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Barcelona ist (k)eine Reise wert

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Vorneweg: Barcelona ist meine absolute europäische Lieblingsstadt (nach Bornheim, Riederwald und Sportfeld), und weil ich mein erstes Uefa-Pokal-Live-Spiel 1989 im Camp Nou gesehen habe (1. Runde, Hinspiel, FC Barcelona - Legia Warschau 1:1, fragt mich nicht, warum ich da war, das ist eine längere Geschichte), fühle ich mich dieser Metropole auch fußballerisch besonders verbunden - eigentlich.

Uneigentlich war schon das 1989er-Spiel eine schwere Enttäuschung. Ich hatte auf südländische Begeisterung gehofft und langweilte mich mit 25.000 Zuschauern, die in dem 100.000-Zuschauer fassenden Stadion eine Atmosphäre verbreitete, die auf keinen Fall mit unseren U23-Spielen am Riederwald mithalten kann.

Aber vielleicht lag's ja einfach nur an der mangelnden Masse. 17 Jahre später nun die zweite Chance für Barca, mich zu fesseln: Die alles entscheidende Champions-League-Begegnung gegen Werder vor mehr als 95.000 Zuschauern.

Was soll ich sagen: Eine Viertelstunde vor Anpfiff ist das Stadion bis auf den Gästeblock - der sinnigerweise komplett in den Oberrang und damit so in die Breite gelegt ist, dass kaum koordiniertes Anfeuern möglich ist - gähnend leer, und zehn Minuten nach Abpfiff ist das Stadion bis auf den Gästeblock - der wie europäisch üblich fast eine Stunde eingepfercht bleibt - schon wieder komplett geräumt. Mag man das bei dieser Masse an Zuschauern noch für eine organisatorische Meisterleistung halten, ist das, was dazwischen an Support geboten wird, das Grauen pur:

Ein bisschen Gepfeife, wenn der Gegner am Ball ist, ungefähr drei Mal "Barca, Barca"-Rufe, zwei bedauernswerte Häufchen von jeweils drei bis vier Dutzend Unermüdlichen, die hinter den Toren für etwas Stimmung zu sorgen versuchen - meist aber vergeblich, immerhin ein Mal wird das Barca-Lied angestimmt, ab und zu wird Beifall geklatscht - und ansonsten: Nichts, einfach nichts.

Da sitzen knapp 100.000 Menschen zusammen im Stadion, und die einzigen, die sich - allerdings unter den geschilderten relativ aussichtslosen Bedingungen ganz oben - um Atmosphäre bemühen, sind die paar tausend Gäste.

Camp Nou ist einfach nur groß, aber Größe allein reicht halt eben tatsächlich nicht immer , auf die Barca-"Supporter" trifft die Bezeichnung Kunden noch  mehr zu als auf unsere Telekom-Freunde, die ganze Stadt ist - bis auf die überteuerten Fanartikel-Läden - frei von jedem Fußball-Feeling.

Was staunten die Barcelonesen Bauklötze über die Bremer, die auf dem Placa Reial schöne Stimmung machten und anschließend sangesfreudig in einem langen Zug die Ramblas entlang liefen.

Ich werde wieder nach Barcelona kommen, keine Frage. Aber dann geh ich lieber ein bisschen länger in den Park Güell oder zur Sagrada Familia oder Tapas essen oder sonst was statt zum langweiligsten Club der Welt im langweiligsten Stadion der Welt.

gruß,
pallazio
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Hallo pallazio,

ich habe vor zwei Jahren Ähnliches bei Real Madrid im Estadio San Bernabeu erlebt. Masse ist halt nicht automatisch klasse.

Hoffe, Deine Frau, hat die Niederlage gut überwunden. Als vorausschauender Zeitgenosse hast Du bestimmt auch schon Vorbereitungen für die Depression, die sie morgen überkommen wird, getroffen.

YZ
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@pallazio
So enttäuschend der Besuch für Dich ausgefallen sein mag - mir hat er in Form deines Berichtes ein paar schöne Leseminuten beschert.
Davon hätte ich gerne ein paar mehr... Wie wäre es mit der längeren Geschichte über Deinen ersten Besuch im Camp Nou?

Nebenbei. Stell´ Dir nur einmal vor, zu welchen Leistungen ein Ronaldinho vor richtigen Fußballfans "im Herzen von Europa" fähig wäre? Ein Hohepriester des Fußballevangeliums in einem Fußballtempel vor ekstatischen Jüngern der reinen Fußballlehre?
Wir sollten mal mit dem Buben reden! Er war ja schon mal hier und Geld ist schließlich nicht alles...  
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@YZ

Yepp, hab mir gerade Deinen Madrider Reisebericht noch einmal durchgelesen, scheint also doch eher ein gesamtspanisches Phänomen zu sein. Irritierend ist einfach, dass Fußball in den spanischen Medien die absolut dominierende Rolle einnimmt, aber in der Öffentlichkeit real wenig von diesem Hype zu bemerken ist.

