Teil 2: “Familie, Stasianschläge und Mauerfall - Die zweite Wahl setzt sich durch“
Hohngelächter für den Trainer Titelt die Abendpost am 5.12.88. “Auf die Optik legen wir auch nicht so viel Wert“, meint Trainer Pal Csernai zum 1:0-Sieg gegen Dortmund, der die Eintracht statt auf Rang 18 auf 15 überwintern lässt. Trotz des Treueschwurs wird er entlassen, nach nur 90 Tagen im Amt als Nachfolger von Kalli Feldkamp. Aber Karussell ist “in“ bei der Eintracht im Herbst 88: Manager Kraus wurde durchs Toilettenfenster beurlaubt, Präsident Gramlich gestürzt, Wolf war nur 7 Tage im Amt, so dass der Devisenmakler Ohms nach reichlich Dreckwäsche neuer Präsident wird und Friedrich Manager. “Einträchtig ins 90ste Lebensjahr“ steht auf den Weihnachtskarten der Eintracht. Auch dies löst Hohngelächter aus...
Dezember 1988: Eine Chance für die zweite Wahl Titelt die FAZ am 19.12.88. Favorit für Csernais Nachfolge war Hannes Bongartz, der jedoch keine Freigabe vom FC Zürich bekam, so dass der 44jährige Jörg Berger aus seinem laufenden Vertrag beim SC Freiburg losgeeist wird. Begeisterungsstürme löst die Verpflichtung des vierten! Trainers in der Saison nicht aus, doch Jürgen Friedrich meint: “Er ist ein Mann mit einer sehr guten Fachkompetenz und sehr guten Arbeitsauffassung, der die Sprache der Spieler sprechen kann.“
.......... Nur wenn Mannschaft, Management und Vorstand an einem Strang ziehen, ist die Aufgabe lösbar, meint Jörg Berger: “Wir müssen ein Gemeinschaftswerk vollbringen!“
Rückblende I: Nackte Frauen in der Kabine... März 1980: Berger, dessen Erfahrung in der Oberliga und als DDR-Jugendauswahltrainer im Westen nichts zählt, macht seinen Trainerschein in Köln zusammen mit Christoph Daum, Klaus Schlappner und Horst Köppel. Gelehrt wird an der Sporthochschule mit DDR-Lehrbüchern... Kurz darauf wird er Trainer beim SSV Ulm. “Was ist das?“ fragt er beim ersten Blick in die Kabine. “Alle Bilder runter, wir sind hier beim Sport und nicht im Puff!“
Rückblende II: Mensch Lutz, lass den Quatsch Warnt Berger Lutz Eigendorf, der eine Woche vor Berger in die BRD flüchtete. Der Fußballer vom Mielke-Club BFC Dynamo Berlin hatte sich zur Verwunderung von Nachtweih, Pahl und Berger in der Presse stets lautstark über die Verhältnisse in der DDR geäußert. März 1983: Lutz Eigendorf stirbt bei einem rätselhaften Autounfall. “Eigendorf verblitzt“ steht in dessen Stasiakte...
“Sensible Polyneuropathie mit unklarer Genese“ Berger leidet darunter bei seinen Tätigkeiten in Hannover und später in Freiburg, die Berufsunfähigkeit droht. “Ein aggressives Verhalten gegenüber dem OV “Leder“ wird angeraten, steht in seiner Stasiakte. “Toxdat“ ist ein Nervengift, das zu dauerhaften Lähmungserscheinungen und bei Überdosierung zum Tod führt. Auch hiervon erfährt Berger bei Durchsicht seiner Stasiakten...
Juni 1989: Besuch beim Sohn eines Verräters 12.5.1989: “Zwei Punkte und zwei Zwillinge,“ meint Berger in der Pressekonferenz. Die Eintracht gewinnt gegen Kaiserslautern 3:2, ein paar Stunden vorher kommen seine Kinder Romy und Julia zur Welt...
“Ich hatte nicht einen Vater, sondern einen Hauptgewinn gewonnen: Drei Tage mit einem Bundesligatrainer in Prag.“ Sagt Ron, sein Sohn aus der ersten Ehe, das Treffen hatten Wolfgang Mischnick und Hans-Dietrich Genscher vermittelt. “Es ist nicht einfach, in der DDR zu leben und Sohn eines Verräters zu sein.“ Fremdheit zwischen Sohn und dem Vater, der in den Westen floh. Nur kurz bedauert er seine Flucht. Das ihm die Freiheit wichtiger war als die Familie, zu dem Egoismus steht er...
