Diesmal beginnt der Bericht über das Spiel in Gelsenkirchen nicht mit einer verkorksten Taxi-Nacht. Es beginnt mit überhaupt keiner Taxi-Nacht. Es beginnt vielmehr mit einem Abend, der am Morgen zuvor im Museum begann und nach Mitternacht im Museum endete. Nun ja, er endete nicht ganz im Museum. Er endete vielmehr oberhalb der Ostkurve, wo Kid und ich bei einer Flasche Bier zusammensaßen, ins nächtliche Stadion blickten und uns erinnerten: an Geschehnisse, an Menschen und wir kamen in der Erkenntnis zusammen, dass es nicht einfach ist, in der derzeitigen Situation der Eintracht etwas Gehaltvolles zu sagen. Und dass du (was die eigenen Ansichten angeht) aufpassen musst, dass du dich nicht plötzlich in einer Riege von Leute wiederfindest, mit denen du ums Verrecken nicht gleicher Meinung sein willst.
Mittwoch, kurz vor dem Wolfsburg-Spiel. In meinem elektronischen Postfach befindet sich eine kurze Mail mit dem Hinweis, dass die Partie der U23 kurzfristig um einen Tag verschoben wurde. Na klasse, da hast du dich schon seit Monaten damit abgefunden, dass Schalke ohne dich stattfindet – und drei Tage vorher wird die Planung komplett über den Haufen geworfen. Gut, dass Steffen, die gute Seele des Museums und Stadionzeitung-der-U23-Macher für uns noch ein Ticket übrig hatte – und so stand einer kurzfristigen Tour nach Gelsenkirchen nichts mehr im Wege.
Samstag, 9:00 Uhr. Der Wecker fiepst unerbittlich, die Sonne blinzelt ins Zimmer und etwas unausgeschlafen und zerknäult schäle ich mich aus den Federn, schwinge mich auf mein uraltes Adler-Fahrrad und tapse wenig später durch den hiesigen Supermarkt auf der Suche nach Milch und Frühstück. Wenig später rollt Pias Golf aus der Hofeinfahrt und wir sind on the road again. Der Besuch an der Tankstelle treibt uns traditionell die Tränen in die Augen, und so rollen wir Richtung Nordwestkreuz, dann auf die A5 während uns zunächst die frühen DanceIITance und später Cosmic Baby trancig in den Tag begleiten. So wie in den frühen Neunzigern, als Sonne und Trance zusammen gehörten wie die Eintracht und das Kratzen an der deutschen Meisterschaft. We came in peace for all mankind.
Rapsfelder flogen an uns vorüber, sattgrüne Wälder und wir überholten etliche Eintracht-Busse, Fanclubs auf ihrer letzten Auswärtsfahrt der Saison 2007/08, hier Per-Sempre, dort die Ultras, während uns langsam bewusst wurde: Es wird ein heißer Tag. Am Gambacher Kreuz bogen wir auf die A45 ab, Dillenburg, Haiger-Burbach, Siegen. Die Schilder an der Autobahn zeigen Fotos von glücklichen Menschen, die sich auf den Highways to hell zu Tode gerast haben und mahnten zur Vorsicht. In Nordrhein Westfalen wurden die Parkplätze kleiner – dafür nahm die Toilettendichte rapide ab.
Siegerland, Sauerland, Ruhrpott.
Bochum, Lüdenscheid, Herne, Wanne – die Namen der Städte in der Gegend erinnern an Zeiten, in denen Vatter im Feinrippunterhemd die Wochenenden genossen hat, an Zechen und Nachkriegsdeutschland und Taubenzuchtvereine und an Helmut Rahns Schuss aus dem Hintergrund. Aus aus aus – das Spiel ist aus.
