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Die Diva - (nicht nur) ein Wochenrückblick

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für Heinzi
Visionen

Eigentlich hätte ich es ja besser wissen müssen. Letzte Woche sagte ich noch: "Die Chancen, in München was zu holen, sind wesentlich größer als im Pokal." Nach der unglücklichen Bundesliga-Niederlage wollte ich von der eigenen Theorie nichts mehr wissen. Ich hatte ein Vision!

"Wir hauen die Bayern jetzt weg!"
Das Stadion würde schon vor dem Anpfiff kochen wie einst im Mai, am 05. des Jahres 2007, beim 4:0 gegen Aachen. Dass es dieses Mal vor dem Spiel eine Choreo geben würde, verdrängte ich kurzer Hand - Informationen sind schließlich schlecht für Visionen (frei nach Heribert Bruchhagen).

"Das ist aber noch keine Vision", könnte man nun einwenden. Stimmt, es ging noch weiter: 1/4-Finale ein lockeres 4:0 in Osnabrück, im Halbfinale ein dramatischer Heimsieg gegen von-mir-aus-Schalke und dann in Berlin die eigentliche Vision:

"Das Siegtor durch Christoph Preuß!
Wir treten die Bayern in den ***** und bringen Christoph nach Berlin!"

"Wer Visionen hat, sollte lieber gleich zum Arzt gehen!" (Helmut Schmidt)

Als Start meiner Initiative "Wir bringen Christoph nach Berlin" eröffne ich mitten in der Nacht einen Thread "Bavaria delenda est" - mein einziger Beitrag seit Monaten. Als der erste Mod aufwachte, war das Ding auch schon zu. So viel zu Visionen.


1/8 Finale

Meine Frustration vom Mittwoch wird nicht weniger. Immerhin gelingt es mir, sie allmählich zu kleineren Teilfrustrationen zu zerlegen, die sich dann irgendwann vielleicht doch einmal bewältigen lassen. Aber das ist Arbeit.

Teil 1 meines Pensums war es, mir tatsächlich noch einmal die ersten 25 Spielminuten anzugucken. Für die, die nicht im Stadion waren, mag es unglaublich klingen, aber: Im TV sah das gar nicht soo schlimm aus wie vor Ort. Von der gerne und schnell zitierten "Arbeitsverweigerung" konnte jedenfalls im Fernsehen keine Rede sein. Auch waren die Bayern (mental) wirklich hervorragend auf dieses Spiel vorbereitet. Sogar der psychologischen Kriegsführung a la Maik Franz kamen sie zuvor - worauf nun dieser gar nicht vorbereitet war; vielleicht sollte man sich im "Drecksack sein" nicht unbedingt ausgerechnet mit einem italienischen Weltmeister messen wollen.

Mein Mitleid mit der eigenen Mannschaft hält sich aber in relativ engen Grenzen. Sie wusste, was auf sie zukam und war dennoch völlig unvorbereitet. Bei der letzten Klatsche zuhause gegen Bremen war das anders. Ich fand, da hat unsere Eintracht ein wirklich gutes Spiel gemacht, bis sie diesen doppelten Tiefschlag rote Karte + Strafstoß bekam. Da taten mir die Jungs unendlich leid in ihrer Hilflosigkeit, und ich hätte jeden Krakeeler im Stadion einzeln schütteln können. Womit ich bei Teil 2 meiner Bewältigung wäre, mein Verhältnis zur Kurve.

Vielleicht war ich der einzige im Stadion, dem die Choreo am Allerwertesten vorbei ging. Ich finde, man sollte sich auf das wesentliche konzentrieren und solche Basteleien den Mainzern für ihren Rosenmontagszug (oder den Nordkoreanern für Militärparaden) überlassen. Mein Problem, will ich hier auch nicht zum Thema machen. Ich muss nämlich mal loben, erstmals seit Ewigkeiten: Die Anfeuerung war stilvoll, ohne Häme, ohne "Schaut her, wir sind die besten Fans der Welt - auch wenn unsere Spieler alle nur faule Milionäre sind". Respekt, danke dafür, bitte mehr davon! Ich bin deprimiert aus dem Stadion raus - wie schon öfters - aber ich musste mich wenigstens nicht schämen. Vielleicht kann ich mich eines Tages doch noch mit den eigenen Fans innerlich versöhnen.


Presse (kleiner Einschub aus aktuellem Anlass)

Presse-Bashing ist ja momentan ganz groß angesagt. Gar nicht so selten auch völlig zu recht. Insbesondere das Drecksblatt und der Dreckssender (jawoll! Obwohl, wenn ich recht überlege, sind es gleich zwei Dreckssender: Der eine will nicht, der andere kann nicht besser) haben wirklich jede Schmähung verdient. Die anderen Beteiligten sehe ich gerne etwas differenzierter, da sie gelegentlich doch mit Herzblut bei der Sache sind.

Die FAZ wird heute 60 Jahre alt
Herzlichen Glückwunsch!