Juni 1989 Zitterfinale: “Solange ich spiele, steigt die Eintracht nicht ab.“ Wenigstens Charly hält Wort am 17. Juni 89. Der 34. Spieltag und die Eintracht braucht mindestens einen Punkt beim Tabellenletzten Hannover, um in die Relegation zu kommen. Es steht 0:1 und bis 17:01 Uhr ist die Eintracht als 17ter abgestiegen. Die 8000 mitgereisten Frankfurter sind fassungslos, doch Körbel erlöst sie mit seinem Treffer zum 1:1. Während einige Spieler auf der Rückfahrt wieder scherzen können, sitzt “Jörg Berger vorne im Bus in sich zusammen gesunken, allein und sehr blass. Als ich ihn dann am Abend im Fernsehen sah, wirkte er nicht anders“, schreibt Rüdiger “Kid Klappergass“ in seinem wunderschönen Nachruf auf Jörg Berger...
Nach dem 2:0-Hinspielsieg gegen Klaus Schlappners Saarbrücker liegt die Eintracht im Rückspiel bereits nach 10 Minuten mit 1:0 hinten. Torschütze ist der kaum zu bremsende Anthony Yeboah. Nach der Pausenansprache von Berger reißen sich die Adler jedoch zusammen. Schulz sorgt für den erlösenden Ausgleich, doch Yeboah schlägt in der 76. erneut zu. Doch 15 Minuten später erlösender Jubel, der kicker meint “Glück gehabt, Eintracht!“ und Jörg Berger wirklich mit den Nerven fertig: “Dieses letzte halbe Jahr möchte ich nicht noch einmal erleben. Ich muss das alles erst mal verdauen.“
1989/90: Mauerfall und mit Hessen zurück an die Spitze Das neue Konzept mit Uwe Bein (HSV) und Ralf Falkenmayer (zurück von Leverkusen) hat Erfolg. Die Eintracht stürmt auf Rang 3 und Jörn Andersen wird als erster ausländischer Profi Torschützenkönig.
.......... Was ist das? “Ein Kulturbeutel.“ Und was ist da drin? “Kultur.“ Weihnachten 1989, Berger passiert die Grenzkontrolle in Eisenach 6 Wochen nach der Ankündigung von SED-Politbüromitglied Schabrowski am 9. November, dass die Grenzen geöffnet werden. Zuerst besucht er das Stadion in Leipzig, dann erst Ron und seine Ex-Frau... “Ich habe die DDR noch nicht verarbeitet, aber ich weiß heute, dass ich mit meiner Flucht alles richtig gemacht habe“, erzählt er zuhause seiner Frau Chris. Öffentlich bekundet er, dass er sich nicht vorstellen könne, künftig im Osten zu arbeiten. Und gesteht sich ein, dass er mit seiner Überheblichkeit einige Leute brüskiert, die dies nicht verdient haben...
1990/91: Ein menschlicher Tiefschlag und der schwarze Abt... Andersen geht, Yeboah kommt. Aber auch Andy Möller, der den schwarzen Abt Gerster als Manager im Schlepptau hat und im überteuerten Team für mächtig Unruhe und Querelen sorgt. “Soll ich den Möller auf die Tribüne setzen oder machen Sie das? Aber sie machen hier ja überhaupt nichts mehr, was spielen Sie eigentlich für eine Rolle?“ tobt Uli Stein nach dem 1:4 gegen die Bayern mit Jörg Berger. Der kicker (1.11.90) vermutet, dass Gerster Stein, Bein und Gründel aus der Mannschaft mobben will, um freie Bahn für seine Spieler Binz und Möller zu haben. Zudem plappert der Abt nach Ansicht von Berger im Mannschaftskreis aus, dass die Position des Trainers in Frankfurt nicht sicher sei. Dies weisen alle Beteiligten, auch die Spieler, vehement von sich und Gerster schmeißt mit Dreck, während Ohms sich hinter den Abt stellt.
