Eine Reise zu einem Auswärtsspiel gleicht immer wieder mal einer Reise in die Vergangenheit, einer Vergangenheit, die doch eben noch Zukunft war. So wie BAP in ihrem Song „Ne schöne Jrooß“ davon singen, dass das Orwellsche 1984 nur noch vier Jahre entfernt sei.
Samstag-Mittag im Jahr 2008 ist immer noch Fußballzeit, so wie im Jahr 1979, als Bayer Leverkusen das erste Mal in die Bundesliga aufgestiegen ist und so ein bisschen fühlt sich Leverkusen immer noch wie 1979 an. Eine Zeit, in der Euro, Wiedervereinigung und Klingeltöne für Handys noch in weiter Ferne lagen. Udo Lindenberg und Marius Müller Westernhagen verorteten den deutschen Alltag musikalisch, Feinrippunterhemden, Charles Bronson-Träume, Autowaschen und Radioreportagen – kurze Hosen und Sandalen. Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz. Gegen die Strömung gegen den Wind. Kurz vorher bezeichnete David Bowie Berlin als „Hauptstadt des Heroins“ – Leverkusen kannte niemand.
Auf der Fahrt sind wir am Partybus des EFC Fechenheim vorbei gerauscht, standen bei Köln ein Weilchen im Stau und stellten fest, dass Leverkusen erst kurz vor Leverkusen ausgeschildert ist. Wir rollten auf den ausgewiesenen Parkplatz, stellten den Wagen ab und ignorierten die Shuttle-Busse; die Sonne wärmte den Tag und wir marschierten Richtung Stadion. Dort wartete Frank irgendwo auf uns und in seinen Taschen steckten noch zwei Tickets für uns.
Vor uns lag ein Wohngebiet, so eine Melange zwischen Arbeitersiedlung und Angestelltenvorort, die Straßen ordentlich und ruhig, kaum jemand ist trotz des schönen Wetters draußen und dennoch (oder vielleicht gerade deshalb) wirkt die Szenerie wie frisch gekämmt. Am Büdchen holen wir uns ein Bierchen, Magnolien blühen an den Vorgartenbäumen und man könnte sich die Frage stellen, ob das Bayer-Kreuz auch Anlass zu religiösen Debatten geben könnte – und wie das vor bald dreißig Jahren war, als ebenso heftig um brisante Themen gestritten wurde, wie heute. Damals bestimmten Pershings und SS20, der kalte Krieg und die Startbahn-West die Debatten. Die Darsteller bleiben, die Masken wechseln. – oder bleiben bei wechselnden Darsteller die Masken? Fußball bleibt auf jeden Fall. Und ein Gefühl, dass sich anfasst, wie Lindenbergs Musik. Getrampt, oder mit dem Moped, oder schwarz mit der Bahn. Bloß dass wir nicht einer Cello-Spielerin hinterher gefahren sind, sondern der Frankfurter Eintracht – im Jahr 2008, in welchem eine neue CD von Udo erschienen ist. Die Single heißt „Wenn du durchhängst“. Lindenberg habe ich schätzungsweise fünfundzwanzig Jahre lang nicht mehr gehört, es könnte ein Fehler gewesen sein.
Wir wandern an einer Polizeistation vorbei, an der rein gar nichts an das Spiel erinnert; vielleicht warten die Polizisten darauf, dass irgend ein Junge einen Kaugummi-Automaten knackt. Oder bei Rot über die Ampel marschiert.
