Ein ungleiches Bild bietet sich alltäglich rund um den Frankfurter Hauptbahnhof, Banker hasten zu ihren Terminen in die nahegelegenen Hochhäuser während dazwischen die Verstoßenen dieser Gesellschaft dabei sind, sich ihren Schuss zu setzen, zu dealen oder, völlig unter Entzug, planlos, zitternd und krampfend über den Bahnhofsvorplatz torkeln.
Ab und an kommen mal die Hüter der Gesellschaft vorbei und lösen größere Ansammlungen auf, doch das gleicht eher einer Kuh, der man die Fliegen von den Augen verjagt, im nächsten Moment sind alle wieder da.
Wie kann es überhaupt soweit kommen? Das frage ich mich, während ich an diesem schwül-heißen Juni-Tag auf dem Balkon eines Hostels in der Kaiserstraße sitze, Blick auf besagten Bahnhofsvorplatz, ein kühles Frankfurter Bier trinke und somit wieder einen Gegensatz produziere:
Die Bettler am Kaisersack, dazwischen eine Prostituierte, die jeden männlichen Passant, der alleine unterwegs ist anspricht, besagte Junkies, den Sicherheitsdienst welcher mehr dumm rumsteht als für Ordnung zu sorgen, ab und zu Polizisten, die wirklich ein wenig etwas tun, dazwischen natürlich die ganzen Reisenden, welche emsig in den Bahnhof rein und rauslaufen, sie alle bilden eine unfreiwillige Bühne, deren Zuschauer ich bin - 3. Stock, Loge, ideale Sicht. Nur der Vorhang fehlt.
Leider, denn das ruft mich in die Realität zurück, vielen dort unten geht es verdammt dreckig, ob sie nächstes Jahr noch leben oder bis dahin, krepiert am goldenen Schuss, in einer Ecke gefunden werden? (Auf dem Bahnhofsklo, wie früher wohl nicht mehr, das kostet inzwischen 70 Cent.)
Es wird abend, dann nacht. Unter mir, im Aufenhaltsraum des Hostels hat sich ein bunter Haufen zusammengefunden, Backpackers aus Frankreich, Südamerika und Köln, einige von ihnen vollziehen eine Jamsession mit Instrumenten, die in diesem Raum zur Verfügung stehen. "Das gibts hier jeden Abend", erzählt ein Hostel-Mitarbeiter. Seine Geschichte ist bezeichnend für vieles hier: "Ich kam als Gast und blieb"... Vom Backpacker zum Hostelmitarbeiter, nicht übel. Reisen, und wenn es einem irgendwo gefällt, bleiben, das gefällt mir.
Ich kehre in mein Zimmer zurück und bemerke, dass ich nicht mehr alleine bin. Das zweite Bett ist belegt, ein junger Engländer liegt dort. Ganz normal in einem Hostel, schließlich mietet man ein Bett und kein Zimmer. Ich schleiche leise durch den Raum und setze mich wieder auf den Balkon. Der Bahnhofsvorplatz ist leer geworden,
die Junkies und Obdachlosen sind um diese Uhrzeit scheinbar woanders.
Im Haus gegenüber ist irgend eine Versammlung, jedenfalls sind dort einige Menschen im Anzug zu sehen, plötzlich zeigen zwei auf mich, ein Vorhang wird zugezogen. Scientology soll hier irgendwo eine "Kirche" haben, wer weiß...
Der Engländer im Zimmer schnarcht, sein gutes Recht, es ist immerhin schon 3 Uhr in der Nacht. Ich lege mich ebenfalls hin und liege noch lange wach, bin in Gedanken bei dieser Stadt, die mich nicht loslässt mit all ihren Höhen und Tiefen, Gut und Böse, Aufstieg und Niedergang.
Super geschrieben, mal was anderes! Ich hab mir schon ähnliche Gedanken gemacht, als ich im Bahnhofsviertel unterwegs war. Und die Atmosphäre in den Backpacker-Hostels ist in der Tat was besonderes.
Du hast vollkommen Recht! Es sind - neben den vielen schönen Ecken - die krassen Gegensätze, die mich an meiner Stadt so faszinieren. Kann man nicht in Worte fassen. Aber ich denke, ich bin nicht der Einzige, der das so empfindet.
