungen großzügig an mein Brüderchen abtreten.  
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So so, ein Walldorf- Schüler. Mir wird jetzt so manches klar.

Nun , lieber Stefan " Rummel "haste  wenn Du möchtest jeden Donnerstag.

Völlig unverständlich ist  jedoch, wie man überhaupt an einem Auswärtssieg der Eintracht in Berlin zweiflen kann. So etwas machen höchstens Alt- Kader die immer noch, oder schon wieder ,der veralteteten Theorie der ML treu ergeben sind. So etwas gehört auf den Müllhaufen der Gechichte
Die Zukunft gehört dem Feninismus.

http://www.eintracht.de/meine_eintracht/forum/1/11135564/

Ps: IM Sojabohnenpaste ( ganz geheimer Geheimcode) bringen sie den Genossen auf Kurs!
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Sehr schön StefanK.
Jetzt fragt sich nur, was Dich so inspiriert hat: war das die Stadt Berlin oder Deine Liebste in Berlin???
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Eine sehr schöne Geschichte, lieber Stefan
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Hier bleiben doch wichtige Fragen, die sich dem geneigten Leser - also mir - unwillkürlich aufdrängen, leider unbeantwortet.
Wen würde nicht brennend interessieren, was aus dem Pelzmantel geworden ist? Und damit meine ich wirklich den Pelzmantel, damit hier keine Missverständnisse aufkommen.


Wunderbar, Stefan.
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Danke für den Bericht, ich liebe die Fanhistorien!

Schönen Feiertag noch!  
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scheee, dazke.

fnf
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norwegerr schrieb:
Danke für den Bericht, ich liebe die Fanhistorien!



Da nutze ich doch mal die Gunst der Stunde und schliesse mich diesen Worten an.

Tja, wie die Zeiten sich ändern können. Ich glaube vermuten zu können, das Du Dich heute eher für Fussball begeisterst, somit jedes Eintracht Spiel jedem Rummel vorziehen würdest und auch nicht beide Daumen drückend auf der Tribüne sitzt und Dir von ganzem Herzen ein 0:0, inklusive Fehlpassorgie und Mittelfeldgeschiebe wünschst. Mit dem Alter kommt die......

Thx & Grüsse
lt.commander
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Prima geschrieben, danke dafür
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tja stefan, das leben - und auch gerade das im zarten, juvenilen alter - kann schon ganz schön schwierig sein.

danke schön, klasse beitrag.

aber, das gute hat gesiegt!  

peter
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Sehr lesenswerte Geschichte. Berlin, Blondinen, Belzmäntel.    


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