Liebe Eintrachtler, zunächst einmal herzlichen Dank an die vielen vielen Besucher der Stolpersteinverlegung. Über 80 Menschen gedachten unserem ehemaligen Schatzmeister und dessen Eltern. Unter den Gästen waren neben Präsident Peter Fischer auch Dieter Lindner von der 59er Meistermannschaft und Walter Kellerhoff, dessen Vater Bernhard zur 1932er Endspielmannschaft gehörte und -wie so viele andere dieser Truppe auch - beim "Schlappeschneider" angestellt war. Die kleine Ansprache von Ingeborg Wilcke während der Verlegung war sicher nicht für alle Gäste zu hören. Frau Wilcke hat eingewilligt, dass wir Ihre Rede hier im Internet noch einmal veröffentlichen. Daher zum Abschluss noch einmal Ihre Worte (Achtung: Der vollständige Name von Max Reiss war lt. Hausstandsbuch/Adressbuch "Moses Max". Auf den Stolpersteinen ist leider nur der erste Name Moses und nicht der Rufname eingeschlagen. Wir bleiben jetzt aber beim Rufnamen Max).
"Max und Jette Reiss, geb. Neuburger Vielleicht - ich weiss es wirklich nicht mehr - lernte ich das alte Paar bei seinem gelegentlichen Besuch um Marbachweg 318 kennen. Dort wohnten Emil und Beate Lappe mit zwei halbwüchsigen Buben. Es war eine nach damaligen Gesetzen "gemischte Ehe": ein "arischer" Mann, eine "jüdische" Frau, die erst durch die Gesetze so abgestempelt wurde, denn sie war nach der zweiten Ehe ihrer Mutter samt deren weiterer Kinder getauft und konfimiert. Die kleinen Lappens waren ebenfalls getauft. Beate Lappe hatte einst in Berlin mit meiner Mutter in einer Schulbank gesessen, plötzlich waren sie einander in Frankfurt wieder begegnet. Lappes erlebten alle verschiedenen Möglichkeiten einer "Mischehe", denn an ihrer Ehe hielten sie fest: Beate musste keinen Stern tragen, die Jungen mussten ohne Abitur von der Schule abgehen, waren nicht wehrwürdig, doch durften bei der "Organisation Todt" Luftabwehrstellungen bauen helfen. Am Ende wurde Beate in das Vorzeige-Ghetto Theresienstadt deportiert, wo gelegentlich das Schweizer Rote Kreuz Besuch machte, und nach der Befreiung durch die Russen konnte sie zu Fuß heimwärts laufen. Ein vollgepackter VW-Käfer mit einer lieben Dame und deren Sohn fischte sie auf: Käthe Kruse, die danach ihre Puppen in der Bundesrepublik herstellte. Im Marbachweg 318 trafen ab Sommer 1939 die ersten und bald auch letzten Briefe aus Chile ein, wo Hugo und Kathi in einem Fremdenpensionszimmer wohnten und versuchten, Geld zu verdienen. Meine Mutter hatte noch in Paris ein Kosmetikexamen abgelegt, nachdem sie den Kurs in Mailand absolviert hatte, sie kam im Salon von Wiener Emigranten unter. Hugo lernte verzweifelt spanisch, um wieder als Lederkaufmann unterzukommen. Nach einigen Monaten brach die Postverbindung ab, man konnte nur über das IRK in Genf Formulare für 25 Wörter verschicken. Schmerzlich und deutlich erinnere ich, wie ich Max und Jette in einem sogenannten "Judenhaus" in Bockenheim besuchte - eigentlich, weil Emil seiner Frau verbot, dorthin zu gehen: Sie selber waren schon so gefährdet! So ging ich, an einem dunklen Abend, mit ein paar Lebensmitteln in einer Tasche. Es war eine große Wohnung, doch in jedem Zimmer hauste zwischen gepackten Koffern, ein Paar, Küche und Bad musste gemeinsam benutzt werden. Die Koffer gepackt, weil man die Sachen nicht unterbringen konnte und womöglich auch deportiert wurde. Doch Reissens hatten über die verstorbene Tochter eine Enkelin Vera, die im jüdischen Gemeindebüro arbeitete und - so schrecklich uns das heute auch anmutet - die Deportationslisten zusammenstellen musste. Sie hatte den Großeltern versichert, sie kämen nicht dran. Vera stammte aus der geschiedenen Ehe der Eltern und hatte noch eine jüngere Schwester, der