Eine alte Frage. Die Staatsanwaltschaft Stade hat die Lösung eingrenzen können: Der Betrag liegt irgendwo zwischen ein paar Äpfeln und 2.000 Euro.
Jeder Jurist kennt aus der Anfängervorlesung zur Notwehr den fiktiven Fall, dass ein Rentner im Rollstuhl sieht, wie ein paar Jungs Äpfel im Garten klauen. Da er keine andere Möglickeit zur Abwehr dieses gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs hat, greift er zum Gewehr und erschießt einen der Jungen. Die absolut herrschende Meinung zu diesem Fall ist, dass es sich hier wegen dem krassen Mißverhältnis zwiachen dem angegriffenen Rechtsgut, nämlich ein paar Äpfeln, und der Folge der Notwehrhandlung, nämlich dem Tod eines Kindes, Notwehr nicht gegeben ist, und somit keine Straffreiheit nach § 32 Strafgesetzbuch eintritt.
Nun hatte die Staatsanwaltschaft Stade nicht über den Diebstahl einiger Äpfel zu entscheiden. Und der Täter war kein Kind, sondern 16 Jahre alt. Ansonsten ähnelt der Sachverhalt verblüffend dem ausgedachten Lehrfall:
Von diesem Fall hab ich schon gehört. Wollte direkt dazu was schreiben. Das der alte Mann evtl. die Schüsse nur erwidert hat und Angst um sein Leben hatte. Eine Vergleichbarkeit mit dem Kirschbaumfall also nicht gegeben ist. Aber dann hab ich mich entschlossen, doch erstmal den Artikel zu lesen. Und da stoß ich auf die Aussagen der Staatsanwaltschaft. Und muss Dir zustimmen.
Wobei die Frage, was ein Menschenleben wert ist, in diesem Zusammenhang deplatziert ist. Oder zumindest die selbstgegebene Antwort. Denn eine Abwägung findet in dem Sinne bei der Notwehr nicht statt. Das Missverhältniss zwischen geschützten und beeinträchtigen Rechtsgut muss ein außergewöhnlich grobes sein zum die Gebotenheit entfallen zu lassen. Der Leipziger schreibt in diesen Zusammenhang, dass Notwehr beim flüchtenden Dieb immer dann geboten ist, wenn die Diebesbeute einen mehr als nur geringfügigen Wert für den Verteidiger hat. Dass sich das Rechtsgefühl dagegen sträube, sei der annahme der Gegenwärtigkeit des Angriffs in der Zeit zwischen Vollendung und Beendigung des Diebstahls geschuldet (ob man das gut findet ist wieder eine andere Frage). Und ich muss sagen, dass ich dem zustimme. Eigentum ist eben kein minderwertiges Rechtsgut, zumindest nicht nach dem Wortlaut des § 32 StGB und eine Beschränkung wie Du sie zu befürworten scheinst, würde die Ausnahme des gröbsten Missverhältnisses bei Eigentumsdelikten zur Regel machen.
Ich habe mir nach der Lektüre des Artikels diese Fragen auch gestellt. Was wäre z.B., wenn diese 2.000 Euro das letzte Geld eines Mannes sind, der damit am nächsten Tag eine Geldstrafe bezahlen muss, oder sonst Ersatzfreiheitsstrafe antreten müsste? Was mich aber erschreckt ist, mit welcher Gelassenheit hier die herrschende Lehre, dass eine Abwägung zwischen gefahrdetem Rechtsgut und Folge der Notwehrhandlung nicht statthaft sei, akzeptiert wird. Gerade dieser Fall gibt m.E. Anlass, über die Richtigkeit dieses Postulats nachzdenken.
DeeDERADLERDee schrieb: Auf der Flucht in den Rücken geschossen? Wo ist da die Notwehr?
