>

Auge um Auge (Amene Bahrami)

#
Wenn mein Gesicht entstellt wird, mein Augenlicht verloren geht und somit mein Leben im Eimer ist, dann weiss ich nicht, wie ich reagieren würde. Gott sei Dank muss ich nicht reagieren. Diese arme und trostlose Frau, ihr kann keiner mehr helfen, ihr Leben ist dahin. Dennoch sollte sie aus Barmherzigkeit von dieser Tat absehen und ihm vergeben, sie soll ihn im Gefängnis schmoren lassen. Aber das lässt sich aus meiner Sicht sehr einfach sagen. Ich fühle mit ihr.

Ich wünsche ihr das Beste dieser Welt, möge sie das bisschen, was von ihrem Leben noch übrig geblieben ist, mit bravour meistern.  
#
eintrachtfrankfurt2005 schrieb:
Xaver08 schrieb:
Dirty-Harry schrieb:
yeboah1981 schrieb:
Ich merke gerade, irgendwie total sinnlos, ein fernes Land wegen seinen mittelalterlichen, barbarischen Zuständen zu verurteilen, wenn im eigenen eine absolute Mehrheit eine solche Rechtsprechung auch gutheißen würde.


Bewegt mich auch.

Woher kommt so was?

Reflexwirkungen der öffentl.Diskussionen über mögliche Strafverschärfungen,welche mit plakativen Bildern und Berichten untermauert werden ?Fehlende oder mangelhafte Vermittlung der Grundkenntnisse von Rechtsstaatlichkeit usw. in Schulen und Ausbildungen?

Strafmaßdiskussionen und Beurteilungen haben  nicht das Geringste mit der hier maßgebenden Sache zu  tun.  


emotionalität...

ganz besonders emotional wird es sobald sexualstraftaten und kinderschänder ins spiel kommen.

selbst leute, die du zu kennen glaubst, sind schnell bei der "schwanz ab" strafe.


Ja, die Emotionalität spielt schon sehr gewichtig mit hinein.

Man bewegt sich bei solchen Fällen in Grenzbereichen, wo man keine geeigneten Lösungen mehr finden kann.

Das Problem ist die Irreversibilität. Sachschäden lassen sich meist immer wieder regulieren. Oft auch 1:1.

Mal angenommen, der Täter hätte der Frau "nur" ihr Haus niedergebrannt, also nur einen Sachschaden erzeugt. Selbst der Minderbemittelste wird erkennen, dass eine genaue 1:1-Vergeltung (sie darf auch sein Haus niederbrennen) gar nichts an Leid mindert.

Eine höhere Befürwortungsquote würde man allerdings bekommen, wenn das Gericht den Täter zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes verpflichtet. Sprich: Der Täter muss unter fachlicher Aufsicht selbst das Haus wieder aufbauen, Stein für Stein, alleine. Und danach auf dem Acker arbeiten, die Möbel erwirtschaften. Geht es um solche Strafmaßnahmen, würde man vielleicht Zustimmungsquoten von 80-90% erreichen.

Viel schwieriger wird es, wenn Emotionalität bei den Gegenständen dazu kommt. Ein Sofa, das im Möbelhaus gekauft wurde, lässt sich wiederkaufen. Notfalls lässt man es maßanfertigen. Wie soll der Täter aber Kinderfotos und Familienerbstücke 1:1 ersetzen, die zerstört wurden? Wenn die Negative fehlen, wird es nicht funktionieren, das Bild ist nur noch eine Erinnerung.

Eine gesunkene Titanic wiederherzustellen ist eigentlich ganz einfach, wenn man die Baupläne und Konstruktionsskizzen hat. Ist "nur" eine Frage des Geldes und des Wollens.
Dagegen ein zerstörtes Foto wiederherzustellen ist unmöglich (irreversibel).

Auge um Auge, Zahn um Zahn zielt genau auf das Prinzip der Irreversibilität ab. Ein blindes Auge bleibt für immer blind. Ein gezogener Zahn wächst auch nicht mehr nach (der medizinische Stand ist seit ein paar Jahren anders, deshalb ist das Auge hier vorrangig zu betrachten).

Das Auge ist im Prinzip das wichtigste, was der Mensch hat. Wann immer der Mensch in eine Gefahrensituation kommt, er hält sich immer die Hand vor die Augen, um sie zu schützen.
Oder um das Unglück nicht mitansehen zu müssen.