Vater lebte seit Jahren in Bukarest. Vera und er hatten ausgekundschaftet, organisiert, durchgeführt, dass sie -ich glaube für tausend Mark- von Frankfurt nach Bukarest gebracht wurde. Nach dem Krieg hat Hugo diese Nichte ausfindig gemacht, sie hatte ihr Leben in Rumänien gefunden - der Kontakt erlosch dann wieder. Von Vera erinnere ich noch, dass sie sich verzweifelt bei Lappes meldete - ohne ihr Wissen waren die Großeltern auf die Liste gekommen! Vera ist bald darauf auch nicht mehr telefonisch bei den Lappes aufgetaucht, und ich kenne nicht mal ihren Familiennamen. Aus dem Ghetto Litzmannstadt schickten Reissens noch einige Briefe an Lappes, in denen sie um Geldscheine baten. Der Briefumschlag war aufsehenerregend: "Ghetto Litzmannstadt". Lappes schickten Grüße und Geld. Von Vera hörten sie nichts mehr. Und dann schrieb Jette auch nicht mehr aus Litzmannstadt. Litzmannstadt war vorher und ist heute wieder Lodz." Ingeborg Wilcke, 03. Juni 2011
Schnix25 schrieb: Ich bin sehr froh, dass ich dabei war. Es war sehr ergreifend und interessant. Unser Herr Fischer hat sehr gut gesprochen.
Danke an alle Beteiligten.
Genauso haben meine Kinder und ich es auch erlebt. Ein Team vom HR war da, vielleicht kommt gleich etwas in der Hessenschau. Danke, Matthias - sehr wichtig das!
Der Bericht war wirklich gut gemacht (ich war nicht zu sehen smile: Schön, wie Matthias nochmal alles erklärt hat und von der Schlappefabrik geprochen hat. Danke!
zunächst einmal herzlichen Dank an die vielen vielen Besucher der Stolpersteinverlegung. Über 80 Menschen gedachten unserem ehemaligen Schatzmeister und dessen Eltern. Unter den Gästen waren neben Präsident Peter Fischer auch Dieter Lindner von der 59er Meistermannschaft und Walter Kellerhoff, dessen Vater Bernhard zur 1932er Endspielmannschaft gehörte und -wie so viele andere dieser Truppe auch - beim "Schlappeschneider" angestellt war.
Die kleine Ansprache von Ingeborg Wilcke während der Verlegung war sicher nicht für alle Gäste zu hören. Frau Wilcke hat eingewilligt, dass wir Ihre Rede hier im Internet noch einmal veröffentlichen. Daher zum Abschluss noch einmal Ihre Worte (Achtung: Der vollständige Name von Max Reiss war lt. Hausstandsbuch/Adressbuch "Moses Max". Auf den Stolpersteinen ist leider nur der erste Name Moses und nicht der Rufname eingeschlagen. Wir bleiben jetzt aber beim Rufnamen Max).
"Max und Jette Reiss, geb. Neuburger
Vielleicht - ich weiss es wirklich nicht mehr - lernte ich das alte Paar bei seinem gelegentlichen Besuch um Marbachweg 318 kennen. Dort wohnten Emil und Beate Lappe mit zwei halbwüchsigen Buben. Es war eine nach damaligen Gesetzen "gemischte Ehe": ein "arischer" Mann, eine "jüdische" Frau, die erst durch die Gesetze so abgestempelt wurde, denn sie war nach der zweiten Ehe ihrer Mutter samt deren weiterer Kinder getauft und konfimiert. Die kleinen Lappens waren ebenfalls getauft. Beate Lappe hatte einst in Berlin mit meiner Mutter in einer Schulbank gesessen, plötzlich waren sie einander in Frankfurt wieder begegnet. Lappes erlebten alle verschiedenen Möglichkeiten einer "Mischehe", denn an ihrer Ehe hielten sie fest: Beate musste keinen Stern tragen, die Jungen mussten ohne Abitur von der Schule abgehen, waren nicht wehrwürdig, doch durften bei der "Organisation Todt" Luftabwehrstellungen bauen helfen. Am Ende wurde Beate in das Vorzeige-Ghetto Theresienstadt deportiert, wo gelegentlich das Schweizer Rote Kreuz Besuch machte, und nach der Befreiung durch die Russen konnte sie zu Fuß heimwärts laufen. Ein vollgepackter VW-Käfer mit einer lieben Dame und deren Sohn fischte sie auf: Käthe Kruse, die danach ihre Puppen in der Bundesrepublik herstellte.
