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Heimspiel in Hamburg

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Sonntagmorgen, 8:50 Uhr. Nach drei Stunden Schlaf blinzelte ich müde in den Tag, der genutzt werden wollte, um nach Hamburg zu fahren. Verpeilt nippte ich am ersten Kaffee und brannte noch eine CD, die mit Max Gregers Melodie zum aktuellen Sportstudio beginnt und über die Bornheim Bombs (Junge) zu Patti Smith führt.  Zum ersten Mal seit langer Zeit steckten in unseren Taschen zwei Tickets für einen Auswärtssitzplatz, normalerweise stehen wir ja auswärts immer, es ist billiger – so man denn Tickets bekommt - und es macht meistens mehr Laune. Aber was ist in Zeiten wie diesen schon normal? Bei der Gelegenheit weise ich gerne noch mal darauf hin, dass ich noch zwei Tickets für das Spiel beim KSC suche. Falls da noch was gehen sollte, wäre ich äußerst dankbar.

Gegen zehn sausen wir auf die Autobahn, im Gepäck Regenjacke und Schirm – und eine Thermoskanne mit Tee gegen die Kälte des Daseins. If I don’t live today, I might be there tomorrow knödelten Mando Diao und wir tuckerten durch Regenbögen, Regenwolken und Regentropfen vorbei an Taunus, Harz und Lüneburger Heide. Die Windräder, durch Emma beflügelt, rauschten um die Wette, während es kurz vor Hamburg etwas aufklarte und ein Fleckchen blauer Himmel zu sehen war. Schon kam der Hafen in Sicht, dann der Elbtunnel. Es ist schon faszinierend, unter einem Fluss hindurch zu fahren: über dir die Elbkähne und darunter in endloser Tiefe die Hölle. Die Oysterband sang passend dazu: Here comes the flood.

Wir parkten den Golf in Altona.

Vor ein paar Wochen hatte mich schon die Arbeit dorthin verschlagen. Damals ging ich mit dem kreuzbuerger griechisch essen – und unser zufällig ausgewähltes Restaurant Olympisches Feuer ward nicht nur durch gutes Essen und freundliche Bedienung gekennzeichnet, sondern auch durch ein Amanatidis-Trikot an der Wand – sehr schön, dass es sowas auch in Hamburg gibt. Die Straße heißt übrigens „Schulterblatt“, falls ihr mal dort vorbei schauen wollt. Noch vor der Tür kamen wir mit zwei Seebären alter Schule mit Pauli-Kappen ins Gespräch, sie wussten sogar in Hamburger Platt, dass unser Fenin aus dem tschechischen Ort Teplice zur Eintracht kam. Auf meine Respektsbekundung hin erfuhren wir, dass beide Ende der Sechziger aus der Tschechoslowakei nach Hamburg gekommen waren. Rund ist die Welt. Am Tresen tranken wir ein Pils, bestellten zwei Plätze für den Abend und sahen auf den Fernsehgeräten direkt nach Anpfiff zur zweiten Halbzeit das dreieins für St. Pauli in Oxxenbach. Der Jubel war groß, ist das „Olympische Feuer” doch ein ausgewiesener St.Pauli Treffpunkt und auch wir Frankfurter waren nicht traurig, nahmen wir die Führung doch als gutes Omen. Kurze Zeit später gab es ein Gerangel (im TV), dem falschen Spieler wurde gelb gezeigt, später gab es berechtigterweise rot für einen St. Paulianer und fortan kickten zehn Hamburger gegen elf Oxxen – und führten immer noch dreieins.

Wohlgelaunt dackelten wir Richtung S-Bahn Holstenstraße, trafen unterwegs den ein oder anderen Eintrachtler und quetschten uns in den ankommenden Zug, um drei Stationen Richtung Volkspark zu fahren. Einem Mitfahrer standen die Schweißperlen auf der Stirn – wie das so ist, wenn man muss und nicht kann: Jede Sekunde wird zur Ewigkeit – aber wir haben den jungen Mann kurz darauf wieder getroffen – merklich entspannter.

