Glücklich. Erschöpft. Immer noch vibrierend sacke ich in meinen Sessel . Endlich ein kaltes Bier. Vor mir auf dem Bildschirm flackern die Bilder vom Elfmeterschießen in Osnabrück. Bin immer noch wie benommen. Was ist passiert? Lasse die Bilder des Abends an mir vorbeilaufen…
Wieder einmal kommen wir erst auf den letzten Drücker los. Na ja, Mittwoch. Arbeit muss halt auch sein. Einer unserer Mit-Adler hat sich kurzfristig entschlossen doch mitzukommen. Er hat noch keine Karte. Auch das noch. Kurve drehen. Einsteigen. Mit quietschenden Reifen Richtung Frankfurt. Die Straßen sind frei. Is halt doch ein Unterschied, ob 50.000 oder „nur“ knapp 30.000 Leute ins Stadion kommen. Trotzdem: Es ist schon kurz vor halb 7 als wir auf unserem Parkplatz stehen. Im Zuckeltrab auf zum Stadion. Ein wunderbarer Spätsommerabend. Die Sonne steht tief, es ist mild. Trotzdem die Zeit schon fortgeschritten ist, sind die Bier- und Bratwurststände noch umlagert. Dort ein Grüppchen Adler, das es sich mit mehreren Flaschen Ebbler um einen Straßenpfeiler gemütlich gemacht hat. Hopp, hopp, schoppe in de Kopp. Keine Bratwurst? Doch. Ich hab heut außer einem Brötchen noch nix gegessen. Schnell im vorbeihecheln. Die nette Dame am Grill wirft uns jedem eine Wurst zu, wir beißen und rennen. Am Kassenhäuschen hat sich eine mittelgroße Schlange gebildet. Klar, das Wetter hat viele Kurzentschlossene doch noch ins Stadion gelockt. Mist. Schon zwanzig vor. Jetzt noch anstehen… Müssen wir aber gar nicht. Ein Herr spricht unseren Mit-Adler an… ob er eine Karte braucht? Ja logisch – warum? Na ja – er hätte da nämlich eine Karte zu verschenken… Firmenkarte, einer abgesprungen, will er nicht verticken. Als Youngster könnte er das Geld doch sicher auch für was anderes brauchen (und das stimmt ja auch!) … Hey – Echt wahr? Umsonst? Wahnsinn. Cool. Dankedankedanke.
Die Einlasskontrollen sind heute kurz und knackig. Wir hecheln weiter. Mein Mit-Adler meint, er hätte sich den Abend etwas entspannter vorgestellt. Na gut, na gut. Sobald wir im Stadion sind werden wir ganz entspannt einen lockeren Einzug ins Achtelfinale genießen. So kann man sich täuschen. Rechtzeitig am Platz. Wundervolle Stimmung im Stadion schon vor dem Spiel. Ganz eigene Atmosphäre in dem zwar gut gefüllten, aber eben doch nur halbvollen Stadion. Das kleine Häufchen der gelbschwarzen in der Mitte des Gästeblocks versammelt. Ostkurve fast leer, Haupttribüne nur einzelne Menschensprengsel. Es prickelt. Schwarz und weiß wie Schnee schallt es durchs Rund. Europalied. Mannschaftsaufstellung. Und dann… ja.. .ein D-Zug. Was macht der Alex dann da? Ist durch, legt sich den Ball nach rechts, zieht ab…Too.. nein, ein Aachener dazwischen, aber da ist Caio, zieht ab. Jubeljubel. Mann. Besser kann es gar nicht laufen. Grinsen. Strahlende Gesichter. So stellt man sich das vor. Gegenzug. Die werden noch nicht…? Nein, da sei Oka vor. Nikolov. Nikolov. Aber da rollt schon wieder der Gegenzug - Libero steht goldrichtig – Tor. Tor. Tor. Rundum grinsende, lachende, glückliche Gesichter. Fünf Minuten gespielt - 2:0.Was für ein Auftakt. „Ihr könnt nach Hause fahrn“ intoniert die West. „Schießt ein Tor für uuuuuns…“ hält das Häuflein der aufrechten Aachener dagegen. Schon nach zehn Minuten ist die Stimmung im Stadion ins fast Absurde gekippt. „Und was machen wir jetzt die letzten 80 Minuten?“ fragt mein Mit-Adler. „Tore schießen?