Notwehr ist nach juristischer Definition die Abwehr eines gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs auf ein geschütztes Rechtsgut. Dieses Rechtsgut ist im vorliegenden Fall das Eigentum an den 2.000 Euro. Der Angriff war gegenwärtig, weil der Gewahrsam des Täters an dem Geld noch nicht gesichert war, er war noch im unmittelbaren Zugriffsbereichs des Opfers. Mit dem Schuss in den Rüken hat der Beraubte sein Eigentumsrecht an dem Geld verteidigt. Soweit die herrschende juristische Lehre. Nur fraglich, ob dies so heute noch richtig ist, bzw. richtig sein soll. Darum dreht sich die Diskussion hier.
DeeDERADLERDee schrieb: Auf der Flucht in den Rücken geschossen? Wo ist da die Notwehr?
Notwehr ist nach juristischer Definition die Abwehr eines gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs auf ein geschütztes Rechtsgut. Dieses Rechtsgut ist im vorliegenden Fall das Eigentum an den 2.000 Euro. Der Angriff war gegenwärtig, weil der Gewahrsam des Täters an dem Geld noch nicht gesichert war, er war noch im unmittelbaren Zugriffsbereichs des Opfers. Mit dem Schuss in den Rüken hat der Beraubte sein Eigentumsrecht an dem Geld verteidigt. Soweit die herrschende juristische Lehre. Nur fraglich, ob dies so heute noch richtig ist, bzw. richtig sein soll. Darum dreht sich die Diskussion hier.
ich, als nicht jurist, bin davon ausgegangen, dass notwehr nur auf das verteidigen der gesundheit angewandt wird. mir war nicht bekannt, das dass verteidigen materieller werte auch unter notwehr fällt.
wurde wohl falsch erzogen, mir wurde gelehrt das materielle dinge immer weniger wert sind, als ein menschliches leben.
Ich will jetzt nicht rechtfertigen, daß jemand eine geladene Waffe offen im Haus herumliegen hat und diese dann nutzt, um jemanden in den Rücken zu schießen, der ihn mit drei anderen Tätern im eigenen Haus überfallen und auszurauben versucht hat.
Das Beispiel mit dem Apfelbaum empfinde ich jedoch als Einleitung für eine möglichst objektive Diskussion völlig ungeeignet. Es suggeriert, daß ein durch Lausbuben durchgeführter harmloser Obstdiebstahl über einen Gartenzaun hinweg stattgefunden hätte, in dessen Verlauf ein Obstdieb erschossen wurde.
Der Fall hier stellt sich jedoch ganz anders dar. Hier haben vier Typen eine Tat vorher vorsätzlich geplant und haben im Laufe der Umsetzung des Plans einen an Krücken gehenden 77 Jährigen auf seinem eigenen Grundstück überfallen, ihn ins eigene Haus verschleppt, wahrscheinlich noch bedroht, um herauszufinden, wo sich Wertsachen befinden.
Der TAZ läßt darüber hinaus entnehmen, daß vor den Schüssen mit Todesfolge noch weitere Schüsse gefallen sein sollen, deren Urheber aber nicht geklärt werden konnte.
Das ist in meinen Augen ein ganz anderes Kaliber als ein paar Kirschen in Nachbars Garten zu stehlen. In meinen Augen läßt das auch einen bedeutend weiteren Spielraum für die Reaktion des Senioren.
Anbetracht der Tatsache, daß jemand erschossen wurde, finde ich es aber unmöglich von der Staatsanwaltschaft, keine Anklage erheben zu wollen. Schüsse mit Todesfolge gehören in meinen Augen vor ein Gericht und durch die Judikative behandelt und durchleuchtet. Wie ein Gericht dann letztlich entscheidet, steht auf einem anderen Blatt.
@Stefan Dir geht es also um Grundsätzliches. Ja, wir haben in der Hinsicht schon ein weitgehendes Notwehrrecht. Auch der Grundsatz, dass das Recht dem Unrecht nicht zu weichen braucht ist in diesem Zusammenhang m.E. zu nennen, sprich das die sogenannte schimpfliche Flucht als nicht gleich effektives Mittel zu betrachten ist. Man spricht auch vom John-Wayne-Notwehrrecht, was ich ganz passend finde.