Merklich entspannt waren auch die Hamburger, die wir auf dem Weg trafen. Auch an der Imbissbude an der S-Bahn Haltestelle Stellingen, wo es für zwei Euro lecker Schinkenwürstchen und für einsfünfundsiebzig lecker Holsten gab. Bigbamboo, den wir samt Begleitung just am Imbiss trafen drückte uns zwei Dosen in die Hand; wir einigten uns noch mit zwei Hsvlern auf „Curry-Wurst mit grüner Soße“ als verbindendes Nahrungsmittel und watschelten dem Pulk ins Stadion „Daswoeinennamenhatdenniemandkennt“ hinterher, und trafen unterwegs Flea und auch Holger, die von munteren Bembelbar-Barkassenfahrten bei ungemütlicher Witterung berichteten – und erfuhren so ganz nebenbei, dass die Kickers St. Pauli noch mit 4:3 besiegt hätten. Nee, oddä?

Naja, so ist das halt mit guten Omen, eh man sich versieht, sieht alles ganz anders aus. Desillusion, Freunde, Desillusion. Wie nennt man es eigentlich, wenn selbst die Desillusion desillusioniert wird?

Egal, Frankfurter und Hamburger marschierten zu den Eingängen, großartige Blocktrennung und ähnliches war nicht angesagt, wozu auch, es ließ sich alles völlig friedlich an. Wir trafen noch auf die kleine Pia, die es doch noch mit den Sossenheimern nach HH gepackt hatte, während ZoLo am Eingang stand und seine Schäfchen beobachtete.

Das Hamburger Stadion ist von den modernen Arenen eines der besseren, drei Ränge, dicht am Rasen, weißes Dach mit blauer Neonlampen Umrahmung, keine Plexi-Abtrennung bei den oberen Rängen und humanes Stadionprogramm während eines Bundesliga-Spiels, Lotto King Karl ließ sich mit nem Kran-Aufzug in die Höhe hieven und sang "Hamburg meine Perle". Geht Schlimmer.

Nach fünf Minuten zappelte die Kugel im Netz, Oka war ausgerutscht und Guerrero, der gefühlt immer gegen die Eintracht trifft, hatte zum 1:0 eingenickt. Hummel, Hummel. Mors, Mors. Später traf Fenin zum Ausgleich, der aber wegen Abseits nicht zählte. Skandal. Und so kam es, wie es kommen musste, wenn schon die guten Omen sich als Trugschluss herausstellen. 2:0 HSV (Hummel, Hummel. Mors, Mors), 2:1 durch Kyrgiakos. Hoffnung machte sich breit, ebenso wie Amanatidis bereit – und kaum war er eingewechselt, fiel das 3:1 (Hummel, Hummel. Mors, Mors). Von oben konnten wir sehen, wie sich gelbbejackte Ordner in den Stehrängen tummelten und während ich noch meinte, dass dies Ärger geben könne, kam es zu Rangeleien, woraufhin die Polizei in den Block einmarschierte – und die Eintrachtler aus dem Block raus, was die Hamburger zunächst mit „Auf Wiedersehen“ betitelten – um allerdings kurz darauf „Fußballfans sind keine Verbrecher“ zu skandieren; sie dachten zunächst, dass das Verlassen des Blocks durch den Rückstand begründet sei. Irgendwann fiel dann noch das Vierzueins (Hummel, Hummel. Mors, Mors - HASS) gegen eine ersatzgeschwächte Eintracht und das war’s dann auch. Ich hasse es, wenn die Eintracht verliert und lasse mich dann zu Äußerungen hinreißen, die ich später bereue. Deshalb gebe ich nach Spielende auch keine Interviews   ; Wie auch immer, die Stimmung war gut, der Support mäßig und das Ergebnis ein Stich ins Herz. Und wenn jetzt noch einer: Hummel, Hummel. Mors, Mors gesagt hätte, ich hätte ihn gexxxxt