“ So kann’s weitergehen. Tut es aber nicht, denn statt eine der gefühlten weiteren zehn Chancen rein zu machen, fehlt jetzt plötzlich der Zug. Der Ball läuft gut, aber das sieht alles ein bisschen lässig aus. Prompt der Anschlusstreffer. Oka reagiert auf der Linie, kann den Ball aber nur abklatschen, da steht ein Aachener. Mist. Macht abber nix. Kann der guten Stimmung keinen Abbruch tun. Frankfurter Jungs, Frankfurter Jungs. Meier macht einmal mehr ein großartiges Spiel. Verteilt die Bälle, geht selbst, sieht die Lücke, in die der Ball muss. Taucht selbst immer und immer wieder vor dem Tor auf. Immer konzentriert, hellwach, auf eine coole Art lässig. Auf seine ganz eigene Art ist er dabei auf dem Platz zu dem zu werden, was man gerne als „Führungsspieler“ bezeichnet. Ochs wuselt auf der rechten Außenbahn – eine Anspielstation in der Vorwärtsbewegung mehr. Cool, das er wieder dabei ist. Trotzdem ertappe ich mich dabei, dass mir Franz fehlt. Es muss, es wird sich auch nach Ochs Rückkehr ein Platz in der Mannschaft für ihn finden. Schon gleich Halbzeit – wäre gut, wenn wir… und das machen wir dann auch. 3:1. Chris. Abgezockt. Das Ding ist gelaufen. Die Mannschaft wird mit Beifall in die Kabine verabschiedet.
Raus aus dem Block. Beine vertreten. Inzwischen hat sich der Abend übers Stadion gesenkt. Es ist mild wie an einem Sommerabend. Dunkle Wolkenfetzen. Lichter. „Und jetzt die zweite Halbzeit einfach nur noch entspannt genießen.“ Simse ich in alle Richtungen. So kann man sich täuschen.
Die zweite Halbzeit beginnt fast noch furioser wie die erste. Libero! Gegen den HSV hat er noch geschwächelt und heute bärenstark. Jubel. Schreie. Lachen. Aufgelöste, staunende, glückliche Gesichter um mich herum. Ganz vorne ein älterer Herr mit Schal, Trikot und Mütze der hüpft und gar nicht mehr aufhören kann seinem Nebenmann auf die Schulter zu klopfen. Braucht er auch nicht, denn jetzt – endlich – trifft auch er. Meier. Toooooooooooor. Alex ballt die Faust. Mein Herz fliegt über den Platz. „Mit der Nummer 14 – Alex…“ „Meier.“ Die Gesichtsmuskeln tun mir weh vom Jubeln, Lachen. „Berlin, Berlin. Wir fahren nach Berlin.“ Wie viele Tore werden jetzt noch fallen? Zwei, drei auf jeden Fall. Da sind meine Sitznachbarin und ich uns einig. Und die Tore fallen. Allerdings anders als wir uns das gedacht haben. 2:5. Ha ha. Macht ja nix, gleich werden wir den alten Abstand wieder herstellen. Der Aachener Block regt sich wieder. Die Westkurve intoniert „O wie ist das schön.“ Meier ist jetzt raus, wird mit warmem Beifall verabschiedet. Maddin kommt. Schön, dass er wieder dabei ist. Prompt eine Chance – von halblinks. Zieh ab. Verstolpert. Na ja. Dann der nächste. Der trifft tatsächlich, aber wieder ist es Oka der hinter sich greifen muss. Von Defensive nix mehr zu sehen. Eine lange Flanke von links segelt in unseren Strafraum, über Oka hinweg, der Aachener muss nur noch einschieben. Ooops. Was geht denn hier ab. Aberwitzig. Schräg. Hilfe. Die Westkurve singt. „Frankfurter Jungs. Frankfurter Jungs.“ Mein Handy piept. „Man hat schon Pferde vor der Apo…“ Ich kann trotzdem nicht aufhören zu grinsen. Fasse es nicht. Stehe. Hüpfe. Mein Mit-Adler ist da weniger entspannt. „Verdammt, verdammt. Das darf nicht passieren. Die lösen sich da hinten ja auf.