Was man sich immer wieder vor Augen halten muss, ist, dass der Angreifer die Rechtsordnung erschüttert, die Situation also selbst herbeigeführt hat. Er ist der Verursacher, der Verteidigende reagiert eben nur auf diese vom Angreifer verursachte Situation. Soll der Verteidigende also im Grundsatz Angriffe auf das Eigentum dulden müssen?
Wer so einen Angriff durchführt, muss eben mit entsprechender Gegenwehr rechnen. Hierin ist m.E. auch eine Abschreckungsfunktion zu sehen.
Ist es denn dem Verteidiger tatsächlich zuzumuten, noch die Rechtsgüter gegeneinander abzuwägen? Gerade in Anbetracht dessen, dass sich über die richtige Abwägung nicht einmal Juristen einig sind? Und das alles in einer absoluten Ausnahmesituation.
@goyschak Der TE hat die Aussagen der Staatsanwaltschaft kritisiert, die es eben erlauben, das Thema so runterzubrechen. Diese hat nämlich allein auf die entwendete Geldbörse abgestellt, sodass es legitim ist, nur diesen Aspekt zur Diskussion zu stellen.
Schuld sind immer die anderen. Der Opa der schiesst, die böse falschen Freunde. Dass aber der Erschossene in eine Villa eingebrochen ist, ist ja ein Kavaliersdelikt.
Basaltkopp schrieb: Schuld sind immer die anderen. Der Opa der schiesst, die böse falschen Freunde. Dass aber der Erschossene in eine Villa eingebrochen ist, ist ja ein Kavaliersdelikt.
Und diese Auffassung liest du aus dem Artikel und den bisherigen Diskussionsbeiträgen hier? Respekt!
Basaltkopp schrieb: Schuld sind immer die anderen. Der Opa der schiesst, die böse falschen Freunde. Dass aber der Erschossene in eine Villa eingebrochen ist, ist ja ein Kavaliersdelikt.
Und diese Auffassung liest du aus dem Artikel und den bisherigen Diskussionsbeiträgen hier? Respekt!
Basaltkopp schrieb: Schuld sind immer die anderen. Der Opa der schiesst, die böse falschen Freunde. Dass aber der Erschossene in eine Villa eingebrochen ist, ist ja ein Kavaliersdelikt.
Und diese Auffassung liest du aus dem Artikel und den bisherigen Diskussionsbeiträgen hier? Respekt!
Nicht aus der Diskussion!
Also aus dem Artikel. Ich finde ihn äußerst guten Journalismus. Er stellt sämtliche Aspekte des Falles dar, schildert ausführlich die Gewalthandlungen der Jugendlichen, erwähnt auch ausdrücklich die Pistolengeschichten. Die einzigen Passagen, wo man so etwas wie die von dir inkriminierte Haltung feststellen könnte, sind die Schilderungen der Familie des Jungen. Und deren subjektive Einstellung ist ja ob des Verlustes, der sie getroffen hat, verständlich.
"Das war kein Klauen" - welche eine Aussage. Der wollte doch nur mal sehen, wie Opa so lebt. Und er hat ihn auch nur auf dem Stuhl festgehalten, weil er Angst hatte, dass Opa sonst vielleicht herunterfällt.
Ich will damit gar nicht rechtfertigen, dass der Mann einen 16-jährigen aus 2 Metern erschießt. Aber da die Täter ja maskiert waren, konnte der Rentner da auch kaum erkennen. Da waren 5 Männer in seinem Haus, er hatte Todesangst und man darf zumindest in Frage stellen, dass er die Schüss gezielt und mit der Absicht, einen (oder mehrere) der Täter zu töten abgegeben hat. Und solange man das nicht nachweisen kann, ist es für mich als juristischen Laien, Notwehr.