Auf dem Rückweg bahnte sich ein Trupp Polizei den Weg durch die Menge und wir wurden zweimal von hinten angerempelt. So sind sie unsere Freunde und Helfer – stets besorgt, dass es dem kleinen Mann gut geht. Ich weiß genau, dass wenn ich mir eines Tages ein Stadionverbot einfange, es wegen diesem grünen Volk sein wird. Martialisch angekleidet, stets in der Gruppe unterwegs, bis zum Anschlag geschützt und bewaffnet, mit dem Feindbild „Fußballfan“ im Kopf provozieren sie regelmäßig vor allem unbeteiligte harmlose Supporter. Mein skandiertes „Ich kann nichts, ich bin nichts, gebt mir eine Uniform“ brachte mir einige böse Blicke und als ich dann die Nummer 22 lautstark auswechseln wollte (Sie hatten alle Helme mit der Nummer 22 auf dem Polizistenschädel) lief ich Gefahr, selbst ausgewechselt zu werden – da half dann auch ein „Deutsche Polizisten, Mörder und Faschisten“ nicht weiter.

Ich weiß. Ich bin einseitig. Und ungerecht. Nicht alle sind …

Jaja – im Zweifel ziehst du die Arschkarte und blutest – nicht die. Im Zweifel bekommst du SV – und nicht die. Im Zweifel schützen sie sich gegenseitig – und nicht dich. Ich habe in meinem ganzen Leben noch keinen Nutzen aus der Anwesenheit von Polizei gezogen, selbst, wenn ich sie brauchte. Bei Unfällen, bei Problemen im Taxi mit Fahrgästen, egal – stets war ich auf mich alleine gestellt. Und bei Demos oder Fußballspielen, im Straßenverkehr oder wo auch immer – sie machen dir das Leben schwer, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen. Es ist zunächst nicht der Mensch, es ist die Uniform – zu oft jedoch verschmelzen beide zu einem Etwas, das ich nicht mag. Da ändert auch die bekannte Tatsache nichts, dass während Fußball-Spielen auch ne Menge halbgare Trollos am Start sind, die zuviel Alkohol und zuwenig Erziehung genossen haben.

Nichtsdestotrotz quetschten wir uns mit Frankfurtern und Hamburgern in die S-Bahn, trudelten wieder an der Haltestelle Holstenstraße ein und fanden unseren Platz im Olympischen Feuer. Etliche Eintrachtler waren anwesend, der Laden war proppevoll und wir ließen es uns gut gehen. Leute, ich empfehle euch die Zwiebelsuppe – und nicht nur diese. Ein Frankfurter schob einen Rolli mit nem HSVler durch die Menge und half dem Hamburger aufs Klo. Später meinte er, er hätte ihm beim Pinkeln unterstützt: „Ich hab nen HSV-Schwanz angefasst, aber was solls, wir haben jetzt ne Fan-Freundschaft.“

Gegen halbzehn machten wir uns auf die Socken und sorgten dann noch für die Punkte, die auf dem Platz verloren gegangen sind, ich wurde nämlich geblitzt.
Durch den Elbtunnel ging es in die Nacht, Artwork sangen „Nur die Kinder haben bunte Träume, Erwachsene denken grau“, es folgten: Lüneburger Heide, Harz, Taunus.

In Rosbach hielten wir kurz an der Shell-Tanke, um Öl nachzufüllen und dachten an die Hütte im nahen Wald, wo schon mancher Apfel gegrillt und mancher Schoppen gepetzt wurde. Dann sausten wir zurück auf die Autobahn um wenig später im Nordend zu landen.

Es stimmte, St. Pauli hatte das Spiel tatsächlich noch verloren.
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Ja , es gibt auch noch schöne und gute Texte  in unserer Eintracht.

DaZke
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Schön geschrieben,Beve.
Hier ticken wenigstens noch vereinzelte Normal,Gott sei Dank und Danke!!! ,-)
mfg
Container-Willi.
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Und ich sach´ noch, mach´s net, hab ich gesacht...

Und dann mach´ ich´s doch und werde auch noch belohnt.

Danke, Beve.