............... Zu viel Intrigen, Neid und Missgunst im Team, denen Jörg Berger unabhängig von der Rolle des Abtes tatsächlich nicht gewachsen ist, während Hölzenbein, der vor Beginn der Saison sportlicher Leiter war, dem Treiben nur wort- und ratlos zuschaut. Nach der 0:6-Heimniederlage gegen den HSV am 13. April 1991, dann der Rauswurf. “Für mich ist heute eine Welt zusammengebrochen. Das war ein menschlicher Tiefschlag“, sagt Berger in der FR. Und weiter: “Ich habe mir nichts vorzuwerfen, ich stehe zu jedem Wort, dass ich über Gerster gesagt habe. Ich habe nur die Wahrheit gesagt, da war ich immer geradlinig und ehrlich.“ In seinem Buch schreibt er hierzu nichts, zu traurig ist dieses Kapitel für ihn persönlich.
Nur 14 Stunden später macht Hölzenbein “den Mann aus der Kneipe“ (Bild) einfach mal zum Trainer... Udo Lattek hingegen holt Berger im Herbst 1991 nach Köln. Berger bewahrt die Geißböcke vor dem Abstieg, um in der nächsten Saison auf Rang 4 zu landen, während “Trainer“ Steppi nur “Lebbe geht weiter“ in die Mikrophone nuschelt...
(Auch Teil 2 basiert auf Jörg Bergers Buch, Berichten aus Frank Gottas eintracht-archiv, Rüdigers Blog The Diva and the Kid sowie dem Pressearchiv von Frank mit Schnipseln der Abendpost Nachtausgabe, FR, FAZ und dem kicker. Vielen Dank an Frank und sein tolles eintracht-archiv)
Danke für die sehr gute Zusammenfassung und Rückblick auf das Wirken eines der besten Trainer der Eintracht. Es hat mich sehr neugierig gemacht auf das Buch von Jörg Berger.
mir fehlen die richtigen worte. deshalb einfach nur danke. ich habe unzählige trainer in frankfurt erlebt, aber nur weise und berger waren für mich ohne wenn und aber immer "eintracht". und letzterer nicht nur wegen der dramatischen momente.
der treppenwitz der geschichte ist, das gerster in zusammenarbeit mit binz und auch weber es später dann geschafft hat stein (und mit ihm toppmöller) zu vertreiben. dann kam osram und wie es weiterging wissen wir alle.
schice wie die zeit verfliegt. "eins, zwei, drei, im sauseschritt eilt die zeit, wir eilen mit."
Das 0:6... Uli Stein fiel wie eine Bahnschranke....Unvergessen die Fernsehbilder, wie die Spieler einzeln zum Rapport am Riederwald gerufen wurden. So viele Erinnerungen, so viele Szenen und Geschichten, die zum Eintracht-Urbestand gehören - und alle verknüpft mit Jörg Berger.
Vielen Dank, lieber Thomas für die Zeit und für den Eintracht-Spirit, den du in diese Aufbereitung und Würdigung steckst. Es liest sich wunderbar - wenn nur der Anlass nicht so traurig wäre.
bluerider schrieb: "Ganz großes Kino", sehr schön ausgearbeitet, sitze ganz gespannt vor dem PC und freue mich schon auf Teil III.
Ein sehr bewegtes Leben von Jörg Berger. Viele Einblicke und Eindrücke.
Danke. Jörg Berger würde sich sicherlich freuen.
Grüße Bluerider
Ja, danke!! Beim Lesen wird Berger wieder "lebendig" und dann kommen Sekunden, wo man es gar nicht recht glauben kann, der der Mann nicht mehr am Leben ist.
Teil 3: Ein Übersteiger, Größenwahn und die Tour des Lebens
April 1999: “Zu spät! Spart euch die Mühe, spart euch das Geld.“ “Mit System und Hinterlist entmachtet“, schrieb das Darmstädter Echo zum Rauswurf von Horst Ehrmantraut, den grauen Männern im Hintergrund war er bereits im Sommer 1998 nach dem grandiosen Aufstieg ein Dorn im Auge. So durfte Manager Rohr dem Hotte die Nachricht am 16. Spieltag übermitteln, die Eintracht war 14. “Man kann nicht überleben, wenn man solche taktischen Fehler macht“, erzählt Fjørtoft über die weise Entscheidung, im Abstiegskampf einen Jugendtrainer zum Chefcoach zu machen. Nach der 3:1-Niederlage ist Schluss für den ungeliebten Dilettanten Fanz, die Eintracht steht auf Rang 17 mit 4 Punkten Rückstand auf Rang 15.
