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Fanhistorie LXVIII - Was zum Teufel mach ich hier?

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Wir schreiben die 75.Minute in einem armen und torlosen Spiel. Der Gegner heißt Cottbus. Das Spiel läuft müde vor sich her, und in Anbetracht das es Anfang Dezember ist, war es sehr kalt. Deshalb war ich froh dass meine Freundin mit einem neuen Becher Glühwein zu mir zurück kam. Die 55000 wurden langsam etwas ungeduldig, was man bei diesem Kick, und der bisher sehr starken Saison auch verstehen konnte. Nur eins unterschied mich von all den anderen. Meine Aufmerksamkeit ging nicht unbedingt aufs Spielfeld.

Denn just in diesem Moment als der Glühwein kam...kam auch der Gong.
Herr, bitte lass es aus Frankfurt sein, stammelte ich in mich hinein. Selten wurde ich erhört, aber heute schien es anders zu sein. Da erschien es auf der Anzeigetafel, das 2:1 gegen Schalke.

Nach dem mich meine Freundin wieder beruhigt hatte, und die fragenden Blicke der umherstehenden in der HSV Nordkurve langsam wieder Richtung Spielfeld gingen, breitete sich ein kleines Grinsen in meinem Gesicht aus. Immerhin verpasste ich wissentlich, eine der geilsten Choreos, die Fans jemals hervorbrachten, das Hassspiel schlechthin mit Judas NadW, und einen wo möglichen Sieg. Schon kurz vor dem Spiel bekam ich von einem Bekannten die Nachricht, das das Stadion tobt.
Stattdessen musste ich mir diesen Grottenkick ansehen, in einer fremden Kurve, in der Jubeln zum falschen Zeitpunkt, böse hätte ausgehen können. Ich nahm meine HSV-Freundin in den Arm, die mir zu diesem Zeitpunkt tausendmal wichtiger als unser Spiel war, und dachte bei mir; was solls, wir führen.

In den letzten 10 Minuten erhöhte sich der Blick auf die Anzeigetafel. Eigentlich kam ich gar nicht mehr runter, was schwierig war, da ein Banner vom Oberrang herunter hängend mir auch noch die Sicht versperrte. Nennenswerte Spielszenen des HSV, und Wutausbrüche meiner Freundin nach vergebener Chance, wurden mit einem "schön Schatz" abgespeist. Solange nur diese dämliche Anzeigetafel die Finger still hält, is alles schön, Schatz.

Die letzten Sekunden des Spiels liefen, und dann kam der Gong....schade eigentlich. Zumindest hatten wir beide nicht gewonnen, was ein wenig Schadenfreude bei den herumstehenden auslöste, die es gemerkt haben. Wenigstens gings nach dem Spiel noch auf den DOM, is ja auch eine ganz nette Ablenkung wenn man schon nix vom Spiel sieht.


Es war nicht das einzige Spiel unserer Eintracht, das ich diese Saison in einem fremden Stadion nur per Anzeigetafel erleben durfte. Und jedes Mal pünktlich zum Anstoss, der gleiche Gedanke: Was zum Teufel machst du hier? So weit weg, und lauter Menschen die zwar Fußballfans sind, aber das alles nicht teilen, was grade in dir vorgeht. Menschen die dich blöd anschauen, wenn du nach dem 1:5 gegen Nürnberg, gegen das Geländer trittst und laut "scheisse" schreist, während unten auf dem Spielfeld gerade ein Einwurf des Gegners wiederholt wird...beim Stand von 4:1 für Hamburg. Eigentlich bist du hier vollkommen falsch.
Dann schau ich nach vorne, seh meine Freundin an, und der Gedanke war wie aufgelöst. Es gibt doch noch Dinge in dieser Welt, die ein Fußballspiel vollkommen unwichtig erscheinen lassen. Naja, zumindest kurzfristig...


Ich hab das Waldstadion das erste mal November 1988 betreten, gegen Werder Bremen. Ich war 9 Jahre alt, und viel ist mir vom Spiel nicht mehr hängen geblieben. Nur 2 Dinge weiß ich noch genau. Der erste Gang die Treppen der Gegengerade hinauf, und die immer lauter schallenden Rufe tausender Kehlen. Ich hatte Gänsehaut. Alles was ich wollte war so schnell wie möglich da oben ankommen. Seit diesem Moment, hat es mich nie wieder losgelassen, das Fieber Waldstadion!
Das 2. was ich noch weiß, war das ausgerechnet an diesem Abend, eine Grippe die in mir steckte raus wollte. Gepaart mit der Aufregung, musste ich mich in der Halbzeitpause das erste mal übergeben. Mitten auf der Gegengeraden. So genaue Erinnerungen hab ich daran nicht mehr, ich weiß nur das sich kein Mensch darüber aufgeregt hatte. Das 2. mal passierte es übrigens, an einem Mülleimer, mitten am Hauptbahnhof, nach dem Spiel. Ich war mir trotzdem sicher, es war ein toller Tag. Und froh das ich

