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Kann man Kunst vom Menschen trennen?

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Zu Wagner
Dass er Antisemit war, ist unumstritten. Dass in seinen Opern Figuren auftauchen, die antisemitisch gezeichnet sind (Sixtus Beckmesser in den Meistersingern und Kundry in Parsifal sind die bekanntesten Beispiele), ist auch klar. Seine Musik passt als solche aber überhaupt nicht zu den Nazis (zu romantisch, zuviel Liebe und andere Emotionen, zuviel Humanismus). Erklärt wird die Schwärmerei Hitlers für Wagner oft damit, dass er ihn einfach nicht verstanden hat. Und die Ursprünge von Hitlers Antisemitismus sind auch eher in seiner Wiener Zeit zu suchen, denn in Wagners Musik oder anders ausgedrückt: diese Musik hat nichts diabolisches, was ihn in seinem Glauben bestärkt haben könnte.
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Motoguzzi999 schrieb:

(...) Dass in seinen Opern Figuren auftauchen, die antisemitisch gezeichnet sind (Sixtus Beckmesser in den Meistersingern und Kundry in Parsifal sind die bekanntesten Beispiele), ist auch klar. (...)

Mit Deinem Folgetext bin ich soweit d'accord, nicht aber mit dem obenstehenden Satz. Klar ist das nämlich keineswegs. Was ist Deiner Ansicht nach "antisemitisch gezeichnet" bei Kundry und Beckmesser? Würde mich interessieren.

Beckmesser ist nach seinen Thesen und seinem Gesang in der Tat eine Antifigur: aber klar gegen die französische Oper gekehrt (das in der Tat negativ gezeichnete "Welsche") - von Jüdischem ist keinerlei Rede.

Kundrys Erlösungsbedürftigkeit und ihren finalen Tod zu verallgemeinern und zu postulieren, Wagner habe die Juden insgesamt als bedürftig der Erlösung betrachtet, die sie nur durch den Tod erlangen könnten - das ist einfach abenteuerlich und wird der Komplexität und Tragik der Figur in keiner Weise gerecht.

Die Forschung zum Thema sucht freilich, basierend auf den zweifellos antisemitischen Schriften Wagners, nach deren Spuren im musikalischen Werk, kommt dabei aber zu weitaus differenzierteren Bewertungen. Klar mag es für Adorno sein, für die neuere Forschung jedenfalls nicht. Klar ist in der Kunst ohnehin sehr viel weniger als in Theorien.


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Kunst ist auch Interpretationssache.
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vonNachtmahr1982 schrieb:

Kunst ist auch Interpretationssache.

Bingo. Und mehr noch: "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit."
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vonNachtmahr1982 schrieb:

Kunst ist auch Interpretationssache.

Bingo. Und mehr noch: "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit."
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adlerkadabra schrieb:

vonNachtmahr1982 schrieb:

Kunst ist auch Interpretationssache.

Bingo. Und mehr noch: "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit."

Ja, so kann man's sich schön leicht machen.
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adlerkadabra schrieb:

vonNachtmahr1982 schrieb:

Kunst ist auch Interpretationssache.

Bingo. Und mehr noch: "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit."

Ja, so kann man's sich schön leicht machen.
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Wenn dir das zu hoch ist, ist das nicht mein Problem.  

Kunst lebte schon immer von der Kreativität des Künstlers und der Interpretation des Betrachters. Wenn das nicht mehr so wäre, wäre es ja ein echter knüller...
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Tatsächlich war ich nie ein Freund davon, mir es zwanghaft schwer zu machen. Verweise auf das in zahllosen STTs geschätzte Diktum vom guten Pferd, das jeweils nicht höher springt als unbedingt nötig
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Naja, hier werden Thesen in den Raum gestellt zu Heidegger und Wagner und auf Nachfrage heißt es, Kunst ist immer Interpretation. Mit anderen Worten, der Thread kann zu und wir reden wieder über Impfquoten.
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Naja, hier werden Thesen in den Raum gestellt zu Heidegger und Wagner und auf Nachfrage heißt es, Kunst ist immer Interpretation. Mit anderen Worten, der Thread kann zu und wir reden wieder über Impfquoten.
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Nein. Es wurde gefragt ob man die Kunst von einem Künstler und seinen Ansichten von einander trennen kann. Du hast es wieder nicht verstanden.
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Mädels, wir diskutieren hier doch gar meisterlich.
Manche fragen sich zwar, warum sachlich, wenn es auch persönlich geht.
Und mir unterlaufen zuweilen Verwechslungen.
Kunst und Leben?
Künstler und Knueller?
Das eine gibt es nicht ohne das andere.
Können wir das, gibt es überhaupt ein Verstehen?
Können wir nur dekonstruktiv?
Was kommt nach dem Sex?
Adlerkadabra?
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Motoguzzi999 schrieb:

