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Es geht aufwärts auswärts!

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Hallo zusammen,

als Freund belangloser Statistiken habe ich mich mit folgendem Thema beschäftigt: Wie erfolgreich sind die Mannschaften in der Geschichte der 1. Fußball-Bundesliga auswärts?

Untersucht habe ich die letzten 49,5 Saisons der 1. Liga (die Daten stammen von http://www.bundesliga-statistik.de) und – der besseren Vergleichbarkeit halber – in allen Saisons die Zwei-Punkte-Regel angewandt (wie man der Tabelle entnehmen kann, begünstigt die Drei-Punkte-Regel Heimmannschaften, da die höhere Anzahl der Siege gegenüber den Auswärtsmannschaften stärker als bei der Zwei-Punkte-Regel ins Gewicht fällt).







Folgendes meine ich aus der Grafik herauslesen zu können:

[ulist]
  • Zwischen 1963 und 1968 werden auswärts knapp 35% der Punkte geholt.
  • Ab 1968 beginnt eine „Auswärts-Depression“: Bis 1973 geht es erst einmal bis auf unter 28% fast nur bergab.
  • Es folgen sehr wechselhafte Jahre
  • (u.a. mit dem „absoluten“ Tiefpunkt 1977/1978) bis 1982.
  • Dann geht es bis 1989 bergauf, wobei erstmals seit 1965 wieder mehr als 35% der Punkte auswärts erzielt werden.
  • 1990 werden das letzte
  • (?) Mal unter 35% erzielt; es folgen bis 2005 erneut wechselhafte Jahre, in denen mehrmals mehr als 40% Auswärtspunkte erreicht werden.
  • Ab 2005 werden nur einmal knapp weniger als 40% der Punkte auswärts erzielt. Das bisherige Maximum wird 2010 mit über 45% der Punkte erreicht.
  • [/ulist]
    Ich bin zwar kein Statistiker, aber seit Ende der 1970er Jahre scheint es mit einigen Schwankungen auswärts bergauf zu gehen. Der Heimvorteil kommt offenbar weniger als früher zur Geltung.

    Mich würde interessieren, woran das liegt; folgende Erklärungsversuche habe ich:

    [ulist]
  • Der durchschnittliche Bundesligaspieler ist professioneller geworden und weniger beeinflussbar durch subjektive Kriterien wie „Heimvorteil“, „Fan-Unterstützung“ usw.
  • Er stört sich immer weniger daran, Spiele zu verlieren, die man
  • (zumindest aus Fansicht) nicht verlieren „darf“ (z.B. das Heim-Derby gegen den ungeliebten Nachbarverein), sondern versucht, in allen Spielen (ob nun zu Hause, auswärts, auf neutralem Boden oder unter Ausschluss der Öffentlichkeit) sein Bestes zu geben.
  • Der durchschnittliche Support der Heim-Fans hat über die Jahre abgenommen und erzielt nicht mehr dieselbe unterstützende Wirkung wie früher.
  • Schiedsrichter bevorteilen Heimmannschaften weniger als früher.
  • Es treffen mehrere der o.g. Erklärungsversuche zu.
  • [/ulist]
    Was denkt ihr!? Gibt es u.U. sogar Untersuchungen (vielleicht auch in anderen Ländern, Sportarten, Ligen) zu dem Thema? Oder ist das alles Kaffeesatzleserei!?

    Viele Grüße,
    AigleSaoul
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    Überall wird mit dem gleichen Ball gespielt, die Qualität der Spielfelder wird sicherlich auch immer einheitlicher

    --> die Heimmannschaft hat nicht länger den Nennenswerten Vorteil "des Bekannten".


    Ggf. wird auch die Anreise zum Auswärtsspiel immer angenehmer gestaltet, die Reisestrapazen von Hamburg nach München waren vor 20,30 Jahren bestimmt größer und somit die Leistungsfähigkeit geringer.
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    Ein Beispiel für den Verlust der ehemaligen Heimstärke ist Lautern, in den 80ern wurde da so lange gespielt, bis wenigstens der Ausgleich da war. Oder die Schottischen Vereine z. B. Dundee United, früher fürchterlich heimstark, jetzt lau.
    Auch Roter Stern war früher ein Horrorspiel auswärts. Vielleicht ist es auch die bessere taktische Ausbildung, die eben ein so unter Druck geraten eher vermeiden kann.
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    Ich würds so erklären: das Leistungsvermögen der Bundesligavereine klafft immer weiter auseinander. Das hat zur Folge, dass die starken Teams nun auch auswärts vermehrt gewinnen, dass also "weichere" Faktoren wie z.B. die Unterstützung durch die Heimfans die immer größer werdenen Leistungsunterschiede nicht mehr zu auszugleichen vermag.
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    AigleSaoul schrieb:
    Mich würde interessieren, woran das liegt; folgende Erklärungsversuche habe ich:

