Liebe Eintrachtler, vor allem die von Euch, die für die Magie der Zahlen empfänglich sind! (Achtung längerer Post!)
Es ist seit langem üblich, die Leistung von Spielern und Mannschaften auch, ich betone auch, an zählbaren Spielaktionen zu messen: Zweikampfbilanz, Fehlpässe, etc.
Ich möchte heute einmal versuchen, dass Passspiel der einzelnen Spieler unserer Eintracht in einigen der letzten Spiele in den Blick zu nehmen, und gleichzeitige einige Erkenntnisse über die Struktur des Spiels in den letzten Partien gewinnen. Und auf diese Weise hoffe ich, außerdem noch wichtige zusätzliche Gesichtspunkte zu liefern, die in die Beurteilung der Leistung von Spielern und Mannschaft einfließen können oder vielleicht sogar müssen.
Dabei habe ich versucht, ein Verfahren einzusetzen, dass seit einiger Zeit auch in der Analyse von Fußballspielen Anwendung findet: die Netzwerkanalyse. Im Internet finden sich ein paar schöne Beispiele aus der Österreichischen Zeitung "Der Standard", die damit Spiele der österreichischen Nationalmannschaft analysiert hat (http://derstandard.at/3079876/Erfolgsursachen-gegen-die-Elfenbeinkueste).
Meine Analysen sind nicht ganz so detailliert. Sie basieren auf dem Zahlenmaterial von bundesliga.de, und das ist dafür nicht exakt genug. Meine Grafiken können auch nicht ganz mithalten. Auch die Tabellen kann man leider erst richtig lesen, wenn man sie einmal anklickt, sorry!
Dennoch, glaube ich, kann man mit den folgenden Netzwerkanalysen einige interessante Beobachtungen machen.
Ich beginne mit dem Spiel vom letzten Sonntag gegen den SC Freiburg
1. Am Anfang steht die Matrix Grundlage der Spielanalyse ist die Matrix der Abspiele und Zuspiele der Partie. (Tabelle 1).
Tabelle 1: Matrix der Abspiele und Zuspiele SGE:SCF (14.2.2010)
Die Zeile der Tabelle (Leserichtung von links nach rechts) zeigt, welcher Spiele wie oft welchen anderen Spieler angespielt hat: Oka Nikolov hat zweimal Franz, zweimal Köhler, einmal Korkmaz etc. angespielt. Sieben seiner Abspiele gingen zum Gegner. Insgesamt hat Nikolov 30mal den Ball abgespielt, 23 dieser Abspiele erreichten einen Mitspieler. Alles klar?
Die Spalte (Leserichtung von oben nach unten) zeigt an, welcher Spieler von welchem Mitspieler wie oft angespielt wurde. Wieder das Beispiel Nikolov: Oka wurde einmal von Meier, einmal von Spycher, zweimal von Russ etc. angespielt. Insgesamt erhielt unser Torhüter in der Partei gegen Dortmund 8 Zuspiele.
2. Zentralität und Balleroberung
Die Matrix ermöglicht einige interessante Einsichten. Sie zeigt zunächst einmal, welche Spieler die meisten Zuspiele bzw. Abspiele erhielten (Tabelle 2) und gibt so Hinweise darauf, wie "zentral" die einzelnen Spieler für das Spiel der Eintracht waren (Tabelle 4). An der Spitze dieser Rangfolge steht mit weitem Abstand Chris. Es folgen Russ und Alexander Meier. Auffällig ist außerdem die intensive Beteiligung von Altintop am Passspiel der Eintracht gegen Freiburg. Er ist der Spieler mit den drittmeisten Zuspielen, gemeinsam mit den Mittelfeldspielern Köhler und Meier (Tabelle 2).
Eine umfassende Einschätzung und Bewertung der "Zentralität" der einzelnen Spieler ist jedoch erst möglich, wenn man sie im Gesamtzusammenhang des Passspiels der Mannschaft als ganzer sieht.
Zunächst jedoch noch zu einem anderen Punkt. Auch für die Arbeit "gegen den Ball", die jeder Spieler geleistet hat, gibt die Matrix Anhaltspunkte, nämlich durch den Vergleich der Zahl der Zu- mit der der Abspiele.
Macht ein Spieler mehr Abspiele als er Zuspiele bekommt, folgt daraus, dass die entsprechenden Bälle vom Gegner gekommen sein müssen. Aus dem Verhältnis von Zu- und Abspielen lässt sich so der "Balleroberungsquotient" der einzelnen Spieler bestimmen. Ein Beispiel: Chris hat im Spiel gegen den SCF 52 Zuspiele bekommen und 86 Abspiele gemacht, 34 der 86 Bälle, die er zu einem seiner Mitspieler gepasst hat, kamen also vom Gegner. Er hat somit einen Balleroberungsquotient von 39,53 %.