Manu Chao erzählte uns die Geschichte vom King of the Bongo, während wir am Kreuz Dortmund West auf den Ruhrschnellweg abbogen und kurz darauf auf die A42 Richtung Gelsenkirchen, die wir bei Herten-Crange verließen. Auf der Bundesstraße 226 überquerten wir die Emscher und überholten einen Kirmestraktor mit Anhänger, königsblau geschmückt und voll beladen mit Schalkern und Bier. Kurz darauf rollten wir in Gelsenkirchen-Erle ein, parkten das Auto am Rande des Wohngebietes und öffneten ein Radler. Am ersten Büdchen erstanden wir neben einem zweiten Radler noch Leckmuscheln, die uns schon in der Kindheit Freude bereitet haben, diese Plastikmuscheln, gefüllt mit einer harten Bonbonmasse, die zum Schluss nur unter Gekratze zu lutschen ist. Pia fotografierte noch zwei vögelnde Libellen und so marschierten wir in die Richtung, in der wir das Stadion vermuteten. Alle hundert Meter eine Trinkhalle, kleine Altbauten und eine Reparaturwerkstatt, die mit einem gemalten Opel Manta um Kunden warb. Ruhig war’s und sonnig, aus etlichen Häusern flatterten Schalke-Schals, manchmal kleiner, manchmal größer, die Vorgärten waren beflaggt und in der Nähe eines Parks parkten die ersten Schalker, und so folgten wir den königsblauen Trikots, durchquerten den Park und landeten an einer Schule, wo Parkplätze für die Frühschicht ausgewiesen waren. Hinter uns krähte ein Hahn, vor uns zeigte sich das Dach der Arena und wir marschierten durch das Schulgelände, wo einige Kids Basketball spielten und „Eintracht Frankfurt“ riefen. Wie sagte Pia? Sind wohl schwer erziehbare Exil-Frankfurter im Basketballerziehungscamp auf Schalke. Recht so, zeigt den Uschis, was eine Harke ist. Mittlerweile hatten wir das weitläufige Gelände erreicht, Unmengen an Trikots zogen an uns vorbei, alle in blau, alle ähnlich, und sie trugen Namen wie Wilmots oder Sand. An einer Grünfläche hatten ein paar Schalker Campingzelte aufgebaut, auf dem Grill brutzelten Würstchen und aus den Boxen forderten die Dexys Midnight Runners: Come on Eileen.
Summertime – and the living is easy. Am Hermann-Eppenhoff-Weg hockten wir uns mit einem Schöppchen auf einen grüngrasigen Hügel in die Sonne und betrachteten das Geschehen – und es war schon auffällig, dass fast jeder Schalker ein Trikot anhatte, keine Shirts oder Fanclub-Anfertigungen, Ollen-Schrader und Wurzmann auf Schalke, Arena So4, Reihe 1 Platz 12 und 15. So war’s beflockt. Wir trafen auf pipapo und Tube, der dann doch noch hierher gefahren ist, Kallewirsch und ihre bessere Hälfte waren dabei und bald machten wir uns auf den Berni-Klodt-Weg Richtung Gästeeingang. Unterwegs besorgten wir uns das Fanmagazin Schalke Unser – auf dem Cover der Text: Geschafft. 50 Jahre keine Meisterschaft. Ein Motto, an den wir uns im kommenden Jahr orientieren können. Strömten am Eingang Ost 2 noch Frankfurter und Schalker gemeinsam in Richtung Sitzplatz, so wurden nach wenigen Schritten die Frankfurter mehr und die Königsblauen weniger. Zäune wurden ebenfalls massiver und so landeten wir am Arme-Leute-Gästeeingang, dem gefühlten Hochsicherheitstrakt. Hier gab es keine Buden und Getränke, keine sonnigen Würstchengriller, hier gab es Zäune, Polizisten, Ordner. Auswärtsspiel.
Durstig hockten wir uns auf einen nächsten grünen Hügel und streckten die nackten Füße in die Sonne. Bald kamen unter Polizei- und Sanitäterschutz die Sonderbusse, welche die Zugfahrer ins Stadion brachten. Familie Schäfer vom EFC Black and White winkte aus dem Fenster, auch Nicole und Karsten freuten sich auf Frischluft, während Rudi und ZoLo auf ihre Schäfchen achteten und Sabine vorbei kam. Überall wurden noch Tickets verkauft. Per Sempre war mittlerweile auch gelandet, von Ferne sahen wir Tani, welche ebenfalls noch Tickets zu verkaufen hatte, ZoLo hockte sich für ein Weilchen zu uns, während die Ultras einmarschierten. 1-2-3 Oberkörper frei, tätowiert, junge Männer, die sich auf dem Hügel zum Spaß balgten, während sich ein paar Schalker zu uns verlaufen hatten und auf den richtigen Pfad geschickt wurden. Wir trafen auf Roland, der überall dabei ist, völlig egal ob Bundesliga oder Riederwald, Frauenfußball oder Hockey, Boxen oder Eisstockschießen. Wenn jemand Geschichten zu erzählen weiß, dann ist es Roland, einer von denen, die niemals im Vordergrund stehen, die nicht abgelichtet und interviewt werden – aber wahrscheinlich mehr Eintracht ist, als wir alle zusammen. Einer von denen, die Borussia Neunkirchen noch in der ersten Liga gesehen haben und den jungen Holz am Riederwald.