Zum Thema: Sehr schöner Text. Wenn man nach dem Spiel einen Abstecher ins Bahnhofsviertel macht (nicht Puff!), dann kommt man ins Grübeln. Viel Elend zu sehen. Beim Verlassen schwanke ich zwischen "Wie gut es mir geht" und Mitleid.
Kenne + kannte nie "Backpackers", aber am Bahnhof fahre/fuhr ich fast täglich vorbei.... Von stadauswärts über die Taunusstraße.... Da muss ich mit meiner Vespa immer aufpasasen, dass nix passiert. Entweder sausen irgendwelche Männer rein oder raus aus dem Puff, Lieferwagen + sonstige Autos parken mitten auf der Gasse, betrunkene oder meist mit anderen Drogen vollgestopfte Leute treten unverhofft auf die Straße. Oder auch Asiaten, die Zuhause wohl keine Ampeln kennen. Vor meinem Hüft-Op fielen mir immer wieder junge, aber total abgemagerte Leute auf, die kaum noch laufen konnten. So eine Sucht geht auf die Knochen habe ich mal gelesen. Es gab eine junge Frau, die hatte Beine wie Steichhölzer und konnte eigentlich gar nicht mehr laufen. Musste sich immer stützen lassen... Jetzt haben sie wohl den "Druckraum" mitten in die Stadt, in die Grüne Straße" verlegt. Es gibt da außerdem noch die Bushaltestellen, wo die Herscharfen von vorher illegalen Osteuropäern zu Feiertagszeiten in ihre Heimat fahren. Und vorm Bahnhof die Ecken für Stricher, wo auch nachmal die Notdruft einfach auf der Gasse erledugt wuird. Wer hat schon 70 Cents dafür oder gar das Geld für ein Bier um in eine Kneipe zu gehen.
Und zwischen all dem "unschuldige" Touristen + samstags Fußballfans, die vom Bahnhof aus in der Bundesrepublik herumfahhren um ein Fußballspiel zu sehen.....
@voyage: Schöner Text über ein echtes Metropolenviertel, mit Licht und so viel Schatten.
Ach, das Bahnhofsviertel. Ich habe es tausende Male durchquert. Von 1987 bis 1992 führte mich mein Schulweg zum Goethe mittendurch. Meist fuhr ich mit der 16, später, seit es den Holbeinsteg gab, ging ich auch oft zu Fuß und fühlte das unbändige Leben dort. Wie oft sah ich am frühen Morgen Junkies auf der Suche nach einer halbwegs intakten Vene, ohne zu wissen, daß später auch eigene Freunde dieses Schicksal, diese Krankheit erleiden sollten.
In Freistunden ging ich immer wieder mit einem Schulfreund in die Europa-Spielothek daddeln. Es gab dort ein grandioses Fußball-Arcade, an dem wir die Eintrachtspiele nachempfinden konnten. Jahre danach feierte ich mit Freunden einige Male in der Europa-Intimbar mit ihren goldenen Brüsten im Foyer. Dazwischen gingen viele Bekannte auf der Kaiserstraße in die Tanzstunde (nix für mich ) und es fanden lustige Parties im Fürstenhof statt, der später von der Dresdner Bank entkernt und wieder aufgebaut worden ist.
Waffen-Engels auf der Kaiser war die Quelle für CS-Gas und Gotcha-Farbkugeln, die winzige Turbo-Pizzeria in der Taunusstraße mit den asiatischen Pizzabäckern war lange Zeit der einzige Laden in dem Nachtschwärmer noch etwas Eßbares bekamen, die Bar für den letzten Drink hieß Pik-Dame, glaube ich, müßte in der Elbestraße gewesen sein (oder gibts sogar noch).
Der Frühbäcker in der Niddastraße sah mich manches Mal nach dem Feiern im Maxims in der Karlstraße Sonntagmorgen und Montag in der ersten großen Pause war ich wieder da. In der Rudolfstraße war die Oberstufe vom Goethe direkt neben einer der ersten Fixerstuben in diesem Land und einige Male stolperten Junkies in den Unterricht oder Spritzen im Aschenbecher ließen den Geschmack der Pausenzigarette überschaubar bleiben.