Natürlich sind viele der Bälle, die vom Gegner kommen auch Fehlpässe, so dass nicht alle dieser Bälle im strengen Sinn erobert sind. Dennoch deutet ein positives Verhältnis von Abspielen zu Zuspielen auf ein aktives Pressing des Spielers hin, sei es durch aktives Zweikampfverhalten oder durch ein gutes Positionsspiel, das Druck auf den Gegner aufbaut.
Hier haben (wenig überraschend) die beiden Innenverteidiger Franz (64,71 %) und Russ (46,15 %) die besten Werte, gefolgt von Chris (39,53 %) und Jung (28,89 %). Der einzige nominell defensiv ausgerichtet Spieler, der hier keinen positiven Wert aufweist, ist Teber. Der einzige Offensivspieler, der einen positiven Balleroberungsquotient hat, ist Alex Meier (7,41 %). Es fällt auf, dass die beiden Spieler mit den meisten Abspielen - Chris und Russ - den zweit- bzw. drittbesten Balleroberungsquotient aufweisen. Ihre zentrale Rolle als Passgeber beruht also nicht zuletzt darauf, dass sie viele Bälle, die sie weiterspielten, selbst aktiv eroberten.
3. Passwege und die Struktur des Spiels
Die wichtigsten Passwege lassen die Struktur des Spiels erkennen. Auch hier wird einmal mehr die dominante Rolle von Chris im Spiel gegen Freiburg deutlich. An den fünf wichtigsten Passwegen war er entweder als Passgeber oder Passempfänger beteiligt.
Tabelle 6: Wichtigste Passwege im Spiel SGE:SCF (>= 7 Pässe)
Die grafische Darstellung macht es noch deutlicher. Aufgenommen sind alle Pässe, die mindestens dreimal gespielt wurden. Die Zahlen sind die Rücknummern der jeweiligen Spieler. Die Farben bedeuten: rot: durchgespielt; orange: ausgewechselt; gelb: eingewechselt. Die Positionen orientieren sich an der "tatsächlichen Aufstellung" bei Bundesliga.de (http://www.bundesliga.de/de/liga/matches/2009/index.php?omi=287955&reiter=b&tag=22).
Diagramm 1: Passwege in der Partie SGE:SCF (14.2.2010)
Aus der Abwehr wurden die Bälle von Russ und Jung zu Chris befördert, der sie dann weiterverteilte: entweder auf die Flügel auf Köhler oder Ochs oder direkt nach vorne zu Altintop.
Chris' Kollege als 6er vor der Abwehr, Teber, hat demgegenüber kaum Anteil am Aufbauspiel. Er ist zwar Endstation eines wichtigen Passwegs im Spielaufbau (Russ>Teber 9). Von ihm aus geht es jedoch kaum weiter. Seine wichtigsten Passwege führen zurück zu Russ (6), oder quer weiter zu Chris (4). 3 seiner Pässe fanden immerhin den Weg zu Köhler. Für das Aufbauspiel war der Weg über Teber gegen Freiburg also eine Sackgasse.
Wie erwähnt hat Teber anders als Chris auch keine aktive Balleroberungsbilanz. Es spricht daher einiges dafür, dass die Zentralität von Chris auch eine Folge von Tebers Schwäche war, genauer: dass Chris Tebers Schwächen in der Balleroberung und im Aufbauspiel kompensieren musste.
Auch die Außenbahnen spielen eine vergleichsweise untergeordnete Rolle. Jung>Ochs gehört nicht zu den wichtigsten Passwegen. Doppelt so häufig wie zu Ochs (6) passt Jung den Ball zu Chris. Das war in Dortmund anders.
Und damit komme ich zum Vergleich der Partie SGE:SCF vom 14.2. mit der Partie beim BVB eine Woche zuvor. Denn die Tragweite der Beobachtungen wird erst im Vergleich richtig deutlich.
Das Spiel in Dortmund
Tabelle 7: Matrix der Ab- und Zuspiele in der Partei BVB:SGE (7.2.2010)
1. Zentralität und Balleroberung
Vergleicht man die Werte für das Passspiel der Eintracht in Dortmund mit denen für das Spiel gegen Freiburg, dann fallen einige Unterschiede sofort auf.