Als wir das Wohngebiet verlassen, sehen wir das Stadion gegenüber eines kleinen Flusses. Auf der anderen Seite erkennen wir die Fußball-Fans, es dominieren wenig überraschend die Farben Schwarz-Rot, unaufgeregte Ruhe beherrscht die Szenerie und wir treffen zufällig auf Frank und Begleitung, der uns die beiden Tickets übergibt. Wir plaudern entspannt über das bevorstehende Spiel, Roland, der in der Fan geht vor einen bewegenden Artikel über den Tod eines langjährigen Eintracht-Fans geschrieben hat, gesellt sich zu uns, während Fanbetreuer Pferd uns erzählt, dass derzeit im Fernsehen ein Film über die vergangene WM gezeigt wird, der andere Bilder liefert, als sie vor zwei Jahren gang und gäbe waren. Das andere Sommermärchen zeigt, dass die Wahrnehmung von Wirklichkeit in der Öffentlichkeit stets das ist, was die Medienlandschaft daraus macht. Oder machen soll. Neulich lief im ZDF eine Doku über Fußballfans. Thema war natürlich „Gewalt“ und nicht zufällig dominierten Bilder von Leipzigern und Frankfurtern, gepaart mit „ausländischen Übeltätern kleinerer Vereine.“ die Mattscheibe. Ich denke, in Leverkusen hat niemand die Kamera draufgehalten; das Bild von chilligen Frankfurtern, zurückhaltenden Polizisten und den wenigen Leverkusenern an einem warmen Samstag-Nachmittag passt nicht in die krachige Frankfurter-sind-die-Hooligans-Welt derer, die vermeintlich aufklären wollen und sich doch nur sattsam bekannter Klischees bedienen.
Der Einlass ging flott, Becherbier gab’s auch in klein, die Heizung an der Decke war aus und die kleine Hütte war proppevoll. Wir saßen mittig hinter dem Tor, linker Hand unser Block, aus dem kein Trommelklang ertönte und auch kein Fähnlein wehte – dies alles wurde uns verboten. Jedoch hätte man den Eindruck haben können, dass auch den Leverkusenern alles verboten worden sei – auch bei ihnen flatterte kaum etwas; nur später vielleicht die Nerven.
Direkt hinter dem Tor (quasi vor uns) war ein Netz herunter gelassen, die Eintrachtler schossen sich warm – und die Bälle zappelten im - Netz, das vor unseren Augen hing. Das Leverkusener Maskottchen (was auch immer dies sein soll) wackelte über den Platz und wir waren uns einig, dass wir drei Kreuze machen können für unseren Attila, der so majestätisch und stolz daher kommt, - überlassen wir die Peinlichkeiten auch fürderhin den anderen.
Völlig überraschend wurde das Netz noch vor Anpfiff nach oben gezogen, so das wir freie Sicht auf’s Spielfeld hatten. Gegenüber wehte ein Fähnlein, zusammengebastelt aus dem Wappen unserer Gäste und dem des 1:3 Verlierers gegen Köln, was niemanden sonderlich aufregte. Ochs fluppte das Bällchen an die Hand, doch der Schiri fandelte nicht lange und ließ weiter spielen. Glück gehabt war die einhellige Meinung und bald hieß es 1:0 für die Eintracht durch ein Eigentor des von Russ bedrängten Kießling. Glücklich vielleicht, aber nicht unverdient; Leverkusen machte das Spiel knallte das Leder an die Latte und die Eintracht verteidigte geschickt, fuhr den ein oder anderen Konter, während ein freundlicher Bierverkäufer durch die Reihen tapste und für echtes Geld kleine Schöppchen anbot. Ordner hockten am Spielfeldrand auf kleinen Klappstühlen und beobachteten ganz genau, welcher Zuschauer den Ball fing, die Aussicht auf ein Souvenir schwand rapide. Kyrgiakos musste raus, erneuter Nasenbeinbruch, wie sich später heraus stellte, und für ihn kam Toski und dann war Halbzeit. Der Stadionsprecher gab sich eher bieder und unspektakulär, was in meinen Augen ein Vorteil ist, während sich Freier, Gekas und Schneider vor unseren Augen einschossen. Es ist schon erstaunlich, wer bei Leverkusen alles auf der Bank sitzt. Schneider zwirbelte ein Bällchen nach dem anderen ins Tor und wurde dafür von etlichen Eintrachtlern gefeiert (Schnix, Schnix) was dieser lächelnd und winkend quittierte.