Man kann einen Menschen klonen, aber man klont nicht wirklich damit einen Menschen, sondern reproduziert eine gleichaussehende Hülle. Ein Mensch ist innerlich vor allem die Summe seiner Erinnerungen, das was er mit den Augen im Verlauf seines Lebens wahrgenommen hat.

Deshalb sind Fotos auch so mit Emotionalität behaftet. Es sind die Situationen, die man mit den Augen wahrgenommen hat und die man sich immer wieder mit den Augen in Erinnerung rufen oder anderen für das Auge ersichtlich und begreifbar machen will.
Deshalb ist ein zerstörtes Sofa viel einfacher zu verschmerzen als zerstörte Fotos.

Der Täter hat dem Opfer das wertvollste genommen und die Frau Bahrami stellt zurecht die nachdenkenswerte Frage: Für wieviel Geld wäre jemand bereit, sein Augenlicht zu verkaufen?

Eine 1:1-Vergeltung ist also barbarisch und unrecht. Ok, akzeptiere ich. Damit ist aber nur definiert, wie der Täter nicht bestraft werden soll. Es bleibt die Frage: Wie soll ein geeignetes Strafmaß aussehen? Geldstrafe? Lebenslanger Freiheitsentzug?

Man darf zudem den Punkt nicht übersehen, dass bei Taten, die im Vorsatz begangen werden, das Strafmaß gelegentlich schon miteinkalkuliert wird. Im Wirtschaftsbereich sieht man das häufiger und die Rechtsprechung zeigt sich überfordert. Wenn Wirtschaftsakteure zweistellige Millionenbeträge durch illegale Handlungen auf die Seite schaffen, dann wird eine zu erwartende Strafzahlung oder eine Vergleichssumme schon in die Handlung miteinkalkuliert.

Dieselbe Antizipation könnte der Täter ebenfalls vor seiner Tat vorgenommen haben. Sprich: Selbst wenn der Täter 20 Jahre Freiheitsentzug bekommt und er ist sagen wir 35 Jahre alt, dann wäre er mit 55 wieder draußen.

Bei einem solchen Säureanschlag könnte man auf versuchten Mord erkennen. Das wären nach westlichen Maßstäben 15 Jahre plus Sicherungsverwahrung.

Hätte der Täter nur auf die Augen abgezielt und es wäre Schwere Körperverletzung, dann gilt in Deutschland:
§ 226, Schwere Körperverletzung:

(1) Hat die Körperverletzung zur Folge, daß die verletzte Person das Sehvermögen auf einem Auge oder beiden Augen, das Gehör, das Sprechvermögen oder die Fortpflanzungsfähigkeit verliert,
[...],
in erheblicher Weise dauernd entstellt wird oder in Siechtum, Lähmung oder geistige Krankheit oder Behinderung verfällt, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

Nach 10 Jahren hätte der Täter die Strafe verbüßt, hinzu kommen dann noch die zivilrechtlichen Ansprüche.

Man darf bei den Tätern nicht vergessen, dass es sich dabei um Fanatiker handelt, die eigentlich um jeden Preis ihr Ziel erreichen wollen. Auch zu dem Preis, 10 oder 15 Jahre des Lebens eingesperrt zu verbringen.

Ist der Täter 35 Jahre, wäre er mit 50 wieder draußen. Bleiben ihm noch um die 30 Jahre, die er zumindest annähernd so weiterleben kann, wie vor der Inhaftierung.
Das Säureopfer muss dagegen das gesamte Leben über mit den Folgen verbringen. So hat es der Täter auch geplant, sonst hätte er eine andere Tat verübt als einen Säureanschlag.

Ich schließe mich bei dem Punkt an, wenn es darum geht zu sagen: Körperverletzung kann nicht durch die gleiche Maßnahme gerecht bestraft werden, das ist barbarisch.

Aber damit ist immer noch die Frage offen: Wie soll für eine solche Tat nun ein geeignetes Strafmaß aussehen?


Ich finde deine Ausführung interessant und gut dargestellt. Besonders die Argumentation, dass eine "Freiheitsstrafe" hier nicht im Verhältnis zur Tat steht.
Aber mir fehlt eine, vor allem rationale, Begründung wieso diese spezifische vorsätzliche Handlung nicht damit bestraft werden soll, dass der Täter seine Tat gegen sich gekehrt erleben muss und mit den selben Auswirkungen leben soll. Es einfach mit "barbarisch" abzustempeln ist nicht konkret. Und ich meine auch wirklich nur diese spezifische Tat, und nicht Bestrafung von Gewalt generell.
#
woltego6 schrieb:

Aber mir fehlt eine, vor allem rationale, Begründung wieso diese spezifische vorsätzliche Handlung nicht damit bestraft werden soll, dass der Täter seine Tat gegen sich gekehrt erleben muss und mit den selben Auswirkungen leben soll. Es einfach mit "barbarisch" abzustempeln ist nicht konkret. Und ich meine auch wirklich nur diese spezifische Tat, und nicht Bestrafung von Gewalt generell.  