Zuallererst: Kein Spieler ragt in ähnlicher Weise heraus wie Chris im Spiel gegen den SCF. Der Anteil der Spieler am Passspiel ist wesentlich ausgeglichener, es verteilt sich so auf viele Schultern. Man könnte auch sagen, dass Passspiel erscheint variabler. Die meisten Zuspiele erhielten Ochs und Meier, danach folgen Altintop, Chris, Teber und Köhler praktisch auf einer Höhe (Tabelle 8). Die meisten Abspiele machte in der Partie gegen Dortmund ebenfalls Chris, mit nur einem Abspiel weniger folgt dann Alexander Meier, knapp dahinter Ochs, dann Spycher, Teber, Jung und Köhler (Tabelle 9).
Die größte Rolle für das Passspiel, Zuspiele und Abspiele zusammengenommen, spielte Alexander Meier mit knappem Vorsprung vor Ochs und Chris, mit einem gewissen Abstand folgt schon Teber, dann Spycher und Köhler (Tabelle 10).
Doch nicht nur das Passspiel auch die Balleroberung ist gleichmäßiger unter den Spielern verteilt (Tabelle 11).
An der Spitze der Hierarchie stehen wieder die beiden Innenverteidiger Franz und Russ mit ähnlichen Werten wie im Spiel gegen Freiburg, auf sie folgt abermals Chris, diesmal auf einer Höhe mit Spycher, der im Spiel gegen Dortmund einen deutlich besseren Wert aufweist als gegen Freiburg.
Auch Teber hatte im Spiel gegen Dortmund einen deutlich positiven Balleroberungsquotient. Knapp 20 % der Bälle, die er spielte, kamen vom Gegner.
Der entscheidende Unterschied ist jedoch, dass in Dortmund alle Offensivspieler, mit Ausnahme des einzigen etatmässigen Stürmers Altintop, positive Balleroberungsquotienten hatten. Dabei ragt vor allem Alexander Meier heraus, der hier noch vor dem nominell defensiver agierenden Teber liegt.
2. Passwege und die Struktur des Spiels
Die wichtigsten Passwege im Spiel gegen Dortmund unterscheiden sich fundamental von denen im Spiel gegen Freiburg.
Chris ist nur an zwei der wichtigsten Passwege beteiligt: Als Anspielstation von Jung (7) und als Passgeber an Ochs (8).
Jung hat drei praktisch gleichwertige Passwege: Zu Ochs (8), zu Köhler und Chris (beide 7). Seine Abspiel nach vorn und der Spielaufbau, der aus ihnen resultiert, erscheint also variabler als gegen Freiburg, als Jungs Abspiele nach vorn vor allem an Chris gingen.
Die beiden wichtigsten Passwege im Spiel in Dortmund waren Nikolov>Meier (11) und Meier>Altintop (11), also: weiter Abschlag Nikolov auf Meier, Kopfballablage Meier auf Altintop.
Weite Abschläge sind ein fußballerisches Mittel, über das viele nicht zu Unrecht die Nase rümpfen. Hat man jedoch einen Torwart, der in der Lage ist, diese Abschläge mit hoher Treffsicherheit zum gesuchten Mitspieler zu bringen, einen hochgewachsenen Offensivspieler, der nicht nur die Mehrzahl der Kopfballduelle um diese hohen Abschläge gewinnt, sondern den Ball auch noch zielgenau auf den Mitspieler ablegt, der diesen dann weiterspielt oder direkt "verwertet", dann hat man eine Pass-Stafette, die an Vertikalität nicht zu überbieten ist.
Und es war wohl kein Zufall, das das 1:0 gegen Dortmund aus einem weiten Abschlag auf Meier resultierte, der diesen auf Altintop ablegte. Der spielte dann den Ball nach rechts heraus auf Ochs, der ihn auf Köhler flankte. Das heißt: an der Entstehung des Tors war auch noch der drittwichtigste Passweg, Altintop>Ochs (8), beteiligt.
Tabelle 12: Wichtigste Passwege im Spiel BVB:SGE (7.2.2010)
Das Schaubild macht es deutlich: Während im Spiel gegen Freiburg die horizontalen und diagonalen Passwege dominierten, war das Spiel der Eintracht in Dortmund klar vertikal angelegt, v.a. durch die Mitte über die Passwege Nikolov>Meier>Altintop, aber auch über die rechte Außenposition (Jung>Ochs).
Hinzu kamen im Spiel gegen Dortmund auch noch die "mittelgewichtigen" vertikalen Passwege Jung>Altintop (5) und Teber>Meier (5), letzterer führte bekanntlich zum 3:2.
Diagramm 2: Passwege im Spiel BVB:SGE (7.2.2010)
Abschließende Überlegungen
Die Netzwerkanalyse zeigt IMHO einige wichtige Ursachen für die "geile Leistung" der Eintracht in Dortmund und die Schwierigkeiten, die die Mannschaft im Spiel eine Woche später offensichtlich damit hatte, den Gegner zu beherrschen.