In der zweiten Hälfte sahen wir wenig von unseren Jungs, Leverkusen ließ das Bällchen laufen und ich fühlte mich ein bisschen an die Partie in Istanbul erinnert, wo ich sekündlich auf die Uhr blickte. Irgendwann kam Cajo, das Bild blieb das gleiche, Bayer drückte, erspielte sich aber kaum Torchancen und so schob Mantzios in der Nachspielzeit nach Vorlage von Ochs die Kugel zum 2:0 ins Netz. Adler war machtlos. Normalerweise schreibe ich Sätze von machtlosen Adlern ja ungern – aber in diesem falle war’s prima, denn Adler ist ja bekanntlich auch der Name des aufstrebenden Leverkusener Torhüters. Das wäre geil, wenn er mal für uns spielen würde. Im Tor, mit der Nummer eins: ADLER!
Das Spiel war vorbei, der Nachmittag im Stadion noch lange nicht. Hunderte von Eintracht-Fans blieben auf ihren Plätzen und feierten die Mannschaft. Diese bedankte sich und wir blieben und sangen und waren stolz auf unser Team, Halleluja. Ins leere Rund erklang „Im Herzen von Europa“, gesungen von den Eintracht-Fans, oben im Stehblock erkannten wir Isi und Kine, wir winkten und lachten und grinsten. Rudi kam vorbei, murmelte was von "Verrücktem Haufen" und die Ordner wollten uns eigentlich so langsam hinaus komplimentieren, doch sie erkannten die Situation und ließen uns gewähren. „Wir wollen die Mannschaft sehen“ tönte durchs Stadion – und wenig später kamen zunächst Weißenberger und Mantzios, dann noch Ochs, Fink und Theuerkauf (alle mit Kulturbeutelchen unterm Arm) und wir winkten und freuten uns mit ihnen über einen Auswärtssieg bei einem Champions-League-Anwärter im Frühling 2008.
Draußen trafen wir noch auf einige Eintrachtfans (Kuby und Kumpel aus Kölle, ne schööne Jrooß), wir schwatzten über den unglaublichen Tag, sahen, wie Kießling mit Trikot in ein wartendes Auto einstieg und marschierten über den kleinen Fluss zurück Richtung Auto.
Kinder spielten auf der Straße, Stille kehrte ein und an einer Trinkhalle süffelten drei Leverkusener ein Bierchen. Wir holten uns ein Reissdorfer Kölsch und als wir ein paar Schritte gelaufen waren, tönte ein „Scheiß-Eintracht-Frankfurt“ über das Gelände. Nuja, lassen wir sie aus sicherer Entfernung singen, man muss auch mal gewinnen können.
Zurück ging’s über Limburg, dem Dom und einem Schnitzel ins nächtliche Frankfurt 2008. Fußball-Samstage können schön sein, auch wenn die Eintracht spielerisch sicher nicht zu den Top-Five gehört: Die ESS GEE EEE ist wieder da.
Danke Frank für die Karten, danke Eintracht für den Tag und danke euch, für das Erlebnis. „Hinterm Horizont geht’s weiter“ sang Lindenberg irgendwann in den Achtzigern. Eurobbabogaal könnte eine Möglichkeit sein. Doch bedenket: Hochmut kommt vor dem Fall.
„doch der Schiri fandelte nicht lange“ Wie immer klasse zu lesen (...de Wortspiele). DaZke dafür!!
Sang Udo nicht auch was über "Die Klavierlehrerin"? Wenn da deine Musikauswahl vor dem Spiel nicht für den fandelastischen Sieg oder das Fandelsche fandeln mindestens mitverantwortlich war...
gereizt schrieb: Wenn da deine Musikauswahl vor dem Spiel nicht für den fandelastischen Sieg oder das Fandelsche fandeln mindestens mitverantwortlich war...
so ein toller Beitrag gibt dem Forum einen rechten Sinn - eben als wär man dabei gewesen Ein Traum in Schwarz und Weiß, besonders das 2:0 direkt vor den Fans...
