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Wellnhofer

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Eine aberwitzige Abwehrschlacht, Bayern-Chancen am Fließband und zwei glückliche Fügungen zum Pokaltriumph! Augenaufschlag, hochschrecken und kurz kneifen. War das ein Traum?
Anfang März musste ich feststellen: Ja, es war nur ein Traum, was sich da gerade mindestens so echt wie die Wirklichkeit angefühlt hatte. Weit weg von der nachher tatsächlichen Finalpaarung Bayern-Eintracht spielte mir da der schläfrige Kopf einen Streich. 2:0 Pokaltriumph, Doppelpack Marius Wolf, einmal kurz vor der Pause nach Ecke und einmal kurz nach der Pause nach Fabel-Konter. Der Rest verzweifelnde Bazis und die lachende Spinne im Kasten.
Tja, schön wäre es gewesen, wenn es nicht nur ein Traum wäre...

Seit gut 25 Jahren verfolge ich nun höchst intensiv die Eintracht. In meiner Heimat Sachsen ist man damit ein Exot. in der bitteren Realität bedeutete das 25 Jahre belächelt werden von - natürlich - meist seelenlosen Bayern- oder Dortmund-Anhängern. Abstieg, 2. Liga, graue Maus, egal. Auf eines konnte man sich stets verlassen, der mitleidig-angewiderte Blick von Kumpels, Kollegen und Bekannten war immer gewiss. Eintracht-Fan? Warum das denn?
Schuld ist mein Onkel, der sich in der DDR die Sportschau anschaute und seine Mannschaft nach den schönsten Trikots auswählte. Mir schenkte er zum sechsten Geburtstag einen rot-schwarzen Schal, womit es um mich geschehen war. Eintracht!

Nun also das nächste Kapitel: Berlin! Zum zweiten Mal nacheinander, was im bescheidenen Eintracht-Kosmos im Konzert der explodierenden Geldspeicher-Klubs sowieso schon kaum zu fassen war. Das Finale 2017 war in seiner Intensität kaum zu toppen. Ein großes Erlebnis, was nur darin getrübt war, dass es die Eintracht  gegen diesen BVB doch wirklich hätte schaffen können, wenn nicht sogar müssen. Nun, gegen die übermächtigen Bayern schien das doch mehr oder weniger unmöglich. Gerade auch für mich persönlich war es im Vorfeld nicht unbedingt das beste Gefühl. In der Kovac-Ära war ich bei acht Partien live dabei und es gab dabei platschende acht Niederlagen. Die letzte am 34. Spieltag auf Schalke. Wer dabei war, wird bestätigen, dass das nicht unbedingt der beste Heißmacher auf ein Pokalfinale gewesen ist.

Mit diesem wahrlich bescheidenen Gefühl trat ich den Weg nach Berlin an. Am Donnerstag, dem Vorabend der Abreise, kehrte sich die miese Erwartung jedoch urplötzlich in eine positive Richtung. Ich weiß nicht warum, aber von diesem Moment an, war mir irgendwie klar, dass wir nicht verlieren können. Ich kann mir nicht erklären, woher es kam, aber es war da und ging nicht mehr weg. Vielleicht erinnerte ich mich auch an den Beitrag des HR, der zum Saisonstart ausgestrahlt wurde. Da besuchte eine Redakteurin eine Wahrsagerin, die ihr Pendel zu den Geschicken der Eintracht 2017/18 schwenkte. Bei der Frage nach dem erneuten Pokalfinale schwang das Pendel schnurgerade nach links und die gute Frau meinte felsenfest: "Ja, das klappt!" Ob es denn auch zum Sieg reiche, wollte die Reporterin noch wissen. Darauf drehte das Pendel hin und her, ohne sich recht zu entscheiden. Nach ewigen Sekunden war die Wahrsagerin ganz verblüfft, denn so etwas würde wohl nur sehr selten geschehen. Letztlich schien ihr ein sehr knappes Ergebnis voller Zittern vorzuschweben, was das bessere Ende für die Eintracht haben könnte, aber sicher sei das nicht.

Wie dem auch sei, ich fuhr an den Rand Berlins, in die Provinz an einen See. Zum Pokalsamstag ging es sehr früh raus und direkt beim Aufwachen war dieses unbeschreiblich gute Gefühl immer noch da: Heute geht was! Per Bahn ging es in die Hauptstadt und das erste Ziel sollte natürlich der Eintracht-Kahn für die Spreerundfahrt sein. Diesen erwischte ich auch gerade so um 9:30 Uhr und hopste noch auf den letzten Drücker vor Ablegen auf das Schiff. Allein das war schon etwas besonderes, mit gut 200 singenden Eintracht-Fans durch die gerade erwachende und noch schläfrige Stadt zu schippern. Ein absoluter Genuss bei phänomenalstem Sonnenschein!
Die weiteren Stationen im Anschluss waren die Bustour und das Fest am Breitscheidplatz. Gerade für jemanden, der dieses hessische Lebensgefühl nur selten erlebt, war es etwas tolles, das Gebabbel und natürlich auch den Stolz und die Freude der Ur-Eintrachtler mitzuerleben. Ich habe vor den Spielen mit so vielen gesprochen und nahezu alle waren der Meinung: "Ja, es wäre unglaublich, wenn wir das Ding holen, aber die Bayern..."

