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On the way to find out [Teil I + II + III + IV + V + VI (SGE - Köln)]

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Eintracht Frankfurt : Hannover 96 -
On the way to find out, Teil  V


Warum gehen so viele Leute ins Stadion? Weil sie nicht wissen, wie das Spiel ausgeht. Nur manchmal, an ganz besonderen Tagen, da wissen sie es schon vorher.

Ende November 2008. In ganz Deutschland tobt ein fürchterlicher Sturm, Schnee fegt über das Land, meterhohe Schneeverwehungen versetzen die Menschen überall im Land in Angst und Schrecken. Überall im Land – nur nicht in dem kleinen gallischen Dorf, in dem ich lebe. Hier kann man es weiterhin ganz gut aushalten. Es ist kalt, der Wind pfeift, Winter halt. „You want to know how the wheather is like? Take a look out of the window“, hat Bob Dylan getextet. Recht hat er. Als ich am Samstagvormittag, bekleidet mit Eintracht-Kaputzenjacke und Eintracht-Schal, mehrere Säcke voll Blätter vorm Haus zusammenkehre, wandern meine Gedanken Richtung Waldstadion. Kribbeln im Bauch. Was für wunderbare Niesel-Regen-Hintern-Abgeforen-Spiele haben wir im Waldstadion schon erlebt, wie wenige bei strahlendem Sonnenschein. Oder täuscht die Erinnerung? Wie auch immer: Heute ist es kalt und nass und eklig und heute wird ein guter Tag für die Eintracht. Da bin ich mir ganz sicher  Der Nachbar von gegenüber winkt mir zu. „Und? Macht ihr heut widder ins Stadion?” „Nadierlisch!” Daumen hoch. Grins.

Zwei Stunden später sitzen wir im Auto, fahren noch eine Kurve, um den Rest unseres Adler-Trupps einzuladen. Auch hier werden uns von den Zurückbleibenden freundliche Grüße mit auf den Weg gegeben.  â€œIhr wisst ja - ich hab mit Fußball nix am Hut. Aber Hannover – furchtbar. Die Stadt kann ich nicht leiden. Gegen die müsst ihr einfach gewinnen.“ Wird gemacht! Wir fahren los.

Die Anfahrt zum Stadion ist locker wie lange nicht mehr. Keine Staus, null Verkehrschaos. Kann es sein, dass die Eintrachtler sich durch Wetterprophezeihungen vom Besuch des Stadions abhalten lassen? Nein, keine Panik. Rund ums Stadion ist alles wie immer. Rotundschwarze und schwarzundweiße Grüppchen in den Wäldern und auf den Brücken und Wegen. Wir sind erfreulich früh dran und genießen es, dass wir heute nicht hecheln müssen, sondern ganz entspannt zum Stadion schlendern. Die Stimmung ist locker, fast schwebend. Sind nur wir heute so gut drauf oder sind die Menschen um uns herum tatsächlich ebenfalls besonders entspannt. An der Ampel steht ein Eintrachtler, der seine kleine Tochter an der Hand führt. Sie trägt einen von Kopf bis Fuß rosafarbenen, wattierten Overall (aha, ein klarer Beleg für das in diesem Alter offenbar vorhandene unstillbare Bedürfnis nach Rosa), um den Hals hat sie jedoch einen 1a-Eintracht-Schal in Originalfarben.  Liebe Eltern hergeschaut: So sieht eine gute Startausrüstung in ein richtiges Fußballerleben aus!

Zwischen den grauen Wolken blitzt immer wieder ein wenig die Sonne hervor und es sieht aus, als ob sie direkt auf den Strom der Eintrachtler scheint, die sich Richtung Stadion bewegen. Obligatorischer Stopp am Bratwurststand. Und siehe da: Auch die Bratwurst schmeckt heute noch knuspriger und saftiger als sonst. Die Gespräche um uns her sind ebenso friedlich freundlich wie die Stimmung. Ja klar - richtungsweisend ist es, dieses Spiel heute. Verdammt wichtig. Was, wenn wir nicht gewinnen? Ja – wenn… würde… werden wir aber nicht. Überall herrscht Zuversicht und freudige Erwartung.