1989/90 arbeitete ich im Café des English Theatre, das Schwarzlicht auf der Toilette hatte (damit dort nicht gefixt wurde) und der "DJ" von der Peepshow nebenan war ein lustiger Stammgast. Später jobbte ich ein paar Wochen bei der DreBa am Ponto-Platz und erfuhr so, daß der Bank das halbe Viertel gehört, inklusive Puffs. Manche Büroknechte schauen aus ihren Fenstern den Nutten in ihr "Büro" - solche Gegensätze, dieses enge Nebeneinander verschiedenster Existenzen macht das Viertel so spannend.
Eine gute Freundin bewohnte sogar ein paar Jahre eine herrliche Altbauwohnung unterm Dach auf der Kaiser. Die Junkies & Crackheads waren freundlich und froh, wenn sie mal einer nicht angeekelt ansah oder fortjagen wollte. Vom Fenster aus beobachteten wir manchmal wie Familienkutschen mit Kennzeichen aus Fulda o. ä. etliche Male um den Block kurvten, um irgendwann eines der armen Straßenmädchen einzusammeln.
Wenn ich heute in Frankfurt bin und Zeit habe, gehe ich zum Barbier in der Taunustraße, lasse mich rasieren, gehe um die alten Ecken und erinnere mich.
maobit schrieb: Manche Büroknechte schauen aus ihren Fenstern den Nutten in ihr "Büro"
Da fällt mir was zu ein, ich habe mal in einem Büro über dem Dr. Müllers gearbeitet und vom Pausenraum konnt man das Klo von dem Laden sehen. Ab dem späten Nachmittag war auf diesem Klo Hochbetrieb, da gingen die Männer reihenweise rein und zogen sich den Hasen ab und das bei offenem Fenster, das war denen anscheinend total egal das denen jemand zugucken konnte. Auf der anderen Seite des Pausenraums konnte man in die Umkleide der Peepshowmädels vom Müllers gucken und auf der dritten Seite konnte man den Nutten zugucken. War schon ein interessanter Pausenraum.
Dann im Viertel die teilweise komischen Gestalten, so zog morgens eine hängengebliebene Frau ein Stahlseil hinter sich her und gab diesem Kommandos, ganz so wie man es aus Witzen kennt. Ein anderer war total zu und ist mehrmals gegen einen Bauzaun gelaufen, immer wieder einen Schritt rückwärts, den Bauzaun angeguckt, dann wieder dagegen gelaufen. Das Ganze wiederholte er x-mal bis er merkte das er an dem Bauzaun vorbei laufen muss. Sowas in der Art konnte man im Kaisersack regelmäsig sehen, das ist teilweise unterhaltsam, teilweise erschreckend und macht nachdenklich.
Da ich meinen Zivildienst in der Bahnhofsmission im Hauptbahnhof gemacht habe, kenn ich die Szene auch noch ganz gut. Nie in meinem Leben habe ich soviel gelernt wie in dieser Zeit, vorallem auch über die Schädlichkeit von Drogen. Das Crack hatte die Szene sehr verändert, laufen die Abhängingen doch im Gegensatz zur Heroinzeit planlos durch die Stadt und sind kaum noch an bestimmten Orten aufzusuchen. Das hatte auch die Arbeit der Sozialarbeiter erheblich erschwert, die meist noch für die Arbeit mit Heroinabhängigen ausgebildet waren. Viele der Junkies, Stricher und Obdachlosen, die damals da rumgehangen haben, hab ich nie wieder gesehen und ich kann mir auch denken warum. Jeder Woche hörte man von jemandem, der gestorben war.
...Jetzt haben sie wohl den "Druckraum" mitten in die Stadt, in die Grüne Straße" verlegt...
Ich hab mal eine Doku über einen Streetworker in Frankfurt gesehen, der abends die Junkies mit einem Kleinbus abgeholt und danach in eine Unterkunft für die Nacht gebracht hat. Ist das diese "grüne Straße", von der du da sprichst? Bin nicht aus Frankfurt, nichts für ungut.
...Jetzt haben sie wohl den "Druckraum" mitten in die Stadt, in die Grüne Straße" verlegt...
Ich hab mal eine Doku über einen Streetworker in Frankfurt gesehen, der abends die Junkies mit einem Kleinbus abgeholt und danach in eine Unterkunft für die Nacht gebracht hat. Ist das diese "grüne Straße", von der du da sprichst? Bin nicht aus Frankfurt, nichts für ungut.