Peter Neururer bietet sich selbst als Nachfolger an, wird aber ignoriert. Da fällt intern der Name Berger und Präsident Heller kontaktiert Ex-Manager Hölzenbein: “Zu spät! Die Eintracht ist leider nicht mehr zu retten. Da hilft auch ein Jörg Berger, der wirklich ein sehr guter Mann ist, nicht mehr. Spart euch die Mühe, spart euch das Geld“...
Rückblick: 1952-1963 – “Nichts, hat man vom Leben, ich ziehe aus!“ Trotzt der 7jährige Jörg, der sich ein 9 QM-Zimmer mit seiner Oma in der Siedlung Reudnitz im Osten Leipzigs teilen muss. “So dann packen wir mal“, spricht seine resolute Mutter und wirft ihm einen Koffer vor die Füße...
“Nur weil ich Jeans anhabe, muss ich doch nicht gleich gegen den Staat sein“, antwortet der siebzehnjährige Jugendauswahlspieler, der inzwischen auf dem Sprung in die Oberligamannschaft des SC Leipzig ist, einen Parteisekretär, als er Maloche auf dem Bau und Training bei einer FdJ-Feier seine gescheite Hose vergisst. Gut für ihn, er kickt gut. Und das weiß er. An Selbstbewusstsein mangelte es ihm nie. “So sieht kein sozialistischer Sportler aus! Diese Stemmeisen (Koteletten) hier“, wirft ihm erneut ein Parteisekretär vor. “Meine Haare gehen Sie gar nichts an“, trotzt Jörg zurück und hat erneut Glück...
30. April 1999: “Der ist bekloppt...“ “Sie haben mir gesagt, ich komme als Retter, weil ich das vorher bewiesen habe. Das ist ganz wichtig für die Psyche.“ Die eigene. Er bleibt seiner Linie treu, auch nach einem Remis gegen Rostock und der 0:2-Niederlage in Freiburg: “Ich habe aus dieser Niederlage eigentlich einen Sieg gemacht. Die haben alle gesagt, der ist bekloppt, das war der Abstieg. Aber ich habe immer gesagt, man muss an sich glauben. Und ich glaube an die Mannschaft, daran das erst am Ende abgerechnet wird...“
8.11.2002: “Krank? Ich? Nein, das ist nicht möglich“ Berger ist inzwischen Trainer bei Aachen und hat Darmprobleme. “Sie haben Darmkrebs“, eröffnet ihm der Arzt. Kein Entsetzen, es ist Unglaube. Er kann doch nicht krank sein. Er nicht. Nein. “Früher musste ich Mannschaften retten, jetzt musste ich mich selbst retten und wurde mein eigener Coach.“ Er liest und verinnerlicht Lance Amstrongs Buch “Tour des Lebens“. Die Operation verläuft erfolgreich. Drei Jahre lang...
Rückblick: 1970: “Ron geht nicht, schöne kurze Namen wie Juri, Igor... gehen“ Im September 1968 heiratet Jörg Berger die DDR-Olympiaschwimmerin Harriet Blank. Nicht aus Liebe, sondern weil beide ein besseres Leben mit größerer Wohnung führen wollen. Im September 1970 kommt der Sohn auf die Welt und der ausgesuchte Name wird als nicht sozialistisch abgelehnt. “Geht Ronald?“ Klar “Auch die Kurzform?“ Auch. Ronald heißt dann doch Ron und Berger beendet sein Studium zum Diplomsportlehrer 1972...
22.5.1999: “Einer hofft, vier zittern“ Schreibt der kicker nach dem 33. Spieltag. Siege in Bremen und gegen Dortmund, während die Konkurrenz weiter punktet und Schur ratlos schimpft: “Alles Mafia!“ (Nürnberg gewinnt gegen Bayern, Bremen gegen die Löwen). Nach einem 0:2-Rückstand gewinnt die Eintracht durch Tore von Fjørtoft, Sobotzik und Janßen mit 3:2 auf Schalke. “Die Eintracht erkämpft das Endspiel“ (FAZ). “Ich glaube, dass die Situation vor dem letzten Spieltag ein kleiner Vorteil für uns ist“, meint Jörg Berger. 12. Nürnberg 37P. 13. Stuttgart 36P., 14. Freiburg 36 P., 15. Rostock 35P., 16. Frankfurt 34 Punkte...