Im Stadion, die Mannschaft wird schon beim Aufwärmen mit einem Fahnenmeer begrüßt. Kann es wahr sein? Caio ist heute bei denen, die die kurzen Hosen anhaben. Er wird doch nicht wirklich…? Doch, er wird von Anfang an spielen. „Den lässt der Fukel doch nur deshalb spiele, weil heut so schlecht Wedder is…“ Nein, das sagt keiner, aber vielleicht hat es einer gedacht. Wir schauen uns an, freuen uns, dass er mit dabei ist, erwarten gar keine Wunderdinge, einfach so. Bisher Toski oder Ljubicic, jetzt heute also endlich mal wieder Caio. Freu. Wie immer schicke ich per Handy die Aufstellung als Mailbox-Live-Mitschnitt zu einem Adlerfreund nach Bremen. „Mit der Nummer 30 unser junger Brasilianer Ca…“ Das –io geht im allgemeinen Jubel unter. Der Bremer Adler wird später berichten, dass es sich auf der Mailbox wie ein kollektives Ju-huuuuuuu angehört habe. Nur schade, dass der Stadionsprecher dann anschließend vergisst, den endlich wieder auf die Bank zurückgekehrten Vasosky vorzulesen. Vielleicht hätten wir den ja ähnlich jubelnd begrüßt.

Anpfiff. Wie gegen Karlsruhe spielen wir auch heute zuerst in Richtung Fanblock. Ein weiteres gutes Zeichen, scheint uns. Die freundliche Zauberstimmung von vor dem Spiel hat sich mit ins Stadion übertragen. Habe das Gefühl als ob eine warme Welle von den Rängen auf den Platz schwappt. Irgendwie schlagen unsere Herzen heute im noch mehr als sonst im gleichen Takt wie die der Mannschaft, die auf dem Platz steht. Trotz unserer räumlichen Nähe zum Gästeblock hat sich dieses Mal kaum ein Hannoveraner in unsre Ecke verirrt. Alles fest in Adlerhand. Fast ein bisschen F-Block-Stimmung. Gebabbel, Gekäse, Rumgeblödel. Keiner der „Hinsetzen“ brüllt. Eintracht-Rufe. Aufstehen, aufspringen. Ungewöhnlich viele Familien haben diesen kalten Tag für einen Ausflug ins Waldstadion genutzt.  Oder sind es gar nicht mehr als sonst, aber man kann sie heute besonders gut an den über alle hinweg ausgebreiteten Wolldecken erkennen?  Die ersten zehn, fünfzehn Minuten des Spiels plätschern so dahin. Wir sind feldüberlegen, wirken konzentriert und bissig, die Hannoveraner dagegen merkwürdig lasch. Allen voran Hanke, der sich kaum einmal im 1 zu 1 durchsetzt, Bälle vertändelt, nicht nachsetzt. Ein Bewerbungsschaulaufen sieht – zum Glück – anders aus. Nein, nein. Den Herr Hanke, den wollen und brauchen wir nicht.  

Das Spiel läuft ein wenig zäh. Unsere Jungs bleiben ruhig und konzentriert. Maddin kommt immer besser in Tritt. Seit dem KSC-Spiel – als sei eine Last von ihm abgefallen. Leichtfüßiger, selbstbewusster, mit Blick für den Nebenmann. Ochs wie seit Wochen bärenstark – Mann, wie geht der ab, der Junge. Was für ein Antritt. Und was macht er denn da auf links? Setzt sich durch, zieht den Ball flach und scharf vors Tor. Schade, keiner da, der hätte abstauben können. Benny – sehr solide in der Verteidigerrolle. Auch die Innenverteidigung steht heute wie eine Eins. Bellaid nicht mehr wiederzuerkennen im Vergleich mit den nervösen Auftritten vor seiner Pause. Ruhig, souverän, geschmeidig. Libero ruhig, sachlich, ballsicher, ordnet das Spiel. Caio? Ganz ordentlich, aber nicht überragend. Gut so. Langsam rantasten. Er müht sich, geht mit zurück – Mist, Ball zurückerobert und dann gleich wieder verloren. „Der bringts net, der Brasilianer. Uffem Platz genauso wenig wie im Training“, murrt es hinter uns als Caio einen Ball überflüssig vertändelt. Aber es blitzt auch manchmal auf, was er kann – der Zuckerpass auf Fenin, locker aus dem Fußgelenk. Überraschende Seitenwechsel. Wie er den Ball tätschelt. Feiner Pass auf Libero, der zieht seinen Schuss knapp neben das Tor. Man hat das Gefühl, dass die Hannoveraner nervös werden, sobald Caio den Ball am Fuß führt. Rentner von links hinten: „Also – ich maach den oifach. Dem zuzugucke des is…“ Pause und weiter auf Hochdeutsch „eine Freude.“ Caio in Aktion. Rentner: „Siehste…jetzt – jetzt macht er e Körpertäuschung – un weg isser.“ Genau so isses.

