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On the way to find out - Outtakes (Juli - Dezember 2008)

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Wir schreiben den 18. Dezember im Jahr 2008. Die Hinrunde der Bundesligasaison ist abgeschlossen, auch die letzten UEFA-Cup-Spiele ohne einträchtliche Beteiligung sind abgeschlossen und über die Fußballstadien in Deutschland senkt sich weihnachtlicher Friede. Die Eintracht hat 19 Punkte geholt, steht auf Platz 12 der Tabelle, die Spieler und Trainer sind in den Weihnachtsurlaub aufgebrochen – nach Brasilien, Griechenland, Tschechien oder einfach nur nach Hanau. Auch das Forum der Eintracht-Fans kommt alllmählich zur Ruhe. Der große Caio-Thread mit 8845 Diskussionsbeiträgen und 396.000 Klicks wurde zu einem glorreichen Abschluss geführt, ein zweiter Erfolgs-Fred ist bereits in Vorbereitung. Aber bevor wir aufbrechen zu neuen Taten und Aufregungen, lasst uns einen Moment inne halten. Die Ereignisse der zurückliegenden 6 Monate ziehen vorbei….

Juni/Juli 2008

Das Auftakttraining der Eintracht haben meine Mit-Adler und ich in diesem Jahr leider verpasst, aber einige Tage später überzeugen wir uns persönlich davon,  dass Alex Meier während des Sommers zu einem Muskelpaket geworden ist, während Caio an anderen Körperstellen zugelegt hat. Die EM-Teilnehmer fehlen noch, der Trupp, der da trainiert, ist also sehr überschaubar, aber die Neuzugänge, zumindest die, die laufen können, sind dabei – Habib, Steini. Dazu ein paar Jungs aus der U23, allen voran Juhvel Tsoumou.  Alles fein, alles easy – aber schon bald tauchen erste Wolken am Horizont und die Friede-, Vorfreude-, Eierkuchen-Stimmung bekommt die ersten Dellen. Benni Köhler verletzt sich noch vor dem ersten Trainingslager am Sprunggelenk. Ümit Korkmaz, der seinen EM-Urlaub verkürzt und bereits in Zell am See zur Mannschaft stößt, bricht sich während einer seiner ersten Trainingseinheiten denMittelfußbruch. So ein Scheiß. Was für eine geniale EM hat der Bub gespielt. Genau so einen, können wir brauchen. Und jetzt das.

Bevor es überhaupt los geht mit der Saison, wird Caio bereits zum „Fall“. Beim  Laktattest schafft er es nicht, die als Belastungstraining vorgesehenen Runden durchzustehen. Friedhelm Funkel meint, es wird Wochen dauern, bis er sich an die Mannschaft herangearbeitet hat. „Salat für Caio, Schnitzel für uns. Wir sind alles Frankfurter Jungs.“ Am 22.7.08 wird der Caio-Thread im Eintracht-Forum eröffnet. Wer für Caio ist, ist gegen Funkel und umgekehrt. Ist das so? Anscheinend.

August

Trotz der Verletzten ist die Vorbereitung gut für die Eintracht gelaufen. Am ersten Augustwochenende steht mit dem Pokalspiel in  Pfullendorf das erste Pflichtspiel der Saison an und wird mit 3:0 gewonnen. Ohne Caio. Russ fliegt vom Platz, Liberopoulos und zwei Mal Chris treffen für die Eintracht. Alle freuen sich auf das letzte Testspiel gegen Real Madrid. Ja, schon, ich auch. Aber gegen drei, vier Spiele hier in der Gegend – sagen wir mal in Raunheim, Mörfelden, Michelstadt und Rödermark – würde ich dieses eine Spiel sehr gern tauschen. Irgendwie fehlt was, wenn die Saison so ganz ohne Tingeln über die Dörfer anfängt. Trotzdem. Raul, Robinho, van Nistelroy – wer würde die sich nicht gerne mal ankucken. Wir sind also dabei, klar.  Die Eintracht spielt gut, das Spiel endet 2:2. Nur schade, dass Caio wieder nicht mitgespielt hat,-). Trotzdem steigt die Hoffnung, dass eine richtig gute Saison vor uns liegt. Trotzdem verläuft unser Real-Abend vollkommen anders als gedacht. Während des Europa-Lieds kollabiert hinter uns ein Mann, das Rettungsgeschwader scheint ewig zu brauchen bis es am Ort des Geschehens ist. Schaum vorm Mund, Beatmung, Reannimation, Beatmungsgerät. Der Mann ist sehr dick, kann also nur schlecht weggetragen werden, wird zwischen den Sitzen, bei denen er zusammengesackt ist, herausgerollt und gezerrt. Alles direkt neben uns auf der Treppe, tausend Gefühle, zitterig, furchtbar, eben noch hektisch, froh, euphorisiert, babbelig, jetzt rausgerissen, entsetzt, um etwas gebracht, auf das man sich gefreut hat. Unterschiedlichste Reaktionen – hinter mir eine Gruppe älterer Männer, die auf das „Scheiß deutsche Rote Kreuz“ schimpfen, während der Rettungstrupp grad den Brustkorb des Mannes bearbeitet und schwitzt und fightet, vor mir jemand der meint „Warum schaffe se den dann net wenigstens hier fort?“ Oder ein anderer, ganz „cooler“:“Na, bumbt des Herz widder oder…grrk“ (mit entsprechender Geste am Hals). Nach einer halben Stunde wurde der Mann abtransportiert. Ein paar Tage später erfahren wir, dass er gestorben ist. Leben und Tod – alles nebeneinander, auch im Stadion.