(...) Dass in seinen Opern Figuren auftauchen, die antisemitisch gezeichnet sind (Sixtus Beckmesser in den Meistersingern und Kundry in Parsifal sind die bekanntesten Beispiele), ist auch klar. (...)

Mit Deinem Folgetext bin ich soweit d'accord, nicht aber mit dem obenstehenden Satz. Klar ist das nämlich keineswegs. Was ist Deiner Ansicht nach "antisemitisch gezeichnet" bei Kundry und Beckmesser? Würde mich interessieren.

Beckmesser ist nach seinen Thesen und seinem Gesang in der Tat eine Antifigur: aber klar gegen die französische Oper gekehrt (das in der Tat negativ gezeichnete "Welsche") - von Jüdischem ist keinerlei Rede.

Kundrys Erlösungsbedürftigkeit und ihren finalen Tod zu verallgemeinern und zu postulieren, Wagner habe die Juden insgesamt als bedürftig der Erlösung betrachtet, die sie nur durch den Tod erlangen könnten - das ist einfach abenteuerlich und wird der Komplexität und Tragik der Figur in keiner Weise gerecht.

Die Forschung zum Thema sucht freilich, basierend auf den zweifellos antisemitischen Schriften Wagners, nach deren Spuren im musikalischen Werk, kommt dabei aber zu weitaus differenzierteren Bewertungen. Klar mag es für Adorno sein, für die neuere Forschung jedenfalls nicht. Klar ist in der Kunst ohnehin sehr viel weniger als in Theorien.


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Zu Beckmesser: dem könnte man entgegenhalten, dass der (jüdische) Regisseur Kosky in seiner 2017er Meistersinger-Inszenierung diese Interpretation auf die Bühne gebracht hat.

Zu Kundry: Stimmt, auch hier ist es nicht so eindeutig, wie ich es dargestellt habe, Wagner selbst schreibt irgendwo, dass Kundry eine Verkörperung des ewigen Judens sei, Nike Wagner hat Kundry, glaube ich, Kundry einmal als erste Verkörperung jüdischen Selbsthasses in der Kunst beschrieben, aber auch daraus folgt ja nicht, dass Wagner plumpe Judenkarikaturen gezeichnet hat. (Quellen sind mein löchriges Gedächnis)

@knueller Hitler hat sich wahrscheinlich von „Getöse“ und den Hörnerhelmen blenden lassen. Es würde mich einmal interessieren, was Angela Merkel in Wagner sieht. Kann mir so gar nicht vorstellen, dass sie beim Liebestod ergriffen und vor Rührung ins Taschentuch schnäuzt.
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Eigentlich wird doch allein durch den Hang dazu, seine Interpretation der jüdischen Figuren seiner Oper deutlich, dass Wagners sonstige Haltungen eben auf seine Kunst zurückwirken. Wagner war Antisemit und dementsprechend entsteht eine Erwartung bezüglich der genannten Figuren. Ich halte es bestenfalls für naiv zu glauben, das Schaffen eines Menschen könnte von seinen/ihren Haltungen unberührt bleiben.
Wir sind eben, selbst wenn so eine Trennung Anliegen eines Künstlers wäre, nicht dazu in der Lage, unser Wissen um den Kontext komplett beiseite zu legen und "einfach nur das Werk" auf uns wirken zu lassen.

Ich war vor einiger Zeit in der neuen Pinakothek und stand ziemlich fasziniert vor dem Bild "Die Sünde" von Stuck.
Beim recherchieren zu dem Bild, stieß ich dann darauf, dass das wohl ein Lieblingswerk Hitlers gewesen sei - und schon begann der "finde den Fehler" Modus. Ähnlich wurde es hier ja auch schon bezüglich Wagner beschrieben.
Macht mir deutlich, wie meine Haltungen Einfluss auf mein Empfinden der Kunst nehmen.
Im Wissen um die Haltungen eines Künstlers fällt mir da eine Trennung nicht leichter.
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Exil-Adler-NRW schrieb:

Es gibt zum Beispiel den Wrestler Chris Benoit, der als einer der besten Wrestler aller Zeiten geht. Der hat halt seine Frau und sein Kind umgebracht. Dadurch kann ich auch keine Matches mehr mit ihm gucken.