Gerade als wir anfangen, ein kleines bisschen nervös zu werden, fällt das 1:0. Ochs erarbeitet sich eine Ecke. Steini zieht den Ball vors Tor. Jaaaaaaaaa…. Libero. Wow. Der Mann ist soso wichtig für uns. Jubel, schrei, hüpf. Genau zum richtigen Zeitpunkt dieses Tor.  Mit-Adler 1, der heute ein bisschen weiter oben in unserem Block sitzt, hat vor sich einen besonders putzigen Familienverbund: Kettenrauchende Mama, brummelnder Papa, zwei Kind. 1:0 für die Eintracht. Die Familie jubelt, Hände hoch, verharrt aber sitzend unter ihrer Decke, gleichzeitiger Kopfschwenk nach rechts zum Gästeblock, einstimmig: „Lutscher, Lutscher.“ **kicher**

Aber weiter geht’s im Spiel. Huszti tritt zum Freistoß an. Rentner von rechts, bewaffnet mit Stadionmagazin. („Ah, ja… der Elfer…des is der Huschi.“)  Zwei, drei brenzlige Szenen vor unserem Tor, aber irgendwie – keine richtige Gefahr. Das wird heute, das wird. Unser Spiel wird runder. Das zweite Tor wird fallen. Aber Mensch. Mist. Keine Freude ohne Wermutstropfen. Oka. Mann. Elend. Oka wird nicht weiterspielen können. Schon direkt nach einer feinen Abwehraktion hatte er sich ans Bein gefasst. Jetzt signalisiert er: ich muss raus. Noch sieben, acht Minuten bis zur Pause. Kaum möglich jetzt noch zu wechseln. Verdammt, verdammt. Oka geht staksig, kann sich offensichtlich nicht richtig bücken, kaum auftreten. Wenn die Hannoveraner, das bloß nicht ausnutzen. Jetzt vor der Pause noch das 2:0, das wär’s. Das würde Luft schaffen. Wieder Libero mit dem Kopf, boah, knapp, aber die Situation ist noch nicht vorbei, da kommt ja noch, wer ist das? Russ, ja, Russ…..Jajajajajaaja!

Heute scheint uns die Mannschaft jeden Wunsch zu erfüllen. 2:0. Mit Glück könnten wir jetzt auch schon mit drei Toren führen. Die letzten Minuten vor der Pause sind die Jungs damit beschäftigt, den Ball weg vom eigenen Kasten zu halten. Sie dreschen die Bälle raus, spielen für Oka, der keine brenzlige Situation mehr bewältigen muss.

Durchschnaufen bei einem Heißgetränk. Wir erwarten, dass die Hannoveraner nach der Pause mit aller Kraft anrennen werden und ein schnelles Tor wollen. Machen sie auch – so weit sie dazu in der Lage sind. Prölli (wie gut, dass wir zwei gleich gute Torleute haben!) fischt einen Ball aus dem Eck. Was ist das? Elfmeter? Wir fassen es nicht. Da war nichts, gar nichts. Libero signalisiert dem Schiedsrichter, er möge bitte mit seinem Linienrichter Kontakt aufnehmen. Erinnerungen an das Spiel gegen den VFB. Kann doch nicht sein, dass sich die Geschichte wiederholt. Nein, zumindest heute nicht. Dieses Mal haben wir den Assi auf unserer Seite. Es gibt Abschlag. Uff.