Nur vier Tage später geht die Saison richtig los. Hertha kommt – ein guter Auftaktgegner. Nicht zu leicht, nicht zu schwer. Ich hatte keinen, aber wirklich keinen einzigen Gedanken daran verschwendet, dass wir eventuell verlieren könnten. Aber so war’s. Das Spiel – einfach nur desolat, hilflos, Hühnerhaufen. Keine spielerische Linie. 0:3. Wir haben keine, aber auch nicht die geringste Chance zu gewinnen. Wir spielen nicht mal richtig mit. Ein einziges Spiel und alles, was wir uns für die Saison erhofft hatten, scheint sich erst einmal in Luft aufgelöst zu haben. Die Stimmung im Stadion – ebenso merkwürdig wie im Forum. Kann das wahr sein? Caio  oder Friedhelm.  Konfetti oder United Colours. Alles wird zur Glaubensfrage. Which side are you on? Ich dachte, wir wären alle auf einer. Ernüchtert und ratlos traben wir in unseren United-Colours-Shirts zum Auto.

Eintrachtler ohne Stehaufmännchenqualität? Das ist ein Widerspruch in sich. Es kann ja gar nicht sein, dass die Mannschaft das, was sie kann, was sie in der Vorrunde der letzten Saison gezeigt hat, verlernt hat. Wir haben gegen Hertha Scheiße gespielt. Wir haben verloren – und jetzt fahren wir nach Köln und gewinnen eben dort. Das gelingt nicht ganz – aber immerhin einen Punkt bringen wir mit. Das Spiel weit entfernt von gut, aber immerhin Ansätze sind erkennbar. Caio darf eine halbe Stunde mitspielen und macht seine Sache ganz ordentlich. Normal halt. Ein Spieler unter 15 anderen. Vielleicht wird ja doch noch alles gut. Held des Spiels ist Oka, der (oder war’s doch der Pfosten) einen Elfer abwehrt und einen höheren Rückstand vor der Pause verhindert. Während des Spiels findet die Pokalauslosung statt – per SMS erfahren wir den nächsten Gegner: Rostock. Zuhause. Das ist fast wie ein Freilos – da sind wir praktisch jetzt schon in der nächsten Runde. Auf der Heimfahrt, auf dem Stau im Autobahnzubringer, entdecken wir ein Auto mit Koblenzer Kennzeichen, darin ein bekanntes Gesicht. „Mensch, das ist doch…“ Ja, er ist es wirklich: Du Ri Cha. Unser Du Ri. Der war wohl auch beim Spiel. Wir singen, winken, schwenken unsere Eintrachtschals. Du Ri grinst zu uns herüber.

In der Folgewoche steht gleich das nächste Auswärtsspiel an, dieses Mal in Wolfsburg. Der Aufwärtstrend scheint sich zu bestätigen. Durch Ama gehen wir in Führung, geraten dann zwar noch in Rückstand, aber Toski gleicht 5 Minuten vor Schluss wieder aus. 2:2. Cool.  Die Auswärtsadler berichten von dem gigantischen Support, von auch nach dem Spiel nicht enden wollenden Gesängen im Stadion, von neid- und respektvollen Wolfsburgern. Trotzdem auch nach diesem Spiel wieder ein Wermutstropfen: Ama ist verletzt. Der Oberschenkel. Wenigstens auf unser Verletzungspech können wir uns in dieser Saison verlassen. Trotzdem – am nächsten Spieltag 3 Punkte gegen Karlsruhe und wir sind wieder in der Spur.

