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Tottenham Hotspur FC vs West Bromwich Albion 1:1

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England
Premier League 2012/2013
2. Spieltag
Stadion an der White Hart Lane
36.166 Zuschauer


Wer in Nordlondon eingeschult wird, bekommt spätestens in der ersten Pause eine für den Rest des Lebens prägende Frage gestellt: „Arsenal or Tottenham“?
Die Antwort kann einen Satz rote Ohren, Freundschaft auf ewig oder eine unruhige Kindheit auslösen.
Tatsächlich hat sich diese traditionelle Feindschaft offenbar bis heute als schwerpunktmäßige Abneigung erhalten, wie uns Spurs-Fans versicherten, und was dazu führte, dass ca. 90 Minuten vor Kick Off ein paar Dutzend West Brom Supporter in einem Pub unweit des Stadions ungestört um ihre Pints kümmern konnten.
Wir zogen es vor, angeleitet von THFC Fans, in einem türkischen Imbiss in Sichtkontakt mit der Haupttribüne überragend geiles Shish Kebab zu vertilgen. Internationle Spitzenklasse, und insofern klar besser als das Heimteam.
In England ist es durchaus üblich, ca. eine Achtzehntelsekunde vor Spielbeginn den Block zu betreten – also keine Eile erforderlich, als 15 Minuten vor Anpfiff die Rechnung kam. Nun ja, ich gebe zu, ich war nervörs.
„Cheers, mate“, ich stürzte mein Dosenbier, und kurz darauf eine deutliche Belehrung für meine Freundin, die glaubte, sie könne ihr Bier auf dem Weg zum Einlass gemütlich vertilgen.
Eine Bobbyfrau kippte es aufs energischste in den Gully, ohne eine strenge Ermahnung zu vergessen für den Hooliganismus, ein Dosenbier öffentlich zu trinken. Schade drum, obwohl es nur Stella Artois war-
Enger Eingang, turnstiles, die Treppen hoch, und schwupps, waren wir auf unseren Plätzen, assistiert von einem gleichermaßen höflichen wie freundlichen Steward.
Das Stadion an der White Hart Lane war mit 36166 Zuschauern beinahe ausverkauft, da konnte auch die Auswärtsniederlage eine Woche vorher bei Newcastle United nichts kaputt machen, obwohl die Erwartungshaltung bei den Spurs Fans nach dem guten vierten Platz in der Vorsaison nicht eben euphorisch ist: Ein Trainer, den keiner leiden kann (André Villas-Boas), Modric vor dem Absprung (inzwischen fort), Van der Vaart wechselwillig und obendrein durch den Champions League Sieg von Chelsea um die CL Quali gebracht – die Spurs gingen schon entspannter in die Saison.