Wenn es sich hierbei um meinen Sohn gehandelt hätte, würde ich wahrscheinlich auch anders darüber sprechen, aber ich habe meinen Sohn auch so erzogen, dass ich fest davon ausgehe, dass mein Sohn nie in eine solche Situation kommen wird. Vielleicht sollten sich die Angehörigen trotzdem mal fragen, was der Junge in der Villa gemacht hat. Er war auf jeden Fall offensichtlich nicht da, um nicht zu klauen!
Okay, du kritisierst die Haltung der Familie, vor allem des "Oberhaupts". Da schließe ich mich an, zumal dies ja auch im Artikel deutlich gemacht wird: "Mirena sagt, er kontrolliere seine Kinder jetzt noch mehr als vorher, jeder neue Freund muss sich bei ihm vorstellen. "Bei einer Zigarette kann ich schon feststellen, ob ein Mensch gut ist oder schlecht", sagt er. Es klingt wie die Bankrotterklärung eines Mannes, der für ein überkommenes patriarchalisches System steht. Der gewohnt war, dass ihm die Jugend uneingeschränkt Respekt zollt."
stefank schrieb: Okay, du kritisierst die Haltung der Familie, vor allem des "Oberhaupts". Da schließe ich mich an, zumal dies ja auch im Artikel deutlich gemacht wird: "Mirena sagt, er kontrolliere seine Kinder jetzt noch mehr als vorher, jeder neue Freund muss sich bei ihm vorstellen. "Bei einer Zigarette kann ich schon feststellen, ob ein Mensch gut ist oder schlecht", sagt er. Es klingt wie die Bankrotterklärung eines Mannes, der für ein überkommenes patriarchalisches System steht. Der gewohnt war, dass ihm die Jugend uneingeschränkt Respekt zollt."
Ja, ich hatte eigentlich gedacht, dass meine Aussage nicht anders interpretiert werden würde. Ich weiss nicht, wieviel Panik der Mann hatte und wie sehr er wieder bei Sinnen war, als er die Schüsse abgegeben hat. Das Alter des Todesopfers spielt in meinen Augen da jetzt auch keine Rolle. Der Rentner konnte nicht erkennen, wie alt die Täter waren und für einen 16-jährigen ist schon eine erhebliches Maß an krimineller Energie vorhanden, wenn man in eine Villa einbricht und einen alten Mann dabei gefangen hält.
Zu genau den von dir genannten Fakten sagt die StA, dass sie überhaupt keine Rollen spielen. Ihre Aussage lautet: Wenn einem jemand 2.000 Euro klaut, und damit wegläuft, darf man ihm aus 2 Metern in den Rücken schießen. Und diese Auffassung (die nicht etwa eine abwegige Meinung darstellt, sondern exakt die derzeit herrschende juristische Meinung wiedergibt) wollte ich zur Diskussion stellen.
stefank schrieb: Zu genau den von dir genannten Fakten sagt die StA, dass sie überhaupt keine Rollen spielen. Ihre Aussage lautet: Wenn einem jemand 2.000 Euro klaut, und damit wegläuft, darf man ihm aus 2 Metern in den Rücken schießen. Und diese Auffassung (die nicht etwa eine abwegige Meinung darstellt, sondern exakt die derzeit herrschende juristische Meinung wiedergibt) wollte ich zur Diskussion stellen.
Die 2000 Euro sind doch völlig irrelevant. Der Rentner wusste a) auch nur vielleicht, wieviel Geld in seinem Geldbeutel war und b) vielleicht gar nicht, dass das Todesopfer oder ein anderer Täter diesen eingesteckt hatte.
Es hätten also genauso gut auch nur 20 Cent oder deutlich mehr als 2000 Euro im Geldbeutel sein können.
Und dazu mal eine andere Frage einfach nur in den Raum gestellt - wäre die Alarmanlage nicht losgegangen und hätten die Täter die Kohle bekommen, die möglicherweise in einem Safe gelegen haben könnte - was wäre dann anschließend mit dem Rentner passiert?