1. Bessere Arbeit gegen den Ball: alle Feldspieler außer Altintop machten mehr Abspiele, als sie Zuspiele gewannen: d.h: Sie eroberten Bälle vom Gegner, die sie dann "weiterverarbeiten" konnten.
Dies hatte zwei Folgen: a) die Beteiligung der Spieler am Passspiel war gleichmäßiger als im Spiel gegen Freiburg, in dem es von Chris und Russ dominiert wurde: Das Spiel war somit variabler. b) Mehr Bälle wurden nicht erst in der Abwehr oder dem DM gewonnen, eigene Angriffe konnten also "früher" initiiert werden.
2. Konsequenter und systematischer Einsatz der "Waffe" (Heribert Bruchhagen) Alexander Meier. Über ihn wurden die Bälle schnell nach vorne gebracht, wo dann mit Altintop ein spielstarker, schneller Stürmer bereitsteht, um diese Bälle weiterzuspielen, v.a. auf die rechte Außenposition, oder sie selbst zu verwerten.
Es ist kein Wunder, dass auch das 2:1 gegen Freiburg aus einem weiten Ball auf Meier resultierte, der ihn dann auf Altintop ablegte, doch war dies anders als das 1:0 gegen Dortmund ein Zufallsprodukt.
Phuh! Schon 6 Minuten vergangen und immer noch keine Reaktion. Sieht schon mal sehr interessant aus. Aber dazu brauch wohl ein wenig Zeit . Ich muss warten bis ich allein bin mit soviel Zahlenwerk. Großartig! Mal seh`n ob mein Verstand dafür ausreicht. Schonmal vielen Dank für die Mühe
Wow, hast dir echt viel Arbeit gemacht und ist zum größten Teil auch in sich schlüssig. Nur hast du den Denkfehler darin, dass du vergessen hast, den Ballbesitz mit einzurechnen. Ich vermute jetzt einfach mal, dass unser Ballbesitz gegen Freiburg höher ausfällt, als gegen Dortmund. Somit kommen automatisch mehr Bälle vom Mitspieler, als vom Gegner. Du hast dann daraus den Schluss gezogen, dass wir durch weniger gewonnene Zweikämpfe gegen Freiburg schlechter gespielt haben, als gegen Dortmund. Aufgrunddessen, dass eine These dieser Argumentation wegfällt, kann ich dir in dem nicht vollständig zustimmen. Man könnte jetzt vermuten das schlechte Aussehen unserer Mannschaft gegen Freiburg liegt daran, dass wir einen höheren Ballbesitz hatten und diesen schlecht verarbeitet haben. Deine Grafiken Tabelle 1 und Tabelle 7 belehren uns aber eines Besseren: Die Anzahl der Fehlpässe war in diesem Spiel geringer, bei höherer Anzahl von Abspielen.
Was sagt uns das also? Fußball kann man nicht in Zahlen fassen und daraus ernsthafte Rückschlüsse ziehen, wenn man nicht alle Faktoren signifikant mit einbezieht! Dennoch danke für die harte Arbeit.
Man schaut natürlich auch gleich mal nach, inwieweit sich die eigenen Eindrücke mit der Statistik decken. Und da fand ich gleich 2 Bestätigungen:
a) die überragenden Werte von Chris im SCF-Spiel (wie meine Eindrücke auch waren, es lastete fast zu viel auf seinen Schultern, und wer viel macht, macht auch mal Fehler)
b) das Passspielverhaten von Teber. Waren es gegen Dortmund noch 6 Pässe auf die offensiven Kräfte, so reduzierte sich das gegen Freiburg auf 2.
Na toll. Jetzt haste dem Bruno die ganze Arbeit abgenommen. Und gelernt haben wir: Maik Franz bekommt keine Pässe von Alex Meier, da er um die vereinsinterne Torjägerkanone Angst hat... ,-)
Wow ich liebe Statistikfreds! Und der hier ist einfach grandios! Danke! Besonders freu ich mich, dass man hier (mal wieder) toll sehen kann wieso ein Alex Meier so wichtig für unser Spiel ist. Ich fand ihn schon immer klasse aber der Fred gibt mal richtig gute Argumente für ihn. Nochmal danke. Tolles Gerät
Trotzdem krasset dingen, da fragt man sich ob es sowat auch in andern Foren gibt. Kann mich an sowas nich erinnern das sich die User soviel Zeit für ihren Verein nehmen. Danke!