Eine rein auf die Auswirkungen einer Tat abstellende Strafzumessung führt in die Irre. Wenn ein betrunkener Autofahrer eine Frau so verletzt, dass sie erblindet, müsste man ja wohl zwingend zu einem anderen Strafmaß gelangen. Und dieses Talionsprinzip Auge um Auge nur auf vorsätzliches Handeln anzuwenden, führt auch nicht weiter. Die gesellschaftliche Reaktion auf individuelle Brutalität darf nicht brutal sein, weil dies zu einer insgesamt brutalen Gesellschaft führt.
#
Morphium schrieb:
Wenn mein Gesicht entstellt wird, mein Augenlicht verloren geht und somit mein Leben im Eimer ist, dann weiss ich nicht, wie ich reagieren würde. Gott sei Dank muss ich nicht reagieren. Diese arme und trostlose Frau, ihr kann keiner mehr helfen, ihr Leben ist dahin. Dennoch sollte sie aus Barmherzigkeit von dieser Tat absehen und ihm vergeben, sie soll ihn im Gefängnis schmoren lassen. Aber das lässt sich aus meiner Sicht sehr einfach sagen. Ich fühle mit ihr.

Ich wünsche ihr das Beste dieser Welt, möge sie das bisschen, was von ihrem Leben noch übrig geblieben ist, mit bravour meistern.  


Sehr guter Beitrag!
#
Leider ist es in Ländern wie Pakistan und Bangladesh sowie teilweise im Iran und Indien keine Seltenheit, daß Frauen von ihnen überdrüssigen Ehegatten oder verschmähten Verehren Säure isns Gesicht geschüttet wird.

Meist kommen die Täter ganz oder ziemlich straflos davon. Das Leben der Opfer ist gänzlich zerstört. Neben dem körperlichen Leiden kommt oft noch hunzu, daß diese Opfer von der dortigen Gesellschaft verachtet und als "selbst schuld" angesehen wird. Oft sind Selbstrmorde die weitere Folge, ansonsten fristen die armen Opfer ein elendes Leben.

http://www.nzz.ch/nachrichten/hintergrund/reportagen/pakistans_gesichtslose_frauen_1.5464214.html

Deswegen hat mich der Hinweis der iranischen Justiz aufmerksam werden lassen, daß seit diesem Urteil die Anzahl der Säureattentate stark rückläufg sei.

Wundert mich nicht, denn nunmehr haben die perfiden Täter endlich mal eine Strafe in Aussicht.

Ich fände es aber richtiger, die Täter grundsätzlich hart zu bestrafen. Und das nicht von nachsichtigen Dorfgeistlichen in ihrer Funktion als örtlich zuständigem Schariarichter sondern von ordentlicher staatlicher Justiz. Und das Ureil darf ruhig hart sein in Form einer sehr langen Haftzeit. Aber nicht so barbarisch Auge um Auge.
#
woltego6 schrieb:

Aber mir fehlt eine, vor allem rationale, Begründung wieso diese spezifische vorsätzliche Handlung nicht damit bestraft werden soll, dass der Täter seine Tat gegen sich gekehrt erleben muss und mit den selben Auswirkungen leben soll. Es einfach mit "barbarisch" abzustempeln ist nicht konkret. Und ich meine auch wirklich nur diese spezifische Tat, und nicht Bestrafung von Gewalt generell.  


Das westliche Rechtssystem ist auf Vergebung/Verzicht ausgelegt. Prinzipien wie z.B. die Verjährung einer Angelegenheit kannten schon die Römer. Die Justiz ist der Aufassung, dass Rechtsfriede nur dann herstellbar sei, wenn
eine Angelegenheit irgendwann ad acta gelegt wird.

Das Problem ist leider, dass das zur Antizipation von Tätern führt und dieser Punkt im Rechtssystem meiner Meinung nach nicht oder nur unzureichend berücksichtigt wird.