Übrigens: Meine Meinung zu den "Freunden und Helfern" im Stadion hat sich in den letzten 2 1/2 Jahren verändert, dank eigener Erfahrungen, aber auch durch Deine Texte und die Gespräche mit Dir.
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Nabend,

wie so oft, ein sehr schöner Bericht!

Viele Grüße,
HC-65

P.S.: Es war wirklich sau-lecker beim Griechen!  ,-)
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Dat hummel hummel mors mors ging mir auch mal so richtig auf´n sack..
dann auch noch viermal und ich sass auch noch wirklich mitten unter lauter HSV Köppen - selbst meine Freundin brüllte dann immer noch diesen Mist mit...

aber das allerschlimmste war der Koffer über mir der als OFC gebrüllt hat ...

ich bin außerdem dafür das wir auch so nen Kran Aufzug für die Tankard Jungs brauchen demnächst
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dazke fürs feedback

@ kid,

jaja, die mannen in grün - im polizeichor noch am besten aufgehoben

@ kreuzbuerger

schade, dass du nicht dabei warst. witzig, dass ich da so bald ein zweites mal eingelaufen bin, hättsch nicht gedacht

@ hc-65

hast du mit deinem mädel neben uns gesessen, da wo der rolli durchgerollt wurde?

kleine welt, gell

happy travelling

beve
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sehr schöner Beitrag, hat Spaß gemacht, ihn zu lesen!
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Sehr schön....

Meine, längst nicht so prosaische, Erlebnisse habe ich hier niedergeschrieben:
http://www.eintracht.de/meine_eintracht/forum/2/11139490,11718316/goto/
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Schöner drive, viel Inhalt, aber was am Schönsten ist: solche Texte hüllen ein in eine Aura aus lauter alltäglichen Dingen. Und, o Wunder: das ganze Ding leuchtet! Egon Erwin Kisch wäre begeistert, und Robert Walser tät aus dem Schweizerischen her wohlwollend nicken.

Danke, immer eine Freude im Forum.
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adlerkadabra schrieb:
Schöner drive, viel Inhalt, aber was am Schönsten ist: solche Texte hüllen ein in eine Aura aus lauter alltäglichen Dingen. Und, o Wunder: das ganze Ding leuchtet! Egon Erwin Kisch wäre begeistert, und Robert Walser tät aus dem Schweizerischen her wohlwollend nicken.

Danke, immer eine Freude im Forum.


Ich sach:
Ausschneide, eunrahme und ab demit ins Eintracht-Museum. Unner der Überschrift:
'Aus dem Taachebuch eines Auswärts-Profis.'
paw
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Wirklich sehr erfrischend, selbst um 1:00h mit hängenden Lidern!
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auch um 3 noch
top!
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Beve, ein sehr guter Beitrag. Nur die Äußerung, "Mando Diao" knödeln", die nimmst du zurück!!! Welche Patti Smith Nummer hast du gebrannt??
gruß geoff
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HeinzGründel schrieb:
Ja , es gibt auch noch schöne und gute Texte  in unserer Eintracht.

DaZke


Das ist scheinbar Geschmacksache. meinen Geschmack hat Beve natürlich voll getroffen, nicht nur auf obigen Text bezogen

@Axel
Bedrückend positiv, mal wieder - thx

Grüsse
Arndt
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Klasse, Axel, mal wieder ein Genuss zum Lesen

Viel Erfolg bei der Ticketsuche für Karlsruhe!
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Endlich mal wieder ein Text, bei dem man Spaß am Lesen hat!!!

Danke!
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Danke, schöner Bericht und geiles Soto-Photo im Steckbrief!
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Beverungen schrieb:
Sonntagmorgen, 8:50 Uhr. Nach drei Stunden Schlaf blinzelte ich müde in den Tag, der genutzt werden wollte, um nach Hamburg zu fahren. Verpeilt nippte ich am ersten Kaffee und brannte noch eine CD, die mit Max Gregers Melodie zum aktuellen Sportstudio beginnt und über die Bornheim Bombs (Junge) zu Patti Smith führt.  Zum ersten Mal seit langer Zeit steckten in unseren Taschen zwei Tickets für einen Auswärtssitzplatz, normalerweise stehen wir ja auswärts immer, es ist billiger – so man denn Tickets bekommt - und es macht meistens mehr Laune. Aber was ist in Zeiten wie diesen schon normal? Bei der Gelegenheit weise ich gerne noch mal darauf hin, dass ich noch zwei Tickets für das Spiel beim KSC suche. Falls da noch was gehen sollte, wäre ich äußerst dankbar.