“ Ok. Ok. Nur noch zehn Minuten. Was soll da noch passieren? Einen machen wir noch. Auf jeden Fall. Vasi verletzt raus (oh Mann, hält er sich da den Rücken?), Bajramovic kommt. Ballverlust im Mittelfeld. Russ klärt. Spycher, ruhig, abgeklärt. Schwegler. Kurz direkt auf Teber. Schön, wie wir flüssig hinten raus kombinieren. Das muss doch jetzt einfach… langer Ball nach rechts. Ungenau. Direkt auf einen blockenden Aachener Fuß. Verdammt. Verdammt. Konter. Hilfe. Drin. Der Ball ist drin. Noch drei Minuten. Can’t believe. Das kann doch nicht wahr sein. Gab’s das schon mal? Verlängerung nach einem 5:5? Schwegler ist auf links durch, ist im Strafraum… wir stehen und schreien. Elfer. Das muss doch einen Elfer geben. Gibt es auch. Ungläubiges Lachen, schreien, Kopf schütteln rund herum. Der Herr hinter mir stöhnt. „Jetzt bloß net Caio.“ Oder grade doch? Wäre jetzt eigentlich ein guter Zeitpunkt um „Caio, Caio“-Rufe anzustimmen. Er würde ihn reinmachen. Doch. Heute würde er. Stattdessen nimmt sich Teber den Ball. Auch gut. Läuft an – drin. Der Ball ist drin. Zittere. Jetzt, jetzt ist der Sack aber wirklich zu. Wir liegen uns in den Armen. Abpfiff. Stimmengewirr. Gesänge. Kopfschütteln. Haben wir das da eben wirklich erlebt? Was WAR das? Gickeln. Staunen. In den Arm kneifen. Ja. Ja. Ja. Das darf nicht passieren nach einer 5:1-Führung, aber was für ein geiles, geniales, furioses, wildes, schräges Spiel.
Ich stehe an der Bande. Klatsche. Singe. Wir holen den Dee efff beee Pokal und wir werden deutscher Meister. Die Mannschaft läuft zur Kurve, dreht wieder ab. Alle, alle bleiben. Gesänge. Jubel. Rufe. Hey… feiert noch ein bisschen mit uns. Und auch diesen Wunsch erfüllen uns die Jungs - sie machen sich auf eine Stadionrunde. Da kommen sie… Hände, Schals, Körper hängen über die Bande. Ich auch. Unsere Jungs. Mit so vielen von ihnen schon so viel durchgemacht. Wuschu. Wie lang war er verletzt, ist stärker zurückgekommen als er war. Jetzt läuft er vorneweg. Chris, cool. Grinst. Libero – ein offenes, breites Lachen. Ochs – irgendwie spitzbübisch. „Der Paddy“ stammelt es neben mir. Russ, der ein wenig ungläubig drein schaut. Der Herr hinter mir zählt sie alle auf: „De Marco.“ „De Meier.“ Alex schon im Sweatshirt, offen, cool. Klatsche ihn ab. Freu freu freu mich. Ein Stück dahinter kommt Caio. Fast zu Tode geliebt – jetzt vielleicht doch noch richtig angekommen? Er lächelt. Fast verlegen, schüchtern. (Herr hinter mir: „De Caio. Hey Caio. De Caio.“) Zimmermann. T-Bär. Breit grinsend. Schwegler, der aussieht als hätte jemand einen Eimer Glück über ihm ausgegossen. Lächelt. Guckt ungläubig. Zum Schluß Oka, flankiert von Attila. Oka, der ist wie er ist. Einfach Oka. Bleibt hier kurz stehen, da kurz stehen. Scherzt. Noch in Torwandhandschuhen. Abklatschen. Federnd. Herr hinter mir: "Oka. De Oka!"
Das Stadion leert sich. Der Videowürfel flimmert. Will noch nicht gehen. Kraxele, etwas wackelig, die Treppe nach oben. Noch ein Blick zurück. Am Samstag kommen wir wieder.
Zurück in meinen Sessel. Die Zusammenfassung des Spiels. Ja, so war das. So war das wirklich. Falle todmüde in mein Bett und träume. Wieder ist es die 90. Minute. Elfmeter. Caio tritt an. Totenstille im Stadion. Caio läuft an. Der Ball fliegt nach rechts. Der Torhüter nach links. Scharf ist er geschossen. Der geht genau ins Eck. Nein. An die Latte. Er geht an die Latte. Prallt zurück. Schlage die Hände vors Gesicht. Der Ball schlägt vor der Linie auf, dreht sich und kullert….. ins Tooooooooooooooooor.