Die 2000 Euro sind doch völlig irrelevant. Der Rentner wusste a) auch nur vielleicht, wieviel Geld in seinem Geldbeutel war und b) vielleicht gar nicht, dass das Todesopfer oder ein anderer Täter diesen eingesteckt hatte.
Grrr. Ich bin gestern Abend von dritter Seite (ja, du hattest Recht, Miso) schon kritisiert worden, dass mein Ausgangsbeitrag für juristische Laien nicht nachvollziehbar ist, weil ihm ein erläuternder Absatz fehlt. Das will ich jetzt nachholen.
Nach derzeitiger Rechtslage ist es so, dass der Rentner wegen eines Tötungsdeliktes angeklagt worden wäre, wenn er nicht ganz bewusst zur Sicherung seiner 2.000 Euro geschossen hätte. Die vorherigen Bedrohungs- und Gewalthandlungen der Jugendlichen spielen keine Rolle, weil sie bereits abgeschlossen und die Täter auf der Flucht waren. Ein Angriff muss nach § 32 StGB aber gegenwärtig sein, um zur Notwehr zu berechtigen. Bei einem Diebstahl von 20 Cent bestünde, wie im Beispielfall mit den Äpfeln, ein "krasses Missverhältnis" zwischen angegriffenem Rechtsgut und Notwehrfolge. Auch dies berechtigt nach geltender Rechtsauffassung nicht zur Notwehr.
OK, allerdings hätte man anhand des Betreffs und Deiner Feststellung "irgendwo zwischen ein paar Äpfel und 2000 Euro" auch darauf kommen können.
Gut - meiner Meinung nach ist es da gar nicht möglich drauf zu antworten, weil ich ein Menschenleben nicht auf einen Betrag taxieren kann.
Dies ist im Prinzip vergleichbar mit der Frage, ab wann Androhung von Folter zu rechtfertigen wäre. In meinen Augen -rein rechtlich gesehen- nämlich auch unter keinen Umständen. Moralisch fand ich dennoch Daschners Vorgehen absolut richtig, aber hier wird zum Glück nach geltendem Gesetzt geurteilt und nicht nach Moralvorstellungen.
Ich persönlich hätte es glücklicher gefunden, wenn man festgestellt hätte, dass der Mann aus einer psychischen Ausnahmesituation gehandelt hat und man daher Notwehr annimmt. Dann müsste man nämlich wirklich nicht fragen, ab welchem Betrag ich einen Täter erschießen darf. Vor allem, was passiert, wenn der Täter mit einen Euro weniger stiehlt, als in irgendeiner fiktiven Grenze festgelegt? Darf ich ihn erschießen, wenn in meinem Geldbeutel 1000 Euro sind und ich habe in Notwehr gehandelt? Habe ich mir allerdings vorher auf dem Heimweg ein Päckchen Kaugummi gekauft und habe nur noch 999,irgendwas Euro im Geldbeutel, werde ich dann wegen Unverhältnismäßigkeit verknackt?
Jeder Jurist kennt aus der Anfängervorlesung zur Notwehr den fiktiven Fall, dass ein Rentner im Rollstuhl sieht, wie ein paar Jungs Äpfel im Garten klauen. Da er keine andere Möglickeit zur Abwehr dieses gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs hat, greift er zum Gewehr und erschießt einen der Jungen. Die absolut herrschende Meinung zu diesem Fall ist, dass es sich hier wegen dem krassen Mißverhältnis zwiachen dem angegriffenen Rechtsgut, nämlich ein paar Äpfeln, und der Folge der Notwehrhandlung, nämlich dem Tod eines Kindes, Notwehr nicht gegeben ist, und somit keine Straffreiheit nach § 32 Strafgesetzbuch eintritt.