Gegen zehn sausen wir auf die Autobahn, im Gepäck Regenjacke und Schirm – und eine Thermoskanne mit Tee gegen die Kälte des Daseins. If I don’t live today, I might be there tomorrow knödelten Mando Diao und wir tuckerten durch Regenbögen, Regenwolken und Regentropfen vorbei an Taunus, Harz und Lüneburger Heide. Die Windräder, durch Emma beflügelt, rauschten um die Wette, während es kurz vor Hamburg etwas aufklarte und ein Fleckchen blauer Himmel zu sehen war. Schon kam der Hafen in Sicht, dann der Elbtunnel. Es ist schon faszinierend, unter einem Fluss hindurch zu fahren: über dir die Elbkähne und darunter in endloser Tiefe die Hölle. Die Oysterband sang passend dazu: Here comes the flood.

Wir parkten den Golf in Altona.

Vor ein paar Wochen hatte mich schon die Arbeit dorthin verschlagen. Damals ging ich mit dem kreuzbuerger griechisch essen – und unser zufällig ausgewähltes Restaurant Olympisches Feuer ward nicht nur durch gutes Essen und freundliche Bedienung gekennzeichnet, sondern auch durch ein Amanatidis-Trikot an der Wand – sehr schön, dass es sowas auch in Hamburg gibt. Die Straße heißt übrigens „Schulterblatt“, falls ihr mal dort vorbei schauen wollt. Noch vor der Tür kamen wir mit zwei Seebären alter Schule mit Pauli-Kappen ins Gespräch, sie wussten sogar in Hamburger Platt, dass unser Fenin aus dem tschechischen Ort Teplice zur Eintracht kam. Auf meine Respektsbekundung hin erfuhren wir, dass beide Ende der Sechziger aus der Tschechoslowakei nach Hamburg gekommen waren. Rund ist die Welt. Am Tresen tranken wir ein Pils, bestellten zwei Plätze für den Abend und sahen auf den Fernsehgeräten direkt nach Anpfiff zur zweiten Halbzeit das dreieins für St. Pauli in Oxxenbach. Der Jubel war groß, ist das „Olympische Feuer” doch ein ausgewiesener St.Pauli Treffpunkt und auch wir Frankfurter waren nicht traurig, nahmen wir die Führung doch als gutes Omen. Kurze Zeit später gab es ein Gerangel (im TV), dem falschen Spieler wurde gelb gezeigt, später gab es berechtigterweise rot für einen St. Paulianer und fortan kickten zehn Hamburger gegen elf Oxxen – und führten immer noch dreieins.

Wohlgelaunt dackelten wir Richtung S-Bahn Holstenstraße, trafen unterwegs den ein oder anderen Eintrachtler und quetschten uns in den ankommenden Zug, um drei Stationen Richtung Volkspark zu fahren. Einem Mitfahrer standen die Schweißperlen auf der Stirn – wie das so ist, wenn man muss und nicht kann: Jede Sekunde wird zur Ewigkeit – aber wir haben den jungen Mann kurz darauf wieder getroffen – merklich entspannter.

Merklich entspannt waren auch die Hamburger, die wir auf dem Weg trafen. Auch an der Imbissbude an der S-Bahn Haltestelle Stellingen, wo es für zwei Euro lecker Schinkenwürstchen und für einsfünfundsiebzig lecker Holsten gab. Bigbamboo, den wir samt Begleitung just am Imbiss trafen drückte uns zwei Dosen in die Hand; wir einigten uns noch mit zwei Hsvlern auf „Curry-Wurst mit grüner Soße“ als verbindendes Nahrungsmittel und watschelten dem Pulk ins Stadion „Daswoeinennamenhatdenniemandkennt“ hinterher, und trafen unterwegs Flea und auch Holger, die von munteren Bembelbar-Barkassenfahrten bei ungemütlicher Witterung berichteten – und erfuhren so ganz nebenbei, dass die Kickers St. Pauli noch mit 4:3 besiegt hätten. Nee, oddä?