Schoen geschrieben ....das naechste mal machst aber auf Dich aufmerksam wenn Du vorbeifahren tust bei uns dann halten mehr am Parkplatz und trinken erstmal einen.... ,-)
Was würde ich auch gerne so schreiben können... Hut ab, klasse Bericht. Ich schließe mich einem meiner Vorredner an: Auch wenn man nicht in Leverkusen war hat man doch das Gefühl dabei gewesen zu sein.
p.s. @pipapo du bist ja megablond geworden. hab dir und tube gewunken und mir fast die arme dabei ausgerenkt.
aber die mods hatten anscheinend die ignore-funktion aktiviert. dabei wär doch ein apres-bierchen am fluss wie einst bei eisern union net schlecht gewesen, oder!? ,-)
Auf diesen Bericht habe ich den ganzen Sonntag vergeblich gewartet und war schon fast enttäuscht. Dann erblicke ich zu meinem Feierabend diesen wunderbaren Thread und er ist wieder klasse wie immer. Ein dickes Dankeschön, Beve. Die Erinnerungen wurden für die Zeit des Lesens lebendig und fast greifbar, nur der Gedanke an den blondierten Mod war nicht so schön . ,-)
Kinder spielten auf der Straße, Stille kehrte ein und an einer Trinkhalle süffelten drei Leverkusener ein Bierchen. Wir holten uns ein Reissdorfer Kölsch und als wir ein paar Schritte gelaufen waren, tönte ein „Scheiß-Eintracht-Frankfurt“ über das Gelände.
Herrlich beschrieben. Höre die Stille und den Frust. Hörbar, fühlbar, Habe auch mal im Ruhrgebiet gelebt. Keine verkehrten Menschen.
Sonderbar: Traf mich guter Freundin diese Woche in einer netten Bar/Lounge (?). Im Hintergrund klasse Musik. Englisch. Frage: Kennst Du den Song? Nein, aber wir beide singen den Refrain ' Hinter'm Horizont gehts weiter'. Klang ähnlich und wir beide waren selig an alte Zeiten erinnert. Paar Tage später Du nun. Habe quasi auf der Rückbank gesessen ... Danke für den Bericht.
Das Biotop Wohnblocksiedlung und Trinkhalle - kann einem alten Preungesheimer so fremd nicht sein. Ich habe es eigentlich nicht gemocht, aber heut weiss ich: es lag, auf seine Weise, ein großer Frieden über dem Gelände.
Eine Reise zu einem Auswärtsspiel gleicht immer wieder mal einer Reise in die Vergangenheit, einer Vergangenheit, die doch eben noch Zukunft war. So wie BAP in ihrem Song „Ne schöne Jrooß“ davon singen, dass das Orwellsche 1984 nur noch vier Jahre entfernt sei.
Samstag-Mittag im Jahr 2008 ist immer noch Fußballzeit, so wie im Jahr 1979, als Bayer Leverkusen das erste Mal in die Bundesliga aufgestiegen ist und so ein bisschen fühlt sich Leverkusen immer noch wie 1979 an. Eine Zeit, in der Euro, Wiedervereinigung und Klingeltöne für Handys noch in weiter Ferne lagen. Udo Lindenberg und Marius Müller Westernhagen verorteten den deutschen Alltag musikalisch, Feinrippunterhemden, Charles Bronson-Träume, Autowaschen und Radioreportagen – kurze Hosen und Sandalen. Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz. Gegen die Strömung gegen den Wind. Kurz vorher bezeichnete David Bowie Berlin als „Hauptstadt des Heroins“ – Leverkusen kannte niemand.
Auf der Fahrt sind wir am Partybus des EFC Fechenheim vorbei gerauscht, standen bei Köln ein Weilchen im Stau und stellten fest, dass Leverkusen erst kurz vor Leverkusen ausgeschildert ist. Wir rollten auf den ausgewiesenen Parkplatz, stellten den Wagen ab und ignorierten die Shuttle-Busse; die Sonne wärmte den Tag und wir marschierten Richtung Stadion. Dort wartete Frank irgendwo auf uns und in seinen Taschen steckten noch zwei Tickets für uns.