…mmh….Das hab ich damals wirklich gedacht. Aber es sollte ganz anders kommen. Madonna erscheint im Waldstadion und hinterlässt weit mehr als einen ramponierten Rasen. Das Spiel gegen den KSC wird abgesagt und kann erst Ende Oktober nachgeholt werden.  Das tiefe Tal, durch das wir uns bis zum heutigen Tag streiten, hat gerade erst begonnen.

Das Spiel gegen den KSC-Spiel fällt zwar aus, trotzdem gibt es einen virtuellen Spielthread im Eintracht-Forum  Die Eintracht spielt im traditionellen rosa und die Gelbfüssler ohne Schuh. Sogar Madonna ist im Stadion. Und der 2:1 Sieg (sic!!) wird zum Glück gerade noch unter Dach und Fach gebracht, bevor das schwarze Loch das Waldstadion einsaugt und nur Caio entkommen kann. *grins*

September

Anfang September feiert Heribert Bruchhagen seinen 60. Geburtstag.  Fast scheint es so als seien die Würdigungen und Reden zu seinem Ehrentag so etwas wie das Raunen des Chors in der griechischen Tragödie. Etablieren im Mittelfeld. Schritt für Schritt. Jedes Jahr ein Stückchen nach oben. Mit den großen können wir nicht mithalten.  Da scheint was dran zu sein. Derzeit haben wir zwei Punkte und  stehen auf dem vorletzten Tabellenplatz. Die große, weite Welt des Fußball hat sich irgendwie von uns abgekoppelt. Im Forum hat wohl jemand auf den roten Selbstvernichtungsknopf gedrückt zu haben. Alles ist einfach nur zum Kotzen und wer trotzdem etwas Positives entdeckt, hat von Fußball keine Ahnung und ist ein Funkeljünger. Oder war es umgekehrt? Es gibt keinerlei Grund pessimistisch zu sein und wem trotzdem nicht alles gefällt, der soll doch gleich nach Hoppenheim gehen. Wie gut, dass trotzdem zumindest trainiert wird. Obwohl…ob das überhaupt richtiges Training ist, was die im Stadtwald so treiben, das ist doch sehr die Frage.

Die Eintracht verliert auf Schalke mit 1:0. Es war mehr drin. Aber is ja kein Wunder, wenn wir mit Mann und Maus den Rückstand verteidigen. Der Meier, die Kapp. Funkel-Liebling.  Mit dem Trainer kommen wir auf keinen grünen Zweig. Kein Konzept, kein Mumm. Graue-Maus-Feeling-Herbei-Babbler. Wieder ohne Caio.  Warum, weil, wie, aber, darum, sowieso, wie schon gesagt, trotzdem, so schon gar nicht, sowieso. Raus. Rein. Weg. Alle weg. Rhabarberrhabarberrhabarber.

Alex Meier hat bisher in keinem Saisonspiel überzeugen können. Im Training bricht die alte Verletzung wieder auf. Das Knie. Nicht daran zu denken, dass er in der Hinrunde noch einmal mitspielen kann.

Hatten wir in dieser Saison überhaupt schon mal ein Heimspiel? Lang ist es her – was für ein Glück, das jetzt die zweite Pokalrunde ansteht. Endlich wieder Fußball im Waldstadion. Ein Erfolgserlebnis wird uns gut tun. Ob das so gewesen wäre, werden wir leider nicht mehr überprüfen können. Gegen Rostock! Der Schock über den Spielverlauf, das Mitleid mit Caio, die Fassungslosigkeit über das Ausscheiden im Pokal wird bei nicht wenigen dadurch gedämpft, dass jetzt  die Hoffnung auf einen Rausschmiss Funkels steigt. Nur noch gegen Bielefeld verlieren, dann wird auch der langmütigste Heribert ins Wanken geraten. Aber wieder nix. Kopfballmonster Benni Köhler rettet kurz vor Schluss zumindest ein Unentschieden gegen die Arminen und wird dafür im Interview nach dem Spiel ausgepfiffen. Jetzt haben wir schon drei Punkte. Immerhin. Allerdings müssen wir in den nächsten Spielen auf Chris verzichten, der wegen eines Fouls an Westermann für drei Spieltage gesperrt wird.

Im Eintracht-Museum sind Alfred Pfaff und Jürgen Grabowskizu Gast und erzählen vom gepflegten Ball und aus ihrem Fußballerleben. Gut, sich daran zu erinnern, dass es andere, bessere Zeiten bei der Eintracht gab. Oder macht es das alles noch schlimmer?