Im Marbachweg 318 trafen ab Sommer 1939 die ersten und bald auch letzten Briefe aus Chile ein, wo Hugo und Kathi in einem Fremdenpensionszimmer wohnten und versuchten, Geld zu verdienen. Meine Mutter hatte noch in Paris ein Kosmetikexamen abgelegt, nachdem sie den Kurs in Mailand absolviert hatte, sie kam im Salon von Wiener Emigranten unter. Hugo lernte verzweifelt spanisch, um wieder als Lederkaufmann unterzukommen. Nach einigen Monaten brach die Postverbindung ab, man konnte nur über das IRK in Genf Formulare für 25 Wörter verschicken.
Schmerzlich und deutlich erinnere ich, wie ich Max und Jette in einem sogenannten "Judenhaus" in Bockenheim besuchte - eigentlich, weil Emil seiner Frau verbot, dorthin zu gehen: Sie selber waren schon so gefährdet! So ging ich, an einem dunklen Abend, mit ein paar Lebensmitteln in einer Tasche. Es war eine große Wohnung, doch in jedem Zimmer hauste zwischen gepackten Koffern, ein Paar, Küche und Bad musste gemeinsam benutzt werden. Die Koffer gepackt, weil man die Sachen nicht unterbringen konnte und womöglich auch deportiert wurde. Doch Reissens hatten über die verstorbene Tochter eine Enkelin Vera, die im jüdischen Gemeindebüro arbeitete und - so schrecklich uns das heute auch anmutet - die Deportationslisten zusammenstellen musste. Sie hatte den Großeltern versichert, sie kämen nicht dran. Vera stammte aus der geschiedenen Ehe der Eltern und hatte noch eine jüngere Schwester, der Vater lebte seit Jahren in Bukarest. Vera und er hatten ausgekundschaftet, organisiert, durchgeführt, dass sie -ich glaube für tausend Mark- von Frankfurt nach Bukarest gebracht wurde. Nach dem Krieg hat Hugo diese Nichte ausfindig gemacht, sie hatte ihr Leben in Rumänien gefunden - der Kontakt erlosch dann wieder. Von Vera erinnere ich noch, dass sie sich verzweifelt bei Lappes meldete - ohne ihr Wissen waren die Großeltern auf die Liste gekommen! Vera ist bald darauf auch nicht mehr telefonisch bei den Lappes aufgetaucht, und ich kenne nicht mal ihren Familiennamen.
Aus dem Ghetto Litzmannstadt schickten Reissens noch einige Briefe an Lappes, in denen sie um Geldscheine baten. Der Briefumschlag war aufsehenerregend: "Ghetto Litzmannstadt". Lappes schickten Grüße und Geld. Von Vera hörten sie nichts mehr. Und dann schrieb Jette auch nicht mehr aus Litzmannstadt.
Litzmannstadt war vorher und ist heute wieder Lodz."
Ingeborg Wilcke, 03. Juni 2011
Genauso haben meine Kinder und ich es auch erlebt.
Ein Team vom HR war da, vielleicht kommt gleich etwas in der Hessenschau.
Danke, Matthias - sehr wichtig das!
Schön, wie Matthias nochmal alles erklärt hat und von der Schlappefabrik geprochen hat.
Danke!
http://www.hr-online.de/website/rubriken/sport/index.jsp?rubrik=7454&key=standard_kolumne_41690685&mediakey=fs/hessenschau/20110603_1930_vertrieben&type=v