Vor uns lag ein Wohngebiet, so eine Melange zwischen Arbeitersiedlung und Angestelltenvorort, die Straßen ordentlich und ruhig, kaum jemand ist trotz des schönen Wetters draußen und dennoch (oder vielleicht gerade deshalb) wirkt die Szenerie wie frisch gekämmt. Am Büdchen holen wir uns ein Bierchen, Magnolien blühen an den Vorgartenbäumen und man könnte sich die Frage stellen, ob das Bayer-Kreuz auch Anlass zu religiösen Debatten geben könnte – und wie das vor bald dreißig Jahren war, als ebenso heftig um brisante Themen gestritten wurde, wie heute. Damals bestimmten Pershings und SS20, der kalte Krieg und die Startbahn-West die Debatten. Die Darsteller bleiben, die Masken wechseln. – oder bleiben bei wechselnden Darsteller die Masken? Fußball bleibt auf jeden Fall. Und ein Gefühl, dass sich anfasst, wie Lindenbergs Musik. Getrampt, oder mit dem Moped, oder schwarz mit der Bahn. Bloß dass wir nicht einer Cello-Spielerin hinterher gefahren sind, sondern der Frankfurter Eintracht – im Jahr 2008, in welchem eine neue CD von Udo erschienen ist. Die Single heißt „Wenn du durchhängst“. Lindenberg habe ich schätzungsweise fünfundzwanzig Jahre lang nicht mehr gehört, es könnte ein Fehler gewesen sein.
Wir wandern an einer Polizeistation vorbei, an der rein gar nichts an das Spiel erinnert; vielleicht warten die Polizisten darauf, dass irgend ein Junge einen Kaugummi-Automaten knackt. Oder bei Rot über die Ampel marschiert.
Als wir das Wohngebiet verlassen, sehen wir das Stadion gegenüber eines kleinen Flusses. Auf der anderen Seite erkennen wir die Fußball-Fans, es dominieren wenig überraschend die Farben Schwarz-Rot, unaufgeregte Ruhe beherrscht die Szenerie und wir treffen zufällig auf Frank und Begleitung, der uns die beiden Tickets übergibt. Wir plaudern entspannt über das bevorstehende Spiel, Roland, der in der Fan geht vor einen bewegenden Artikel über den Tod eines langjährigen Eintracht-Fans geschrieben hat, gesellt sich zu uns, während Fanbetreuer Pferd uns erzählt, dass derzeit im Fernsehen ein Film über die vergangene WM gezeigt wird, der andere Bilder liefert, als sie vor zwei Jahren gang und gäbe waren. Das andere Sommermärchen zeigt, dass die Wahrnehmung von Wirklichkeit in der Öffentlichkeit stets das ist, was die Medienlandschaft daraus macht. Oder machen soll. Neulich lief im ZDF eine Doku über Fußballfans. Thema war natürlich „Gewalt“ und nicht zufällig dominierten Bilder von Leipzigern und Frankfurtern, gepaart mit „ausländischen Übeltätern kleinerer Vereine.“ die Mattscheibe. Ich denke, in Leverkusen hat niemand die Kamera draufgehalten; das Bild von chilligen Frankfurtern, zurückhaltenden Polizisten und den wenigen Leverkusenern an einem warmen Samstag-Nachmittag passt nicht in die krachige Frankfurter-sind-die-Hooligans-Welt derer, die vermeintlich aufklären wollen und sich doch nur sattsam bekannter Klischees bedienen.
Eigentlich sind wir ganz anders, wir kommen nur viel zu selten dazu.