Wache auf. Sag ich doch: Diesmal hätte Caio ihn AUCH reingemacht.
War echt das geilste Spiel, was ich seit langem gesehn habe...vom Ergebnis her, der Stimmung, der Atmosphäre und vom Support her erst recht! 1A Klasse Leistung von allen .
Uuuuuunglaublich, Du schreibst genauso atemberaubend , wie die Jungs gestern gespielt haben. Danke dafür.
Habe irgendwie auch noch gar nicht alles richtig verarbeitet und habe schon wieder die nächste Gänsehaut beim Lesen Deiner Zeilen.(Habe vorhin wohl zur gleichen Zeit wie Du den Fernseher angeschaltet....).
Komme natürlich auch am Samstag wieder und hoffe auf ein etwas nervenschonenderes Spiel.
Machst du des hauptberuflich oder was? Habe eine richtige Gänsehaut beim Lesen bekommen. Nach dem Lesen deines Berichtes fühlt man sich, als wäre man dabei gewesen.
Puh, rotundschwarz wie sie leibt, schreibt, lebt und bebt....
Haben wir gestern abend Barcelona geschlagen, oder war es doch nur Aachen?
Verdammt. Dieser nüchtern-sachliche Fußball-Betrachter in mir. Einmal in meinem Leben möchte es mir mal vergönnt sein, ein solch zwar nettes, auch durchaus außergewöhnliches Spiel, mit derart hemmungslosen, begeisterten, schwärmerischen Augen sehen und leben zu können. Und sämtliche Fehler und Unzulänglichkeiten ausblenden zu können. Einmal nur.
Wie immer...großartig geschrieben. Die pure Wortgewalt. Schönschönschön.
liebe kerstin, wie immer suuuuper geschrieben! danke dir, hatte auch gänsehaut, mir ging's nämlich sehr, sehr ähnlich! und witzig, ich hab deshalb heute auch wieder geschrieben, musste gedanken, emotionen und all das gestrig erlebte loswerden. wer mal reinlesen mag:
missr6 schrieb: liebe kerstin, wie immer suuuuper geschrieben! danke dir, hatte auch gänsehaut, mir ging's nämlich sehr, sehr ähnlich! und witzig, ich hab deshalb heute auch wieder geschrieben, musste gedanken, emotionen und all das gestrig erlebte loswerden. wer mal reinlesen mag:
Wieder einmal kommen wir erst auf den letzten Drücker los. Na ja, Mittwoch. Arbeit muss halt auch sein. Einer unserer Mit-Adler hat sich kurzfristig entschlossen doch mitzukommen. Er hat noch keine Karte. Auch das noch. Kurve drehen. Einsteigen. Mit quietschenden Reifen Richtung Frankfurt. Die Straßen sind frei. Is halt doch ein Unterschied, ob 50.000 oder „nur“ knapp 30.000 Leute ins Stadion kommen. Trotzdem: Es ist schon kurz vor halb 7 als wir auf unserem Parkplatz stehen. Im Zuckeltrab auf zum Stadion. Ein wunderbarer Spätsommerabend. Die Sonne steht tief, es ist mild. Trotzdem die Zeit schon fortgeschritten ist, sind die Bier- und Bratwurststände noch umlagert. Dort ein Grüppchen Adler, das es sich mit mehreren Flaschen Ebbler um einen Straßenpfeiler gemütlich gemacht hat. Hopp, hopp, schoppe in de Kopp. Keine Bratwurst? Doch. Ich hab heut außer einem Brötchen noch nix gegessen. Schnell im vorbeihecheln. Die nette Dame am Grill wirft uns jedem eine Wurst zu, wir beißen und rennen. Am Kassenhäuschen hat sich eine mittelgroße Schlange gebildet. Klar, das Wetter hat viele Kurzentschlossene doch noch ins Stadion gelockt. Mist. Schon zwanzig vor. Jetzt noch anstehen… Müssen wir aber gar nicht. Ein Herr spricht unseren Mit-Adler an… ob er eine Karte braucht? Ja logisch – warum? Na ja – er hätte da nämlich eine Karte zu verschenken… Firmenkarte, einer abgesprungen, will er nicht verticken. Als Youngster könnte er das Geld doch sicher auch für was anderes brauchen (und das stimmt ja auch!) … Hey – Echt wahr? Umsonst? Wahnsinn. Cool. Dankedankedanke.