Rückblick 1974-1977: “Es war mir unmöglich, mich ständig unterzuordnen“ Dachte der Jungspund im Trainerteam von Hans Meyer in Jena, um 1974, entgegen dem Plan, die zweite Mannschaft von Halle zu übernehmen, in der die Talente Jürgen Pahl und Norbert Nachtweih kickten... “Genosse, fahr nach Hause und klär das mit deiner Ehe“, sagt der Generalsekretär und macht Berger 1976 zum Trainer der U18-Auswahl der DDR. “Wir lassen es einfach so laufen wie bisher“, meint Gattin Herriet, während sich Berger über den Einfluss der Partei maßlos ärgert. Danach wird ihm eine Tätigkeit beim Ministerium für Staatssicherheit angeboten. “Nein!“ ist die kurze Antwort...
“Leider kann ich euch nicht begleiten...“ Berger muss seine Jugendspieler anlügen, weil er nicht zu Spielen in den Westen darf. Die Stasi fand heraus, dass er sich von seiner Frau scheiden lassen will. Nur die beiden haben darüber gesprochen...
29.05.1999: Übersteiger 0:0 zur Pause. Yang (47.), Schjönberg (68., Elfmeter), Sobotzik (70.), Gebhardt (80.), Schneider (82.)... Westerthaler kommt für Janßen (86.)... zittern, rechnen, verzweifeln, schreien... und dann...
2005: “Nein, sonst hätte ich vorher etwas falsch gemacht.“ Antwortet Berger jedem, der ihn fragt, ob der Krebs sein Leben verändert hätte. Er ist gerade als Trainer in Rostock entlassen worden, als sich im September bei einer Nachuntersuchung herausstellt, dass er Metastasen in der Leber hat. Wieder wird er operiert und macht weiter, als Kommentator bei Premiere und im Morgenmagazin. Im Herbst 2006 steht die nächste schwere Operation an, der Krebs hatte gestreut. Der Professor fragte mich: „Was haben Sie heute gemacht?“ – „Ich war mit Falko Götz beim Italiener.“ Ich durfte ja nichts essen, aber das war mir egal, dann kriege ich eben einen Einlauf mehr. „Und dann?“ – „War ich bei Udo Walz, dem Friseur.“
“Auch wenn es mal Schwankungen gibt: Ich gehe mit einer positiven Einstellung durchs Leben. Ich tue das, was ich immer am besten konnte. Ich kämpfe, ich blicke nach vorn.“
07-12/1999: “Die größten Fehler werden in der Stunde des größten Erfolgs gemacht.“ Immer und immer wieder mahnt Jörg Berger vor zu großen Erwartungen, die nach zwei Siegen und einem Unentschieden zu Saisonbeginn immer höher in den Himmel wachsen. Doch dann kommen die Spiele mit den individuellen Fehlern, Nikolov, der Garant für den Klassenerhalt, patzt mehrfach, Heldt und Guié-Mien schwächeln. Das Ergebnis: Eine Serie von sechs Niederlagen und das Pokalaus in Köln. Bereits nach der Niederlage gegen Stuttgart antwortet Präsident Heller auf die Frage, ob Berger Trainer bleibt: “Ja, äh…“, während Fjørtoft laut wird: "Ich warne davor, auch die Leute im Umfeld, jetzt auf den Trainer loszugehen. Das würde uns Spielern doch nur ein Alibi geben."