Der Einlass ging flott, Becherbier gab’s auch in klein, die Heizung an der Decke war aus und die kleine Hütte war proppevoll. Wir saßen mittig hinter dem Tor, linker Hand unser Block, aus dem kein Trommelklang ertönte und auch kein Fähnlein wehte – dies alles wurde uns verboten. Jedoch hätte man den Eindruck haben können, dass auch den Leverkusenern alles verboten worden sei – auch bei ihnen flatterte kaum etwas; nur später vielleicht die Nerven.
Direkt hinter dem Tor (quasi vor uns) war ein Netz herunter gelassen, die Eintrachtler schossen sich warm – und die Bälle zappelten im - Netz, das vor unseren Augen hing. Das Leverkusener Maskottchen (was auch immer dies sein soll) wackelte über den Platz und wir waren uns einig, dass wir drei Kreuze machen können für unseren Attila, der so majestätisch und stolz daher kommt, - überlassen wir die Peinlichkeiten auch fürderhin den anderen.
Völlig überraschend wurde das Netz noch vor Anpfiff nach oben gezogen, so das wir freie Sicht auf’s Spielfeld hatten. Gegenüber wehte ein Fähnlein, zusammengebastelt aus dem Wappen unserer Gäste und dem des 1:3 Verlierers gegen Köln, was niemanden sonderlich aufregte. Ochs fluppte das Bällchen an die Hand, doch der Schiri fandelte nicht lange und ließ weiter spielen. Glück gehabt war die einhellige Meinung und bald hieß es 1:0 für die Eintracht durch ein Eigentor des von Russ bedrängten Kießling. Glücklich vielleicht, aber nicht unverdient; Leverkusen machte das Spiel knallte das Leder an die Latte und die Eintracht verteidigte geschickt, fuhr den ein oder anderen Konter, während ein freundlicher Bierverkäufer durch die Reihen tapste und für echtes Geld kleine Schöppchen anbot. Ordner hockten am Spielfeldrand auf kleinen Klappstühlen und beobachteten ganz genau, welcher Zuschauer den Ball fing, die Aussicht auf ein Souvenir schwand rapide. Kyrgiakos musste raus, erneuter Nasenbeinbruch, wie sich später heraus stellte, und für ihn kam Toski und dann war Halbzeit. Der Stadionsprecher gab sich eher bieder und unspektakulär, was in meinen Augen ein Vorteil ist, während sich Freier, Gekas und Schneider vor unseren Augen einschossen. Es ist schon erstaunlich, wer bei Leverkusen alles auf der Bank sitzt. Schneider zwirbelte ein Bällchen nach dem anderen ins Tor und wurde dafür von etlichen Eintrachtlern gefeiert (Schnix, Schnix) was dieser lächelnd und winkend quittierte.
In der zweiten Hälfte sahen wir wenig von unseren Jungs, Leverkusen ließ das Bällchen laufen und ich fühlte mich ein bisschen an die Partie in Istanbul erinnert, wo ich sekündlich auf die Uhr blickte. Irgendwann kam Cajo, das Bild blieb das gleiche, Bayer drückte, erspielte sich aber kaum Torchancen und so schob Mantzios in der Nachspielzeit nach Vorlage von Ochs die Kugel zum 2:0 ins Netz. Adler war machtlos. Normalerweise schreibe ich Sätze von machtlosen Adlern ja ungern – aber in diesem falle war’s prima, denn Adler ist ja bekanntlich auch der Name des aufstrebenden Leverkusener Torhüters. Das wäre geil, wenn er mal für uns spielen würde. Im Tor, mit der Nummer eins: ADLER!