Mittlerweile waren die Geiselgangster eingetrudelt, auch Ina hatte noch Tickets übrig und gemeinsam warteten wir, bis die Schlange am Eingang auf ein erträgliches Maß geschrumpft war. Steffen kam noch hinzu und so schoben wir uns durch den Gladiatorenkäfig in die Arena und in den Block, wo Tom von der Bembelbar noch zu uns stieß. Geiselgangsters Ralf war dabei und Flea und wir fanden ein Plätzchen mitten unten im Block, während die Eintracht schon ein paar Minütchen kickte; Köhler als Linksverteidiger – der seine Sache prima erledigte. Maddin stand auf einem Metallpodest, wir feuerten unsere Jungs an. Der Videowürfel hing schwer an den massiven Dachverstrebungen, draußen brannte die Sonne und wir standen in einer Halle. Vom Schalker Anhang war wenig bis nichts zu hören, Pröll wehrte weit vor dem eigenen Kasten einen Ball unglücklich zu Asamoah ab, der aus zig Metern den Ball Richtung Kasten zwirbelte. Mehdi rettete in allerletzter Sekunde per Kopf für den geschlagenen Pröll, und so wogte das Spielchen hin und her, bis es in die Halbzeit ging. Auch auf Schalke gibt es eine dieser beknackten Fanboxen, Kiddies sangen schmutzige Lieder und alsbald ging es in die zweite Hälfte. Die Eintracht bemühte sich, die Knappen hielten mehr oder weniger dagegen – und erzielten in der 65.Spielminute nach einer Ecke einen Treffer durch Krstajic, der in den Strafraum segelte und mit dem Kopf einnetzte. Jetzt wachten die Schalker Zuschauer kurzzeitig auf und gaben Lebenszeichen von sich, die so schnell verschwanden, wie sie gekommen waren. Ein paar Blaue begannen in unsere Richtung zu pöbeln, ein paar Becher flogen, Ordner und Polizei marschierten zwischen uns und die Gelsenkirchener, sorgten für Ordnung und zogen zwei Schalker von den Plätzen, was dann auch nicht sein muss, schließlich gehört so ein bisschen Gepöbel dazu. Unterdessen schob Fenin in halbwegs aussichtsreicher Position den Ball am Netz vorbei.
Caio und Heller kamen für Mahdavikia und Weissenberger, brachten ebenfalls nichts Bewegendes zu Stande und so endete das Spiel mit der sechsten Niederlage im siebten Spiel. Oh Mann.
Amanatidis warf sein Trikot in die Kurve, wir beklatschten unsere Jungs, die es wenigstens versucht hatten und wenig später kam der Schalker Spieler mit der Nummer 13 an uns vorbei, wurde entsprechend empfangen. Dass dies unten ankam war insofern ersichtlich, als dass er ein paar Schritte später um uns zu provozieren vor dem Schalker Anhang die Arme ein paar Mal nach oben riss. Trottel.
Nach Spielende steckten wir zunächst im Vorraum zum Tunnel fest. Draußen brutzelte die Sonne – und wir standen in der stickigen Halle und blickten durch bewachte Fensterscheiben ins wirkliche Leben. Da uns dies zu blöde war, marschierten wir zurück in den ziemlich leeren Block. Auf dem Rasen kickte der Torschütze in Adiletten mit seiner Tochter und während wir noch frische Luft schnappten, schickten uns die Ordner zwecks Blockschließung wieder in den stickigen Vorraum. Schleichende Platzangst machte sich breit und nach einer gefühlten Ewigkeit schoben wir uns durch den Käfig, von oben von Schalkern beschimpft, nix wie raus - Freiheit.