    [ulist]
  • Der durchschnittliche Bundesligaspieler ist professioneller geworden und weniger beeinflussbar durch subjektive Kriterien wie „Heimvorteil“, „Fan-Unterstützung“ usw.
  • Er stört sich immer weniger daran, Spiele zu verlieren, die man
  • (zumindest aus Fansicht) nicht verlieren „darf“ (z.B. das Heim-Derby gegen den ungeliebten Nachbarverein), sondern versucht, in allen Spielen (ob nun zu Hause, auswärts, auf neutralem Boden oder unter Ausschluss der Öffentlichkeit) sein Bestes zu geben.
  • Der durchschnittliche Support der Heim-Fans hat über die Jahre abgenommen und erzielt nicht mehr dieselbe unterstützende Wirkung wie früher.
  • Schiedsrichter bevorteilen Heimmannschaften weniger als früher.
  • Es treffen mehrere der o.g. Erklärungsversuche zu.
  • [/ulist]


    Interessante Geschichte.

    Deinen Erklärungsversuchen würde ich mal zustimmen.
    Punkt 2 lässt sich wohl in der auch angegebenen Erklärung "zunehmende Professionalisierung" zusammenfassen.
    Punkt 3 würde ich näher differenzieren:
    a) Zunahme des Event-Publikums, das die Spiele weitgehend emotionslos betrachtet und keine "Hexenkessel"-Atmosphäre entstehen lässt
    b) Zwar zunehmender Support der Kurven, allerdings weniger spielbezogen als früher und somit mit weniger Einfluss auf das Spielgeschehen (zB SR).

    Nochmal: interessante Geschichte. Hut ab.  
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    ich denke die ingesamt besseren schiris sind da sehr wichtig.
    es gibt nicht mehr die stadien wie früher den betze, wo oft mal einer des auswärtsteams vom feld musste oder eben im zweifel fürs heimteam gepfiffen wurde.

    und die tücken des eigenen rasens gibt es eben so auch nicht mehr, den eigenen ball, alles dinge, die mal kleine vorteile waren.

    der eigene ball, ...
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    Danke erst einmal für die Statistik. Natürlich kann man schon erahnen warum die Leistungsfähigkeit auswärts besser geworden ist. Es wurden ja schon einige Sachen angesprochen.
    Die Auswärtsfahrten sind für Spieler einfach viel angenehmer und gemütlicher gestaltet, als noch vor 20 oder 30 Jahren.

    Auf jeden Fall kann man hier nun viel darüber noch reden.


    MfG
    Denis
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    Vielen Dank schon mal für eure Antworten!  

    Die genannten Erklärungen kann man folgendermaßen kategorisieren:

    • Zunehmende Professionalisierung der Spieler
    • (z.B. geringere Anfälligkeit für gegnerische Stimmung)
    • Mehr Chancengleichheit durch zunehmende Angleichung der Spiel-
    • (z.B. gleicher Ball, Rasenqualität, objektivere Schiedsrichter) und Reisebedingungen (z.B. komfortableres Reisen)
    • Angenehmere Reisebedingungen
    • (u.U. auch bessere finanzielle Möglichkeiten? Aber das ist ein weites Feld...) für Auswärtsfans, so dass sie aktiver supporten können und auch zahlreicher als früher vertreten sind.
    • Geringere Effektivität des Supports der Zuschauer
    • (höherer Anteil an Event-Fans, weniger spielbezogener Support), so dass der Vorteil der größeren Fan-Anzahl im Stadion für die Heimmannschaft abnimmt
    • Bessere taktische Ausbildung
    • (man läuft auswärts weniger häufig ins offene Messer)

    Die von Haliaeetus geäußerte Vermutung (das Leistungsvermögen der Bundesligavereine klafft immer weiter auseinander => mehr Auswärtssiege starker Teams) könnte man nach Festlegung des Kriteriums "starkes Team" näher untersuchen!

    Viele Grüße,
    AigleSaoul
    #
    AigleSaoul schrieb:
    Vielen Dank schon mal für eure Antworten!  