Es hat sich leider etabliert, dass zahlreiche Taten im Bewusstsein verübt werden, dass die Gerichte wegen Überlastung oft erst nach Monaten einen Fall bearbeiten können, die Gerichte alle Faktoren zugunsten der Strafmilderung bewerten, usw. Es reicht oft, einen festen Wohnsitz nachzuweisen und ein Einkommen und dann wird selbst bei brutaleren Taten keine U-Haft angeordnet. Es gibt Kriminelle in Metropolen, die wissen mittlerweile genau wie die Justiz "tickt".

Das führt dann zu Äußerungen wie die hier von Bushido:
http://www.youtube.com/watch?v=Nh43kmWh5WQ

"Bevor die Bullen kommen, hast du auf die Fresse bekommen und mehr als 600 EUR Schmerzensgeld kriegst du eh nicht"
Da ist ganz offenbar schon jemand Experte in der Hinsicht.

Gegenstände werden nicht selten mit dem Bewusstsein kaputtgemacht oder geklaut, dass bei Erwischen ohnehin nur der Zeitwert ersetzt werden muss. Das Opfer, dem die Sache geklaut wurde kann sich von dem zugesprochenen Schadenersatz oft nicht den Gegenstand neu anschaffen.

Mafiabanden schicken Kinder auf Klautour, weil sie wissen, dass Kinder unter 14 Jahren strafunmündig sind und maximal in Jugendbetreuung kommen. Der Staat kann in solchen Fällen oft nur ohnmächtig zuschauen. Die Kinder einfangen, die brechen aus, werden wieder eingefangen, usw.

Und diese Antizipation hat der Täter in dem Säurefall ebenfalls vorgenommen. Er hat sie nicht umgebracht, weil er offenbar erreichen wollte, dass sie tagtäglich an diese Tat erinnert wird. Der Täter wird irgendwann frei sein, aber für sie wird es nie wieder so sein, wie es war. Nach 10 Jahren wäre die Tat verbüßt, obwohl die Folgen immer existent sind. Genau wie es der Täter erreichen wollte.

Im Prinzip ist es die Quadratur des Kreises, die hier zu lösen ist.

stefank schrieb:

Die gesellschaftliche Reaktion auf individuelle Brutalität darf nicht brutal sein, weil dies zu einer insgesamt brutalen Gesellschaft führt.  


Ja. Gefährlich wird es allerdings, wenn die Brutalen ihre Taten im Bewusstsein begehen, dass die Gesellschaft gar keine Möglichkeiten hat, eine Tat verhältnismäßig angemessen zu bestrafen.

Deswegen bleibt die Frage offen: Welche Strafe ist nun für das Säureattentat angemessen?
#
Ich kann die Reaktion der Frau absolut nachvollziehen! Ihr Leben ist komplett zerstört! Gutheißen kann ich eine solche Rechtssprechung aber dennoch nicht! Besser wird es ihr danach wahrscheinlich auch nicht gehen.
#
eintrachtfrankfurt2005 schrieb:


Deswegen bleibt die Frage offen: Welche Strafe ist nun für das Säureattentat angemessen?


Gemäß § 226 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 und § 38 Abs. 2 Strafgesetzbuch Freiheitsstrafe von 3 bis 15 Jahren.
#
eintrachtfrankfurt2005 schrieb:
woltego6 schrieb:

Aber mir fehlt eine, vor allem rationale, Begründung wieso diese spezifische vorsätzliche Handlung nicht damit bestraft werden soll, dass der Täter seine Tat gegen sich gekehrt erleben muss und mit den selben Auswirkungen leben soll. Es einfach mit "barbarisch" abzustempeln ist nicht konkret. Und ich meine auch wirklich nur diese spezifische Tat, und nicht Bestrafung von Gewalt generell.  


Das westliche Rechtssystem ist auf Vergebung/Verzicht ausgelegt. Prinzipien wie z.B. die Verjährung einer Angelegenheit kannten schon die Römer. Die Justiz ist der Aufassung, dass Rechtsfriede nur dann herstellbar sei, wenn
eine Angelegenheit irgendwann ad acta gelegt wird.

Das Problem ist leider, dass das zur Antizipation von Tätern führt und dieser Punkt im Rechtssystem meiner Meinung nach nicht oder nur unzureichend berücksichtigt wird.

Es hat sich leider etabliert, dass zahlreiche Taten im Bewusstsein verübt werden, dass die Gerichte wegen Überlastung oft erst nach Monaten einen Fall bearbeiten können, die Gerichte alle Faktoren zugunsten der Strafmilderung bewerten, usw. Es reicht oft, einen festen Wohnsitz nachzuweisen und ein Einkommen und dann wird selbst bei brutaleren Taten keine U-Haft angeordnet. Es gibt Kriminelle in Metropolen, die wissen mittlerweile genau wie die Justiz "tickt".