Das ist natürlich ein sehr extremes Beispiel. Ich hab letztens mal wieder Wrestlemania XX geschaut und es war schon irgendwie sehr befremdlich sich das anzusehen mit dem Wissen was die selbe Person 3 Jahre später angerichtet hat. Auch wenn der Moment mit Eddie einer der großartigsten der Wrestling Geschichte ist.

Jon Schaffer und Iced Earth ist da ja aktuell auch ein aktuelles Beispiel. Bis 2004 zum Album The Glorious Burden war die Musik bzw. die Texte von Iced Earth frei von überschwänglichen amerikanischen Pathos. Und auch danach hatte Jon Schaffer bis vor paar Jahre in Interviews immer "versucht" sich so zu positionieren das man ihn in Europa nicht als totalen Vollpfosten abstempelt. Das er es doch ist hat er ja leider durch seine Teilnahme am Capitol Sturm und jüngere Aussagen doch bestätigt. Für mich sind die Alben aus den 90ern von Iced Earth aber weiterhin musikalisch relevant. Auch wenn ich jetzt nach den Vorfällen keine Gründe mehr sehe die Band (die eh Geschichte sein dürfte) zu unterstützen.

Ein anderes evtl. noch extremeres Beispiel wäre ja Varg Vikernes. In den 90ern Mitbegründer und für viele einer der wichtigsten Black Metal Musik aus Norwegen. So gar das Rock Hard und das Deaf Forever (beide Magazine eher dem linken Spektrum zu zuordnen) schätzen die ersten 4 Alben von Burzum (der 1 Mann Band von Vikernes) als Meilensteine des Black Metal. Diese Album sind Textlich auch frei  von jeglicher rechten und antisemitischen Ideologie. Das der Karriereverlauf von Vikernes dann von Brandstifter über Mörder zu Antisemit und völkischer Esoterik weiter verläuft ist dann das, was die ganze Sache schwierig macht. Kann man das dann noch trennen?
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vonNachtmahr1982 schrieb:

Ein anderes evtl. noch extremeres Beispiel wäre ja Varg Vikernes. In den 90ern Mitbegründer und für viele einer der wichtigsten Black Metal Musik aus Norwegen. So gar das Rock Hard und das Deaf Forever (beide Magazine eher dem linken Spektrum zu zuordnen) schätzen die ersten 4 Alben von Burzum (der 1 Mann Band von Vikernes) als Meilensteine des Black Metal. Diese Album sind Textlich auch frei  von jeglicher rechten und antisemitischen Ideologie. Das der Karriereverlauf von Vikernes dann von Brandstifter über Mörder zu Antisemit und völkischer Esoterik weiter verläuft ist dann das, was die ganze Sache schwierig macht. Kann man das dann noch trennen?


Das war ja sogar ein Beispiel, bei dem ich hier im Forum schon einmal angesprochen worden bin. Ich hatte ein Musikstück von Burzum (das Soloprojekt des genannten Varg Vikernes) zusammen mit einer Coverversion dieses Stücks einer anderen Künstlerin im "Now playing"-Fred im Gebabbel gepostet. Da wurde ich gefragt, ob ich mir bewusst bin, was der Hintergrund von Burzum ist. Ja, das war mir beim Posten auch bereits bewusst. Ich unterstütze auch weder die Einstellung noch die Taten von Vikernes. In diesem Moment ging es mir vornehmlich um die musikalische Qualität. Da prüfe ich noch, ob irgendein propagandistischer oder radikaler Text vorliegt. In diesem Falle hätte ich so einen Kram nicht gepostet, was dann auch der sehr gewaltige Unterschied zu Bands wie Störkraft wäre.