Die Einlasskontrollen sind heute kurz und knackig. Wir hecheln weiter. Mein Mit-Adler meint, er hätte sich den Abend etwas entspannter vorgestellt. Na gut, na gut. Sobald wir im Stadion sind werden wir ganz entspannt einen lockeren Einzug ins Achtelfinale genießen. So kann man sich täuschen.
Rechtzeitig am Platz. Wundervolle Stimmung im Stadion schon vor dem Spiel. Ganz eigene Atmosphäre in dem zwar gut gefüllten, aber eben doch nur halbvollen Stadion. Das kleine Häufchen der gelbschwarzen in der Mitte des Gästeblocks versammelt. Ostkurve fast leer, Haupttribüne nur einzelne Menschensprengsel. Es prickelt. Schwarz und weiß wie Schnee schallt es durchs Rund. Europalied. Mannschaftsaufstellung. Und dann… ja.. .ein D-Zug. Was macht der Alex dann da? Ist durch, legt sich den Ball nach rechts, zieht ab…Too.. nein, ein Aachener dazwischen, aber da ist Caio, zieht ab. Jubeljubel. Mann. Besser kann es gar nicht laufen. Grinsen. Strahlende Gesichter. So stellt man sich das vor. Gegenzug. Die werden noch nicht…? Nein, da sei Oka vor. Nikolov. Nikolov. Aber da rollt schon wieder der Gegenzug - Libero steht goldrichtig – Tor. Tor. Tor. Rundum grinsende, lachende, glückliche Gesichter. Fünf Minuten gespielt - 2:0.Was für ein Auftakt. „Ihr könnt nach Hause fahrn“ intoniert die West. „Schießt ein Tor für uuuuuns…“ hält das Häuflein der aufrechten Aachener dagegen. Schon nach zehn Minuten ist die Stimmung im Stadion ins fast Absurde gekippt. „Und was machen wir jetzt die letzten 80 Minuten?“ fragt mein Mit-Adler. „Tore schießen?“ So kann’s weitergehen. Tut es aber nicht, denn statt eine der gefühlten weiteren zehn Chancen rein zu machen, fehlt jetzt plötzlich der Zug. Der Ball läuft gut, aber das sieht alles ein bisschen lässig aus. Prompt der Anschlusstreffer. Oka reagiert auf der Linie, kann den Ball aber nur abklatschen, da steht ein Aachener. Mist. Macht abber nix. Kann der guten Stimmung keinen Abbruch tun. Frankfurter Jungs, Frankfurter Jungs. Meier macht einmal mehr ein großartiges Spiel. Verteilt die Bälle, geht selbst, sieht die Lücke, in die der Ball muss. Taucht selbst immer und immer wieder vor dem Tor auf. Immer konzentriert, hellwach, auf eine coole Art lässig. Auf seine ganz eigene Art ist er dabei auf dem Platz zu dem zu werden, was man gerne als „Führungsspieler“ bezeichnet. Ochs wuselt auf der rechten Außenbahn – eine Anspielstation in der Vorwärtsbewegung mehr. Cool, das er wieder dabei ist. Trotzdem ertappe ich mich dabei, dass mir Franz fehlt. Es muss, es wird sich auch nach Ochs Rückkehr ein Platz in der Mannschaft für ihn finden. Schon gleich Halbzeit – wäre gut, wenn wir… und das machen wir dann auch. 3:1. Chris. Abgezockt. Das Ding ist gelaufen. Die Mannschaft wird mit Beifall in die Kabine verabschiedet.
Raus aus dem Block. Beine vertreten. Inzwischen hat sich der Abend übers Stadion gesenkt. Es ist mild wie an einem Sommerabend. Dunkle Wolkenfetzen. Lichter. „Und jetzt die zweite Halbzeit einfach nur noch entspannt genießen.“ Simse ich in alle Richtungen. So kann man sich täuschen.