Nee, das ist falsch. Siehe hier: http://www.frankfurt.de/sixcms/detail.php?id=2821&_ffmpar%5B_id_inhalt%5D=54485 Das ist eine Adresse am Anfang der Hanauer Landstr. in der Nähe des Zoos, also weit weg von der "traditionellen Drogenszene" am Hauptbahnhof, wo es im Rahmen einer bundesweiten Studie Heroin für Schwerstabhängige gab/gibt (?).
Nee, das ist falsch. Siehe hier: http://www.frankfurt.de/sixcms/detail.php?id=2821&_ffmpar%5B_id_inhalt%5D=54485 Das ist eine Adresse am Anfang der Hanauer Landstr. in der Nähe des Zoos, also weit weg von der "traditionellen Drogenszene" am Hauptbahnhof, wo es im Rahmen einer bundesweiten Studie Heroin für Schwerstabhängige gab/gibt (?).
Vielen Dank. Aber ich glaube, eben dieser Streetworker hatte auch mit dem von dir beschriebenen Projekt zu tun, denn er begleitete die Drogensüchtigen auch zu einer Einrichtung, in der sie unter kontrollierten und vor allem sterilen Bedingungen fixen konnten. Das könnte doch diese "Grüne Straße" gewesen sein. oder? Dabei gab es auch das Projekt, das Junkies gebrauchte Spritzen in Parks usw. aufsammeln und diese dort gegen neue Spritzbestecke umtauschen. Diese können sie dann selber benutzen oder weiterverkaufen und die gefährlichen gebrauchten Spritzen sind aufgeräumt und werden sachgerecht entsorgt.
@ Hubert_Cumberdale: Einige Junkies, die früh morgens die Stadt von Spritzen etc. säubern, bekommen vom Staat nicht nur sauberes Besteck, sondern auch reines Heroin. Denn solche Jobs macht kein Arbeiter der FES, die bekommen in ihrer Ausblildung gesagt "Bloß nicht mit den Händen in die Mülleimer fassen, man hat zu 25% der Fälle 'ne Spritze in der Hand stecken".
The_Lizard_King schrieb: @ Hubert_Cumberdale: Einige Junkies, die früh morgens die Stadt von Spritzen etc. säubern, bekommen vom Staat nicht nur sauberes Besteck, sondern auch reines Heroin. Denn solche Jobs macht kein Arbeiter der FES, die bekommen in ihrer Ausblildung gesagt "Bloß nicht mit den Händen in die Mülleimer fassen, man hat zu 25% der Fälle 'ne Spritze in der Hand stecken".
Sie bekommen sogar einen Stundenlohn für diese Arbeit.
The_Lizard_King schrieb: @ Hubert_Cumberdale: Einige Junkies, die früh morgens die Stadt von Spritzen etc. säubern, bekommen vom Staat nicht nur sauberes Besteck, sondern auch reines Heroin. Denn solche Jobs macht kein Arbeiter der FES, die bekommen in ihrer Ausblildung gesagt "Bloß nicht mit den Händen in die Mülleimer fassen, man hat zu 25% der Fälle 'ne Spritze in der Hand stecken".
Also eine klassische win-win-Situation. Auch wenn ich persönlich schon des Öfteren die Erfahrung gemacht habe, dass es der breiten Bevölkerung teilweise schwer vermittelbar ist, wenn man Drogensüchtige von staatlicher Seite mit dem "Gift" versorgt.
Die Einrichtung, in der der Streetworker aus der Reportage arbeitet ist das Eastside in der Schielestraße. Die Schielestraße ist im Industriegebiet im Frankfurter Osten; deshalb auch der Fahrdienst.
Ab und an kommen mal die Hüter der Gesellschaft vorbei und lösen größere Ansammlungen auf, doch das gleicht eher einer Kuh, der man die Fliegen von den Augen verjagt, im nächsten Moment sind alle wieder da.