Das führt dann zu Äußerungen wie die hier von Bushido:
http://www.youtube.com/watch?v=Nh43kmWh5WQ

"Bevor die Bullen kommen, hast du auf die Fresse bekommen und mehr als 600 EUR Schmerzensgeld kriegst du eh nicht"
Da ist ganz offenbar schon jemand Experte in der Hinsicht.

Gegenstände werden nicht selten mit dem Bewusstsein kaputtgemacht oder geklaut, dass bei Erwischen ohnehin nur der Zeitwert ersetzt werden muss. Das Opfer, dem die Sache geklaut wurde kann sich von dem zugesprochenen Schadenersatz oft nicht den Gegenstand neu anschaffen.

Mafiabanden schicken Kinder auf Klautour, weil sie wissen, dass Kinder unter 14 Jahren strafunmündig sind und maximal in Jugendbetreuung kommen. Der Staat kann in solchen Fällen oft nur ohnmächtig zuschauen. Die Kinder einfangen, die brechen aus, werden wieder eingefangen, usw.

Und diese Antizipation hat der Täter in dem Säurefall ebenfalls vorgenommen. Er hat sie nicht umgebracht, weil er offenbar erreichen wollte, dass sie tagtäglich an diese Tat erinnert wird. Der Täter wird irgendwann frei sein, aber für sie wird es nie wieder so sein, wie es war. Nach 10 Jahren wäre die Tat verbüßt, obwohl die Folgen immer existent sind. Genau wie es der Täter erreichen wollte.

Im Prinzip ist es die Quadratur des Kreises, die hier zu lösen ist.

stefank schrieb:

Die gesellschaftliche Reaktion auf individuelle Brutalität darf nicht brutal sein, weil dies zu einer insgesamt brutalen Gesellschaft führt.  


Ja. Gefährlich wird es allerdings, wenn die Brutalen ihre Taten im Bewusstsein begehen, dass die Gesellschaft gar keine Möglichkeiten hat, eine Tat verhältnismäßig angemessen zu bestrafen.

Deswegen bleibt die Frage offen: Welche Strafe ist nun für das Säureattentat angemessen?


Genau das ist es ja, diese Einplanbarkeit, egal welche lanwierigen Schäden deine Aktion zur Folge hat, weißt du, dass dir "nur" Freiheitsentzug droht. Wenn ich vor einer Säureattacke, die zur blindheit führt weiß, dass ich davon auch erblinde, wird diese Tat seltener in der Gesellschaft begangen, und das, stefank, führt zu einer weniger brutalen Gesellschaft.Oder?
#
woltego6 schrieb:
eintrachtfrankfurt2005 schrieb:
woltego6 schrieb:

Aber mir fehlt eine, vor allem rationale, Begründung wieso diese spezifische vorsätzliche Handlung nicht damit bestraft werden soll, dass der Täter seine Tat gegen sich gekehrt erleben muss und mit den selben Auswirkungen leben soll. Es einfach mit "barbarisch" abzustempeln ist nicht konkret. Und ich meine auch wirklich nur diese spezifische Tat, und nicht Bestrafung von Gewalt generell.  


Das westliche Rechtssystem ist auf Vergebung/Verzicht ausgelegt. Prinzipien wie z.B. die Verjährung einer Angelegenheit kannten schon die Römer. Die Justiz ist der Aufassung, dass Rechtsfriede nur dann herstellbar sei, wenn
eine Angelegenheit irgendwann ad acta gelegt wird.

Das Problem ist leider, dass das zur Antizipation von Tätern führt und dieser Punkt im Rechtssystem meiner Meinung nach nicht oder nur unzureichend berücksichtigt wird.

Es hat sich leider etabliert, dass zahlreiche Taten im Bewusstsein verübt werden, dass die Gerichte wegen Überlastung oft erst nach Monaten einen Fall bearbeiten können, die Gerichte alle Faktoren zugunsten der Strafmilderung bewerten, usw. Es reicht oft, einen festen Wohnsitz nachzuweisen und ein Einkommen und dann wird selbst bei brutaleren Taten keine U-Haft angeordnet. Es gibt Kriminelle in Metropolen, die wissen mittlerweile genau wie die Justiz "tickt".