    Die genannten Erklärungen kann man folgendermaßen kategorisieren:

    • Zunehmende Professionalisierung der Spieler
    • (z.B. geringere Anfälligkeit für gegnerische Stimmung)
    • Mehr Chancengleichheit durch zunehmende Angleichung der Spiel-
    • (z.B. gleicher Ball, Rasenqualität, objektivere Schiedsrichter) und Reisebedingungen (z.B. komfortableres Reisen)
    • Angenehmere Reisebedingungen
    • (u.U. auch bessere finanzielle Möglichkeiten? Aber das ist ein weites Feld...) für Auswärtsfans, so dass sie aktiver supporten können und auch zahlreicher als früher vertreten sind.
    • Geringere Effektivität des Supports der Zuschauer
    • (höherer Anteil an Event-Fans, weniger spielbezogener Support), so dass der Vorteil der größeren Fan-Anzahl im Stadion für die Heimmannschaft abnimmt
    • Bessere taktische Ausbildung
    • (man läuft auswärts weniger häufig ins offene Messer)

    Die von Haliaeetus geäußerte Vermutung (das Leistungsvermögen der Bundesligavereine klafft immer weiter auseinander => mehr Auswärtssiege starker Teams) könnte man nach Festlegung des Kriteriums "starkes Team" näher untersuchen!

    Viele Grüße,
    AigleSaoul


    Gut zusammengefasst!  

    Zu Punkt 5 wäre in der Klammer noch einiges mehr zu sagen. Insgesamt ist die Palette taktischer Möglichkeiten auswärts für die Trainer wesentlich größer als früher. Das hängt u.a. damit zusammen, dass eine Stammbesetzung aufgrund der umfassenderen Ausbildung der Spieler viel flexibler agieren kann als früher.

    Konkret: ein guter AV war früher ein guter AV, und fertig. Heute ist er auswärts eine Konterwaffe. Ein Trainer kann also heute mit demselben Spieler verschiedene Taktiken fahren.

    Vielleicht ein unpassender Vergleich, man möge ihn mir verzeihen: Bernd Nickel und Alex Meier. Man stelle sich vor, Dr. Hammer hätte auswärts solch ein Pressing gespielt, wie es für Alex selbstverständlich ist.
    #
    Folgende Hypothese bedürfte zwar ebenfalls einer eigenen empirischen Untersuchung, aber da Herry sie bestimmt gut finden würde, äußere ich sie trotzdem mal:

    Die Schere zwischen Groß und Klein ist größer geworden.

    Ich versuch es mal am Branchenprimus etwas plakativ zu erklären. Früher hat Bayern halt seine Heimspiele gewonnen. Spielte auswärts ab und zu mal unentschieden aber verlor auswärts trotzdem hin und wieder. Bei einer relativ ausgeglichenen Liga spielte der Heimvorteil vllcht dann den entscheiden positiven Effekt.

    Heute ist der Leistungsunterschied zwischen Spitzenteams und Mittelfeld- bzw. kleinen Teams (zumindest gefühlt) deutlich größer. Bayern gewinnt seine Heimspiele, gewinnt aber in der Regel auch viele seiner Auswärtsspiele.

    Wie gesagt, dies bedürfte ebenfalls eigene Empirie. Trotzdem mal drei Auffälligkeiten, die mich zur Aufstellung dieser Hypothese bewegen.

    1. Letztes Jahr stellte Dortmund bereits einen neuen Punkterekord auf. Es scheint allerdings nicht sehr unwahrscheinlich, dass Bayern dieses Rekord direkt in der Folgesaison wieder knacken könnte. 2 aufeianderfolgende Rekordjahre bei einer immerhin 50 jährigen Buli-Geschichte könnten dementsprechend für diese Entwicklung sprechen.

    2. Vor unseren Spielen gegen die Bayern kann man immer wieder davon lesen, was für eine Festung wir früher gegen sie waren und quasi fast 2 Jahrzehnte heim nicht gegen sie verloren haben. Natürlich trägt unsere eigene (nicht immer positive) Entwicklung dazu bei, dass diese Statistik wie ein Relikt aus der Zeit der Großeltern wirkt, aber ist eine ähnliche Statistik heute für ein Mittelfeld-Team noch vorstellbar? Also dass diese fast 2 Jahrzehnte gegen einen absoluten Topclub ungeschlagen sind? Ich würde es bewezifeln.

    3. Eigentlich reichen in den letzten Jahren tendenziell weniger Punkte zum Klassenerhalt.  Auch dies bräuchte eine empirische Unterfütterung. Aber die häufig kolportierten 40 Punkte sind nur sehr selten zum Klassenerhalt zu erreichen. Die Mannschaften unten gewinnen halt nichtmal mehr ihre Heimspiele und geben die Punkte an die Auswärtsteams ab.

    Sind natürlich vornehmlich subjektive Empfindungen. Zudem ist zu bedenken, dass in einer früheren wohlmöglich ausgeglicheneren Liga ein Mittelfeld-Team auch besser mal auswärts beim Spitzenteam punkten konnte, als in der jetzt angenommen stärker differenzierten Liga. Vermute aber, dass diese Effekte nicht so stark sind, wie die vorher beschriebenen.

    Sportliche Grüße,
    Okocha-Flix
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    Vielleicht liegt´s am Klimawandel? ,-)


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