Sonne. Leben. Radler. Wir marschierten durch die königsblauen Trikots über die bekannten Wege, holten uns an einem weiteren Stand ein letztes Getränk und liefen durch einen menschenleeren Park. Karnickel hoppelten über die Wiese, wir ließen sie hoppeln, kauften ein Eis, die Kugel für 50 Cent und suchten eine Restauration in Gelsenkirchen-Erle. Die Hauptstraße kam eher trist daher und so fragten wir einen Passanten, der uns ins „Türmchen“ schickte, einer Gaststätte der Spvgg Erle. Nun ja, zu essen gab’s zwar nichts, da wegen eines Nackensteaks der Grill nicht angeworfen wurde, dafür plauderten wir mit ein paar Schalkern, die uns mit Rudi Assauer bekannt machen wollten, was wir dann doch dankend ablehnten. Den Satz „Tolles Stadion, wa?“ beantworteten wir mit „Hallenfußball ist scheiße“ und eine Frau, die mit Fußball eher weniger zu schaffen hatte, fragte uns scherzhaft, ob wir sie nach Frankfurt mitnehmen können – Gelsenkirchen scheint nicht grade eine goldene Perspektive zu versprechen, so man nicht Fußballspieler auf Schalke ist und Frankfurt funkelt als Versprechen einer besseren Zukunft. Auch ein Gedanke, auf den man erst einmal kommen muss. Wir nahmen sie dann doch nicht mit - und so blieb die Perle in Erle.
Weiter unten an der Cranger Straße futterten wir noch ein Schnitzel, tranken eine Cola und entdeckten wenig später in einem Sportgeschäft ein Schalker Trikot im Aushang, an welchem eine fette tote Fliege klebte – ein Bild mit hohem Symbolgehalt. So schlenderten wir zurück zum Auto und rollten gemächlich Richtung Autobahn. Depeche Mode erklärten uns, dass „nothing’s impossible“ sei und hinter uns versank ein feuerroter Sonnenball im Pott.
Sauerland, Siegerland, Hessenland. Irgendwo an einer Tanke kratzte ich Milliarden toter Mücken von der Windschutzscheibe und so sausten wir in die Nacht, bis sich in der Ferne die Frankfurter Türme zeigten. Über die 661 zöckelten wir Richtung Oberrad, Mittelpunkt der Welt und Endhaltestelle für den heutigen Tag. Draußen war’s immer noch warm und drinnen stießen wir an auf das letzte Auswärtsspiel der Saison 2007-2008. Bald fielen die Äuglein zu, und ich summte mich in den Schlaf. Die Mütter von den Schalkern, das sind Väter,die Mütter von den Schalkern, die Mütter von den Schalkern ...
Hinter uns krähte ein Hahn, vor uns zeigte sich das Dach der Arena und wir marschierten durch das Schulgelände, wo einige Kids Basketball spielten und „Eintracht Frankfurt“ riefen. Wie sagte Pia? Sind wohl schwer erziehbare Exil-Frankfurter im Basketballerziehungscamp auf Schalke.
Aber wäre es nicht möglich Deine Geschichten wieder in einem "Buch" zusammen zu fassen? Ich habe mir gerade ein paar zerfetzte Blätter in die Hand genommen. Auf denen steht: "Qwertz - Das Ende des Traumes ist erst der Anfang" geschrieben von Axel H. im März 2002...
Wenn nicht, sollte man die Beiträge in einem extra Thread sammeln. Ähnlich wie die "Fan-Erlebnisse". Wenn das auch nicht geht, würde ich es gerne bei mir auf meiner privaten Page tun.
Also @beve, deine Berichte gehen unter die Haut. Sehr schön beschrieben, so schön, dass man traurig ist, nicht dabei gewesen zu sein. Da ist doch ein Buch fällig, oder??
Schön Axel.... Ich freue mich schon jetzt auf das "Heimspiel in Karben" und dann ... Verfluchte Sommerpause. Vlt. finde ich ja noch ein paar alte "Heimspiele" + lese sie nochmal. Wie weit zurück kann ich suchen??
Bis gg. Rot-weiß, wenn´s am Samstag zu voll sein sollte...