Es ist seit langem üblich, die Leistung von Spielern und Mannschaften auch, ich betone auch, an zählbaren Spielaktionen zu messen: Zweikampfbilanz, Fehlpässe, etc.
Ich möchte heute einmal versuchen, dass Passspiel der einzelnen Spieler unserer Eintracht in einigen der letzten Spiele in den Blick zu nehmen, und gleichzeitige einige Erkenntnisse über die Struktur des Spiels in den letzten Partien gewinnen. Und auf diese Weise hoffe ich, außerdem noch wichtige zusätzliche Gesichtspunkte zu liefern, die in die Beurteilung der Leistung von Spielern und Mannschaft einfließen können oder vielleicht sogar müssen.
Dabei habe ich versucht, ein Verfahren einzusetzen, dass seit einiger Zeit auch in der Analyse von Fußballspielen Anwendung findet: die Netzwerkanalyse. Im Internet finden sich ein paar schöne Beispiele aus der Österreichischen Zeitung "Der Standard", die damit Spiele der österreichischen Nationalmannschaft analysiert hat (http://derstandard.at/3079876/Erfolgsursachen-gegen-die-Elfenbeinkueste).
Meine Analysen sind nicht ganz so detailliert. Sie basieren auf dem Zahlenmaterial von bundesliga.de, und das ist dafür nicht exakt genug. Meine Grafiken können auch nicht ganz mithalten. Auch die Tabellen kann man leider erst richtig lesen, wenn man sie einmal anklickt, sorry!
Dennoch, glaube ich, kann man mit den folgenden Netzwerkanalysen einige interessante Beobachtungen machen.
Ich beginne mit dem Spiel vom letzten Sonntag gegen den SC Freiburg
1. Am Anfang steht die Matrix
Grundlage der Spielanalyse ist die Matrix der Abspiele und Zuspiele der Partie. (Tabelle 1).
Tabelle 1: Matrix der Abspiele und Zuspiele SGE:SCF (14.2.2010)
Die Zeile der Tabelle (Leserichtung von links nach rechts) zeigt, welcher Spiele wie oft welchen anderen Spieler angespielt hat: Oka Nikolov hat zweimal Franz, zweimal Köhler, einmal Korkmaz etc. angespielt. Sieben seiner Abspiele gingen zum Gegner. Insgesamt hat Nikolov 30mal den Ball abgespielt, 23 dieser Abspiele erreichten einen Mitspieler. Alles klar?
Die Spalte (Leserichtung von oben nach unten) zeigt an, welcher Spieler von welchem Mitspieler wie oft angespielt wurde. Wieder das Beispiel Nikolov: Oka wurde einmal von Meier, einmal von Spycher, zweimal von Russ etc. angespielt. Insgesamt erhielt unser Torhüter in der Partei gegen Dortmund 8 Zuspiele.
2. Zentralität und Balleroberung
Die Matrix ermöglicht einige interessante Einsichten. Sie zeigt zunächst einmal, welche Spieler die meisten Zuspiele bzw. Abspiele erhielten (Tabelle 2) und gibt so Hinweise darauf, wie "zentral" die einzelnen Spieler für das Spiel der Eintracht waren (Tabelle 4). An der Spitze dieser Rangfolge steht mit weitem Abstand Chris. Es folgen Russ und Alexander Meier. Auffällig ist außerdem die intensive Beteiligung von Altintop am Passspiel der Eintracht gegen Freiburg. Er ist der Spieler mit den drittmeisten Zuspielen, gemeinsam mit den Mittelfeldspielern Köhler und Meier (Tabelle 2).
Eine umfassende Einschätzung und Bewertung der "Zentralität" der einzelnen Spieler ist jedoch erst möglich, wenn man sie im Gesamtzusammenhang des Passspiels der Mannschaft als ganzer sieht.
Zunächst jedoch noch zu einem anderen Punkt. Auch für die Arbeit "gegen den Ball", die jeder Spieler geleistet hat, gibt die Matrix Anhaltspunkte, nämlich durch den Vergleich der Zahl der Zu- mit der der Abspiele.
Macht ein Spieler mehr Abspiele als er Zuspiele bekommt, folgt daraus, dass die entsprechenden Bälle vom Gegner gekommen sein müssen. Aus dem Verhältnis von Zu- und Abspielen lässt sich so der "Balleroberungsquotient" der einzelnen Spieler bestimmen. Ein Beispiel: Chris hat im Spiel gegen den SCF 52 Zuspiele bekommen und 86 Abspiele gemacht, 34 der 86 Bälle, die er zu einem seiner Mitspieler gepasst hat, kamen also vom Gegner. Er hat somit einen Balleroberungsquotient von 39,53 %.