Doch nach einem kurzen Zwischenhoch verliert die Eintracht erneut fünf Mal und ist nach dem 16. Spieltag 17ter mit nur elf Punkten. Rückhalt hat Berger längst nicht mehr und im Umfeld tobt ein dreckiger Machtkampf zwischen Präsidium und Vorstand…
18.05.2009: Trainer für einen Spieltag “Der abstiegsbedrohte Bundesligist Arminia Bielefeld hat Jörg Berger als neuen Trainer und Nachfolger des entlassenen Michael Frontzeck präsentiert. Der 64-jährige Berger wird die auf dem 16. Platz liegenden Ostwestfalen am 34. und letzten Spieltag gegen Hannover 96 und auch in den möglichen zwei Relegationsspielen gegen den Dritten der 2. Liga betreuen (dpa)…
18.12.1999: “Es hat nicht in Ulm geendet, es hat im Größenwahn begonnen…“ Pressekonferenz vor dem letzten Hinrundenspiel, der Raum ist überfüllt. "Ich weiß, warum Sie alle hier sind“, sagt Jörg Berger tapfer. “Scheiß Millionäre“ schreien die mitgereisten Fans nach dem 0:3 und blockieren 90 Minuten lang den Mannschaftsbus...
Die offizielle Pressemitteilung: “Fußball-Bundesligist Eintracht Frankfurt hat sich am Sonntagmittag von Trainer Jörg Berger getrennt. Präsident Rolf Heller erklärte auf einer Pressekonferenz, dass der Club sich aufgrund der aktuellen Tabellensituation dazu entschlossen habe, Berger mit sofortiger Wirkung von seinem Amt zu entbinden.“
Nicht nur Fjørtoft ist bedient: ”Mir tut die Entlassung von Jörg Berger fürchterlich leid. Mit ihm ist zu 110 Prozent das fantastische Saisonende verbunden. Die Mannschaft sollte nicht glauben, dass es besser geht, nur weil jetzt ein neuer Trainer kommt."
2007-2010:“Herr Professor, ich bin nicht der Durchschnitt Erneut hat der Krebs gestreut, diesmal sind Lunge, Leber und die Lymphdrüsen betroffen. Der leitende Arzt geht von einer Lebenserwartung von zwei bis drei Jahren aus…
Er beginnt, an seinem Buch zu schreiben und erkennt: “Rückblickend auf meine zwei Halbzeiten habe ich – egoistisch und auch ein bisschen oberflächlich begriffen, was wichtiger ist als Ruhm und Erfolg: Das ist meine Familie und das sind natürlich Freunde, echte Freunde.“ Er bekommt Chemotherapie. “Einmal Pleete für 8,50.“ Berger entscheidet sich gegen ein Toupet und für die Glatze vor dem nächsten Auftritt bei Premiere:
“Etwas verstecken, übertünchen oder gar vortäuschen, das ist nicht meine Sache. Und Absagen? Kommt nicht in Frage!“ “…Dann mit offenem Visier in die Sendung. Wenn es auch nicht leichtfällt. Denn: Resignation ist das Alibi der Schwachen.“
Am 23. Juni 2010 stirbt Jörg Berger im Kreise seiner Familie.
(Zitate aus: Jörg Berger, Meine zwei Halbzeiten, rowohlt-Verlag / Jörg Heinisch, Frankfurter Fußballwunder, Agon-Verlag / Interview im Tagesspiegel vom 15.03.09, Frank Gottas eintracht-archiv, Saison 2000/01, Fanks Pressearchiv)
Eine tiefe virtuelle Verbeugung an Jörg Berger für sein Leben und an dich Thomas, für diesen außergewöhnlichen Dreiteiler. Unser Forum kann stolz auf dich sein, und Eintracht Frankfurt stolz auf Jörg Berger.
Hohngelächter für den Trainer
Titelt die Abendpost am 5.12.88. “Auf die Optik legen wir auch nicht so viel Wert“, meint Trainer Pal Csernai zum 1:0-Sieg gegen Dortmund, der die Eintracht statt auf Rang 18 auf 15 überwintern lässt. Trotz des Treueschwurs wird er entlassen, nach nur 90 Tagen im Amt als Nachfolger von Kalli Feldkamp. Aber Karussell ist “in“ bei der Eintracht im Herbst 88: Manager Kraus wurde durchs Toilettenfenster beurlaubt, Präsident Gramlich gestürzt, Wolf war nur 7 Tage im Amt, so dass der Devisenmakler Ohms nach reichlich Dreckwäsche neuer Präsident wird und Friedrich Manager. “Einträchtig ins 90ste Lebensjahr“ steht auf den Weihnachtskarten der Eintracht. Auch dies löst Hohngelächter aus...