Manchmal war früher wirklich alles besser, wie ich etwas angerührt festgestellt habe; ich möchte von der damaligen 1. Seite zitieren:
"Wir haben genaue Vorstellungen von einer neuen Art Zeitung, die wir schaffen möchten. Für sie müßte die Wahrheit der Tatsache heilig sein; sie müßte auch den Andersmeinenden gegenüber immer Gerechtigkeit walten lassen; und sie müßte sich bemühen, nicht an der Oberfläche der Dinge stehen zu bleiben, sondern ihre geistigen Hintergründe aufzusuchen. Dies alles wollen wir redlich; aber wir glauben, zu diesem neuen Typ von Zeitung müßte auch eine beträchtliche Volkstümlichkeit, ein Ansprechen breiter Schichten - ohne ihre Umschmeichlung - gehören. Natürlich denken wir nur an diejenigen, die sich mit uns bemühen wollen, über die Dinge nachzudenken, statt Schlagworten nachzulaufen. Für die Denkfaulen möchten wir nicht schreiben. Aber sonst meinen wir, daß die Vereinigung von breiter Wirkung und geistigen Ansprüchen sehr wohl möglich sei."

WHOW! Dieser Anspruch und die Offenheit, ihn zu formulieren, beeindrucken mich wirklich. Und mit meinem beschränkten Eintracht-Horizont frage ich mich (und bitte sogleich um Entschuldigung für die kühne Assoziation): Muss man für solche Ansprüche wirklich einen schrecklichen Krieg und fürchterliche Gräueltaten 5 Jahre zuvor durchlebt haben? Oder reicht es vielleicht auch aus, vor 5 Jahren in der 2. Liga gewesen zu sein?

Keine Denkfaulen, keine Umschmeichelung!

Die Politik hat als erstes anerkannt, dass ein jeder das Recht hat, so belogen zu werden, wie er es möchte. Die Medien sind der Politik schon lange gefolgt. Von meinem persönlichen Umfeld erwarte ich aber immer noch Ehrlichkeit. Die Eintracht - und vielleicht sogar dieses Forum - gehören da aber irgendwie auch dazu (Ich hoffe, der eine oder andere kann meine wirren Gedanken folgen ...).

Ich blättere hier im Faksimile der ersten FAZ-Ausgabe und suche die Eintracht. Sie findet aber nur Erwähnung bei der "Kleinen Frankfurter Rugby-Betrachtung". Aber was über die Oxxen: "Die Offenbacher Kickers haben gegen die Wertung des Punktspieles gegen Schwaben Augsburg, das 2:2 endete, Einspruch erhoben, da nach ihrer Ansicht der Spielausgang durch falsche Schiedsrichterentscheidungen beeinflußt wurde." Die waren wirklich schon immer so.


Die Diva

Die Bayern verloren früher stets auf dem Betze. Die Lauterer führten dort regelmäßig Krieg gegen sie und verließen gewöhnlich danach das Schlachtfeld als Sieger. Die Kameras zeigten dann noch ein paar Bilder vom ehemaligen Rasen, der nun genauso aussah wie die restliche Kartoffelacker-Landschaft dort.

Im Waldstadion verloren die Bayern auch immer. Keinen Krieg, sondern den Wettbewerb "Wer spielt in Deutschland den besten Fußball?" Gegen Duisburg oder Bochum konnte man solche Wettbewerbe nicht austragen - das immerhin muss man den Bayern lassen.

Die Diva war in aller Munde. Am spürbarsten war für mich die "Diva", als der UEFA-Cup mit mir unvergessenen Spielen gewonnen wurde, gleichzeitig aber nur recht knapp der Abstieg vermieden werden konnte. Später kam die Diva zu neuen Höhen und einem neuen Tiefpunkt in Rostock.

Rostock. Viel mehr als eine verpasste Meisterschaft. Schlimmer als ein Trauma. Beginn eines ungerichteten Hasses. Plötzlich war es nicht mehr genug, die Gewissheit zu besitzen, "eigentlich" die Besten zu sein. Man hatte es endlich unter Beweis stellen und Fakten schaffen wollen - und dabei versagt. Ein paar Schuldige mussten her: Zuerst Alfons Berg natürlich. Unwidersprochen. Später auch Möller. Und Stepi.

Aber wirklich schuld war eine andere. Die Diva. Man hatte gründlich die Schnauze voll von ihr. Sie allein hatte den Erfolg der besten Fußballer Deutschlands, ja vielleicht Europas, verhindert. Und sie würde es immer wieder tun. Deshalb beschloss man, sie zu ermorden. Als man den Henker bestellte, gingen die Uhren anders.


Sonntag


Die Diva ist tot. Seit 15 Jahren! Und seitdem sie tot ist, trauert man ihr nach. Nach jedem außergewöhnlichen Spiel wird sie beschworen. Und hätten wir wieder bzw. dieses Mal die Bayern 6:0 nach Hause geschickt: Die Diva würde davon nicht mehr lebendig; ein paar Sternstunden zwischendurch hat schließlich fast jeder mal. Da können altehrwürdigen Fans nach einem Sieg noch so viele Tränen in den Augen stehen, der Frankfurter Größenwahn bejubelt werden - die Diva ist tot, tot, tot. Vielleicht sollte man es langsam doch einmal akzeptieren.