Natürlich sind viele der Bälle, die vom Gegner kommen auch Fehlpässe, so dass nicht alle dieser Bälle im strengen Sinn erobert sind. Dennoch deutet ein positives Verhältnis von Abspielen zu Zuspielen auf ein aktives Pressing des Spielers hin, sei es durch aktives Zweikampfverhalten oder durch ein gutes Positionsspiel, das Druck auf den Gegner aufbaut.
Hier haben (wenig überraschend) die beiden Innenverteidiger Franz (64,71 %) und Russ (46,15 %) die besten Werte, gefolgt von Chris (39,53 %) und Jung (28,89 %). Der einzige nominell defensiv ausgerichtet Spieler, der hier keinen positiven Wert aufweist, ist Teber. Der einzige Offensivspieler, der einen positiven Balleroberungsquotient hat, ist Alex Meier (7,41 %).
Es fällt auf, dass die beiden Spieler mit den meisten Abspielen - Chris und Russ - den zweit- bzw. drittbesten Balleroberungsquotient aufweisen. Ihre zentrale Rolle als Passgeber beruht also nicht zuletzt darauf, dass sie viele Bälle, die sie weiterspielten, selbst aktiv eroberten.
3. Passwege und die Struktur des Spiels
Die wichtigsten Passwege lassen die Struktur des Spiels erkennen. Auch hier wird einmal mehr die dominante Rolle von Chris im Spiel gegen Freiburg deutlich. An den fünf wichtigsten Passwegen war er entweder als Passgeber oder Passempfänger beteiligt.
Tabelle 6: Wichtigste Passwege im Spiel SGE:SCF (>= 7 Pässe)
Russ>Chris 15
Chris>Köhler 13
Chris>Ochs 13
Jung>Chris 12
Chris>Altintop 11
Russ>Teber 9
Meier>Ochs 8
Russ>Spycher 8
Meier>Altintop 8
Franz>Jung 8
Nikolov>Russ 7
Ochs>Meier 7
Spycher>Köhler 7
Die grafische Darstellung macht es noch deutlicher. Aufgenommen sind alle Pässe, die mindestens dreimal gespielt wurden. Die Zahlen sind die Rücknummern der jeweiligen Spieler. Die Farben bedeuten: rot: durchgespielt; orange: ausgewechselt; gelb: eingewechselt. Die Positionen orientieren sich an der "tatsächlichen Aufstellung" bei Bundesliga.de (http://www.bundesliga.de/de/liga/matches/2009/index.php?omi=287955&reiter=b&tag=22).
Diagramm 1: Passwege in der Partie SGE:SCF (14.2.2010)
Aus der Abwehr wurden die Bälle von Russ und Jung zu Chris befördert, der sie dann weiterverteilte: entweder auf die Flügel auf Köhler oder Ochs oder direkt nach vorne zu Altintop.
Chris' Kollege als 6er vor der Abwehr, Teber, hat demgegenüber kaum Anteil am Aufbauspiel. Er ist zwar Endstation eines wichtigen Passwegs im Spielaufbau (Russ>Teber 9). Von ihm aus geht es jedoch kaum weiter. Seine wichtigsten Passwege führen zurück zu Russ (6), oder quer weiter zu Chris (4). 3 seiner Pässe fanden immerhin den Weg zu Köhler. Für das Aufbauspiel war der Weg über Teber gegen Freiburg also eine Sackgasse.
Wie erwähnt hat Teber anders als Chris auch keine aktive Balleroberungsbilanz. Es spricht daher einiges dafür, dass die Zentralität von Chris auch eine Folge von Tebers Schwäche war, genauer: dass Chris Tebers Schwächen in der Balleroberung und im Aufbauspiel kompensieren musste.
Auch die Außenbahnen spielen eine vergleichsweise untergeordnete Rolle. Jung>Ochs gehört nicht zu den wichtigsten Passwegen. Doppelt so häufig wie zu Ochs (6) passt Jung den Ball zu Chris. Das war in Dortmund anders.
Und damit komme ich zum Vergleich der Partie SGE:SCF vom 14.2. mit der Partie beim BVB eine Woche zuvor. Denn die Tragweite der Beobachtungen wird erst im Vergleich richtig deutlich.
Das Spiel in Dortmund
Tabelle 7: Matrix der Ab- und Zuspiele in der Partei BVB:SGE (7.2.2010)
1. Zentralität und Balleroberung
Vergleicht man die Werte für das Passspiel der Eintracht in Dortmund mit denen für das Spiel gegen Freiburg, dann fallen einige Unterschiede sofort auf.