Eine Viertelstunde vor Schluss. Immer noch zwei Null. Die nette Eintrachtlerin neben mir ist ebenfalls Teil einer Wolldeckengemeinschaft. „Is ja eigentlich en scheene Vorsprung“, meint sie. „Wenn’s net die Eintracht wär, würd ich sagen – des is gelaufen.“ Ja, wenn’s net die Eintracht wär! Das, was die Hannoveraner da abliefern, ist wahrlich nix vor dem man sich fürchten müsste. Ernsthaft. Die schießen kein Tor mehr heute. Oder? Da muss nur einmal so ein dummes Ding reingehen. Letztes Aufbäumen im Hanoi-Block.  â€žHSV, HSV.“ Rentner: „Wen wolle se jetzt drin habbe?“ Aber das ist jetzt auch schon egal, denn Maddin setzt sich auf der rechten Seite durch, läuft aufs Tor. „Schieß.“ Er zögert kurz. Und genau im richtigen Moment legt er den Ball nach links, Libero ist mitgelaufen, muss nur noch abtropfen lassen. Tor, Tor, Tor. Und was für ein schönes. Wir schreien unser Glück in den Nachthimmel. Libero nimmt Martin in die Arme, zeigt auf ihn. Das war nicht mein Tor – das war seins! Martin strahlt glückselig. Was für eine Szene!

Jetzt ist auch der letzte davon überzeugt: Heute werden wir nicht bis zum Schluss zittern müssen. Wir haben gewonnen, gewonnen, gewonnen. Einfach so. Noch ein Tor – das wär genial. Und Fenin soll es schießen. Er muss belohnt werden. So mannschaftsdienlich hat er heute gespielt. Höhere Gerechtigkeit. Und tatsächlich – das Tor fällt. Nachspielzeit. Ochsi ist durch, er könnte selbst – oder könnte er nicht? Maddin steht jedenfalls besser. Paddy spitzelt ihm den Ball in den Lauf, Maddin zieht ab – und trifft. Der Rest ist Jubel, Glück, Ausgelassenheit. Strahlende Gesichter auf der Videowand. Kein Gedudel aus dem Lautsprecher. Gesänge aus dem Block. Nein, das war kein geniales, kein überragendes Spiel. Aber ein sauberer, feiner, locker raus gespielter Sieg. Zu null. Ein Tor aus einem Standard, drei aus dem Spiel erzielt. Eine wunderbare Mannschaftsleistung. Einfach schön. Wir genießen die Atmosphäre im Stadion. Überall Freude, Lächeln. Erleichterung. Endlich mal wieder. Wie lange haben wir in dieser Saison auf so einen Tag warten müssen. Schon so viel weggesteckt. Wieder aufgerappelt. Das haben wir uns verdient. Doch. Das haben wir!

Die Wurst nach dem Spiel schmeckt (falls das überhaupt möglich ist *gg) noch besser als die vorher. Als wir bei unserem Parkplatz am Waldrand ankommen, ist es dort fast menschenleer, stockfinster, ein kleiner Pfosten leuchtet.  Einer meiner Mit-Adler hatte gestern Geburtstag. Wir köpfen die Flasche Sekt, die wir mitgebracht haben, und stoßen mit Pappbechern an. Einzelne Schneeflocken. Kalt. Es war ein schöner Tag.
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Woooow, toll geschrieben!
Ich hab das Gefühl, ich wäre dabei gewesen.
Danke!  
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Sehr schön geschrieben!
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Sehr schön, klasse. Durch und durch gut! Vielen Dank!
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das machte mal wieder Gänsehaut!

Toll Kerstin. Es war ein wirklich schöner Tag, wir haben das auch sehr genossen, dafür friert man doch gern. Veilleicht sollte ich mich auch mal der Wolldeckengemeinschaft anschliessen.

Danke dir!
Nicole
PS: das mit dem Vasi ist mir auch aufgefallen. Ganz schlecht war das. Darf nicht passieren.
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Toll!

Vielen Dank!
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Prima Kerstin.

Bis auf das Blätterkehren habe ich alles genauso erlebt wie Du.

Habe eine Riesen-Gänsehaut, so schön hast Du geschrieben.

Danke dafür.
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Sehr schöner Bericht... weiter so.
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Libero nimmt Martin in die Arme, zeigt auf ihn. Das war nicht mein Tor – das war seins! Martin strahlt glückselig. Was für eine Szene!

Für mich auch der Gänsehäuterich des Tages.

Wie immer lesenswert und gut - danke, Kerstin.

P.S. Aber hast du in dem Bericht nicht das Treffen mit ein paar ausgesprochen sympathischen Forumlern vor dem Spiel vergessen?  ,-)
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Vielen Dank!
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Sowohl das Spiel als auch der Bericht - beides ganz großer Sport!
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Dieser Bericht ist eindeutig Stimmungsmache.