In die Bredouille kam ich auch vor vielen vielen Jahren, als ich mit der Landschaft des großen und sehr heterogenen Gothic-Umfelds nicht so vertraut war. Eine Nische ist z.B. Neo-Folk. Musikalisch ist das z.T. sehr fein, was man zu hören bekommt. Hier sind aber einige Künstler bewusst völkisch-nationalistisch angehaucht oder wollen entsprechend provozieren (was für mich aber keinen Unterschied mehr macht). Ohne großes Hintergrundwissen hatte ich damals eine CD der Gruppe "Turbund Sturmwerk" gekauft. Bei einem Blick in den Inlay-Text ist mir dann fast die Kinnlade heruntergefallen, ging es da dann plötzlich von der Entwicklung des Germanentums über die Rechtfertigung der kriegerischen Einstellung hin zu Herrschaftsrassen/Minderrassen.
Die CD kam dann nicht mehr in meinen Player... aber immerhin führte es bei mir zu einer kritischen Hinterfragung dieser Musikrichtung und der Szene drum herum. Ein paar Jahre später bin ich dann beim Durchforsten wieder über die CD gestolpert und sagte mir: So einen Dreck willst du eigentlich nicht im Bestand haben. Also verkaufte ich das Ding für so ca. den 3-4 fachen Preis dessen, was ich damals bezahlt hatte, auf Ebay. Und frage mich dann heute: War das so schlau? Behält man so einen Müll in seinem Bestand, mit dem Wissen, dass es einen selber nicht großartig beeinflusst aber man sich damit nicht wohl fühlt? Oder gibt man es weiter, aber du hast keine Ahnung, ob es nun in die Hände von einem gelangt, der sich beeinflussen lässt? Oder schmeißt man den Kram tatsächlich auf den Müll? Eigentlich hätte ich wohl lieber letzteres machen sollen.
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Eigentlich wird doch allein durch den Hang dazu, seine Interpretation der jüdischen Figuren seiner Oper deutlich, dass Wagners sonstige Haltungen eben auf seine Kunst zurückwirken. Wagner war Antisemit und dementsprechend entsteht eine Erwartung bezüglich der genannten Figuren. Ich halte es bestenfalls für naiv zu glauben, das Schaffen eines Menschen könnte von seinen/ihren Haltungen unberührt bleiben.
Wir sind eben, selbst wenn so eine Trennung Anliegen eines Künstlers wäre, nicht dazu in der Lage, unser Wissen um den Kontext komplett beiseite zu legen und "einfach nur das Werk" auf uns wirken zu lassen.

Ich war vor einiger Zeit in der neuen Pinakothek und stand ziemlich fasziniert vor dem Bild "Die Sünde" von Stuck.
Beim recherchieren zu dem Bild, stieß ich dann darauf, dass das wohl ein Lieblingswerk Hitlers gewesen sei - und schon begann der "finde den Fehler" Modus. Ähnlich wurde es hier ja auch schon bezüglich Wagner beschrieben.
Macht mir deutlich, wie meine Haltungen Einfluss auf mein Empfinden der Kunst nehmen.
Im Wissen um die Haltungen eines Künstlers fällt mir da eine Trennung nicht leichter.
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FrankenAdler schrieb:

Eigentlich wird doch allein durch den Hang dazu, seine Interpretation der jüdischen Figuren seiner Oper deutlich, dass Wagners sonstige Haltungen eben auf seine Kunst zurückwirken. Wagner war Antisemit und dementsprechend entsteht eine Erwartung bezüglich der genannten Figuren. Ich halte es bestenfalls für naiv zu glauben, das Schaffen eines Menschen könnte von seinen/ihren Haltungen unberührt bleiben.
Wir sind eben, selbst wenn so eine Trennung Anliegen eines Künstlers wäre, nicht dazu in der Lage, unser Wissen um den Kontext komplett beiseite zu legen und "einfach nur das Werk" auf uns wirken zu lassen.

Die Diskussion entstand ja am Beispiel Chick Corea und dessen Scientologyhintergrund. Wie ist es denn damit? Mich faszinierte sein Spiel und seine Musik. Über den Menschen wusste ich nichts, als auch nicht über Scientology. Ein Fehler?
Und: hätte ich seine Musik mit dem Wissen um seine Sektenangehörigkeit anders empfunden?

Die einzige Wahrheit ist doch im Grunde die, dass wir alle Kunst auf verschiedene Art und Weise rezipieren. Abhängig von vielen Einflussfaktoren. Einer davon ist der Mensch hinter der Kunst. Andere Faktoren sind z. B: Stimmungen im Moment der Rezeption, Vorlieben, Wissen um die jeweilige Kunst, Einflüsse anderer Betrachter/Hörer/Zuschauer usw.