Heute gibt es die Treppen, und die Gegengerade nicht mehr, genauso wie auch die Frau nicht mehr da ist. Zumindest nicht mehr an meiner Seite. Trotzdem 2 Momente, die mir irgendwie in Erinnerung bleiben werden. Der allererste Moment, und ein schöner, weil etwas anderer, der letzteren Momente, die ich mit der Eintracht verleben durfte. Beides liegt 19 Jahre auseinander.
Dieses Jahr sind es nunmehr 20 Jahre Eintracht, in denen ich Fußball 2000 erleben durfte, anders gehende Uhren, Tränen beim Abstieg, Tränen am Aramark Stand als ich meine erste und einzige Wurst ausgeko...gegessen habe, mit meiner Schwenkfahne als einer der ersten den Platz zu stürmen nach dem Mainz Spiel (kann auch 2 Minuten vor Abpfiff gewesen sein) und dem sicheren Aufstieg, einen durchdrehenden Block nach dem 6:3, völlig knülle nachts am Römer hängend nach dem 5:1, und viele mehr. Vorallem aber die Freundschaften über die Eintracht hinaus, über das Forum, am GD, und am Stadion. Hilfsbereite Fans, die einem nie im Stich lassen, und mir selbst die Tränen in die Augen schießen ließen.

Momente die dir keiner mehr nehmen kann. Wie klein erscheint dagegen eine Niederlage gegen die Bayern?! Die kommen nächstes Jahr sowieso wieder.

Um im Gegensatz zu manch anderem hier erwähnten Lebensabschnitt, bleibt die Diva immer mir und in meinem Herzen. Ein Leben lang, schwarz-weiss-rot....bis in den Tod!


Schönen Abend allen Adlern und vorallem, alles erdenklich gute lieber Chris!
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Süß-Saure Geschichte. Schön geschrieben dazu.

DaZke
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Stockholm-Syndrom.....

Jerusalem-Syndrom.......

Florenz-Syndrom..........

Eintracht-Syndrom...unter diesem leide ich jetzt akut, vorgestern Bayern-Spiel, gestern dies:
http://www.eintracht.de/meine_eintracht/forum/1/11143452/


und heute kommst du mit deiner Fanhistorie!
Danke  
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Sehr schön Seb,

es ist so, wie Du schreibst, das Waldstadion, die Eintracht sind etwas tolles, aber noch viel toller sind die Emotionen und Erinnerungen, die man mit den genauso Bekloppten teilen kann und jetzt kannst du ja wieder öfter dabei sein.

Und Deinen Wünschen für Chris schließe ich mich natürlich an.

Gruß
Uli
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Schöne Geschichte....

Und: wenn ich überlege, jemand würde sich im Stadion übergeben....
Und schlimmer noch, früher hat auch so mancher einfach hingepinkelt.
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daZke Seb.
Die Eintracht ist eine Konstante im Leben. Die Liebe die nie vergeht.
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Schöne Geschichte.

In einem anderen Stadion stehen, während die Eintracht spielt? Ich glaube ich würde durchdrehen und statttdessen lieber Vögel füttern, oder Enten (ist jetzt keine Kritik)... ,-)
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Schön geschrieben, Seb!

Wann färbst'n ma' wieder ab? ggg


miep0202 schrieb:
Ich glaube ich würde durchdrehen und statttdessen lieber Vögel füttern, oder Enten (ist jetzt keine Kritik)... ,-)  

Sind Enten keine Vögel?
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miep0202 schrieb:

In einem anderen Stadion stehen, während die Eintracht spielt? Ich glaube ich würde durchdrehen und statttdessen lieber Vögel füttern, oder Enten (ist jetzt keine Kritik)... ,-)  


Naja, im Prinzip war ich die Ente, und hab auf meine Fütterung danach gewartet.  ,-)

@Goy: Mit dem abfärben das wird wohl leider nix mehr.
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Der_Nauheimer schrieb:

Ich hab das Waldstadion das erste mal November 1988 betreten, gegen Werder Bremen.  


War's jetzt 1989 (Steckbrief) oder 1988? Egal, ein bereichernder Bericht, dazke!


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