Wie kann es überhaupt soweit kommen? Das frage ich mich, während ich an diesem schwül-heißen Juni-Tag auf dem Balkon eines Hostels in der Kaiserstraße sitze, Blick auf besagten Bahnhofsvorplatz, ein kühles Frankfurter Bier trinke und somit wieder einen Gegensatz produziere:
Die Bettler am Kaisersack, dazwischen eine Prostituierte, die jeden männlichen Passant, der alleine unterwegs ist anspricht, besagte Junkies, den Sicherheitsdienst welcher mehr dumm rumsteht als für Ordnung zu sorgen, ab und zu Polizisten, die wirklich ein wenig etwas tun, dazwischen natürlich die ganzen Reisenden, welche emsig in den Bahnhof rein und rauslaufen, sie alle bilden eine unfreiwillige Bühne, deren Zuschauer ich bin - 3. Stock, Loge, ideale Sicht. Nur der Vorhang fehlt.
Leider, denn das ruft mich in die Realität zurück, vielen dort unten geht es verdammt dreckig, ob sie nächstes Jahr noch leben oder bis dahin, krepiert am goldenen Schuss, in einer Ecke gefunden werden? (Auf dem Bahnhofsklo, wie früher wohl nicht mehr, das kostet inzwischen 70 Cent.)
Es wird abend, dann nacht. Unter mir, im Aufenhaltsraum des Hostels hat sich ein bunter Haufen zusammengefunden, Backpackers aus Frankreich, Südamerika und Köln, einige von ihnen vollziehen eine Jamsession mit Instrumenten, die in diesem Raum zur Verfügung stehen. "Das gibts hier jeden Abend", erzählt ein Hostel-Mitarbeiter. Seine Geschichte ist bezeichnend für vieles hier: "Ich kam als Gast und blieb"... Vom Backpacker zum Hostelmitarbeiter, nicht übel. Reisen, und wenn es einem irgendwo gefällt, bleiben, das gefällt mir.
Ich kehre in mein Zimmer zurück und bemerke, dass ich nicht mehr alleine bin. Das zweite Bett ist belegt, ein junger Engländer liegt dort. Ganz normal in einem Hostel, schließlich mietet man ein Bett und kein Zimmer. Ich schleiche leise durch den Raum und setze mich wieder auf den Balkon. Der Bahnhofsvorplatz ist leer geworden,
die Junkies und Obdachlosen sind um diese Uhrzeit scheinbar woanders.
Im Haus gegenüber ist irgend eine Versammlung, jedenfalls sind dort einige Menschen im Anzug zu sehen, plötzlich zeigen zwei auf mich, ein Vorhang wird zugezogen. Scientology soll hier irgendwo eine "Kirche" haben, wer weiß...
Der Engländer im Zimmer schnarcht, sein gutes Recht, es ist immerhin schon 3 Uhr in der Nacht. Ich lege mich ebenfalls hin und liege noch lange wach, bin in Gedanken bei dieser Stadt, die mich nicht loslässt mit all ihren Höhen und Tiefen, Gut und Böse, Aufstieg und Niedergang.
Zum Thema: Sehr schöner Text. Wenn man nach dem Spiel einen Abstecher ins Bahnhofsviertel macht (nicht Puff!), dann kommt man ins Grübeln. Viel Elend zu sehen. Beim Verlassen schwanke ich zwischen "Wie gut es mir geht" und Mitleid.
gutes timing, der thread!
Von stadauswärts über die Taunusstraße....
Da muss ich mit meiner Vespa immer aufpasasen, dass nix passiert.
Entweder sausen irgendwelche Männer rein oder raus aus dem Puff, Lieferwagen + sonstige Autos parken mitten auf der Gasse, betrunkene oder meist mit anderen Drogen vollgestopfte Leute treten unverhofft auf die Straße.
Oder auch Asiaten, die Zuhause wohl keine Ampeln kennen.
Vor meinem Hüft-Op fielen mir immer wieder junge, aber total abgemagerte Leute auf, die kaum noch laufen konnten.
So eine Sucht geht auf die Knochen habe ich mal gelesen.
Es gab eine junge Frau, die hatte Beine wie Steichhölzer und konnte eigentlich gar nicht mehr laufen.
Musste sich immer stützen lassen...
Jetzt haben sie wohl den "Druckraum" mitten in die Stadt, in die Grüne Straße" verlegt.
Es gibt da außerdem noch die Bushaltestellen, wo die Herscharfen von vorher illegalen Osteuropäern zu Feiertagszeiten in ihre Heimat fahren.