Oktober

Im Land hat der Herbst Einzug gehalten. Die Börsen kollabieren. Politiker nutzen die schwarz gemalte Bühne, um sich in Szene zu setzen. Auch für die Eintracht nahen die Wochen der Wahrheit.  Ein Sieg gegen die doppeldenkenden  Hoppenheimer – nein, pardon: Gegen die 1899er – würde manche Wunde der vergangenen Wochen heilen. Maddin hat den Ausgleich in der letzten Minute auf dem Fuß. Er verschießt. Wir haben immer noch kein Spiel gewonnen, aber uns heute wenigstens ganz ordentlich aus der Affäre gezogen. Ordentlich aus der Affäre gezogen? Allein bei dieser Formulierung sitzen manche schon auf der Palme: Ordentlich. Im Rahmen unserer Möglichkeiten.  Wer sind wir denn, das wir uns mit so was zufrieden geben?

Andreas Hornung tritt als Fanbeauftragter Fanbeauftragter zurück. Das Eintracht-Archiv macht eine Denkpause. In der Woche vor dem Spiel gegen Leverkusen legen die Moderatoren des Eintracht-Forums ihre Arbeit nieder. Zu viele Sinnlos-Threads, Streitigkeiten, Beleidigungen, Zweit-, Dritt-, Viert-Nicks. Zufällige Parallität der Ereignisse. Trotzdem merkwürdig. Was als nächstes? Wer ist der letzte, der das Licht aus macht?

Alle Fasern meines Eintrachtler-Herzens richten sich auf das Spiel gegen Leverkusen, vielleicht denke ich deshalb an diesen Tag mit besonders großem Schrecken. 0:2. Obwohl Ama wieder dabei ist und Üüüüüümit in seinem ersten Spiel nach der Verletzung andeutet, was er kann - insgesamt einfach nur desolat und ernüchternd. Fast eine Kopie des Hertha-Spiels. Leverkusen knochentrocken, mit links, ohne richtig von uns gefordert zu werden. Die Stimmung im Stadion ätzend. Gleichgültig. Negativ. Caio und Funkel raus, sonst ist nicht viel. Ein guter Freund ist seit langer Zeit zum ersten Mal wieder mit uns im Waldstadion. Ich schäme mich. Bis hierhin war es mir gelungen mich dem allgemein herrschenden Es- muss-etwas-geschehen-Strrudel zu entziehen. Heute kapituliere ich. Bin traurig. Genervt. Depri. Hadere mit Friedhelm, dass er so ist, wie er ist. Sturkopp. Nie nicht. Keinen Millimeter abweichen. Macht er das jetzt aus Trotz? Könnte er nicht ein bisschen, wenigstens ein bisschen…? Mehr Unkonventionalität, mehr Mut? Caio der Heilsbringer? Ach was. Aber wenigstens spielen sollte er ab und zu dürfen. Schlechter als das, was da heute zu sehen war, kann er gar nicht sein.

Während die Mannschaft sich in einem Kurz-Trainingslager auf das Spiel gegen den KSC einstimmt, greift das Moderatorenteam im Forum, verstärkt durch fünf Neu-Mods, wieder ins Geschehen ein. Was für ein Glück. Und bitter nötig. Wurde bisher nur latent und sozusagen hinter vorgehaltener Hand gewünscht, dass die Eintracht gegen den KSC verlieren möge – jetzt wird es offen ausgesprochen. „Dann ist er wenigstens endlich weg“.Es geht nicht mehr um die Eintracht, es geht nur noch ums Recht haben und Recht behalten. Meine Nach-dem-Leverkusen-Spiel-Depression verwandelt sich in Wut. Was soll eigentlich diese ganze hausgemachte Unfug. Schluss jetzt damit. Aufstehen. Zusammen da wieder rauskommen!

Das Spiel gegen den KSC – ein wildes Gefühlschaos. Angespannt, nervös. Das 1:0 durch Maik Franz. Kann das wahr sein? Um uns herum gibt es nicht wenige, die frohlocken. Hoffnungslosigkeit. Starre.  Berappeln. Aufbäumen. Die Mannschaft gibt alles und will alles. Der Ausgleich, kurz vor Schluss.  Funkel-raus-Rufe. Kann nicht mehr an mich halten. Wir überschreienschreienschreien alles mit unseren „Eintracht, Eintracht!“-Rufen.  Nachspielzeit. Ama, der dieses Tor machen will und der es macht. In allerletzter Minute. Spielerjubelhaufen. Glück. Schweb. Hüpf. Freu. Schrei. Unser Kapitän, angeschlagen, schwer angeschlagen, wie sich später herausstellt – sein Tor in der letzten Minute. Für die Mannschaft. Wendepunkt. Stoff für Legenden.