Naja, so ist das halt mit guten Omen, eh man sich versieht, sieht alles ganz anders aus. Desillusion, Freunde, Desillusion. Wie nennt man es eigentlich, wenn selbst die Desillusion desillusioniert wird?

Egal, Frankfurter und Hamburger marschierten zu den Eingängen, großartige Blocktrennung und ähnliches war nicht angesagt, wozu auch, es ließ sich alles völlig friedlich an. Wir trafen noch auf die kleine Pia, die es doch noch mit den Sossenheimern nach HH gepackt hatte, während ZoLo am Eingang stand und seine Schäfchen beobachtete.

Das Hamburger Stadion ist von den modernen Arenen eines der besseren, drei Ränge, dicht am Rasen, weißes Dach mit blauer Neonlampen Umrahmung, keine Plexi-Abtrennung bei den oberen Rängen und humanes Stadionprogramm während eines Bundesliga-Spiels, Lotto King Karl ließ sich mit nem Kran-Aufzug in die Höhe hieven und sang "Hamburg meine Perle". Geht Schlimmer.

Nach fünf Minuten zappelte die Kugel im Netz, Oka war ausgerutscht und Guerrero, der gefühlt immer gegen die Eintracht trifft, hatte zum 1:0 eingenickt. Hummel, Hummel. Mors, Mors. Später traf Fenin zum Ausgleich, der aber wegen Abseits nicht zählte. Skandal. Und so kam es, wie es kommen musste, wenn schon die guten Omen sich als Trugschluss herausstellen. 2:0 HSV (Hummel, Hummel. Mors, Mors), 2:1 durch Kyrgiakos. Hoffnung machte sich breit, ebenso wie Amanatidis bereit – und kaum war er eingewechselt, fiel das 3:1 (Hummel, Hummel. Mors, Mors). Von oben konnten wir sehen, wie sich gelbbejackte Ordner in den Stehrängen tummelten und während ich noch meinte, dass dies Ärger geben könne, kam es zu Rangeleien, woraufhin die Polizei in den Block einmarschierte – und die Eintrachtler aus dem Block raus, was die Hamburger zunächst mit „Auf Wiedersehen“ betitelten – um allerdings kurz darauf „Fußballfans sind keine Verbrecher“ zu skandieren; sie dachten zunächst, dass das Verlassen des Blocks durch den Rückstand begründet sei. Irgendwann fiel dann noch das Vierzueins (Hummel, Hummel. Mors, Mors - HASS) gegen eine ersatzgeschwächte Eintracht und das war’s dann auch. Ich hasse es, wenn die Eintracht verliert und lasse mich dann zu Äußerungen hinreißen, die ich später bereue. Deshalb gebe ich nach Spielende auch keine Interviews   ; Wie auch immer, die Stimmung war gut, der Support mäßig und das Ergebnis ein Stich ins Herz. Und wenn jetzt noch einer: Hummel, Hummel. Mors, Mors gesagt hätte, ich hätte ihn gexxxxt

Auf dem Rückweg bahnte sich ein Trupp Polizei den Weg durch die Menge und wir wurden zweimal von hinten angerempelt. So sind sie unsere Freunde und Helfer – stets besorgt, dass es dem kleinen Mann gut geht. Ich weiß genau, dass wenn ich mir eines Tages ein Stadionverbot einfange, es wegen diesem grünen Volk sein wird. Martialisch angekleidet, stets in der Gruppe unterwegs, bis zum Anschlag geschützt und bewaffnet, mit dem Feindbild „Fußballfan“ im Kopf provozieren sie regelmäßig vor allem unbeteiligte harmlose Supporter. Mein skandiertes „Ich kann nichts, ich bin nichts, gebt mir eine Uniform“ brachte mir einige böse Blicke und als ich dann die Nummer 22 lautstark auswechseln wollte (Sie hatten alle Helme mit der Nummer 22 auf dem Polizistenschädel) lief ich Gefahr, selbst ausgewechselt zu werden – da half dann auch ein „Deutsche Polizisten, Mörder und Faschisten“ nicht weiter.