Das Spiel war vorbei, der Nachmittag im Stadion noch lange nicht. Hunderte von Eintracht-Fans blieben auf ihren Plätzen und feierten die Mannschaft. Diese bedankte sich und wir blieben und sangen und waren stolz auf unser Team, Halleluja. Ins leere Rund erklang „Im Herzen von Europa“, gesungen von den Eintracht-Fans, oben im Stehblock erkannten wir Isi und Kine, wir winkten und lachten und grinsten. Rudi kam vorbei, murmelte was von "Verrücktem Haufen" und die Ordner wollten uns eigentlich so langsam hinaus komplimentieren, doch sie erkannten die Situation und ließen uns gewähren. „Wir wollen die Mannschaft sehen“ tönte durchs Stadion – und wenig später kamen zunächst Weißenberger und Mantzios, dann noch Ochs, Fink und Theuerkauf (alle mit Kulturbeutelchen unterm Arm) und wir winkten und freuten uns mit ihnen über einen Auswärtssieg bei einem Champions-League-Anwärter im Frühling 2008.
Draußen trafen wir noch auf einige Eintrachtfans (Kuby und Kumpel aus Kölle, ne schööne Jrooß), wir schwatzten über den unglaublichen Tag, sahen, wie Kießling mit Trikot in ein wartendes Auto einstieg und marschierten über den kleinen Fluss zurück Richtung Auto.
Kinder spielten auf der Straße, Stille kehrte ein und an einer Trinkhalle süffelten drei Leverkusener ein Bierchen. Wir holten uns ein Reissdorfer Kölsch und als wir ein paar Schritte gelaufen waren, tönte ein „Scheiß-Eintracht-Frankfurt“ über das Gelände. Nuja, lassen wir sie aus sicherer Entfernung singen, man muss auch mal gewinnen können.
Zurück ging’s über Limburg, dem Dom und einem Schnitzel ins nächtliche Frankfurt 2008. Fußball-Samstage können schön sein, auch wenn die Eintracht spielerisch sicher nicht zu den Top-Five gehört: Die ESS GEE EEE ist wieder da.
Danke Frank für die Karten, danke Eintracht für den Tag und danke euch, für das Erlebnis.
„Hinterm Horizont geht’s weiter“ sang Lindenberg irgendwann in den Achtzigern. Eurobbabogaal könnte eine Möglichkeit sein. Doch bedenket: Hochmut kommt vor dem Fall.
Ich habs gewußt als du dich eingeloggt hast.
Danke Axel,
das gibt einem das Gefühl, dabeigewesen zu sein.
ich freue mich schon auf das Auswärtsspiel in Hannoi.
Sang Udo nicht auch was über "Die Klavierlehrerin"? Wenn da deine Musikauswahl vor dem Spiel nicht für den fandelastischen Sieg oder das Fandelsche fandeln mindestens mitverantwortlich war...
bitte ,-)
@ heinz
soso, da muss ich wohl demnächst inkognito unterwegs sein.
@ bernie
das heißt dann wohl "heimspiel in hanau"
die lilien kommen nämlich zur u23.
@ 069er
thanx!
fandelhaft, gell
so ein toller Beitrag gibt dem Forum einen rechten Sinn - eben als wär man dabei gewesen
Ein Traum in Schwarz und Weiß, besonders das 2:0 direkt vor den Fans...
Grüße
Axel
du bist ja megablond geworden. hab dir und tube gewunken und mir fast die arme dabei ausgerenkt.
aber die mods hatten anscheinend die ignore-funktion aktiviert. dabei wär doch ein apres-bierchen am fluss wie einst bei eisern union net schlecht gewesen, oder!? ,-)
Das hat ja fast schon literarische Qualität - melancholisch, lakonisch, lässig.
Sehr schöner Schreibstil. Gerne mehr davon.
uaa
Herrlich beschrieben. Höre die Stille und den Frust. Hörbar, fühlbar, Habe auch mal im Ruhrgebiet gelebt. Keine verkehrten Menschen.
Sonderbar: Traf mich guter Freundin diese Woche in einer netten Bar/Lounge (?). Im Hintergrund klasse Musik. Englisch. Frage: Kennst Du den Song? Nein, aber wir beide singen den Refrain ' Hinter'm Horizont gehts weiter'. Klang ähnlich und wir beide waren selig an alte Zeiten erinnert. Paar Tage später Du nun. Habe quasi auf der Rückbank gesessen ... Danke für den Bericht.
Schöner Text