Die zweite Halbzeit beginnt fast noch furioser wie die erste. Libero! Gegen den HSV hat er noch geschwächelt und heute bärenstark. Jubel. Schreie. Lachen. Aufgelöste, staunende, glückliche Gesichter um mich herum. Ganz vorne ein älterer Herr mit Schal, Trikot und Mütze der hüpft und gar nicht mehr aufhören kann seinem Nebenmann auf die Schulter zu klopfen. Braucht er auch nicht, denn jetzt – endlich – trifft auch er. Meier. Toooooooooooor. Alex ballt die Faust. Mein Herz fliegt über den Platz. „Mit der Nummer 14 – Alex…“ „Meier.“ Die Gesichtsmuskeln tun mir weh vom Jubeln, Lachen. „Berlin, Berlin. Wir fahren nach Berlin.“ Wie viele Tore werden jetzt noch fallen? Zwei, drei auf jeden Fall. Da sind meine Sitznachbarin und ich uns einig. Und die Tore fallen. Allerdings anders als wir uns das gedacht haben. 2:5. Ha ha. Macht ja nix, gleich werden wir den alten Abstand wieder herstellen. Der Aachener Block regt sich wieder. Die Westkurve intoniert „O wie ist das schön.“ Meier ist jetzt raus, wird mit warmem Beifall verabschiedet. Maddin kommt. Schön, dass er wieder dabei ist. Prompt eine Chance – von halblinks. Zieh ab. Verstolpert. Na ja. Dann der nächste. Der trifft tatsächlich, aber wieder ist es Oka der hinter sich greifen muss. Von Defensive nix mehr zu sehen. Eine lange Flanke von links segelt in unseren Strafraum, über Oka hinweg, der Aachener muss nur noch einschieben. Ooops. Was geht denn hier ab. Aberwitzig. Schräg. Hilfe. Die Westkurve singt. „Frankfurter Jungs. Frankfurter Jungs.“ Mein Handy piept. „Man hat schon Pferde vor der Apo…“ Ich kann trotzdem nicht aufhören zu grinsen. Fasse es nicht. Stehe. Hüpfe. Mein Mit-Adler ist da weniger entspannt. „Verdammt, verdammt. Das darf nicht passieren. Die lösen sich da hinten ja auf.“ Ok. Ok. Nur noch zehn Minuten. Was soll da noch passieren? Einen machen wir noch. Auf jeden Fall. Vasi verletzt raus (oh Mann, hält er sich da den Rücken?), Bajramovic kommt. Ballverlust im Mittelfeld. Russ klärt. Spycher, ruhig, abgeklärt. Schwegler. Kurz direkt auf Teber. Schön, wie wir flüssig hinten raus kombinieren. Das muss doch jetzt einfach… langer Ball nach rechts. Ungenau. Direkt auf einen blockenden Aachener Fuß. Verdammt. Verdammt. Konter. Hilfe. Drin. Der Ball ist drin. Noch drei Minuten. Can’t believe. Das kann doch nicht wahr sein. Gab’s das schon mal? Verlängerung nach einem 5:5? Schwegler ist auf links durch, ist im Strafraum… wir stehen und schreien. Elfer. Das muss doch einen Elfer geben. Gibt es auch. Ungläubiges Lachen, schreien, Kopf schütteln rund herum. Der Herr hinter mir stöhnt. „Jetzt bloß net Caio.“ Oder grade doch? Wäre jetzt eigentlich ein guter Zeitpunkt um „Caio, Caio“-Rufe anzustimmen. Er würde ihn reinmachen. Doch. Heute würde er. Stattdessen nimmt sich Teber den Ball. Auch gut. Läuft an – drin. Der Ball ist drin. Zittere. Jetzt, jetzt ist der Sack aber wirklich zu. Wir liegen uns in den Armen. Abpfiff. Stimmengewirr. Gesänge. Kopfschütteln. Haben wir das da eben wirklich erlebt? Was WAR das? Gickeln. Staunen. In den Arm kneifen. Ja. Ja. Ja. Das darf nicht passieren nach einer 5:1-Führung, aber was für ein geiles, geniales, furioses, wildes, schräges Spiel.