Jetzt wird sich die Lage beruhigen? Im Gegenteil. Für die einen war es (Originalzitat eines Jung-Adlers) „das absolut geilste Spiel, das ich je im Stadion gesehen habe“, für die anderen ein spielerischer Tiefpunkt, ein Elend, dass man jetzt schon so weit ist, sich über einen solchen Sieg zu freuen und nur ein weiterer Grund, die fortgesetzte Misere zu beklagen. Porzellan geht kaputt. Wird wieder gekittet. Der Riss wird bleiben.

Neues aus dem Krankenlager: Ama fällt mindestens bis zur Rückrunde aus (Knorpelschaden im Knie). Auch Chris, der ja grade erst nach seiner Rotsperre ins Team zurückgekehrt war, wird länger ausfallen. Die Schulter.

Wieder nur drei Tage bis zum Spiel in Cottbus. Caio dieses mal von Anfang an, dafür muss Fenin draußen bleiben. Der frühe Rückstand. Trotzdem bin ich felsenfest davon überzeugt, dass wir dieses Ding heute nicht verlieren. Vor der Pause noch der Anschlusstreffer.  Üüüüüüüümit kommt nach der Pause, dann auch Fenin – und die beiden zusammen schaffen dann auch den Ausgleich. Ümit strauchelt, steht gleich wieder auf  und passt auf Martin. Toooor. Ein paar Minuten später Libero mit dem Kopf. Sieg. Sieg. Sieg. Wir haben das Spiel tatsächlich gedreht. Alllmählich kann man sich wieder trauen, auf die Tabelle zu schauen: 9 Punkte. Platz 12.

Keine Verschnaufpause. Wieder geht’s schon am Mittwoch weiter. Gegen die Bayern. Und es wird ein typisches Bayernspiel – eigentlich  nicht schlecht gespielt, geführt, aber dann waren da halt Ribery und Toni. 1:2. Egal. Abhaken.  In der Erinnerung haften bleibt das Spiel trotzdem. Am Wochenende zuvor ist ein Eintrachtler, Carsten, in seiner Wohnung erstochen worden. Die Gedenkminuten vor und nach dem Anpfiff werden zu einer Demonstration von Loyalität, Gemeinsamkeit, Eintracht. Drei Minuten Schweigen für die Ewigkeit. Auch der Bayern-Block hält sich daran. Anrührende, bleibende Momente.

November

Immer mehr Verletzte. Jetzt hat es auch Wuschu erwischt,  mit Knorpelschaden wird auch er mindestens bis zur Rückrunde ausfallen. Für die linke Außenbahn haben wir keinen Ersatz -  da muss also wieder mal der Benni ran.

Nächster Halt: Gladbach. Auch hier liegen wir schon früh zurück (fantastischer Flugkopfball von… Russ), auch hier heißt der Sieger am Ende Eintracht. Das Duo Korkmaz und Fenin schlägt wieder zu. Und kurz nach der Pause landet ein Freistoß von Steinhöfer auf Fink, der unbedrängt verwandelt. Die Gladbacher wehren sich nicht mehr richtig. 12 Punkte. Im Kid Klappergass-Blog Kid Klappergass-Blog habe ich getippt, dass wir bis zur Winterpause noch mehr als 20 Punkte holen. Mal sehen.

Die Chancen sinken als wir im nächsten Heimspiel gegen den VFB nur einen statt der fast schon sicheren drei Punkte holen. 2:0 haben wir geführt. Der Anschlusstreffer. Überflüssig. Noch vier Minuten. Gomez im Strafraum. Foul. Tor. Nein, der Schiri gibt es nicht. Durchschnaufen. Oder doch? Aufruhr. Diskussionen. Nach Rücksprache mit seinem Assi zeigt Rafati jetzt auf den Anstoßpunkt. Nach dem Abpfiff weicht die Empörung. Das Tor hätte nicht gegeben werden dürfen. Oder doch?  Na ja. Ok. Punkt ist Punkt. ( Ist schon mal jemandem aufgefallen, dass der Gomez  aus der Nähe betrachtet eine unglaublich merkwürdige Figur hat?  Hat er nämlich. Aber das tut hier natürlich eigentlich nichts zur Sache.)

Unterdessen eine eue Hiobsbotschaft vom Trainingsgelände. Könnte heulen. Ümit. Wieder verletzt. Wieder der Mittelfuß. Wie viel Pech kann ein Mensch haben?