Schlussfolgerung: eine allgemeingültige Antwort auf die Threadfrage gibt es nicht.
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Mädels, wir diskutieren hier doch gar meisterlich.
Manche fragen sich zwar, warum sachlich, wenn es auch persönlich geht.
Und mir unterlaufen zuweilen Verwechslungen.
Kunst und Leben?
Künstler und Knueller?
Das eine gibt es nicht ohne das andere.
Können wir das, gibt es überhaupt ein Verstehen?
Können wir nur dekonstruktiv?
Was kommt nach dem Sex?
Adlerkadabra?
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edmund schrieb:

Was kommt nach dem Sex?
Adlerkadabra?

Ich lehne mich mal ganz weit aus dem Fenster und sage mutig: ja

@Motofuzzi99 - klar waren die Jungs im Führerbunker geflasht von sowas wie dem Walkürenritt. War schließlich Oliver Stone in ganz anderem Kontext auch. Hat ja auch was, hach, *sing*: Hoiio-to-hooo-ho! Hoio-to-hooooo-ho!

FrankenAdler schrieb:

Ich halte es bestenfalls für naiv zu glauben, das Schaffen eines Menschen könnte von seinen/ihren Haltungen unberührt bleiben.

Unberührt ganz sicherlich nicht, kann ja keiner aus seiner Haut. Oder? Die interessante Frage ist: wie sehen die Schnittstellen zwischen beiden aus, die Membranen. Von Fall zu Fall je ganz eigen kommt es da vermutlich zu sehr komplexen Übergängen, und durchaus nicht nur one-way.
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FrankenAdler schrieb:

Eigentlich wird doch allein durch den Hang dazu, seine Interpretation der jüdischen Figuren seiner Oper deutlich, dass Wagners sonstige Haltungen eben auf seine Kunst zurückwirken. Wagner war Antisemit und dementsprechend entsteht eine Erwartung bezüglich der genannten Figuren. Ich halte es bestenfalls für naiv zu glauben, das Schaffen eines Menschen könnte von seinen/ihren Haltungen unberührt bleiben.
Wir sind eben, selbst wenn so eine Trennung Anliegen eines Künstlers wäre, nicht dazu in der Lage, unser Wissen um den Kontext komplett beiseite zu legen und "einfach nur das Werk" auf uns wirken zu lassen.

Die Diskussion entstand ja am Beispiel Chick Corea und dessen Scientologyhintergrund. Wie ist es denn damit? Mich faszinierte sein Spiel und seine Musik. Über den Menschen wusste ich nichts, als auch nicht über Scientology. Ein Fehler?
Und: hätte ich seine Musik mit dem Wissen um seine Sektenangehörigkeit anders empfunden?

Die einzige Wahrheit ist doch im Grunde die, dass wir alle Kunst auf verschiedene Art und Weise rezipieren. Abhängig von vielen Einflussfaktoren. Einer davon ist der Mensch hinter der Kunst. Andere Faktoren sind z. B: Stimmungen im Moment der Rezeption, Vorlieben, Wissen um die jeweilige Kunst, Einflüsse anderer Betrachter/Hörer/Zuschauer usw.

Schlussfolgerung: eine allgemeingültige Antwort auf die Threadfrage gibt es nicht.
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WuerzburgerAdler schrieb:

Schlussfolgerung: eine allgemeingültige Antwort auf die Threadfrage gibt es nicht.

Das wäre aber die erste Frage, auf die es im Forum Deines Vertrauens keine allgemeingültige Antwort gäbe
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vonNachtmahr1982 schrieb:

Ein anderes evtl. noch extremeres Beispiel wäre ja Varg Vikernes. In den 90ern Mitbegründer und für viele einer der wichtigsten Black Metal Musik aus Norwegen. So gar das Rock Hard und das Deaf Forever (beide Magazine eher dem linken Spektrum zu zuordnen) schätzen die ersten 4 Alben von Burzum (der 1 Mann Band von Vikernes) als Meilensteine des Black Metal. Diese Album sind Textlich auch frei  von jeglicher rechten und antisemitischen Ideologie. Das der Karriereverlauf von Vikernes dann von Brandstifter über Mörder zu Antisemit und völkischer Esoterik weiter verläuft ist dann das, was die ganze Sache schwierig macht. Kann man das dann noch trennen?