Schade, dass ein solches Niveau nur so selten im Forum zu finden ist. Gerne hätte ich auch einen kleinen Erlebnisbericht geschrieben, aber mit einer Hand ist jede Zeile eine Qual.
Diesmal beginnt der Bericht über das Spiel in Gelsenkirchen nicht mit einer verkorksten Taxi-Nacht. Es beginnt mit überhaupt keiner Taxi-Nacht. Es beginnt vielmehr mit einem Abend, der am Morgen zuvor im Museum begann und nach Mitternacht im Museum endete. Nun ja, er endete nicht ganz im Museum. Er endete vielmehr oberhalb der Ostkurve, wo Kid und ich bei einer Flasche Bier zusammensaßen, ins nächtliche Stadion blickten und uns erinnerten: an Geschehnisse, an Menschen und wir kamen in der Erkenntnis zusammen, dass es nicht einfach ist, in der derzeitigen Situation der Eintracht etwas Gehaltvolles zu sagen. Und dass du (was die eigenen Ansichten angeht) aufpassen musst, dass du dich nicht plötzlich in einer Riege von Leute wiederfindest, mit denen du ums Verrecken nicht gleicher Meinung sein willst.
Mittwoch, kurz vor dem Wolfsburg-Spiel. In meinem elektronischen Postfach befindet sich eine kurze Mail mit dem Hinweis, dass die Partie der U23 kurzfristig um einen Tag verschoben wurde. Na klasse, da hast du dich schon seit Monaten damit abgefunden, dass Schalke ohne dich stattfindet – und drei Tage vorher wird die Planung komplett über den Haufen geworfen. Gut, dass Steffen, die gute Seele des Museums und Stadionzeitung-der-U23-Macher für uns noch ein Ticket übrig hatte – und so stand einer kurzfristigen Tour nach Gelsenkirchen nichts mehr im Wege.
Samstag, 9:00 Uhr. Der Wecker fiepst unerbittlich, die Sonne blinzelt ins Zimmer und etwas unausgeschlafen und zerknäult schäle ich mich aus den Federn, schwinge mich auf mein uraltes Adler-Fahrrad und tapse wenig später durch den hiesigen Supermarkt auf der Suche nach Milch und Frühstück. Wenig später rollt Pias Golf aus der Hofeinfahrt und wir sind on the road again. Der Besuch an der Tankstelle treibt uns traditionell die Tränen in die Augen, und so rollen wir Richtung Nordwestkreuz, dann auf die A5 während uns zunächst die frühen DanceIITance und später Cosmic Baby trancig in den Tag begleiten. So wie in den frühen Neunzigern, als Sonne und Trance zusammen gehörten wie die Eintracht und das Kratzen an der deutschen Meisterschaft. We came in peace for all mankind.
Rapsfelder flogen an uns vorüber, sattgrüne Wälder und wir überholten etliche Eintracht-Busse, Fanclubs auf ihrer letzten Auswärtsfahrt der Saison 2007/08, hier Per-Sempre, dort die Ultras, während uns langsam bewusst wurde: Es wird ein heißer Tag. Am Gambacher Kreuz bogen wir auf die A45 ab, Dillenburg, Haiger-Burbach, Siegen. Die Schilder an der Autobahn zeigen Fotos von glücklichen Menschen, die sich auf den Highways to hell zu Tode gerast haben und mahnten zur Vorsicht. In Nordrhein Westfalen wurden die Parkplätze kleiner – dafür nahm die Toilettendichte rapide ab.
Siegerland, Sauerland, Ruhrpott.
Bochum, Lüdenscheid, Herne, Wanne – die Namen der Städte in der Gegend erinnern an Zeiten, in denen Vatter im Feinrippunterhemd die Wochenenden genossen hat, an Zechen und Nachkriegsdeutschland und Taubenzuchtvereine und an Helmut Rahns Schuss aus dem Hintergrund. Aus aus aus – das Spiel ist aus.