Ich stehe an der Bande. Klatsche. Singe. Wir holen den Dee efff beee Pokal und wir werden deutscher Meister. Die Mannschaft läuft zur Kurve, dreht wieder ab. Alle, alle bleiben. Gesänge. Jubel. Rufe. Hey… feiert noch ein bisschen mit uns. Und auch diesen Wunsch erfüllen uns die Jungs - sie machen sich auf eine Stadionrunde. Da kommen sie… Hände, Schals, Körper hängen über die Bande. Ich auch. Unsere Jungs. Mit so vielen von ihnen schon so viel durchgemacht. Wuschu. Wie lang war er verletzt, ist stärker zurückgekommen als er war. Jetzt läuft er vorneweg. Chris, cool. Grinst. Libero – ein offenes, breites Lachen. Ochs – irgendwie spitzbübisch. „Der Paddy“ stammelt es neben mir. Russ, der ein wenig ungläubig drein schaut. Der Herr hinter mir zählt sie alle auf: „De Marco.“ „De Meier.“ Alex schon im Sweatshirt, offen, cool. Klatsche ihn ab. Freu freu freu mich. Ein Stück dahinter kommt Caio. Fast zu Tode geliebt – jetzt vielleicht doch noch richtig angekommen? Er lächelt. Fast verlegen, schüchtern. (Herr hinter mir: „De Caio. Hey Caio. De Caio.“) Zimmermann. T-Bär. Breit grinsend. Schwegler, der aussieht als hätte jemand einen Eimer Glück über ihm ausgegossen. Lächelt. Guckt ungläubig. Zum Schluß Oka, flankiert von Attila. Oka, der ist wie er ist. Einfach Oka. Bleibt hier kurz stehen, da kurz stehen. Scherzt. Noch in Torwandhandschuhen. Abklatschen. Federnd. Herr hinter mir: "Oka. De Oka!"
Das Stadion leert sich. Der Videowürfel flimmert. Will noch nicht gehen. Kraxele, etwas wackelig, die Treppe nach oben. Noch ein Blick zurück. Am Samstag kommen wir wieder.
Zurück in meinen Sessel. Die Zusammenfassung des Spiels. Ja, so war das. So war das wirklich. Falle todmüde in mein Bett und träume. Wieder ist es die 90. Minute. Elfmeter. Caio tritt an. Totenstille im Stadion. Caio läuft an. Der Ball fliegt nach rechts. Der Torhüter nach links. Scharf ist er geschossen. Der geht genau ins Eck. Nein. An die Latte. Er geht an die Latte. Prallt zurück. Schlage die Hände vors Gesicht. Der Ball schlägt vor der Linie auf, dreht sich und kullert….. ins Tooooooooooooooooor.
Wache auf. Sag ich doch: Diesmal hätte Caio ihn AUCH reingemacht.
Danke, Heidegger hat doch recht, Sprache ist das "Haus des (im Stadion) Seins"
...war gestern (AUS-nahmsweise!) zu spät zum Anstoß da...
--> SELBER SCHULD !!! :neutral-face
Danke aus HB , Kerstin...
Habe irgendwie auch noch gar nicht alles richtig verarbeitet und habe schon wieder die nächste Gänsehaut beim Lesen Deiner Zeilen.(Habe vorhin wohl zur gleichen Zeit wie Du den Fernseher angeschaltet....).
Komme natürlich auch am Samstag wieder und hoffe auf ein etwas nervenschonenderes Spiel.
Respekt, geil ......
Ja, was war das? Etwas ganz Eigenes auf jeden Fall! Danke für Deine wunderbare Rückschau!
Dazke!
Was bin ich froh, dass wir mal endlich wieder so ein geniales Spiel erleben durften. Wir haben uns das auch verdient, finde ich!!
Danke dir für diesen Erlebnisbericht. Tut einfach nochmal richtig gut.
Danke
Haben wir gestern abend Barcelona geschlagen, oder war es doch nur Aachen?
Verdammt. Dieser nüchtern-sachliche Fußball-Betrachter in mir. Einmal in meinem Leben möchte es mir mal vergönnt sein, ein solch zwar nettes, auch durchaus außergewöhnliches Spiel, mit derart hemmungslosen, begeisterten, schwärmerischen Augen sehen und leben zu können. Und sämtliche Fehler und Unzulänglichkeiten ausblenden zu können. Einmal nur.
Wie immer...großartig geschrieben. Die pure Wortgewalt. Schönschönschön.
Danke für diesen Post!!!
http://waeller-adler.traveleor.com/blog/5650
schönen abend noch!
m.
Auch schön, danke Michelle.
So kanns weiter gehen.