Aber gute  
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Danke sehr, hat Spass gemacht zu lesen   .

Ich hatte nach dem Schlusspfiff noch Gänsehaut . Dass sich unsere Jungs so ausgelassen freuen, kommt auch nicht jeden (Spiel-)Tag vor.
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Freu mich, dass euch mein Bericht gefallen hat. Danke fürs Lesen  

@Grabi65: Wie kannst du bloß denken dass ich euch vergesse? Dazu seid ihr doch viel zu nett   - und abwarten: Ihr werdet schon auch noch verwurstet
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Goetheblut in den Ad(l)ern!
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HibernianEagle schrieb:
Goetheblut in den Ad(l)ern!


**gnihihihi** Alles Frankfurter Jungs  
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rotundschwarz schrieb:
HibernianEagle schrieb:
Goetheblut in den Ad(l)ern!


**gnihihihi** Alles Frankfurter Jungs    


Und Greteln!
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rotundschwarz schrieb:
HibernianEagle schrieb:
Goetheblut in den Ad(l)ern!


**gnihihihi** Alles Frankfurter Jungs    

Heißt ja schließlich LE rouge et LE noir  
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On the way to find out, Teil VI
Eintracht - FC Köln 2:2


Am Abend vor dem Spiel gegen Köln sind wir mit dem Auto im rheinhessischen Hinterland unterwegs. Der Nebel wabert über die Felder, wir können manchmal grade noch die Schnauze unseres Autos erkennen. Was für ein Wetter. Ganz so schlimm wird es morgen nicht kommen.

Doch. Am nächsten Tag hängt nicht nur Nebel über den Straßen, sondern es regnet auch noch. Zwar nicht sehr kräftig, dafür gleichmäßig, von morgens an. Tropftropftropf. Die Anfahrt zum Stadion ist grau und nass. Wir parken zwischen einem Offenbacher und einem Kölner. Na prima.

Heut sind es eher schwarze als rotundschwarze Trupps, die mit eingezogenen Kragen und Mützen auf dem Kopf Richtung Stadion tappern. Nur vereinzelte Eintrachttrikots, die wie eine Wurstpelle über die Regenjacken gezurrt sind. Alles trieft, sogar die Schals hängen nass und schwer am Hals und an den Armen. Am Bratwurststand ist die Stimmung trotzdem gut. Im Zelt wird sich schon mal warm gesungen. „Schwarz und weiß wie Schnee,“ schallt es durch den Regen. Nach einer kurzen Pause folgt „Viva Cooooloniia.“ Huch. Eintracht- und Köln-Fans unter einem gemeinsamen (Zelt)-Dach? Scheint zu funktionieren. Das deckt sich auch mit den späteren Eindrücken beim Anmarsch zum und dann im Stadion: Es sind erstaunlich viele gemischte Fan-Gruppen unterwegs. Auch wir sind heute „gemischt“ – gar nicht so einfach, einen Mit-Adler (der bereits bevor er sein Herz für die Adler entdeckte ein FC-Fan war), heute wieder einmal auf der anderen Seite zu sehen. Aber das bekommen wir schon hin. So hoffen wir zumindest.

Da wir heute früher als sonst dran sind, mache ich mich auf den Weg zur anderen Seite des Stadions, um im Fantreff Ama und Isi zu besuchen. Es ist voll und überall tropft und trieft es und ich finde keinen von beiden, später dann zum Glück noch Isi, die mir ein Ama-Gramm mitgebracht hat. Freu.

Schon eine halbe Stunde vor dem Spiel ist das Stadion heute gut gefüllt – naja, die Blocks im Stadion sind heute zweifelsohne einer der trockensten Orte, an denen man sich aufhalten kann. Erinnerungen an Regenspiele, die noch ohne Dach stattfanden – auch eines gegen Köln fällt mir da ein „Weißt du noch? Das „Blaue-Pullover-Spiel“ gegen Udo Lattek?“ Eine halbe Stunde vor Schluss ein Gewitter mit Regen aus allen Schleusen. „Mein lieber Schwan, da waren wir nässer als nass.“

Bilder aus dem Leben von Alfred Pfaff flimmern über den Videowürfel. Die für das Stadion ungewohnten Klänge vom alten Haus, die bunt gemischten Szenen aus Don Alfredos Leben als Fußballer und Privatmann zaubern eine eigenartige Atmosphäre. Für einige Momente vergesse ich, wo ich gerade bin und fühle mich wie aus dem Stadion gebeamt. Ein paar Unentwegte im Kölner Block kapieren zunächst nicht,  um was es geht und intonieren Fangesänge. Sie werden von ihrem Einpeitscher aber schnell zur Ruhe gebracht. Auch die FC-Fans leisten ihren Beitrag zu diesem schönen und würdigen Gedenken.