Manu Chao erzählte uns die Geschichte vom King of the Bongo, während wir am Kreuz Dortmund West auf den Ruhrschnellweg abbogen und kurz darauf auf die A42 Richtung Gelsenkirchen, die wir bei Herten-Crange verließen. Auf der Bundesstraße 226 überquerten wir die Emscher und überholten einen Kirmestraktor mit Anhänger, königsblau geschmückt und voll beladen mit Schalkern und Bier. Kurz darauf rollten wir in Gelsenkirchen-Erle ein, parkten das Auto am Rande des Wohngebietes und öffneten ein Radler. Am ersten Büdchen erstanden wir neben einem zweiten Radler noch Leckmuscheln, die uns schon in der Kindheit Freude bereitet haben, diese Plastikmuscheln, gefüllt mit einer harten Bonbonmasse, die zum Schluss nur unter Gekratze zu lutschen ist. Pia fotografierte noch zwei vögelnde Libellen und so marschierten wir in die Richtung, in der wir das Stadion vermuteten. Alle hundert Meter eine Trinkhalle, kleine Altbauten und eine Reparaturwerkstatt, die mit einem gemalten Opel Manta um Kunden warb. Ruhig war’s und sonnig, aus etlichen Häusern flatterten Schalke-Schals, manchmal kleiner, manchmal größer, die Vorgärten waren beflaggt und in der Nähe eines Parks parkten die ersten Schalker, und so folgten wir den königsblauen Trikots, durchquerten den Park und landeten an einer Schule, wo Parkplätze für die Frühschicht ausgewiesen waren. Hinter uns krähte ein Hahn, vor uns zeigte sich das Dach der Arena und wir marschierten durch das Schulgelände, wo einige Kids Basketball spielten und „Eintracht Frankfurt“ riefen. Wie sagte Pia? Sind wohl schwer erziehbare Exil-Frankfurter im Basketballerziehungscamp auf Schalke. Recht so, zeigt den Uschis, was eine Harke ist. Mittlerweile hatten wir das weitläufige Gelände erreicht, Unmengen an Trikots zogen an uns vorbei, alle in blau, alle ähnlich, und sie trugen Namen wie Wilmots oder Sand. An einer Grünfläche hatten ein paar Schalker Campingzelte aufgebaut, auf dem Grill brutzelten Würstchen und aus den Boxen forderten die Dexys Midnight Runners: Come on Eileen.
Summertime – and the living is easy. Am Hermann-Eppenhoff-Weg hockten wir uns mit einem Schöppchen auf einen grüngrasigen Hügel in die Sonne und betrachteten das Geschehen – und es war schon auffällig, dass fast jeder Schalker ein Trikot anhatte, keine Shirts oder Fanclub-Anfertigungen, Ollen-Schrader und Wurzmann auf Schalke, Arena So4, Reihe 1 Platz 12 und 15. So war’s beflockt. Wir trafen auf pipapo und Tube, der dann doch noch hierher gefahren ist, Kallewirsch und ihre bessere Hälfte waren dabei und bald machten wir uns auf den Berni-Klodt-Weg Richtung Gästeeingang. Unterwegs besorgten wir uns das Fanmagazin Schalke Unser – auf dem Cover der Text: Geschafft. 50 Jahre keine Meisterschaft. Ein Motto, an den wir uns im kommenden Jahr orientieren können. Strömten am Eingang Ost 2 noch Frankfurter und Schalker gemeinsam in Richtung Sitzplatz, so wurden nach wenigen Schritten die Frankfurter mehr und die Königsblauen weniger. Zäune wurden ebenfalls massiver und so landeten wir am Arme-Leute-Gästeeingang, dem gefühlten Hochsicherheitstrakt. Hier gab es keine Buden und Getränke, keine sonnigen Würstchengriller, hier gab es Zäune, Polizisten, Ordner. Auswärtsspiel.