Dezember 1988: Eine Chance für die zweite Wahl
Titelt die FAZ am 19.12.88. Favorit für Csernais Nachfolge war Hannes Bongartz, der jedoch keine Freigabe vom FC Zürich bekam, so dass der 44jährige Jörg Berger aus seinem laufenden Vertrag beim SC Freiburg losgeeist wird. Begeisterungsstürme löst die Verpflichtung des vierten! Trainers in der Saison nicht aus, doch Jürgen Friedrich meint: “Er ist ein Mann mit einer sehr guten Fachkompetenz und sehr guten Arbeitsauffassung, der die Sprache der Spieler sprechen kann.“
..........
Nur wenn Mannschaft, Management und Vorstand an einem Strang ziehen, ist die Aufgabe lösbar, meint Jörg Berger: “Wir müssen ein Gemeinschaftswerk vollbringen!“
Rückblende I: Nackte Frauen in der Kabine...
März 1980: Berger, dessen Erfahrung in der Oberliga und als DDR-Jugendauswahltrainer im Westen nichts zählt, macht seinen Trainerschein in Köln zusammen mit Christoph Daum, Klaus Schlappner und Horst Köppel. Gelehrt wird an der Sporthochschule mit DDR-Lehrbüchern... Kurz darauf wird er Trainer beim SSV Ulm. “Was ist das?“ fragt er beim ersten Blick in die Kabine. “Alle Bilder runter, wir sind hier beim Sport und nicht im Puff!“
Rückblende II: Mensch Lutz, lass den Quatsch
Warnt Berger Lutz Eigendorf, der eine Woche vor Berger in die BRD flüchtete. Der Fußballer vom Mielke-Club BFC Dynamo Berlin hatte sich zur Verwunderung von Nachtweih, Pahl und Berger in der Presse stets lautstark über die Verhältnisse in der DDR geäußert. März 1983: Lutz Eigendorf stirbt bei einem rätselhaften Autounfall. “Eigendorf verblitzt“ steht in dessen Stasiakte...
“Sensible Polyneuropathie mit unklarer Genese“ Berger leidet darunter bei seinen Tätigkeiten in Hannover und später in Freiburg, die Berufsunfähigkeit droht. “Ein aggressives Verhalten gegenüber dem OV “Leder“ wird angeraten, steht in seiner Stasiakte. “Toxdat“ ist ein Nervengift, das zu dauerhaften Lähmungserscheinungen und bei Überdosierung zum Tod führt. Auch hiervon erfährt Berger bei Durchsicht seiner Stasiakten...
Juni 1989: Besuch beim Sohn eines Verräters
12.5.1989: “Zwei Punkte und zwei Zwillinge,“ meint Berger in der Pressekonferenz. Die Eintracht gewinnt gegen Kaiserslautern 3:2, ein paar Stunden vorher kommen seine Kinder Romy und Julia zur Welt...
“Ich hatte nicht einen Vater, sondern einen Hauptgewinn gewonnen: Drei Tage mit einem Bundesligatrainer in Prag.“ Sagt Ron, sein Sohn aus der ersten Ehe, das Treffen hatten Wolfgang Mischnick und Hans-Dietrich Genscher vermittelt. “Es ist nicht einfach, in der DDR zu leben und Sohn eines Verräters zu sein.“ Fremdheit zwischen Sohn und dem Vater, der in den Westen floh. Nur kurz bedauert er seine Flucht. Das ihm die Freiheit wichtiger war als die Familie, zu dem Egoismus steht er...
Juni 1989 Zitterfinale: “Solange ich spiele, steigt die Eintracht nicht ab.“ Wenigstens Charly hält Wort am 17. Juni 89. Der 34. Spieltag und die Eintracht braucht mindestens einen Punkt beim Tabellenletzten Hannover, um in die Relegation zu kommen. Es steht 0:1 und bis 17:01 Uhr ist die Eintracht als 17ter abgestiegen. Die 8000 mitgereisten Frankfurter sind fassungslos, doch Körbel erlöst sie mit seinem Treffer zum 1:1. Während einige Spieler auf der Rückfahrt wieder scherzen können, sitzt “Jörg Berger vorne im Bus in sich zusammen gesunken, allein und sehr blass. Als ich ihn dann am Abend im Fernsehen sah, wirkte er nicht anders“, schreibt Rüdiger “Kid Klappergass“ in seinem wunderschönen Nachruf auf Jörg Berger...