Das führt dann zu Äußerungen wie die hier von Bushido:
http://www.youtube.com/watch?v=Nh43kmWh5WQ

"Bevor die Bullen kommen, hast du auf die Fresse bekommen und mehr als 600 EUR Schmerzensgeld kriegst du eh nicht"
Da ist ganz offenbar schon jemand Experte in der Hinsicht.

Gegenstände werden nicht selten mit dem Bewusstsein kaputtgemacht oder geklaut, dass bei Erwischen ohnehin nur der Zeitwert ersetzt werden muss. Das Opfer, dem die Sache geklaut wurde kann sich von dem zugesprochenen Schadenersatz oft nicht den Gegenstand neu anschaffen.

Mafiabanden schicken Kinder auf Klautour, weil sie wissen, dass Kinder unter 14 Jahren strafunmündig sind und maximal in Jugendbetreuung kommen. Der Staat kann in solchen Fällen oft nur ohnmächtig zuschauen. Die Kinder einfangen, die brechen aus, werden wieder eingefangen, usw.

Und diese Antizipation hat der Täter in dem Säurefall ebenfalls vorgenommen. Er hat sie nicht umgebracht, weil er offenbar erreichen wollte, dass sie tagtäglich an diese Tat erinnert wird. Der Täter wird irgendwann frei sein, aber für sie wird es nie wieder so sein, wie es war. Nach 10 Jahren wäre die Tat verbüßt, obwohl die Folgen immer existent sind. Genau wie es der Täter erreichen wollte.

Im Prinzip ist es die Quadratur des Kreises, die hier zu lösen ist.

stefank schrieb:

Die gesellschaftliche Reaktion auf individuelle Brutalität darf nicht brutal sein, weil dies zu einer insgesamt brutalen Gesellschaft führt.  


Ja. Gefährlich wird es allerdings, wenn die Brutalen ihre Taten im Bewusstsein begehen, dass die Gesellschaft gar keine Möglichkeiten hat, eine Tat verhältnismäßig angemessen zu bestrafen.

Deswegen bleibt die Frage offen: Welche Strafe ist nun für das Säureattentat angemessen?


Genau das ist es ja, diese Einplanbarkeit, egal welche lanwierigen Schäden deine Aktion zur Folge hat, weißt du, dass dir "nur" Freiheitsentzug droht. Wenn ich vor einer Säureattacke, die zur blindheit führt weiß, dass ich davon auch erblinde, wird diese Tat seltener in der Gesellschaft begangen, und das, stefank, führt zu einer weniger brutalen Gesellschaft.Oder?


wie oft finden denn säureattacken hier in deutschland statt?

in einem land, in dem eine säureattacke nicht damit bestraft wird, den täter zu blenden....
#
Xaver08 schrieb:
woltego6 schrieb:
eintrachtfrankfurt2005 schrieb:
woltego6 schrieb:

Aber mir fehlt eine, vor allem rationale, Begründung wieso diese spezifische vorsätzliche Handlung nicht damit bestraft werden soll, dass der Täter seine Tat gegen sich gekehrt erleben muss und mit den selben Auswirkungen leben soll. Es einfach mit "barbarisch" abzustempeln ist nicht konkret. Und ich meine auch wirklich nur diese spezifische Tat, und nicht Bestrafung von Gewalt generell.  


Das westliche Rechtssystem ist auf Vergebung/Verzicht ausgelegt. Prinzipien wie z.B. die Verjährung einer Angelegenheit kannten schon die Römer. Die Justiz ist der Aufassung, dass Rechtsfriede nur dann herstellbar sei, wenn
eine Angelegenheit irgendwann ad acta gelegt wird.

Das Problem ist leider, dass das zur Antizipation von Tätern führt und dieser Punkt im Rechtssystem meiner Meinung nach nicht oder nur unzureichend berücksichtigt wird.

Es hat sich leider etabliert, dass zahlreiche Taten im Bewusstsein verübt werden, dass die Gerichte wegen Überlastung oft erst nach Monaten einen Fall bearbeiten können, die Gerichte alle Faktoren zugunsten der Strafmilderung bewerten, usw. Es reicht oft, einen festen Wohnsitz nachzuweisen und ein Einkommen und dann wird selbst bei brutaleren Taten keine U-Haft angeordnet. Es gibt Kriminelle in Metropolen, die wissen mittlerweile genau wie die Justiz "tickt".

Das führt dann zu Äußerungen wie die hier von Bushido:
http://www.youtube.com/watch?v=Nh43kmWh5WQ

"Bevor die Bullen kommen, hast du auf die Fresse bekommen und mehr als 600 EUR Schmerzensgeld kriegst du eh nicht"
Da ist ganz offenbar schon jemand Experte in der Hinsicht.