Und vorm Bahnhof die Ecken für Stricher, wo auch nachmal die Notdruft einfach auf der Gasse erledugt wuird.
Wer hat schon 70 Cents dafür oder gar das Geld für ein Bier um in eine Kneipe zu gehen.
Und zwischen all dem "unschuldige" Touristen + samstags Fußballfans, die vom Bahnhof aus in der Bundesrepublik herumfahhren um ein Fußballspiel zu sehen.....
Schöner Text über ein echtes Metropolenviertel, mit Licht und so viel Schatten.
Ach, das Bahnhofsviertel. Ich habe es tausende Male durchquert. Von 1987 bis 1992 führte mich mein Schulweg zum Goethe mittendurch. Meist fuhr ich mit der 16, später, seit es den Holbeinsteg gab, ging ich auch oft zu Fuß und fühlte das unbändige Leben dort. Wie oft sah ich am frühen Morgen Junkies auf der Suche nach einer halbwegs intakten Vene, ohne zu wissen, daß später auch eigene Freunde dieses Schicksal, diese Krankheit erleiden sollten.
In Freistunden ging ich immer wieder mit einem Schulfreund in die Europa-Spielothek daddeln. Es gab dort ein grandioses Fußball-Arcade, an dem wir die Eintrachtspiele nachempfinden konnten. Jahre danach feierte ich mit Freunden einige Male in der Europa-Intimbar mit ihren goldenen Brüsten im Foyer. Dazwischen gingen viele Bekannte auf der Kaiserstraße in die Tanzstunde (nix für mich ) und es fanden lustige Parties im Fürstenhof statt, der später von der Dresdner Bank entkernt und wieder aufgebaut worden ist.
Waffen-Engels auf der Kaiser war die Quelle für CS-Gas und Gotcha-Farbkugeln, die winzige Turbo-Pizzeria in der Taunusstraße mit den asiatischen Pizzabäckern war lange Zeit der einzige Laden in dem Nachtschwärmer noch etwas Eßbares bekamen, die Bar für den letzten Drink hieß Pik-Dame, glaube ich, müßte in der Elbestraße gewesen sein (oder gibts sogar noch).
Der Frühbäcker in der Niddastraße sah mich manches Mal nach dem Feiern im Maxims in der Karlstraße Sonntagmorgen und Montag in der ersten großen Pause war ich wieder da. In der Rudolfstraße war die Oberstufe vom Goethe direkt neben einer der ersten Fixerstuben in diesem Land und einige Male stolperten Junkies in den Unterricht oder Spritzen im Aschenbecher ließen den Geschmack der Pausenzigarette überschaubar bleiben.
1989/90 arbeitete ich im Café des English Theatre, das Schwarzlicht auf der Toilette hatte (damit dort nicht gefixt wurde) und der "DJ" von der Peepshow nebenan war ein lustiger Stammgast. Später jobbte ich ein paar Wochen bei der DreBa am Ponto-Platz und erfuhr so, daß der Bank das halbe Viertel gehört, inklusive Puffs. Manche Büroknechte schauen aus ihren Fenstern den Nutten in ihr "Büro" - solche Gegensätze, dieses enge Nebeneinander verschiedenster Existenzen macht das Viertel so spannend.
Eine gute Freundin bewohnte sogar ein paar Jahre eine herrliche Altbauwohnung unterm Dach auf der Kaiser. Die Junkies & Crackheads waren freundlich und froh, wenn sie mal einer nicht angeekelt ansah oder fortjagen wollte. Vom Fenster aus beobachteten wir manchmal wie Familienkutschen mit Kennzeichen aus Fulda o. ä. etliche Male um den Block kurvten, um irgendwann eines der armen Straßenmädchen einzusammeln.
Wenn ich heute in Frankfurt bin und Zeit habe, gehe ich zum Barbier in der Taunustraße, lasse mich rasieren, gehe um die alten Ecken und erinnere mich.
Da fällt mir was zu ein, ich habe mal in einem Büro über dem Dr. Müllers gearbeitet und vom Pausenraum konnt man das Klo von dem Laden sehen. Ab dem späten Nachmittag war auf diesem Klo Hochbetrieb, da gingen die Männer reihenweise rein und zogen sich den Hasen ab und das bei offenem Fenster, das war denen anscheinend total egal das denen jemand zugucken konnte. Auf der anderen Seite des Pausenraums konnte man in die Umkleide der Peepshowmädels vom Müllers gucken und auf der dritten Seite konnte man den Nutten zugucken. War schon ein interessanter Pausenraum.