Nach Dortmund fahren wir, um etwas zu holen. Die sind noch nicht so richtig in Fahrt. Die schwächeln. Wirklich? Gegen uns jedenfalls nicht. Mit einer 4:0-Klatsche fahren wir wieder heim. Gegen Hannover ist es jetzt schon wieder so weit, dass ein Sieg her muss. Trotzdem brechen meine Mit-Adler und ich merkwürdig entspannt auf in Richtung Frankfurt.Wird schon werden. Eins, zwei, drei, vier – dieses Spiel gewinnen wir. Genau so ist es.  Steinhöfer kommt immer besser in Fahrt und zeigt, was ein Spieler mit allerhöchstens Zweitliga-Niveau so alles drauf hat. Das griechisch-tschechische Traumduo. Liberopoulos/Fenin wird geboren. Was für Szenen: Libero, der Fenin für seine Vorarbeit dankt und ihm sein Tor schenkt.  Fenin, der unbedingt selbst ein Tor machen will und kurz vor Schluss tatsächlich noch trifft. Ochs, immer wieder Ochs. 0:4 und jetzt  4:0 – ein Hauch von Diva, wenn auch auf niedrigem Niveau. Der Abend wäre einfach nur schön, wenn ja wenn sich jetzt nicht auch noch Oka verletzt hätte. Der ewige und ewig unverletzte Oka – mehrere Monate Pause. So ein Elend.  Aber es gibt „Eintracht-Fans“, die sich sogar darüber freuen können. Unglaublich.

Das Spiel in Bremen gäbe Anlass zu vielfältigen Betrachtungen. Eine der beiden Mannschaften ist  auf dem Platz nicht vorhanden und verliert mit 0:5. Ich verbringe das Spiel zu Hause, zusammengekrümmt auf dem Sofa, mit einer Decke, die ich mir übers Gesicht gezogen habe, um weiteres Unheil – sprich: weitere Tore – nicht mit ansehen zu müssen. Nach dem Spiel tritt die Niederlage in den Hintergrund. Anruf aus Bremen. Ein offensichtlich noch unter Schock stehender Bremer Adler-Freund vermeldet, dass er eine Ladung Pfefferspray aus kürzester Distanz ins Gesicht bekommen hat. Waaaaaaaaaas? Warum? „Weil ich aus dem Block wollte.“ Fassungslosigkeit.  

Dezember

Die Ereignisse von Bremen lassen mehr als einen bitteren Nachgeschmack zurück.Trotzdem hat die 0-5-Schlappe auch das ohnehin bröckelige Stillhalteabekommen wieder zum Einsturz gebracht. Man kann in Bremen verlieren. Aber so?  

Fußball-Deutschland interessiert sich unterdessen ausschließlich für das Spitzenspiel der Liga, das am ersten Dezemberwochende in München stattfindet. Die TAZ (!) schwärmt  am Spieltag in einem Leitartikel von der schönen, neuen Fußballwelt. Endlich ist Fußball zum Sport für Ästheten geworden. Der graue Fußballalltag in der Liga, das Herumstümpern der Mannschaften – das ist nur etwas für Unverbesserliche, Fangesänge grölende Fahnenschwenker. Ein Spiel Bayern gegen Hoffenheim – das ist ein kulturelles Ereignis. Aha. Gut, dass das mal jemand auf den Punkt gebracht hat.

Wir unverbesserlichen Kulturbanausen stapfen bei nasskaltem Wetter trotzdem lieber unästhetisch ins Waldstadion und sehen zu, wie unsere Jungs ihr wieder gewonnenes Image als Graue-Maus-Diva pflegen. Bochum wird  klipp und klar  mit 5:0, sorry – es waren ja „nur“ 4– abgefertigt. Dabei hätte es ganz anders kommen können, wenn Sestak, gleich in der zweiten Minute, das Ding reingemacht hätte. Hätte, hat er aber nicht. Und deswegen läuft es rund für uns. Ein früher Elfer, Platzverweis für Fernandes. Fenin will schießen, aber Libero schnappt sich den Ball: 1:0.  Kurz vor der Halbzeit. Fenin bereitet wunderbar vor, Libero verwandelt per Kopf. Vor uns sitzen drei Jugendliche – zwei Eintrachtler, ein Bochumer mit Trikot und Schal, der während des Spiels immer weiter in seinem Sitz versinkt. Armer Kerl. Das 3:0 – ein Traumtor von Steinhöfer, Freistoß von halblinks aufs Tor gezogene. Direkt verwandelt. Wow. Paddy Ochs, der sich rechts durchsetzt, Russ mit rechts. 4:0. Die Mannschaft dreht eine Runde ums Stadion. Wir sind froh und erleichtert und froh und erleichtert. Rückweg zum Parkplatz. Der letzte Devotionalienhändler vor dem dunklen, dunklen Wald. Er verkauft Schals, Mützen und (!) Meisterschaftsschalen. Sie stehen mit den „Füßen“ im Matsch, sind durchgeweicht. Warum hat er die denn dabei? Und wenn er sie dabei hat: Warum ist er so bass erstaunt, wenn man ihn danach fragt. „Was fer e Schal?“ Wir kaufen eine. Nicht etwa, weil wir größenwahnsinnig sind. Naaaaaaaain, dazu haben wir in der Tat keinen Grund. Sondern einfach so. Weil’s uns freut. Einfach so.