Gegenstände werden nicht selten mit dem Bewusstsein kaputtgemacht oder geklaut, dass bei Erwischen ohnehin nur der Zeitwert ersetzt werden muss. Das Opfer, dem die Sache geklaut wurde kann sich von dem zugesprochenen Schadenersatz oft nicht den Gegenstand neu anschaffen.

Mafiabanden schicken Kinder auf Klautour, weil sie wissen, dass Kinder unter 14 Jahren strafunmündig sind und maximal in Jugendbetreuung kommen. Der Staat kann in solchen Fällen oft nur ohnmächtig zuschauen. Die Kinder einfangen, die brechen aus, werden wieder eingefangen, usw.

Und diese Antizipation hat der Täter in dem Säurefall ebenfalls vorgenommen. Er hat sie nicht umgebracht, weil er offenbar erreichen wollte, dass sie tagtäglich an diese Tat erinnert wird. Der Täter wird irgendwann frei sein, aber für sie wird es nie wieder so sein, wie es war. Nach 10 Jahren wäre die Tat verbüßt, obwohl die Folgen immer existent sind. Genau wie es der Täter erreichen wollte.

Im Prinzip ist es die Quadratur des Kreises, die hier zu lösen ist.

stefank schrieb:

Die gesellschaftliche Reaktion auf individuelle Brutalität darf nicht brutal sein, weil dies zu einer insgesamt brutalen Gesellschaft führt.  


Ja. Gefährlich wird es allerdings, wenn die Brutalen ihre Taten im Bewusstsein begehen, dass die Gesellschaft gar keine Möglichkeiten hat, eine Tat verhältnismäßig angemessen zu bestrafen.

Deswegen bleibt die Frage offen: Welche Strafe ist nun für das Säureattentat angemessen?


Genau das ist es ja, diese Einplanbarkeit, egal welche lanwierigen Schäden deine Aktion zur Folge hat, weißt du, dass dir "nur" Freiheitsentzug droht. Wenn ich vor einer Säureattacke, die zur blindheit führt weiß, dass ich davon auch erblinde, wird diese Tat seltener in der Gesellschaft begangen, und das, stefank, führt zu einer weniger brutalen Gesellschaft.Oder?


wie oft finden denn säureattacken hier in deutschland statt?

in einem land, in dem eine säureattacke nicht damit bestraft wird, den täter zu blenden....


Mir geht es nicht um Deutschland, sondern das Strafprinzip an sich. Und auch nicht darum, was passiert wenn jemand betrunken jemanden überfährt etc. Sondern um geplanten Mord, vorsetzliche Körperverletzung mit Spätfolgen usw. Und diese Dinge passieren auch Deutschland.
#
woltego6 schrieb:
Oder?

Die Todesstrafe führt in den USA auch nicht zu weniger Morden. Oder?
#
pipapo schrieb:
woltego6 schrieb:
Oder?

Die Todesstrafe führt in den USA auch nicht zu weniger Morden. Oder?


Das würde ich gerne näher wissen. Gibt es da Statistiken?
#
pipapo schrieb:
woltego6 schrieb:
Oder?

Die Todesstrafe führt in den USA auch nicht zu weniger Morden. Oder?


Hmm, das weiß ich nicht. Dafür müsste man sie erstmal ne Weile aussetzen und dann wieder einführen. Vielleicht gibts darüber aber auch bereits Forschungen, die sich damit befassen.Auf jeden Fall schließt  die Todesstrafe aus, dass der Mörder noch weitere Morde begeht. Das Thema ist wirklich nicht leicht, kann mich noch aus meinem Studium erinnern, dass es im Bereich der Kriminalitätsforschung gegensetzliche Auffassungen gibt. Jedoch war die Meinung der Forscher deckungsleich, dass die Erwartung einer Strafe und das Bewusstsein über diese, Auswirkungen darauf hat, ob eine Straftat begangen wird oder nicht. Nur mal so als Beispiel hat die "Zero Tolerance" Strategie zu einem extremen Kriminalitätsrückgang in New York geführt.
Gibt es Gegenbeispiele, die zeigen, dass die Erhöhung und schnellere Einsetzung von Strafen die Anzahl der Straftaten sogar noch erhöht?
#
woltego6 schrieb:
pipapo schrieb:
woltego6 schrieb:
Oder?

Die Todesstrafe führt in den USA auch nicht zu weniger Morden. Oder?