Zuallererst: Kein Spieler ragt in ähnlicher Weise heraus wie Chris im Spiel gegen den SCF. Der Anteil der Spieler am Passspiel ist wesentlich ausgeglichener, es verteilt sich so auf viele Schultern. Man könnte auch sagen, dass Passspiel erscheint variabler.
Die meisten Zuspiele erhielten Ochs und Meier, danach folgen Altintop, Chris, Teber und Köhler praktisch auf einer Höhe (Tabelle 8). Die meisten Abspiele machte in der Partie gegen Dortmund ebenfalls Chris, mit nur einem Abspiel weniger folgt dann Alexander Meier, knapp dahinter Ochs, dann Spycher, Teber, Jung und Köhler (Tabelle 9).
Die größte Rolle für das Passspiel, Zuspiele und Abspiele zusammengenommen, spielte Alexander Meier mit knappem Vorsprung vor Ochs und Chris, mit einem gewissen Abstand folgt schon Teber, dann Spycher und Köhler (Tabelle 10).
Doch nicht nur das Passspiel auch die Balleroberung ist gleichmäßiger unter den Spielern verteilt (Tabelle 11).
An der Spitze der Hierarchie stehen wieder die beiden Innenverteidiger Franz und Russ mit ähnlichen Werten wie im Spiel gegen Freiburg, auf sie folgt abermals Chris, diesmal auf einer Höhe mit Spycher, der im Spiel gegen Dortmund einen deutlich besseren Wert aufweist als gegen Freiburg.
Auch Teber hatte im Spiel gegen Dortmund einen deutlich positiven Balleroberungsquotient. Knapp 20 % der Bälle, die er spielte, kamen vom Gegner.
Der entscheidende Unterschied ist jedoch, dass in Dortmund alle Offensivspieler, mit Ausnahme des einzigen etatmässigen Stürmers Altintop, positive Balleroberungsquotienten hatten. Dabei ragt vor allem Alexander Meier heraus, der hier noch vor dem nominell defensiver agierenden Teber liegt.
2. Passwege und die Struktur des Spiels
Die wichtigsten Passwege im Spiel gegen Dortmund unterscheiden sich fundamental von denen im Spiel gegen Freiburg.
Chris ist nur an zwei der wichtigsten Passwege beteiligt: Als Anspielstation von Jung (7) und als Passgeber an Ochs (8).
Jung hat drei praktisch gleichwertige Passwege: Zu Ochs (8), zu Köhler und Chris (beide 7). Seine Abspiel nach vorn und der Spielaufbau, der aus ihnen resultiert, erscheint also variabler als gegen Freiburg, als Jungs Abspiele nach vorn vor allem an Chris gingen.
Die beiden wichtigsten Passwege im Spiel in Dortmund waren Nikolov>Meier (11) und Meier>Altintop (11), also: weiter Abschlag Nikolov auf Meier, Kopfballablage Meier auf Altintop.
Weite Abschläge sind ein fußballerisches Mittel, über das viele nicht zu Unrecht die Nase rümpfen. Hat man jedoch einen Torwart, der in der Lage ist, diese Abschläge mit hoher Treffsicherheit zum gesuchten Mitspieler zu bringen, einen hochgewachsenen Offensivspieler, der nicht nur die Mehrzahl der Kopfballduelle um diese hohen Abschläge gewinnt, sondern den Ball auch noch zielgenau auf den Mitspieler ablegt, der diesen dann weiterspielt oder direkt "verwertet", dann hat man eine Pass-Stafette, die an Vertikalität nicht zu überbieten ist.
Und es war wohl kein Zufall, das das 1:0 gegen Dortmund aus einem weiten Abschlag auf Meier resultierte, der diesen auf Altintop ablegte. Der spielte dann den Ball nach rechts heraus auf Ochs, der ihn auf Köhler flankte. Das heißt: an der Entstehung des Tors war auch noch der drittwichtigste Passweg, Altintop>Ochs (8), beteiligt.
Tabelle 12: Wichtigste Passwege im Spiel BVB:SGE (7.2.2010)
Nikolov>Meier 11
Meier>Altintop 11
Altintop>Ochs 8
Chris>Köhler 8
Jung>Ochs 8
Meier>Ochs 8
Meier>Köhler 7
Meier>Spycher 7
Ochs>Jung 7
Russ>Spycher 7
Jung>Köhler 7
Jung>Chris 7
Das Schaubild macht es deutlich: Während im Spiel gegen Freiburg die horizontalen und diagonalen Passwege dominierten, war das Spiel der Eintracht in Dortmund klar vertikal angelegt, v.a. durch die Mitte über die Passwege Nikolov>Meier>Altintop, aber auch über die rechte Außenposition (Jung>Ochs).