Das Europa-Lied holt uns zurück in die Realität. Keine Überraschungen bei der Aufstellung. Anpfiff. Schon nach drei Minuten die erste dicke Chance. Der Ball fliegt von der linken Außenlinie (für unsere Verhältnisse erstaunlich) hoch in den Strafraum – Libero (oder war es Maddin?) knapp vorbei.  â€žWenn man seine Chancen so liegen lässt – das rächt sich“, käst einer von hinten. Wir drehen uns um - ein Kölner. Wir grinsen uns an. Das Spiel kommt ins Rollen. Das sieht richtig gut aus, was wir da machen, und knüpft an die zweite Halbzeit in Berlin an. Chris deutlich verbessert, Steinhöfer macht auf rechts ebenfalls ein gutes, ein sehr gutes Spiel, auch Alex mit mehr Bindung ans Spiel als noch in Berlin, Benni ist unermüdlich unterwegs und stopft Lücken, Libero holt sich die Bälle, treibt an. Petkovic – erstaunlich, aber der Junge ist fast schon nicht mehr wegzudenken aus der Mannschaft. Der sieht aus wie ein richtiger Fußballer, so einer, wie sie vom Typ her eher selten geworden sind -  kantig, drahtig, schmal, leichtfüßig. Schade, dass er heut nur wenige Ausflüge nach vorn übernimmt – die linke Seite liegt häufig brach. Da könnte – wie ein guter Freund zu sagen pflegt - parallel noch ein C-Jugendspiel stattfinden. Über rechts mit Ochs, Steini und Fink läuft das Spiel deutlich runder. Auch im Mittelfeld zwischendurch immer mal wieder das, was man früher schon mal als „Klumberenne“ bezeichnet hat. Das Spiel wird schnell zu eng. Immer wieder der Versuch, den Ball aus dem Mittelfeld in die freie Gasse zu spitzeln, den Uwe-Bein-Gedächtnispass zu spielen -  nicht immer stimmt da die Präzision und das Timing. Wir spielen so, dass man merkt: Spielverständnis, Technik, Zusammenspiel – alles da. Nur an der Ausführung haperts manchmal – sieht so aus, als seien nicht nur wir Fans, sondern auch die Mannschaft  irgendwie „on the way to find out.“

Trotz gutem Spiel ist die Stimmung im Stadion unwirklich, fast ein wenig unheimlich. Über dem Stadion hängt eine dunkle Regenwand, das Flutlicht in hartem Kontrast. Von rechts kommen aus dem Kölner Block lautstarke Gesänge. Von links, in unserem Block – Stille. Trotzdem: Die Chancen häufen sich. Wir sind nicht nur spiel-, sondern auch kampfstärker. Nahezu jeder – manchmal dabbisch – verlorene Ball wird zurückerkämpft. Die Umstellung von Abwehr in die Vorwärtsbewegung funktioniert heute viel besser als in Berlin. Die Angriffe rollen. Aber entweder steht Mondragon, die Latte oder der Schiedsrichter mit einem Abseitspfiff im Weg. Endlich die Erlösung: Russ ist mit aufgerückt, steht richtig und köpft ein. Toooooooor. Yep! Jetzt wird das Spiel in ruhigere Bahnen kommen – wir sind spielerisch klar überlegen. Das zweite Tor nachlegen und das Spiel ist – hahaha – in trockenen Tüchern. Das Gegenteil ist der Fall – die letzten Minuten vor der Halbzeit gehören den Kölnern. Sie erhöhen den Druck – und wir kommen sofort ins Flattern. Wieder einmal Konfusion in der Innenverteidigung. Russ und Pröll sind sich nicht einig. Der Ball senkt sich als Bogenlampe in Richtung Tor. Uff. Doch noch ein Eintracht-Bein dazwischen. Halbzeit.