Hmm, das weiß ich nicht. Dafür müsste man sie erstmal ne Weile aussetzen und dann wieder einführen. Vielleicht gibts darüber aber auch bereits Forschungen, die sich damit befassen.Auf jeden Fall schließt  die Todesstrafe aus, dass der Mörder noch weitere Morde begeht. Das Thema ist wirklich nicht leicht, kann mich noch aus meinem Studium erinnern, dass es im Bereich der Kriminalitätsforschung gegensetzliche Auffassungen gibt. Jedoch war die Meinung der Forscher deckungsleich, dass die Erwartung einer Strafe und das Bewusstsein über diese, Auswirkungen darauf hat, ob eine Straftat begangen wird oder nicht. Nur mal so als Beispiel hat die "Zero Tolerance" Strategie zu einem extremen Kriminalitätsrückgang in New York geführt.
Gibt es Gegenbeispiele, die zeigen, dass die Erhöhung und schnellere Einsetzung von Strafen die Anzahl der Straftaten sogar noch erhöht?


Eine Todesstrafe schließt auch aus das man Unschuldig verurteilte wieder frei lassen kann, denn die Todesstrafe ist irgendwie entgültig. Auch ist es so, das der Henker nix anderes ist als ein Auftragskiller ist. Und das Straftaten zurück gehen blos weil die Strafen erhöht wurden gehört ins Reich der Märchen.
#
pipapo schrieb:
woltego6 schrieb:
Oder?

Die Todesstrafe führt in den USA auch nicht zu weniger Morden. Oder?


Richtig, so weit ich weiß, ist in den meisten Bundesstaaten, die die Hinrichtung wieder einführten, die Mordrate sogar  gestiegen im Vergleich zu denen, die sie nicht zulassen. Müsste aber mal nach einer Quelle suchen.
#
Ich bin mir nicht sicher, ob wir bei Beurteilung dieser Sache ausschließlich die Wertmaßstäbe deutscher Justizbarkeit anlegen sollten, schließlich sind die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ebenfalls kaum zu vergleichen.

Ich zieh mich da mal folgendermaßen aus der Diskussion:

Wenn im Iran zum letzten Mal eine Frau wegen Ehebruchs gesteinigt wurde, dann fange ich auch an, mich darüber aufzuregen, dass dort Säureattentäter geblendet werden.
#
Nirgendwo auf der Welt hat nach der Abschaffung der Todesstrafe die Kriminalität zugenommen. Ursachen für kriminelles Verhalten sind in den komplexen seelischen und gesellschaftlichen Bedingungen des menschlichen Daseins zu suchen. Es ist naiv zu glauben, diese Problematik sei mit dem Dampfhammer der Todesstrafe zu lösen.

Quelle: http://www.acat-deutschland.de/Todesstrafe/Todesstrafe_Kap_2.html
#
eSGEhtgutab schrieb:
pipapo schrieb:
woltego6 schrieb:
Oder?

Die Todesstrafe führt in den USA auch nicht zu weniger Morden. Oder?


Richtig, so weit ich weiß, ist in den meisten Bundesstaaten, die die Hinrichtung wieder einführten, die Mordrate sogar  gestiegen im Vergleich zu denen, die sie nicht zulassen. Müsste aber mal nach einer Quelle suchen.


Das liegt aber z.T. daran dass nicht nur Mord mit Tod bestraft wird. Ein Täter, dem wegen sagen wir mal Entführung oder Vergewaltigung ohnehin die Todesstrafe droht, ist eher geneigt, das Opfer zu töten, um die Strafverfolgung zu erschweren.

DA
#
Dortelweil-Adler schrieb:
eSGEhtgutab schrieb:
pipapo schrieb:
woltego6 schrieb:
Oder?

Die Todesstrafe führt in den USA auch nicht zu weniger Morden. Oder?


Richtig, so weit ich weiß, ist in den meisten Bundesstaaten, die die Hinrichtung wieder einführten, die Mordrate sogar  gestiegen im Vergleich zu denen, die sie nicht zulassen. Müsste aber mal nach einer Quelle suchen.


Das liegt aber z.T. daran dass nicht nur Mord mit Tod bestraft wird. Ein Täter, dem wegen sagen wir mal Entführung oder Vergewaltigung ohnehin die Todesstrafe droht, ist eher geneigt, das Opfer zu töten, um die Strafverfolgung zu erschweren.

DA


Das ist hier doch auch so und hier gibt es keine Todesstrafe. Hier werden auch Opfer getötet damit der Täter der Strafverfolgung entgeht.


Teilen