Nun hatte die Staatsanwaltschaft Stade nicht über den Diebstahl einiger Äpfel zu entscheiden. Und der Täter war kein Kind, sondern 16 Jahre alt. Ansonsten ähnelt der Sachverhalt verblüffend dem ausgedachten Lehrfall:
http://taz.de/Rentner-erschiesst-Raeuber/!75745/
Wie man sieht, kommt die StA zu einem anderen Ergebnis als oben dargestellt. Die Grenze liegt also irgendwo zwischen 2.000 Euro und den paar Äpfeln...
Wobei die Frage, was ein Menschenleben wert ist, in diesem Zusammenhang deplatziert ist. Oder zumindest die selbstgegebene Antwort. Denn eine Abwägung findet in dem Sinne bei der Notwehr nicht statt. Das Missverhältniss zwischen geschützten und beeinträchtigen Rechtsgut muss ein außergewöhnlich grobes sein zum die Gebotenheit entfallen zu lassen. Der Leipziger schreibt in diesen Zusammenhang, dass Notwehr beim flüchtenden Dieb immer dann geboten ist, wenn die Diebesbeute einen mehr als nur geringfügigen Wert für den Verteidiger hat. Dass sich das Rechtsgefühl dagegen sträube, sei der annahme der Gegenwärtigkeit des Angriffs in der Zeit zwischen Vollendung und Beendigung des Diebstahls geschuldet (ob man das gut findet ist wieder eine andere Frage). Und ich muss sagen, dass ich dem zustimme. Eigentum ist eben kein minderwertiges Rechtsgut, zumindest nicht nach dem Wortlaut des § 32 StGB und eine Beschränkung wie Du sie zu befürworten scheinst, würde die Ausnahme des gröbsten Missverhältnisses bei Eigentumsdelikten zur Regel machen.
Was mich aber erschreckt ist, mit welcher Gelassenheit hier die herrschende Lehre, dass eine Abwägung zwischen gefahrdetem Rechtsgut und Folge der Notwehrhandlung nicht statthaft sei, akzeptiert wird. Gerade dieser Fall gibt m.E. Anlass, über die Richtigkeit dieses Postulats nachzdenken.
Notwehr ist nach juristischer Definition die Abwehr eines gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs auf ein geschütztes Rechtsgut. Dieses Rechtsgut ist im vorliegenden Fall das Eigentum an den 2.000 Euro. Der Angriff war gegenwärtig, weil der Gewahrsam des Täters an dem Geld noch nicht gesichert war, er war noch im unmittelbaren Zugriffsbereichs des Opfers. Mit dem Schuss in den Rüken hat der Beraubte sein Eigentumsrecht an dem Geld verteidigt.
Soweit die herrschende juristische Lehre. Nur fraglich, ob dies so heute noch richtig ist, bzw. richtig sein soll. Darum dreht sich die Diskussion hier.
ich, als nicht jurist, bin davon ausgegangen, dass notwehr nur auf das verteidigen der gesundheit angewandt wird. mir war nicht bekannt, das dass verteidigen materieller werte auch unter notwehr fällt.
wurde wohl falsch erzogen, mir wurde gelehrt das materielle dinge immer weniger wert sind, als ein menschliches leben.
Das Beispiel mit dem Apfelbaum empfinde ich jedoch als Einleitung für eine möglichst objektive Diskussion völlig ungeeignet. Es suggeriert, daß ein durch Lausbuben durchgeführter harmloser Obstdiebstahl über einen Gartenzaun hinweg stattgefunden hätte, in dessen Verlauf ein Obstdieb erschossen wurde.
Der Fall hier stellt sich jedoch ganz anders dar. Hier haben vier Typen eine Tat vorher vorsätzlich geplant und haben im Laufe der Umsetzung des Plans einen an Krücken gehenden 77 Jährigen auf seinem eigenen Grundstück überfallen, ihn ins eigene Haus verschleppt, wahrscheinlich noch bedroht, um herauszufinden, wo sich Wertsachen befinden.