Die Winterpause steht bevor und jetzt haben wir 19 Punkte und einen deutlichen Abstand auf den Relegationsplatz. Wer hätte das noch vor vier Wochen gedacht? Die Hoffnung auf zumindest ein weiteres Pünktchen in Hamburg erfüllt sich nicht. Es wäre zwar mehr drin gewesen, aber… (ich glaube, diese Formulierung hatten wir schon mal ,-)). Der Trainer findet fantastisch, was die Mannschaft geleistet hat. Und irgendwie hat er ja auch recht. Caio verabschiedet sich mit Fitnesstrainer und einem putzigen, erstaunlich selbstironischen Interview in den Weihnachtsurlaub. Ein großes Kind, das eigentlich ganz zufrieden ist, nichts bereut, sich durchsetzen will, viel gelernt hat, sich in Frankfurt wohlfühlt und den Trainer versteht. Wenn er es tut – warum schließen wir uns dem nicht einfach an?

Der Kreis schließt sich.

Als Weihnachtslektüre habe ich mir in diesem Jahr noch einmal die „Großen Erwartungen“ von Charles Dickens vorgenommen. Ein Titel, der nun wirklich nicht als Schlusswort und Ausblick auf die Rückrunde taugt. Da halte ich es dann lieber mit dem Western „Vierzig Wagen westwärts“:

In dem damals noch kleinen Ort Denver herrscht Panik. Die Whiskey-Vorräte gehen zu Ende, nur noch ein paar Flaschen sind übrig und die müssen sorgfältig gehütet werden, um den trinkfesten Oldie der Stadt bei Laune zu halten. Der verfügt  nämlich („Orakel, was siehst du??“) über seherische Fähigkeiten und kann genau vorhersagen, wo die nach Denver aufgebrochene Wagenladung voller Whiskey sich gerade befindet. Sehen kann er allerdings nur dann etwas, wenn er vorher genug getrunken hat...

Also dann rotundschwarz-Orakel – was siehst du?? Mist. Jetzt hab ich doch glatt vergessen, dass ich gar keinen Whiskey trinke.

PS: Das Eintracht-Archiv hat wieder geöffnet – hurra!
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Sehr schön resümiert! Danke hier für. Aber 2:2 gegen Real Madrid??
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...und 0:3 gegen Berlin - es war ein 0:2, aber das reicht ja auch...

Dazke für diese großartige Rückschau!
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O jesses... Jetzt hab ich alles vorher nochmal gecheckt, bei dem ich mir nicht sicher war. Aber bei dem 2:2 gegen Real und dem 0:3 gegen Hertha war ich mir leider sicher... Eieiei. **stirnpatsch** Sorry - ich hoffe, dass sich nicht noch mehr Klöpse in diesem Text verbergen. Falls doch: Bitte melden - und schon mal ein herzliches danke schön an Eintracht 23 und Matzel  
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Bei solchen Lesegenüssen sieht man doch über solche Kleinigkeiten locker hinweg und hält sie generöserweise für Tippfehler.  
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rotundschwarz schrieb:
Whiskey



Wobei das über "Tippfehler" hinaus geht und obendrein ein Sakrileg ist.

Was den Rest angeht: Großartig.

Du solltest beruflich irgendwas mit Literatur, Wissenschaft oder Kommunikation oder so anstreben.

DA
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Dortelweil-Adler schrieb:
rotundschwarz schrieb:
Whiskey



Wobei das über "Tippfehler" hinaus geht und obendrein ein Sakrileg ist.

Was den Rest angeht: Großartig.

Du solltest beruflich irgendwas mit Literatur, Wissenschaft oder Kommunikation oder so anstreben.