Natürlich tat es anfangs sehr weh. Aber in den vielen Jahren ist mir die Eintracht so unglaublich an's Herz gewachsen, da brauche ich kein Image mehr, ich fürchte nicht mal eines.

Gleich gehe ich in den Wald, Bochum kommt. Eine graue Maus, grauer geht's kaum. Wenn wir gewinnen, haben wir sie ungefähr auf der Distanz, auf der sie früher eigentlich immer waren, "wo die hingehören". Das wäre gut und ein weiterer Schritt in eine bessere Zukunft. Wenn wir verlieren, sind wir in etwa so grau wie die. Na und, ich pfeif drauf.
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die diva ist tod - lang lebe die diva
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Er schreibt wieder - Klasse.
Stellungsnahme spaeter

Erstmal Danke

LG
Ralf
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singender_hesse schrieb:
die diva ist tod - lang lebe die diva


Unsere alte Diva ist (spätestens) mit dem ersten Abstieg 1996 endgültig gestorben.

Das hat man auch an unserem Publikum gemerkt, das früher immer etwas versnobt war und über Kämpfer und Rackerer nur die Nase gerümpft hat - man war schließlich wer. Doch Horst Ehrmantraut hat es 1997/98 glänzend verstanden, unserem Publikum auch "hausgemachten Eintopf" schmackhaft zu machen, zuallererst mal laufen, kämpfen, beißen - und dann und wann auf dieses soliden Basis auch mal zu spielen. Das hatte nix mehr mit "Diva" zu tun, das war solides Handwerk. Und Handwerk hat bekanntlich goldenen Boden.

Heutzutage können wir uns Spieler, die einst die Diva verkörperten, finanziell nicht mehr leisten. Oder wie hat es Wolfgang "Scheppe" Kraus mal so schön formuliert: Spieler von der Klasse eines Grabi, Holz, Nickel könnten wir heutzutage gar nicht mehr bezahlen!

Ich denke, eine Mannschaft mit Grabi, Holz, Nickel hätte früher das Pokalspiel gegen Bayern mit Glanz und Gloria gewonnen gehabt - aber heute gegen Bochum sang- und klanglos 0:1 verloren...

Ein treffendes Beispiel hab ich hier: 1980, mittwochs im UEFA-Pokalfinale Bayern mit 5:1 n. V. (!) rausgeworfen - und dann das:  
http://www.fussballdaten.de/bundesliga/1980/30/frankfurt-bochum/
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schlusskonferenz schrieb:
Wenn wir verlieren, sind wir in etwa so grau wie die. Na und, ich pfeif drauf.


Ich pfeife, wie du weißt, mit dir. Bis gleich im Walde..
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Die Diva ist nicht tot! Sie riecht nur 'n bischen komisch...
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Bastele weiter an der Zerlegung Deiner Frustpartikel, mein Lieber. Wenn Du sie Dir ungefähr auf die Größe von Schwarzen Löchern zurechtgelegt hast, hast Du sie im Griff. Auf einmal geben sie sogar Energie.

Und um elegant von Schwarz auf Grau überzuleiten: die Schwarzkittel, die eigentlich gar keine mehr sind, werden uns den heutigen Heimsieg nicht verpfeifen. Da können sie pfeifen, bis sie schwarz werden. Bochum bleibt grau, und zwar als Maus. Wir hingegen, da heute Abendspiel ist, tun's allen Kazzen nach und sind ebenfalls grau, aber: als Eminenz. Das wird unsere ehrenvolle Rolle der kommenden Zeit sein: die Graue Eminenz der Liga. Niemals vordergründig, aber mächtig.

Colortheoretically yours,

ak

P.S. Welcome back
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Scummy schrieb:
Die Diva ist nicht tot! Sie riecht nur 'n bischen komisch...


   
Das ist mein Motto für das heutige Spiel - danke!
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Die Diva ist noch lange nicht tot!

Ein Drittligist gewinnt gegen Bayern im Pokal eher als sie, dass ist ihr Gesicht.

Am 28.11. wird sie sich wieder in der Hauptstadt zeigen.
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Die Diva liegt zumindest im Koma - seit einigen Jahren. Ich habe die Hoffnung, dass sie irgendwann wieder erwacht, aber die Chancen stehen schlecht.
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So vieles schön geschrieben, das ich einfach nur unterschreiben kann, auch nicht so wirr, die Gedanken, in kleinen Nebensätzen schön analysiert; in der Kernaussage aber zweifelhaft: Die Diva lebt, sie zieht es zur Zeit zwar vor, ein graues Kleid zu tragen, aber nur, um ihre Rache gründlichst vorzubereiten (Dürenmatt statt Andermatt).

Die Frage sei gestattet: Kann man eine Diva wirklich lieben?  Oder schaut man ihr nur bewundernd und eben auch mal kopfschüttelnd zu, der göttlichen Zicke, und liebt insgeheim das Vollweib, das sich putativ dahinter verbirgt?


(P.S.: Ich fand die Choreo gut und sogar hintersinnig, für die Bazis sind doch alle anderen "Preußen". Welcome back Christoph!)


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