Der TAZ läßt darüber hinaus entnehmen, daß vor den Schüssen mit Todesfolge noch weitere Schüsse gefallen sein sollen, deren Urheber aber nicht geklärt werden konnte.
Das ist in meinen Augen ein ganz anderes Kaliber als ein paar Kirschen in Nachbars Garten zu stehlen. In meinen Augen läßt das auch einen bedeutend weiteren Spielraum für die Reaktion des Senioren.
Anbetracht der Tatsache, daß jemand erschossen wurde, finde ich es aber unmöglich von der Staatsanwaltschaft, keine Anklage erheben zu wollen. Schüsse mit Todesfolge gehören in meinen Augen vor ein Gericht und durch die Judikative behandelt und durchleuchtet. Wie ein Gericht dann letztlich entscheidet, steht auf einem anderen Blatt.
Was man sich immer wieder vor Augen halten muss, ist, dass der Angreifer die Rechtsordnung erschüttert, die Situation also selbst herbeigeführt hat. Er ist der Verursacher, der Verteidigende reagiert eben nur auf diese vom Angreifer verursachte Situation. Soll der Verteidigende also im Grundsatz Angriffe auf das Eigentum dulden müssen?
Wer so einen Angriff durchführt, muss eben mit entsprechender Gegenwehr rechnen. Hierin ist m.E. auch eine Abschreckungsfunktion zu sehen.
Ist es denn dem Verteidiger tatsächlich zuzumuten, noch die Rechtsgüter gegeneinander abzuwägen? Gerade in Anbetracht dessen, dass sich über die richtige Abwägung nicht einmal Juristen einig sind? Und das alles in einer absoluten Ausnahmesituation.
@goyschak
Der TE hat die Aussagen der Staatsanwaltschaft kritisiert, die es eben erlauben, das Thema so runterzubrechen. Diese hat nämlich allein auf die entwendete Geldbörse abgestellt, sodass es legitim ist, nur diesen Aspekt zur Diskussion zu stellen.
Und diese Auffassung liest du aus dem Artikel und den bisherigen Diskussionsbeiträgen hier? Respekt!
Nicht aus der Diskussion!
Also aus dem Artikel. Ich finde ihn äußerst guten Journalismus. Er stellt sämtliche Aspekte des Falles dar, schildert ausführlich die Gewalthandlungen der Jugendlichen, erwähnt auch ausdrücklich die Pistolengeschichten. Die einzigen Passagen, wo man so etwas wie die von dir inkriminierte Haltung feststellen könnte, sind die Schilderungen der Familie des Jungen. Und deren subjektive Einstellung ist ja ob des Verlustes, der sie getroffen hat, verständlich.
Ich will damit gar nicht rechtfertigen, dass der Mann einen 16-jährigen aus 2 Metern erschießt. Aber da die Täter ja maskiert waren, konnte der Rentner da auch kaum erkennen. Da waren 5 Männer in seinem Haus, er hatte Todesangst und man darf zumindest in Frage stellen, dass er die Schüss gezielt und mit der Absicht, einen (oder mehrere) der Täter zu töten abgegeben hat. Und solange man das nicht nachweisen kann, ist es für mich als juristischen Laien, Notwehr.
Wenn es sich hierbei um meinen Sohn gehandelt hätte, würde ich wahrscheinlich auch anders darüber sprechen, aber ich habe meinen Sohn auch so erzogen, dass ich fest davon ausgehe, dass mein Sohn nie in eine solche Situation kommen wird. Vielleicht sollten sich die Angehörigen trotzdem mal fragen, was der Junge in der Villa gemacht hat. Er war auf jeden Fall offensichtlich nicht da, um nicht zu klauen!
"Mirena sagt, er kontrolliere seine Kinder jetzt noch mehr als vorher, jeder neue Freund muss sich bei ihm vorstellen. "Bei einer Zigarette kann ich schon feststellen, ob ein Mensch gut ist oder schlecht", sagt er. Es klingt wie die Bankrotterklärung eines Mannes, der für ein überkommenes patriarchalisches System steht. Der gewohnt war, dass ihm die Jugend uneingeschränkt Respekt zollt."