Vom Stadionsprecher erfahren wir endlich, warum die Kurve bisher geschwiegen hat. Ein Eintrachtler ist vom Zaun gestürzt - zum Glück geht es ihm wieder besser. Durchatmen. Nicht schon wieder… Unsere Halbzeitanalysen fallen höchst unterschiedlich aus. Während wir eine klare Überlegenheit der Eintracht gesehen haben, konstatiert unser Köln-Adler zwar mehr Chancen bei der Eintracht, aber ausgeglichene Spielanteile. Pah. Ausgeglichen? Von wegen. Ein Kölner bittet mich, ein Foto von ihm und seinen Freunden (auch sie: gemischt) zu machen. Aber klar doch. Trotzdem: Irgendwie wird mir hier jetzt alles zu eng. Ich beschließe, mir vor dem Block die Anspannung aus dem Körper zu laufen und begegne dabei – huhu   – Fräulein Adler. Die Welt rund ums Stadion sieht aus als würde sie demnächst untergehen und wer weiß schon, ob sie es nicht wirklich bald tut. Schwarz und unwirtlich. Der Wald als dunkle Silhouette. Auf dem Weg zurück entdecke ich den Kölner Fan, der mir schon beim letzten Fassnachtsspiel gegen Köln aufgefallen war: Ein großer untersetzter Mann im rosa Schweinekostüm mit Schlappohren und Ringelschwänzchen. Helau…ähem…Alaaf.

Die Kölner sind zuerst wieder auf dem Platz. Ich hasse das. Bilde mir ein, wenn man eine Statistik erstellen würde, welche Mannschaft am Ende eines engen Spiels die Punkte mitnimmt – es wäre zu 80% die Mannschaft, die nach der Halbzeit als erste wieder auf dem Rasen steht. Leider scheint sich meine Theorie auch heute wieder zu bestätigen. Der FC ist wie ausgewechselt, aggressiv, plötzlich gewinnen wir die Zweikämpfe nicht mehr. Immer häufiger werden die Bälle lang in unseren Strafraum geschlagen. Und je häufiger sie kommen, desto schwimm. Gut, dass der Support der Kurve jetzt da ist. Die FC Fans, die in der ersten Halbzeit in Unkenntnis der Umstände schon dachten, dass „hier“ der „FC regiert“, werden jetzt eines besseren belehrt. Eintracht, Eintracht. Immer noch sieht man, dass die Kölner spielerisch deutlich limitierter sind als wir, aber irgendwie schaffen sie es besser als wir, das, was sie können, auch umzusetzen – gradlinig, schnörkellos, mit großem körperlichem Einsatz und mit…. Novakovic, der mich nicht nur wegen seiner Körpergröße an Luca Toni erinnert. Abgezockt, clever, technisch sauber. Das 1:1 fällt quasi auf Ankündigung. Der Ball wird nicht konsequent aus der Gefahrenzone befördert, zurückerobert, aber doch wieder verloren, nicht konsequent nachgesetzt – eine geniale Körpertäuschung von Novakovic, der sich den Ball an Russ (?) vorbeilegt – und abzieht. Tor.

Hilfe, verdammt, bitte nicht. Dieses Spiel dürfen wir nicht verlieren – und die Jungs auf dem Platz tun alles, um das zu verhindern. Sie halten dagegen, stellen sich nicht hinten rein, sondern fighten dagegen. Unsere Offensivbemühungen nehmen den Kölnern allmählich wieder den Wind aus den Segeln. Das aggressive Vor-Checking lässt nach. Wir schaffen es tatsächlich, über den Kampf wieder ins Spiel zu kommen. Der Spielaufbau ist einfach, aber er funktioniert. Steinhöfer wird immer stärker, schlägt gefährliche Bälle aus dem Halbfeld in den Strafraum. Maddin nimmt einen davon Volley – ein Aufsetzer. Der Ball springt ins rechte Eck. Mondragon ist noch dran, nein, doch nicht. Tortortoooooooor. Nur zehn Minuten nach dem Ausgleich. Jetzt haben wir sie niedergerungen. Noch einmal werden sie nicht zurückkommen Am besten gleich noch eins nachlegen – dann war’s das. Und die Chancen dazu sind da – zwei, drei Mal haben wir den Torschrei auf den Lippen. Wie? Warum ist dieses Pingpong-Ding da eben nicht reingegangen? Fenin, Libero, Alex. Das kann doch gar nicht sein. Einer MUSS das Ding doch machen. Die Kölner hinter uns sterben tausend Tode. Wir leider auch – denn jedes Mal wenn der FC vor unser Tor kommen, brennt es. Pröll hat keinen guten Tag erwischt. Irrt er da manchmal fast durch seinen Strafraum oder hab ich das in der Aufregung nur so gesehen? Wir müssen das dritte Tor machen, sonst… Ja, sonst. Auch die Szene vor dem Elfmeter passiert wie auf Ansage. Unnötiger Ballverlust vor dem Strafraum. Vucevic darf doch eigentlich gar nicht zum Schuss kommen. Pröll wehrt den Ball nach vorne ab. Chris spritzt heran, da ist noch Petkovic, Getümmel. Pfiff. Ja, das war ein Elfer – keine Frage. Aber warum, warum auch noch rot für Chris? Was für ein Scheiß.