Auf der anderen Seite die überheblichen, übersättigten Lederhosen, die diese angespannte Vorfreude auf ein Finale wohl nicht mehr so intensiv wahrnehmen wie unsereins. Meine liebste Szene vor dem Spiel fand in der Bahn zum Olympiastadion statt. Zwei Bayern-Schnarchnasen beschallten das ganze Abteil, ehe sie von immer mehr Frankfurtern nach kurzem Zögern in Grund und Boden gesungen wurden.
Im Stadion war bereits anderthalb Stunden vor Anpfiff eine wahnsinnige Anspannung zu spüren. Ich fand es gegen den BVB schon extrem aufgeladen, doch diesmal kam es mir noch eine Spur schärfer vor. Beim Einlaufen der Torhüter reichte die Gänsehaut bereits unters Dach. Das ganze Programm bis zum Anstoß stand dem in nichts nach. Was soll man sagen, an diesem Tag direkt am Puls dieses Vereins zu sein, war etwas ganz besonderes.

Als das Spektakel dann begann, war sofort klar, dass es hier keinen Bayern-Spaziergang geben würde. Mit dieser Körperlichkeit, diesem Gift und dieser Galle der Eintracht-Elf konnte doch fast nichts schief gehen. Als Rebic dann tatsächlich zur Führung traf, war das Ganze dennoch unwirklich. So viel jubelnde und gleichzeitg wie vom Blitz getroffene, ungläubige Gesichter habe ich wohl noch nie gesehen. Für mich fühlte sich die Zeit bis zur Halbzeit dann einfach nur quälend lang an. Ich rechnete praktisch sekündlich mit dem Ausgleich, das Herz pochte am Anschlag und die Stimme versagte schon langsam ihren Dienst. Die Pause war für mich dann tatsächlich eine Pause, um erstmal darauf klar zu kommen, dass die Eintracht wahrhaftig führt und nur noch einmal so lang durchhalten muss, um das Ding zu gewinnen.

In der zweiten Halbzeit fiel dann der Ausgleich für mich aus dem Nichts. Ich fand den Start der Eintracht nämlich sehr mutig und sehr souverän. So schlich sich der Gedanke an, dass es nun wie immer laufen würde: Die Bayern fangen an, spielen sich den Gegner her und würgen ein Tor nach dem anderen rein. Zehn Minuten sah das ja auch im Ansatz so aus, doch dann kam für mich der Wendepunkt, als sich die Eintracht mit drei-vier Ecken in Folge wieder befreite. Guzmans Animierung direkt in die Kurve in meine Richtung war eine Initialzündung, die auch die Kurve wieder straffte. Spätestens bei Hasebes Monstergrätsche - die mir insgesamt fast zu wenig gewürdigt wurde - war wieder alles offen. Beim zweiten Tor von Rebic bin ich förmlich durchgedreht. Diese unfassbare Aktion mit einem Sprint und dem eingesprungenen Grätsch-Heber zog mir alle Sicherungen. Als das Tor noch einmal überprüft wurde, bin ich regelrecht zusammengesackt und musste mich erstmal auf die Treppe neben meinem Platz legen. An den Rest bis zum Jahrhundert-Lauf von Gacinovic kann ich mich kaum noch erinnern. Ich habe einfach nur geschrien und wie wild an meinen Klamotten gezogen, weil ich wollte, dass dieses Spiel abgepfiffen wird!

Der Schluss war eine unglaubliche Befreiung. In diesem Moment steckte so viel Genugtuung und so viel Freude für einfach alles, was man mit dieser Eintracht bisher mitgemacht hat. Ich hab im Umkreis von fünf Metern sicher jeden umarmt, abgeklatscht und geherzt. Mehr ging einfach nicht. Mit gewisser Ungläubigkeit hab ich dann gesehen, wie dieses goldene Ding von Spielern mit dem Adler auf der Brust in den Himmel gehoben wurde.
War das jetzt ein doch ein Traum? Das konnte doch nicht alles wahr sein!
Plötzlich stand dann auch noch Uwe "Zico" Bindewald vor mir! Was war hier eigentlich los? Natürlich musste ich auch ihn umarmen und fragen: "Ist das hier gerade alles wirklich passiert?" Zico sagte mit glänzenden Augen: "Ich bin mir auch nicht ganz sicher. Ein Wahnsinn!"