Ich weiß. Ich bin einseitig. Und ungerecht. Nicht alle sind …

Jaja – im Zweifel ziehst du die Arschkarte und blutest – nicht die. Im Zweifel bekommst du SV – und nicht die. Im Zweifel schützen sie sich gegenseitig – und nicht dich. Ich habe in meinem ganzen Leben noch keinen Nutzen aus der Anwesenheit von Polizei gezogen, selbst, wenn ich sie brauchte. Bei Unfällen, bei Problemen im Taxi mit Fahrgästen, egal – stets war ich auf mich alleine gestellt. Und bei Demos oder Fußballspielen, im Straßenverkehr oder wo auch immer – sie machen dir das Leben schwer, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen. Es ist zunächst nicht der Mensch, es ist die Uniform – zu oft jedoch verschmelzen beide zu einem Etwas, das ich nicht mag. Da ändert auch die bekannte Tatsache nichts, dass während Fußball-Spielen auch ne Menge halbgare Trollos am Start sind, die zuviel Alkohol und zuwenig Erziehung genossen haben.

Nichtsdestotrotz quetschten wir uns mit Frankfurtern und Hamburgern in die S-Bahn, trudelten wieder an der Haltestelle Holstenstraße ein und fanden unseren Platz im Olympischen Feuer. Etliche Eintrachtler waren anwesend, der Laden war proppevoll und wir ließen es uns gut gehen. Leute, ich empfehle euch die Zwiebelsuppe – und nicht nur diese. Ein Frankfurter schob einen Rolli mit nem HSVler durch die Menge und half dem Hamburger aufs Klo. Später meinte er, er hätte ihm beim Pinkeln unterstützt: „Ich hab nen HSV-Schwanz angefasst, aber was solls, wir haben jetzt ne Fan-Freundschaft.“

Gegen halbzehn machten wir uns auf die Socken und sorgten dann noch für die Punkte, die auf dem Platz verloren gegangen sind, ich wurde nämlich geblitzt.
Durch den Elbtunnel ging es in die Nacht, Artwork sangen „Nur die Kinder haben bunte Träume, Erwachsene denken grau“, es folgten: Lüneburger Heide, Harz, Taunus.

In Rosbach hielten wir kurz an der Shell-Tanke, um Öl nachzufüllen und dachten an die Hütte im nahen Wald, wo schon mancher Apfel gegrillt und mancher Schoppen gepetzt wurde. Dann sausten wir zurück auf die Autobahn um wenig später im Nordend zu landen.

Es stimmte, St. Pauli hatte das Spiel tatsächlich noch verloren.



Ich lese ja auch immer gerne deine Berichte, aber dein radikaler Polizisten Hass ("Deutsche Polizisten, Mörder und Faschisten") finde ich nicht sehr verantwortungsvoll. Du verfestigst damit das Feindbild Bulle und während du alt genug bist und dein "Hass" sich bis jetzt nicht durch Gewalt entladen hat, werden Jüngere sich durch dein Geschreibe event. schon angestachelt fühlen um ein paar Bullen bei der nächstmöglichen Gelegenheit aufzumischen.

Ich will gar nicht abstreiten, dass es genug gibt die aufgrund ihrer Uniform unter aller Sau aufführen, nur so schlimm wie du machst sind sie auch nicht. Ich hatte bisher öfters Stress mit Ordnern als mit Polizisten.
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Beverungen schrieb:
Wie nennt man es eigentlich, wenn selbst die Desillusion desillusioniert wird?


...Du meinst sowas wie ein Oxxenbacher Rostock-Fan!?    

Danke für diesen Bericht, dessen Lektüre eine Entschädigung für viele sinnfreie, niveaulose und trollige Posts - wie wir sie nach den letzten beiden Niederlagen finden mussten - ist!


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