Durstig hockten wir uns auf einen nächsten grünen Hügel und streckten die nackten Füße in die Sonne. Bald kamen unter Polizei- und Sanitäterschutz die Sonderbusse, welche die Zugfahrer ins Stadion brachten. Familie Schäfer vom EFC Black and White winkte aus dem Fenster, auch Nicole und Karsten freuten sich auf Frischluft, während Rudi und ZoLo auf ihre Schäfchen achteten und Sabine vorbei kam. Überall wurden noch Tickets verkauft. Per Sempre war mittlerweile auch gelandet, von Ferne sahen wir Tani, welche ebenfalls noch Tickets zu verkaufen hatte, ZoLo hockte sich für ein Weilchen zu uns, während die Ultras einmarschierten. 1-2-3 Oberkörper frei, tätowiert, junge Männer, die sich auf dem Hügel zum Spaß balgten, während sich ein paar Schalker zu uns verlaufen hatten und auf den richtigen Pfad geschickt wurden. Wir trafen auf Roland, der überall dabei ist, völlig egal ob Bundesliga oder Riederwald, Frauenfußball oder Hockey, Boxen oder Eisstockschießen. Wenn jemand Geschichten zu erzählen weiß, dann ist es Roland, einer von denen, die niemals im Vordergrund stehen, die nicht abgelichtet und interviewt werden – aber wahrscheinlich mehr Eintracht ist, als wir alle zusammen. Einer von denen, die Borussia Neunkirchen noch in der ersten Liga gesehen haben und den jungen Holz am Riederwald.
Mittlerweile waren die Geiselgangster eingetrudelt, auch Ina hatte noch Tickets übrig und gemeinsam warteten wir, bis die Schlange am Eingang auf ein erträgliches Maß geschrumpft war. Steffen kam noch hinzu und so schoben wir uns durch den Gladiatorenkäfig in die Arena und in den Block, wo Tom von der Bembelbar noch zu uns stieß. Geiselgangsters Ralf war dabei und Flea und wir fanden ein Plätzchen mitten unten im Block, während die Eintracht schon ein paar Minütchen kickte; Köhler als Linksverteidiger – der seine Sache prima erledigte. Maddin stand auf einem Metallpodest, wir feuerten unsere Jungs an. Der Videowürfel hing schwer an den massiven Dachverstrebungen, draußen brannte die Sonne und wir standen in einer Halle. Vom Schalker Anhang war wenig bis nichts zu hören, Pröll wehrte weit vor dem eigenen Kasten einen Ball unglücklich zu Asamoah ab, der aus zig Metern den Ball Richtung Kasten zwirbelte. Mehdi rettete in allerletzter Sekunde per Kopf für den geschlagenen Pröll, und so wogte das Spielchen hin und her, bis es in die Halbzeit ging. Auch auf Schalke gibt es eine dieser beknackten Fanboxen, Kiddies sangen schmutzige Lieder und alsbald ging es in die zweite Hälfte. Die Eintracht bemühte sich, die Knappen hielten mehr oder weniger dagegen – und erzielten in der 65.Spielminute nach einer Ecke einen Treffer durch Krstajic, der in den Strafraum segelte und mit dem Kopf einnetzte. Jetzt wachten die Schalker Zuschauer kurzzeitig auf und gaben Lebenszeichen von sich, die so schnell verschwanden, wie sie gekommen waren. Ein paar Blaue begannen in unsere Richtung zu pöbeln, ein paar Becher flogen, Ordner und Polizei marschierten zwischen uns und die Gelsenkirchener, sorgten für Ordnung und zogen zwei Schalker von den Plätzen, was dann auch nicht sein muss, schließlich gehört so ein bisschen Gepöbel dazu. Unterdessen schob Fenin in halbwegs aussichtsreicher Position den Ball am Netz vorbei.
Caio und Heller kamen für Mahdavikia und Weissenberger, brachten ebenfalls nichts Bewegendes zu Stande und so endete das Spiel mit der sechsten Niederlage im siebten Spiel. Oh Mann.
Amanatidis warf sein Trikot in die Kurve, wir beklatschten unsere Jungs, die es wenigstens versucht hatten und wenig später kam der Schalker Spieler mit der Nummer 13 an uns vorbei, wurde entsprechend empfangen. Dass dies unten ankam war insofern ersichtlich, als dass er ein paar Schritte später um uns zu provozieren vor dem Schalker Anhang die Arme ein paar Mal nach oben riss. Trottel.
Nach Spielende steckten wir zunächst im Vorraum zum Tunnel fest. Draußen brutzelte die Sonne – und wir standen in der stickigen Halle und blickten durch bewachte Fensterscheiben ins wirkliche Leben. Da uns dies zu blöde war, marschierten wir zurück in den ziemlich leeren Block. Auf dem Rasen kickte der Torschütze in Adiletten mit seiner Tochter und während wir noch frische Luft schnappten, schickten uns die Ordner zwecks Blockschließung wieder in den stickigen Vorraum. Schleichende Platzangst machte sich breit und nach einer gefühlten Ewigkeit schoben wir uns durch den Käfig, von oben von Schalkern beschimpft, nix wie raus - Freiheit.