Die letzten 20 Minuten verbringe ich am Rande des Nerven- und Herzkaspers. Vor dem Spiel hab ich es weit von mir gewiesen: Mit einem Punkt zufrieden sein? Never! Jetzt wär ich froh, wenn wir diesen einen Punkt sicher hätten. Köln wechselt, Ishiaku kommt. Für uns sind jetzt Vasi und Kweuke für Meier und Fenin im Spiel. Vasi – da ist er wieder. Was für ein Glück – wir werden ihn brauchen, wenn Chris jetzt wieder ein, zwei Spieltage ausfällt. Die Kölner gehen auf die drei Punkte, klar – gegen zehn Mann, die sichtlich noch ein wenig unter Schock sind. Immer wieder diese langen Bälle. Für meinen Geschmack greifen wir zu spät an und lassen den Kölnern zu viel Platz, um ihr Spiel immer wieder neu aufzubauen. Ein Kölner frei vorm Tor. Der schießt. Das war’s. Nein, er gibt ab auf Ishiaku, der noch besser platziert ist. Pröll schon am Boden. Ishiaku muss nur… aber er tut es nicht. Vorbei. Der Ball geht vorbei – zwei Meter am rechten Pfosten vorbei. Unfasslich. Der Kölner hinter mir ist grade in Ohnmacht gefallen. Tja, wenn man so mit seinen Chancen umgeht, würde ich jetzt gerne sagen, aber eigentlich ist mir nicht zum Lachen. Die letzten Minuten überstehen wir, erarbeiten uns sogar noch zwei Freistöße. Vielleicht ja doch noch, doch wieder ein last minute Tor? Nein, heute nicht. Aus. Das Spiel ist aus. Einen Punkt festgehalten. Immerhin. Besser als nichts. Trotzdem. Trotzdem.

Die Welt vor dem Stadion ist in Matsch und Wasser versunken. Wir stapfen durch meterbreite Pfützen. Der Bratwurststand unter seiner blauweißen Plane leuchtet freundlich im Dunkel. Dort angekommen bin ich dann auch wieder soweit, dass ich ein Gespräch mit meinem Kölner Mit-Adler aushalten kann. Jetzt sind wir uns in der Bewertung des Spiels schon ähnlicher. Glücklich war das Unentschieden – und zwar irgendwie für beide. Mmh… „..aber uns fehlen die Punkte mehr als euch.“ Ach, Mensch. Ich merke wie nach der Enttäuschung jetzt auch eine gewisse Verzagtheit über mich schwappt. Was e Elend. Wir werden wohl damit leben müssen, dass diese Saison kein Selbstläufer mehr wird. Verdammt. Da nützt es nix, dass das spielerisch heute deutlich besser aussah als beim Hinspiel in Köln. Oder nützt es doch was?

Der Bratwurstduft steigt in meine Nase. „Wir ham noch Hunger“, ordert mein Mit-Adler am Bratwurststand  vier Portionen. „Ei des trifft sich gut“, antwortet die Frau am Grill „Ihr habt Hunger – und mir habbe noch Worscht.“ Der Regen tropft auf meine Currywurst, die heiß und scharf ist. Wer Angst hat, der hat schon verloren. Nix da! Nächste Woche gegen Wolfsburg – da gilt es!
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Endlich geht auch DAS wieder los...

Irgendwie ein Trost,...danke.   :neutral-face


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