Das war ja sogar ein Beispiel, bei dem ich hier im Forum schon einmal angesprochen worden bin. Ich hatte ein Musikstück von Burzum (das Soloprojekt des genannten Varg Vikernes) zusammen mit einer Coverversion dieses Stücks einer anderen Künstlerin im "Now playing"-Fred im Gebabbel gepostet. Da wurde ich gefragt, ob ich mir bewusst bin, was der Hintergrund von Burzum ist. Ja, das war mir beim Posten auch bereits bewusst. Ich unterstütze auch weder die Einstellung noch die Taten von Vikernes. In diesem Moment ging es mir vornehmlich um die musikalische Qualität. Da prüfe ich noch, ob irgendein propagandistischer oder radikaler Text vorliegt. In diesem Falle hätte ich so einen Kram nicht gepostet, was dann auch der sehr gewaltige Unterschied zu Bands wie Störkraft wäre.

In die Bredouille kam ich auch vor vielen vielen Jahren, als ich mit der Landschaft des großen und sehr heterogenen Gothic-Umfelds nicht so vertraut war. Eine Nische ist z.B. Neo-Folk. Musikalisch ist das z.T. sehr fein, was man zu hören bekommt. Hier sind aber einige Künstler bewusst völkisch-nationalistisch angehaucht oder wollen entsprechend provozieren (was für mich aber keinen Unterschied mehr macht). Ohne großes Hintergrundwissen hatte ich damals eine CD der Gruppe "Turbund Sturmwerk" gekauft. Bei einem Blick in den Inlay-Text ist mir dann fast die Kinnlade heruntergefallen, ging es da dann plötzlich von der Entwicklung des Germanentums über die Rechtfertigung der kriegerischen Einstellung hin zu Herrschaftsrassen/Minderrassen.
Die CD kam dann nicht mehr in meinen Player... aber immerhin führte es bei mir zu einer kritischen Hinterfragung dieser Musikrichtung und der Szene drum herum. Ein paar Jahre später bin ich dann beim Durchforsten wieder über die CD gestolpert und sagte mir: So einen Dreck willst du eigentlich nicht im Bestand haben. Also verkaufte ich das Ding für so ca. den 3-4 fachen Preis dessen, was ich damals bezahlt hatte, auf Ebay. Und frage mich dann heute: War das so schlau? Behält man so einen Müll in seinem Bestand, mit dem Wissen, dass es einen selber nicht großartig beeinflusst aber man sich damit nicht wohl fühlt? Oder gibt man es weiter, aber du hast keine Ahnung, ob es nun in die Hände von einem gelangt, der sich beeinflussen lässt? Oder schmeißt man den Kram tatsächlich auf den Müll? Eigentlich hätte ich wohl lieber letzteres machen sollen.
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Du stichst da bei mir was an da Black Metal, Neofolk und Industrial eine Zeit lang sehr essentiell in meinem leben waren. Von daher weiß ich bei der Materie sehr gut mit was für Individuen und Künstlern man es da teilweise zu tun hat. Schön und interessant finde ich dann auch viele Wiedersprüche die sich da über die Jahre auf tun oder das einzelne Künstler auch Wendungen "zum Guten" voll ziehen. Zumindest darf man bei diesen Musikrichtungen, um sie zu verstehen und zu erforschen, nicht wahllos die PC Keule schwingen. Da kommt man dann nicht unbedingt weit um ein Gesamtbildung zu bekommen.
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edmund schrieb:

Was kommt nach dem Sex?
Adlerkadabra?

Ich lehne mich mal ganz weit aus dem Fenster und sage mutig: ja

@Motofuzzi99 - klar waren die Jungs im Führerbunker geflasht von sowas wie dem Walkürenritt. War schließlich Oliver Stone in ganz anderem Kontext auch. Hat ja auch was, hach, *sing*: Hoiio-to-hooo-ho! Hoio-to-hooooo-ho!

FrankenAdler schrieb:

Ich halte es bestenfalls für naiv zu glauben, das Schaffen eines Menschen könnte von seinen/ihren Haltungen unberührt bleiben.