Hinzu kamen im Spiel gegen Dortmund auch noch die "mittelgewichtigen" vertikalen Passwege Jung>Altintop (5) und Teber>Meier (5), letzterer führte bekanntlich zum 3:2.
Diagramm 2: Passwege im Spiel BVB:SGE (7.2.2010)
Abschließende Überlegungen
Die Netzwerkanalyse zeigt IMHO einige wichtige Ursachen für die "geile Leistung" der Eintracht in Dortmund und die Schwierigkeiten, die die Mannschaft im Spiel eine Woche später offensichtlich damit hatte, den Gegner zu beherrschen.
1. Bessere Arbeit gegen den Ball: alle Feldspieler außer Altintop machten mehr Abspiele, als sie Zuspiele gewannen: d.h: Sie eroberten Bälle vom Gegner, die sie dann "weiterverarbeiten" konnten.
Dies hatte zwei Folgen: a) die Beteiligung der Spieler am Passspiel war gleichmäßiger als im Spiel gegen Freiburg, in dem es von Chris und Russ dominiert wurde: Das Spiel war somit variabler. b) Mehr Bälle wurden nicht erst in der Abwehr oder dem DM gewonnen, eigene Angriffe konnten also "früher" initiiert werden.
2. Konsequenter und systematischer Einsatz der "Waffe" (Heribert Bruchhagen) Alexander Meier. Über ihn wurden die Bälle schnell nach vorne gebracht, wo dann mit Altintop ein spielstarker, schneller Stürmer bereitsteht, um diese Bälle weiterzuspielen, v.a. auf die rechte Außenposition, oder sie selbst zu verwerten.
Es ist kein Wunder, dass auch das 2:1 gegen Freiburg aus einem weiten Ball auf Meier resultierte, der ihn dann auf Altintop ablegte, doch war dies anders als das 1:0 gegen Dortmund ein Zufallsprodukt.
Sieht schon mal sehr interessant aus. Aber dazu brauch wohl ein wenig Zeit .
Ich muss warten bis ich allein bin mit soviel Zahlenwerk. Großartig!
Mal seh`n ob mein Verstand dafür ausreicht. Schonmal vielen Dank für die Mühe
Was lernen wir daraus? Aggressiv auf den Gegner druff, variablen zu spielen versuchen, und vertikal statt horizontal. Dann klappts auch gegen Hamburg.
Chapeau, ich bin begeistert!
Auch bin ich gespannt wann SGE Werner sich hierzu meldet
Wie lange braucht man für so etwas? Welcher Wissenschaftler ist denn Dein Beruf ?
Was sagt uns das also?
Fußball kann man nicht in Zahlen fassen und daraus ernsthafte Rückschlüsse ziehen, wenn man nicht alle Faktoren signifikant mit einbezieht! Dennoch danke für die harte Arbeit.
Sehr interessant auch deine Schlussbetrachtung.
Man schaut natürlich auch gleich mal nach, inwieweit sich die eigenen Eindrücke mit der Statistik decken. Und da fand ich gleich 2 Bestätigungen:
a) die überragenden Werte von Chris im SCF-Spiel (wie meine Eindrücke auch waren, es lastete fast zu viel auf seinen Schultern, und wer viel macht, macht auch mal Fehler)
b) das Passspielverhaten von Teber. Waren es gegen Dortmund noch 6 Pässe auf die offensiven Kräfte, so reduzierte sich das gegen Freiburg auf 2.
Nochmal: grandiose Arbeit!
Zeigt übrigens auch mal im Detail, wie wichtig Chris, aber auch der Alex für unser Spiel sind.
Ne, mal im Ernst... Hammer!
Trotzdem ein großes Dankeschön,war interessant zu lesen!
Danke!
Besonders freu ich mich, dass man hier (mal wieder) toll sehen kann wieso ein Alex Meier so wichtig für unser Spiel ist.
Ich fand ihn schon immer klasse aber der Fred gibt mal richtig gute Argumente für ihn.
Nochmal danke. Tolles Gerät
Da meine Nebenhöhlen zu sind und ich nicht klar denken kann aktuell, werde ich mir das alles bei besserem Kopf-Zustand reinziehen.
Vllt. sollten wir allmählich eine Seite eintracht-statistik.de aufmachen.
auch dafür finden sich bestimmt User
Trotzdem krasset dingen, da fragt man sich ob es sowat auch in andern Foren gibt.
Kann mich an sowas nich erinnern das sich die User soviel Zeit für ihren Verein nehmen.
Danke!
kommt drauf an fuer was.....solche Zahlen wie da oben will ich lieber intern mit Skibbe jemanden besprechen sehen als in einem øffentlichen Forum