Sonne. Leben. Radler. Wir marschierten durch die königsblauen Trikots über die bekannten Wege, holten uns an einem weiteren Stand ein letztes Getränk und liefen durch einen menschenleeren Park. Karnickel hoppelten über die Wiese, wir ließen sie hoppeln, kauften ein Eis, die Kugel für 50 Cent und suchten eine Restauration in Gelsenkirchen-Erle. Die Hauptstraße kam eher trist daher und so fragten wir einen Passanten, der uns ins „Türmchen“ schickte, einer Gaststätte der Spvgg Erle. Nun ja, zu essen gab’s zwar nichts, da wegen eines Nackensteaks der Grill nicht angeworfen wurde, dafür plauderten wir mit ein paar Schalkern, die uns mit Rudi Assauer bekannt machen wollten, was wir dann doch dankend ablehnten. Den Satz „Tolles Stadion, wa?“ beantworteten wir mit „Hallenfußball ist scheiße“ und eine Frau, die mit Fußball eher weniger zu schaffen hatte, fragte uns scherzhaft, ob wir sie nach Frankfurt mitnehmen können – Gelsenkirchen scheint nicht grade eine goldene Perspektive zu versprechen, so man nicht Fußballspieler auf Schalke ist und Frankfurt funkelt als Versprechen einer besseren Zukunft. Auch ein Gedanke, auf den man erst einmal kommen muss. Wir nahmen sie dann doch nicht mit - und so blieb die Perle in Erle.
Weiter unten an der Cranger Straße futterten wir noch ein Schnitzel, tranken eine Cola und entdeckten wenig später in einem Sportgeschäft ein Schalker Trikot im Aushang, an welchem eine fette tote Fliege klebte – ein Bild mit hohem Symbolgehalt. So schlenderten wir zurück zum Auto und rollten gemächlich Richtung Autobahn. Depeche Mode erklärten uns, dass „nothing’s impossible“ sei und hinter uns versank ein feuerroter Sonnenball im Pott.
Sauerland, Siegerland, Hessenland. Irgendwo an einer Tanke kratzte ich Milliarden toter Mücken von der Windschutzscheibe und so sausten wir in die Nacht, bis sich in der Ferne die Frankfurter Türme zeigten. Über die 661 zöckelten wir Richtung Oberrad, Mittelpunkt der Welt und Endhaltestelle für den heutigen Tag. Draußen war’s immer noch warm und drinnen stießen wir an auf das letzte Auswärtsspiel der Saison 2007-2008. Bald fielen die Äuglein zu, und ich summte mich in den Schlaf.
Die Mütter von den Schalkern, das sind Väter, die Mütter von den Schalkern, die Mütter von den Schalkern ...
Manchmal vergisst man es.
Aber vieles hat doch auch irgendwie seine schönen Seiten. Und wenn es nur Erinnerungen sind.
Danke dafür und danke Eintracht.
Also "rum" kommste ja echt !
Aber wäre es nicht möglich Deine Geschichten wieder in einem "Buch" zusammen zu fassen? Ich habe mir gerade ein paar zerfetzte Blätter in die Hand genommen. Auf denen steht: "Qwertz - Das Ende des Traumes ist erst der Anfang" geschrieben von Axel H. im März 2002...
Wenn nicht, sollte man die Beiträge in einem extra Thread sammeln. Ähnlich wie die "Fan-Erlebnisse". Wenn das auch nicht geht, würde ich es gerne bei mir auf meiner privaten Page tun.
Kannst ja mal Feedback geben...
Speedy
Da ist doch ein Buch fällig, oder??
Ich freue mich schon jetzt auf das "Heimspiel in Karben" und dann ...
Verfluchte Sommerpause.
Vlt. finde ich ja noch ein paar alte "Heimspiele" + lese sie nochmal.
Wie weit zurück kann ich suchen??
Bis gg. Rot-weiß, wenn´s am Samstag zu voll sein sollte...
Wenn ich deine Tripreports lese, muss ich immer an Urlaub denken. Danke, danke, danke !