Unberührt ganz sicherlich nicht, kann ja keiner aus seiner Haut. Oder? Die interessante Frage ist: wie sehen die Schnittstellen zwischen beiden aus, die Membranen. Von Fall zu Fall je ganz eigen kommt es da vermutlich zu sehr komplexen Übergängen, und durchaus nicht nur one-way.
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Apropos Haut. Meine Tochter bekommt seit dem Lockdown immer wieder irgendwelche Bastelchallenges von ihren übermotivierten GrundschullehrerInnen. Als braver Helikoptervater bastle ich den Kram natürlich selbst (Man braucht schließlich die Zertifikate, um im Kapitalismus in einer einigermaßen komfortablen Nische überleben zu können). Jetzt habe ich mit Superkleber und Klorollen (aus dem ersten Lockdown hatte ich noch jede Menge Vorräte) hantiert und krieg die Scheiße nicht mehr von meinen Händen ab. Daher meine Frage an euch: Wie kann ich jetzt diese Kunst vom Menschen trennen?
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Eigentlich wird doch allein durch den Hang dazu, seine Interpretation der jüdischen Figuren seiner Oper deutlich, dass Wagners sonstige Haltungen eben auf seine Kunst zurückwirken. Wagner war Antisemit und dementsprechend entsteht eine Erwartung bezüglich der genannten Figuren. Ich halte es bestenfalls für naiv zu glauben, das Schaffen eines Menschen könnte von seinen/ihren Haltungen unberührt bleiben.
Wir sind eben, selbst wenn so eine Trennung Anliegen eines Künstlers wäre, nicht dazu in der Lage, unser Wissen um den Kontext komplett beiseite zu legen und "einfach nur das Werk" auf uns wirken zu lassen.

Ich war vor einiger Zeit in der neuen Pinakothek und stand ziemlich fasziniert vor dem Bild "Die Sünde" von Stuck.
Beim recherchieren zu dem Bild, stieß ich dann darauf, dass das wohl ein Lieblingswerk Hitlers gewesen sei - und schon begann der "finde den Fehler" Modus. Ähnlich wurde es hier ja auch schon bezüglich Wagner beschrieben.
Macht mir deutlich, wie meine Haltungen Einfluss auf mein Empfinden der Kunst nehmen.
Im Wissen um die Haltungen eines Künstlers fällt mir da eine Trennung nicht leichter.
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FrankenAdler schrieb:

Ich halte es bestenfalls für naiv zu glauben, das Schaffen eines Menschen könnte von seinen/ihren Haltungen unberührt bleiben.
Wir sind eben, selbst wenn so eine Trennung Anliegen eines Künstlers wäre, nicht dazu in der Lage, unser Wissen um den Kontext komplett beiseite zu legen und "einfach nur das Werk" auf uns wirken zu lassen.

Ich teile die Auffassung keine pauschalen Aussagen zu machen, sondern jeden Einzelfall zu bewerten. Auch im Hinblick der Zeit, des kulturellen und sozialen Umfeldes. Kann man das Werk von Karl Marx in toto verurteilen, weil er ein Rassist und Antisemit war? Kann man einen Künstler kritisch sehen, weil Hitler sein Bild mochte. Ist es verständlich, dass Frau Merkel ein Bild von Nolde aus ihrem Büro entfernte, weil der Maler Nazi war?
Kann man einen Schriftsteller, Künstler in Haftung nehmen, weil nachkommende Generationen oder Personen ihn oder sein Werk für ihre Zwecke ge(miß)brauchen?
Wie gefährlich ist es, neue Bücherverbrennungen zu provozieren, weil die Werke nicht der Ideologie oder politischen Auffassung entsprechen?

Viele Fragen auf die ich nur eine Antwort habe. Vorsichtig und kritisch und differenziert betrachten und um Gotteswillen keine Pauschalurteile.

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Apropos Haut. Meine Tochter bekommt seit dem Lockdown immer wieder irgendwelche Bastelchallenges von ihren übermotivierten GrundschullehrerInnen. Als braver Helikoptervater bastle ich den Kram natürlich selbst (Man braucht schließlich die Zertifikate, um im Kapitalismus in einer einigermaßen komfortablen Nische überleben zu können). Jetzt habe ich mit Superkleber und Klorollen (aus dem ersten Lockdown hatte ich noch jede Menge Vorräte) hantiert und krieg die Scheiße nicht mehr von meinen Händen ab. Daher meine Frage an euch: Wie kann ich jetzt diese Kunst vom Menschen trennen?
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Motoguzzi999 schrieb:

Apropos Haut. Meine Tochter bekommt seit dem Lockdown immer wieder irgendwelche Bastelchallenges von ihren übermotivierten GrundschullehrerInnen. Als braver Helikoptervater bastle ich den Kram natürlich selbst (Man braucht schließlich die Zertifikate, um im Kapitalismus in einer einigermaßen komfortablen Nische überleben zu können). Jetzt habe ich mit Superkleber und Klorollen (aus dem ersten Lockdown hatte ich noch jede Menge Vorräte) hantiert und krieg die Scheiße nicht mehr von meinen Händen ab. Daher meine Frage an euch: Wie kann ich jetzt diese Kunst vom Menschen trennen?

😂
Eine allgemeingültige Antwort auf Deine Frage scheint es mir nicht zu geben.
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FrankenAdler schrieb:

Ich halte es bestenfalls für naiv zu glauben, das Schaffen eines Menschen könnte von seinen/ihren Haltungen unberührt bleiben.
Wir sind eben, selbst wenn so eine Trennung Anliegen eines Künstlers wäre, nicht dazu in der Lage, unser Wissen um den Kontext komplett beiseite zu legen und "einfach nur das Werk" auf uns wirken zu lassen.

Ich teile die Auffassung keine pauschalen Aussagen zu machen, sondern jeden Einzelfall zu bewerten. Auch im Hinblick der Zeit, des kulturellen und sozialen Umfeldes. Kann man das Werk von Karl Marx in toto verurteilen, weil er ein Rassist und Antisemit war? Kann man einen Künstler kritisch sehen, weil Hitler sein Bild mochte. Ist es verständlich, dass Frau Merkel ein Bild von Nolde aus ihrem Büro entfernte, weil der Maler Nazi war?
Kann man einen Schriftsteller, Künstler in Haftung nehmen, weil nachkommende Generationen oder Personen ihn oder sein Werk für ihre Zwecke ge(miß)brauchen?
Wie gefährlich ist es, neue Bücherverbrennungen zu provozieren, weil die Werke nicht der Ideologie oder politischen Auffassung entsprechen?

Viele Fragen auf die ich nur eine Antwort habe. Vorsichtig und kritisch und differenziert betrachten und um Gotteswillen keine Pauschalurteile.

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Es ging mir nicht darum, ein Bild anders einzuordnen, weil es auch von Hitler gut gefunden wurde, es ging mir darum, was ich an Reaktion bei mir beobachten konnte.
Ich hatte diese Beispiel also nicht gewählt, um den Künstler vorzuwerfen, dass seine Ästhetik einen später geborenen Massenmörder angesprochen hat, sondern um darzustellen, welche Wirkung das Wissen darum haben kann.
Natürlich kann ich da nur für mich sprechen`.
Inspiriert zu diesem Vergleich hat mich das Beispiel Wagner. Natürlich kann man das Werk Wagners nicht danach bewerten, dass die Nationalsozialisten davon begeistert waren. Wohl aber kann man den Bombast und die Haltung Wagners (auch im Kontext seiner Zeit) kritisch hinterfragen. Sei es seine Cerbindung zum irren Absolutisten aus dem Hause Wittelsbach, auf den Wagner großen Einfluss hatte, sei es sein fanatischer Antisemitismus, sei es sein nationalistisches Pathos (für das ich im Kontext der Zeit noch am ehesten Verständnis aufzubringen in der Lage bin).

Und Würzi: klar, die Pianovirtuosität wird durch Sektenzugehörigkeit des Pianisten nicht geschmälert! Interessant wäre für mich jetzt allerdings: wirst du künftig noch dazu in der Lage sein, seine Musik völlig unbelastet zu geniessen?
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All eure Gedanken zu diesem Thema haben gemeinsam, dass sie in dem unausgesprochenen Kontext einer freiheitlich demokratischen Gesellschaft, in der Menschenrechte geachtet und geschützt werden, stehen. Was aber, wenn ich die gleiche Frage in Russland (um ein Beispiel zu nennen) stelle. Wenn das Werk eines Autor/einer Autorin aufgrund seiner/ihrer Überzeugungen beurteilt würde, dann gäbe es weder Pussy Riot noch Pjotr Pawlenski.
Es scheint tatsächlich keine allgemeingültig Antwort zu geben.


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