Ja, ich hatte eigentlich gedacht, dass meine Aussage nicht anders interpretiert werden würde.
Ich weiss nicht, wieviel Panik der Mann hatte und wie sehr er wieder bei Sinnen war, als er die Schüsse abgegeben hat. Das Alter des Todesopfers spielt in meinen Augen da jetzt auch keine Rolle. Der Rentner konnte nicht erkennen, wie alt die Täter waren und für einen 16-jährigen ist schon eine erhebliches Maß an krimineller Energie vorhanden, wenn man in eine Villa einbricht und einen alten Mann dabei gefangen hält.
Die 2000 Euro sind doch völlig irrelevant. Der Rentner wusste
a) auch nur vielleicht, wieviel Geld in seinem Geldbeutel war und
b) vielleicht gar nicht, dass das Todesopfer oder ein anderer Täter diesen eingesteckt hatte.
Es hätten also genauso gut auch nur 20 Cent oder deutlich mehr als 2000 Euro im Geldbeutel sein können.
Und dazu mal eine andere Frage einfach nur in den Raum gestellt - wäre die Alarmanlage nicht losgegangen und hätten die Täter die Kohle bekommen, die möglicherweise in einem Safe gelegen haben könnte - was wäre dann anschließend mit dem Rentner passiert?
Grrr. Ich bin gestern Abend von dritter Seite (ja, du hattest Recht, Miso) schon kritisiert worden, dass mein Ausgangsbeitrag für juristische Laien nicht nachvollziehbar ist, weil ihm ein erläuternder Absatz fehlt. Das will ich jetzt nachholen.
Nach derzeitiger Rechtslage ist es so, dass der Rentner wegen eines Tötungsdeliktes angeklagt worden wäre, wenn er nicht ganz bewusst zur Sicherung seiner 2.000 Euro geschossen hätte.
Die vorherigen Bedrohungs- und Gewalthandlungen der Jugendlichen spielen keine Rolle, weil sie bereits abgeschlossen und die Täter auf der Flucht waren. Ein Angriff muss nach § 32 StGB aber gegenwärtig sein, um zur Notwehr zu berechtigen.
Bei einem Diebstahl von 20 Cent bestünde, wie im Beispielfall mit den Äpfeln, ein "krasses Missverhältnis" zwischen angegriffenem Rechtsgut und Notwehrfolge. Auch dies berechtigt nach geltender Rechtsauffassung nicht zur Notwehr.
Gut - meiner Meinung nach ist es da gar nicht möglich drauf zu antworten, weil ich ein Menschenleben nicht auf einen Betrag taxieren kann.
Dies ist im Prinzip vergleichbar mit der Frage, ab wann Androhung von Folter zu rechtfertigen wäre. In meinen Augen -rein rechtlich gesehen- nämlich auch unter keinen Umständen. Moralisch fand ich dennoch Daschners Vorgehen absolut richtig, aber hier wird zum Glück nach geltendem Gesetzt geurteilt und nicht nach Moralvorstellungen.
Ich persönlich hätte es glücklicher gefunden, wenn man festgestellt hätte, dass der Mann aus einer psychischen Ausnahmesituation gehandelt hat und man daher Notwehr annimmt. Dann müsste man nämlich wirklich nicht fragen, ab welchem Betrag ich einen Täter erschießen darf. Vor allem, was passiert, wenn der Täter mit einen Euro weniger stiehlt, als in irgendeiner fiktiven Grenze festgelegt? Darf ich ihn erschießen, wenn in meinem Geldbeutel 1000 Euro sind und ich habe in Notwehr gehandelt? Habe ich mir allerdings vorher auf dem Heimweg ein Päckchen Kaugummi gekauft und habe nur noch 999,irgendwas Euro im Geldbeutel, werde ich dann wegen Unverhältnismäßigkeit verknackt?