Dennoch gab es ein paar Verstärkungen, die Spurs fingen gar nicht schlecht an, und in den ersten zehn Minuten war auch die Kurve durchaus zu hören, wenn auch nicht gerade ohrenbetäubend.
Viel abgetastet wurde nicht: Ball nach vorne, möglichst über die Außenpositionen, eine Flanke, feddisch.
Besonders Gareth Bale tat sich in der ersten Halbzeit hervor: Der junge Waliser hielt konsequent die linke Außenbahn, vernaschte die Gegner reihenweise und spielte konsequent in den Rücken der Abwehr zwischen Elfmeterpunkt und Sechzehnerlinie. Zum Leidwesen der Heimfans versemmelten VdV und Co die vielen klugen Zuspiele kläglich bis stümperhaft. Dann und wann schwoll der Spurs-Chor an, insgesamt aber war die Stimmung ganz okay aber keineswegs überschäumend.
Derweil verhielten sich die West Brom Fans eher unauffällig; nur im Unterrang wurde es ab und an mal etwas lauter. Vielleicht staunten die Leute aus den Midlands auch nur, dass ihr Team nach vorne rein gar nichts zustande brachte und die Abwehr den Papst in der Tasche stecken hatte.
Den hätte die Spurs-Abwehr in Halbzeit zwo gut gebrauchen können:
Zunächst vergab Bale, der ca. eine Stunde dennoch großartig spielte, zehn Meter vor dem Kasten eine Tausendprozentige, kurz nach der Halbzeit. Die leicht phlegmatische Massive in der Spurs-Kurve erwachte kurzzeitig, man hoffte auf den ersehnten Führungstreffer.
Pustekuchen – Als nach einer Stunde der junge Lukaku bei den Gästen den Rasen betrat, konnten wir erste nervöse Zuckungen in der Abwehr der Hausherren beobachten.
Bei dem einen oder anderen Laufduell deutete er seine Schnelligkeit und Gefährlichkeit an. Weitere Folge: Der Gästeblock erwachte („He comes from Africa“), und ich war erstaunt, dass doch gut 2500 Bauerntölpel den Weg an die White Hart Lane fanden.
Die Spurs versuchten es noch mal und nach einem Abpraller kam ein Neuzugang, der neben Bale beste Mann im Team der Gastgeber, Linksverteidiger Benoît Assou-Ekotto zum erfolgreichen Abschluss aus etwa 16 Metern.
Einsnull, viertel Stunde vor Schluss, das muss es sein.
Von wegen. Wie von der Tarantel gestochen, beschloss die bis dahin überwiegend einigermaßen zuverlässig agierende Spurs-Abwehr sich in ihre Bestandteile zerlegen zu lassen.
Der alte Mann im Tor, Brad Friedel, konnte einem Leid tun: Zweikämpfe wurden nicht mehr angenommen, Gegner grundsätzlich nicht mehr gedeckt und Kopfballduelle grundsätzlich verloren. Sprints waren offenbar aus der Wertung, vor allem, wenn West Broms Lukaku teil nahm.
Die Folge war ein Chaos in der Defensive, das ich auf so einem Niveau selten sah.
Während Tottenhams Verteidiger zwei mal auf der Linie und ca sechs mal im Strafraum in höchster Not klärten, übernahm die West Brom Kurve das Kommando. Von den Heimsupporten war eigentlich nur noch Stöhnen, Ächzen und Seufzen zu vernehmen. Wenn überhaupt.
Klarer Fall: 90.Minute, rumms. Abstauber durch James Morisson. Einseins. Tobender Gästeblock, frustrierte Londoner.
Auch wir verließen das Stadion um fußballtypischen Beschäftigungen nachzugehen: Bier trinken, fluchen, rauchen. Das alles hat nämlich im Stadion keine Berechtigung.
Dafür war es ein Schnäppchen, wie mir Spurs-Supporter versicherten: 39 Pfund pro Karte auf der Gegentribüne Oberrang – für das bisschen Geld verzichte ich gerne auf ein Pint.









































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Toller Bericht aus der Premier League. Danke schön. Eindrucksvoll. Teilweise erschreckend, teilweise schön.

Aber eines frage ich mich immer noch... Warum sehen Engländer einfach aus wie Engländer? Die kann man von jedem Völkchen beim 1. Blick schon unterscheiden, so mein Gefühl.  
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schön der Hinweis, auf seine Sprache zu achten  
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thx man

Dich kammer schigge.  
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Toller Bericht. Danke.
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Ich bitte hiermit offiziell um Anpassung des Threadtitels:

Tottenham Hotspur FC vs West Bromwich Albion - so muss es heißen.  
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Sonntag ging übrigens Notting Hill Carnival los:

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Schöner Bericht. Danke.
Beneide Dich sowohl um den Nachmittag an der White Hart Lane als auch um den Abend in Notting Hill...

http://www.youtube.com/watch?v=oBKMsXMs8mc
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Misanthrop schrieb:
Schöner Bericht. Danke.
Beneide Dich sowohl um den Nachmittag an der White Hart Lane als auch um den Abend in Notting Hill...

http://www.youtube.com/watch?v=oBKMsXMs8mc


Dass ich das noch mal hören darf... *schwelg*
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P.S. Stand up, if you hate Arsenal...
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Schöner, interessanter Bericht. Danke!

The game is about glory.  
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prinzhessin schrieb:
The game is about glory.    



Das Zitat ist ja auch in seiner Gänze sehr nett und so wunderbar fußballromantisierend:
Danny Blanchflower schrieb:

"The great fallacy is that the game is first and last about winning. It's nothing of the kind. The game is about glory. It's about doing things in style, with a flourish, about going out and beating the other lot, not waiting for them to die of boredom.

Irgendwie erinnern mich die Spurs stets ein wenig an die Eintracht. Wahrscheinlich hab ich sie deshalb so ins Herz geschlossen.
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Die Spurs kann ich eigentlich nicht leiden.
Das war der erste englische Verein, den ich live im Stadion sah.
1982.
Wir verloren das Hinspiel 0:2; im Rückspiel führten wir rasch zwonull, ehe Glenn Hoddle wenige Minuten vor Schluss auf 1:2 verkürzte.

Wir waren raus aus dem EC der Cupsieger...
Im Gedächtnis blieben mir kurzbehoste und T-Shirt tragende Spurs-Fans, die ganz gut aufräumten unter unserern Buben.
Im Herzen bin ich bis heute Pompey-Supporter.
Aber das wäre wieder eine andere Geschichte.


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