DA


....oder irgendwas mit Beratung.  ,-)
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...selbst bei 20 Grad Aussentemperatur (sorry für alle daheim )bekommt man bei den Zeilen ´ne Gänsehaut....Danke!!!!
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WuerzburgerAdler schrieb:
Dortelweil-Adler schrieb:
rotundschwarz schrieb:
Whiskey



Wobei das über "Tippfehler" hinaus geht und obendrein ein Sakrileg ist.

Was den Rest angeht: Großartig.

Du solltest beruflich irgendwas mit Literatur, Wissenschaft oder Kommunikation oder so anstreben.

DA


....oder irgendwas mit Beratung.  ,-)  



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derGrieche schrieb:
...selbst bei 20 Grad Aussentemperatur (sorry für alle daheim )bekommt man bei den Zeilen ´ne Gänsehaut....Danke!!!!


*****  
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derGrieche schrieb:
...selbst bei 20 Grad Aussentemperatur (sorry für alle daheim )bekommt man bei den Zeilen ´ne Gänsehaut....Danke!!!!


Wo du recht hast, hast du recht. Und bei 30 Grad ist besonders erfrischend.


Kerstin, einfach nur - wunderbar. Den wohl schönsten Jahresrückblick den ich bisher las.

Danke, du bist Eintracht

LG
Ralf
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Vielen Dank für den wunderbaren, bewegenden Rückblick.

Einige Ereignisse waren schon fast wieder in den Hintergrund gerückt, durch aktuellere Dinge verdrängt.

Sehr schön finde ich, dass man genau das Wechselbad der Gefühle eines Eintrachtfans während der letzten Monaten mit Deinem Rückblick noch einmal erleben kann.

Danke, DAS ist Eintracht !
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Afrigaaner schrieb:
Kerstin, einfach nur - wunderbar. Den wohl schönsten Jahresrückblick den ich bisher las.

Danke, du bist Eintracht


oh ja, das ist sie ... eintracht durch und durch ...

danke liebe kerstin für diese tollen zeilen ... gerade den november & dezember habe ich aufgrund von urlaub weit weg von meiner lieblingsstadt und meinem lieblingsverein total verpasst - dank dir durfte ich noch einmal erfahren, was da so los war ... den rest habe ich heim wie auswärts ja immer live erleben dürfen ... aber dennoch habe auch ich beim lesen des rückblicks noch einmal gänsehaut bekommen in anbetracht von so vielen interessanten, erlebnisreichen, aufregenden, emotionalen etc. momenten ... erinnerungen, die bleiben werden.

danke!!!

vlg, m.
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Schöner Rückblick. Man sollte ihn verfilmen. Klasse
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Wow, ich kann gar nicht viel dazu sagen... Einfach SUPER!
Danke =)
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Kerstin,ganz grosses Kino!!!!!!!!!!!!!!!!Respekt.Sehr sehr schön und es macht immer wieder Spass von Dir oder Thomas,solche lesenswerten Berichte zu erhalten.
Freue mich jedesmal ,wenn ich was von Dir oder ihm lese,das hat was und es wärmt einen von innen.
Das hat was -und ja Ihr seid Eintracht-lebt Eintracht und ich freue mich immer wieder auf Euch beiden.
LG
C.Willi. ,-)
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Ist doch eine Menge passiert in dieser Zeit. Du hast das so schön, so treffend beschrieben. Ich kann dich nur immer wieder loben, Kerstin, mein Sprachrohr  . Ja, das ist Eintracht, du bist Eintracht und das ist doch eigentlich, was das Forum hier ausmacht. Ohne solche Beiträge könnte man das Lesen allerdings manchmal einstellen.

Hatte ja schon eine Fortsetzung vermisst, nun also die Zusammenfassung. Sehr, sehr schön. Danke!
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Eieiei, bei dem hin un her un ruff un runner, da wird's eim ja ganz, na, blümerant zumut    E Blümsche jedenfalls, ne, en dicke Strauß an die Verfasserin dieses Zeitreiseberichts.

Ja, dieser fiktive Spielthread, der hatte was  
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Sehr schön, bin zwar erst beim September, aber bis dahin hats mir gefallen, auch die kleinen, so menschlichen und sympathischen Freudschen Versprecher.
Morgen folgt dann die Fortsetzung, ich freue mich schon darauf.  
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Wollte es erst nicht lesen, weil doch einige traurige  Dinge passiert sind.
Aber selbst jene bringst Du einem sooooo nett rüber.

Die schönen Momente ja sowieso.

Daaaaaaanke.


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