Von den spanischen Security- und Polizeileuten war ich übrigens nicht so angetan wie Du damals. Beim absolut friedlichen, aber eben laut- und trinkstarken Werder-Warm-Up auf dem Placa Reial am Abend vorher zogen sie plötzlich in Mannschaftsstärke, behelmt und derart massiv auf, dass den Bremern die Feierlaune irgendwann von selbst verging.

Während des Spiels haben sie nach dem 1:0-Freistoß meinen Sitznachbarn rausgezogen und mitgenommen, weil er vor Enttäuschung seinen halbvollen Bierbecher auf den Boden geschmissen und dadurch ein paar Leute nass gespritzt hat.

Meine Frau hat tatsächlich sehr gelitten. Morgen werden wir wieder wie immer bei Eintracht-Werder unsere DK-Plätze splitten, und ich werde so weit weg wie möglich von meiner Frau auf dem Oberrang Westtribüne Platz nehmen....

@TikiTakiTakagass

Also die längere Geschichte meines 89er Camp-Nou-Besuchs heb ich mal für später auf..... Da geht es zu wenig um Fußball und zu viel um einen baskischen kommunistischen Postboten im katalanischen Feindesland, in dessen Wohnung im Hafenviertel Barceloneta der Klospülungskasten gleichzeitig die Dusche ist und so'n Zeuch. Und von da bis zum Spiel Barcelona gegen Legia Warschau ist es logischerweise nicht mehr weit......  
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pallazio schrieb:

Also die längere Geschichte meines 89er Camp-Nou-Besuchs heb ich mal für später auf..... Da geht es zu wenig um Fußball und zu viel um einen baskischen kommunistischen Postboten im katalanischen Feindesland, in dessen Wohnung im Hafenviertel Barceloneta der Klospülungskasten gleichzeitig die Dusche ist und so'n Zeuch. Und von da bis zum Spiel Barcelona gegen Legia Warschau ist es logischerweise nicht mehr weit......    


Das hört sich doch mal interessant an. Bin gespannt auf mehr .  

Ich selbst bin jung und was Fußball betrifft noch wenig rumgekommen. Aber wenn ich mir diese Geschichten durchlese und dazu im Kontrast den von "uns" zuletzt hinterlassenen Eindruck in Europa betrachte, dann wird mir richtig warm ums Herz. Frankfurt Hochburg des gefühlten Fußballs.
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PhilMohr schrieb:
pallazio schrieb:

Also die längere Geschichte meines 89er Camp-Nou-Besuchs heb ich mal für später auf..... Da geht es zu wenig um Fußball und zu viel um einen baskischen kommunistischen Postboten im katalanischen Feindesland, in dessen Wohnung im Hafenviertel Barceloneta der Klospülungskasten gleichzeitig die Dusche ist und so'n Zeuch. Und von da bis zum Spiel Barcelona gegen Legia Warschau ist es logischerweise nicht mehr weit......    


Das hört sich doch mal interessant an. Bin gespannt auf mehr .  

Ich selbst bin jung und was Fußball betrifft noch wenig rumgekommen. Aber wenn ich mir diese Geschichten durchlese und dazu im Kontrast den von "uns" zuletzt hinterlassenen Eindruck in Europa betrachte, dann wird mir richtig warm ums Herz. Frankfurt Hochburg des gefühlten Fußballs.




Äh Phil, wir sind auch jung. Oder ihr Buben?

Pallazio und YZ

Wunderbar.
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Spanien ist ein Länderpunkt, der mir noch fehlt (Nein, war nicht in Vigo)    und Camp Nou muss definitiv in diesem Leben noch sein.

Aber was ich in Sachen Support von Spanien gehört habe, ist, dass das mehr ein Zuschauerpublikum ist. Zumindest bei den Großklubs.

Sevilla ist da vielleicht ein bißchen anders, das Baskenland auch, aber ansonsten wohl eher so die Lederhüte. Auswärtssupport soll da auch selten sein.

Ich hatte aber das große Vergnügen beim legendären UEFA-Cup Finale in Dortmund neben dem Alaves-Block zu sein, links daneben, rechts daneben war Liverpool. Und die konnten schon supporten. War vielleicht das einzige mal, aber egal, die hatten Spaß.
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Ich muss auch immer lachen, wenn irgendwelche Reporter von der Wahnsinns-Atmosphäre im Camp Nou erzählen. War vor 5 Jahren dort bei Barca gegen Valencia. Absolut trostlos die Stimmung.


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