Dann im Viertel die teilweise komischen Gestalten, so zog morgens eine hängengebliebene Frau ein Stahlseil hinter sich her und gab diesem Kommandos, ganz so wie man es aus Witzen kennt. Ein anderer war total zu und ist mehrmals gegen einen Bauzaun gelaufen, immer wieder einen Schritt rückwärts, den Bauzaun angeguckt, dann wieder dagegen gelaufen. Das Ganze wiederholte er x-mal bis er merkte das er an dem Bauzaun vorbei laufen muss. Sowas in der Art konnte man im Kaisersack regelmäsig sehen, das ist teilweise unterhaltsam, teilweise erschreckend und macht nachdenklich.
Da ich meinen Zivildienst in der Bahnhofsmission im Hauptbahnhof gemacht habe, kenn ich die Szene auch noch ganz gut. Nie in meinem Leben habe ich soviel gelernt wie in dieser Zeit, vorallem auch über die Schädlichkeit von Drogen. Das Crack hatte die Szene sehr verändert, laufen die Abhängingen doch im Gegensatz zur Heroinzeit planlos durch die Stadt und sind kaum noch an bestimmten Orten aufzusuchen. Das hatte auch die Arbeit der Sozialarbeiter erheblich erschwert, die meist noch für die Arbeit mit Heroinabhängigen ausgebildet waren. Viele der Junkies, Stricher und Obdachlosen, die damals da rumgehangen haben, hab ich nie wieder gesehen und ich kann mir auch denken warum. Jeder Woche hörte man von jemandem, der gestorben war.
Ich hab mal eine Doku über einen Streetworker in Frankfurt gesehen, der abends die Junkies mit einem Kleinbus abgeholt und danach in eine Unterkunft für die Nacht gebracht hat. Ist das diese "grüne Straße", von der du da sprichst? Bin nicht aus Frankfurt, nichts für ungut.
Nee, das ist falsch.
Siehe hier: http://www.frankfurt.de/sixcms/detail.php?id=2821&_ffmpar%5B_id_inhalt%5D=54485
Das ist eine Adresse am Anfang der Hanauer Landstr. in der Nähe des Zoos, also weit weg von der "traditionellen Drogenszene" am Hauptbahnhof, wo es im Rahmen einer bundesweiten Studie Heroin für Schwerstabhängige gab/gibt (?).
Vielen Dank. Aber ich glaube, eben dieser Streetworker hatte auch mit dem von dir beschriebenen Projekt zu tun, denn er begleitete die Drogensüchtigen auch zu einer Einrichtung, in der sie unter kontrollierten und vor allem sterilen Bedingungen fixen konnten. Das könnte doch diese "Grüne Straße" gewesen sein. oder? Dabei gab es auch das Projekt, das Junkies gebrauchte Spritzen in Parks usw. aufsammeln und diese dort gegen neue Spritzbestecke umtauschen. Diese können sie dann selber benutzen oder weiterverkaufen und die gefährlichen gebrauchten Spritzen sind aufgeräumt und werden sachgerecht entsorgt.
Sorry fürs off-topic.
Ganz im Gegenteil, hat doch viel mit dem Bahnhofsviertel zu tun!
Sie bekommen sogar einen Stundenlohn für diese Arbeit.
Also eine klassische win-win-Situation. Auch wenn ich persönlich schon des Öfteren die Erfahrung gemacht habe, dass es der breiten Bevölkerung teilweise schwer vermittelbar ist, wenn man Drogensüchtige von staatlicher Seite mit dem "Gift" versorgt.
http://www.faz.net/s/RubEBED639C476B407798B1CE808F1F6632/Doc~EC3E2D983577D4693AE6520B78A46D376~ATpl~Ecommon~Sspezial.html
Auf jeder Ebene stehen die Arbeiten.......typisch DB!
Versuch doch mal das Buch des Frankfurter Polizeifotografen Fred Prase " Feuerteich" zu erwerben. Das gibst nur noch antiquarisch.
Es würde dir gefallen.
Danke für den Tipp! Ist auf dem Weg zu mir