Nach dem 2:0-Hinspielsieg gegen Klaus Schlappners Saarbrücker liegt die Eintracht im Rückspiel bereits nach 10 Minuten mit 1:0 hinten. Torschütze ist der kaum zu bremsende Anthony Yeboah. Nach der Pausenansprache von Berger reißen sich die Adler jedoch zusammen. Schulz sorgt für den erlösenden Ausgleich, doch Yeboah schlägt in der 76. erneut zu. Doch 15 Minuten später erlösender Jubel, der kicker meint “Glück gehabt, Eintracht!“ und Jörg Berger wirklich mit den Nerven fertig: “Dieses letzte halbe Jahr möchte ich nicht noch einmal erleben. Ich muss das alles erst mal verdauen.“
1989/90: Mauerfall und mit Hessen zurück an die Spitze
Das neue Konzept mit Uwe Bein (HSV) und Ralf Falkenmayer (zurück von Leverkusen) hat Erfolg. Die Eintracht stürmt auf Rang 3 und Jörn Andersen wird als erster ausländischer Profi Torschützenkönig.
..........
Was ist das? “Ein Kulturbeutel.“ Und was ist da drin? “Kultur.“ Weihnachten 1989, Berger passiert die Grenzkontrolle in Eisenach 6 Wochen nach der Ankündigung von SED-Politbüromitglied Schabrowski am 9. November, dass die Grenzen geöffnet werden. Zuerst besucht er das Stadion in Leipzig, dann erst Ron und seine Ex-Frau... “Ich habe die DDR noch nicht verarbeitet, aber ich weiß heute, dass ich mit meiner Flucht alles richtig gemacht habe“, erzählt er zuhause seiner Frau Chris. Öffentlich bekundet er, dass er sich nicht vorstellen könne, künftig im Osten zu arbeiten. Und gesteht sich ein, dass er mit seiner Überheblichkeit einige Leute brüskiert, die dies nicht verdient haben...
1990/91: Ein menschlicher Tiefschlag und der schwarze Abt...
Andersen geht, Yeboah kommt. Aber auch Andy Möller, der den schwarzen Abt Gerster als Manager im Schlepptau hat und im überteuerten Team für mächtig Unruhe und Querelen sorgt. “Soll ich den Möller auf die Tribüne setzen oder machen Sie das? Aber sie machen hier ja überhaupt nichts mehr, was spielen Sie eigentlich für eine Rolle?“ tobt Uli Stein nach dem 1:4 gegen die Bayern mit Jörg Berger. Der kicker (1.11.90) vermutet, dass Gerster Stein, Bein und Gründel aus der Mannschaft mobben will, um freie Bahn für seine Spieler Binz und Möller zu haben. Zudem plappert der Abt nach Ansicht von Berger im Mannschaftskreis aus, dass die Position des Trainers in Frankfurt nicht sicher sei. Dies weisen alle Beteiligten, auch die Spieler, vehement von sich und Gerster schmeißt mit Dreck, während Ohms sich hinter den Abt stellt.
...............
Zu viel Intrigen, Neid und Missgunst im Team, denen Jörg Berger unabhängig von der Rolle des Abtes tatsächlich nicht gewachsen ist, während Hölzenbein, der vor Beginn der Saison sportlicher Leiter war, dem Treiben nur wort- und ratlos zuschaut. Nach der 0:6-Heimniederlage gegen den HSV am 13. April 1991, dann der Rauswurf. “Für mich ist heute eine Welt zusammengebrochen. Das war ein menschlicher Tiefschlag“, sagt Berger in der FR. Und weiter: “Ich habe mir nichts vorzuwerfen, ich stehe zu jedem Wort, dass ich über Gerster gesagt habe. Ich habe nur die Wahrheit gesagt, da war ich immer geradlinig und ehrlich.“ In seinem Buch schreibt er hierzu nichts, zu traurig ist dieses Kapitel für ihn persönlich.
Nur 14 Stunden später macht Hölzenbein “den Mann aus der Kneipe“ (Bild) einfach mal zum Trainer... Udo Lattek hingegen holt Berger im Herbst 1991 nach Köln. Berger bewahrt die Geißböcke vor dem Abstieg, um in der nächsten Saison auf Rang 4 zu landen, während “Trainer“ Steppi nur “Lebbe geht weiter“ in die Mikrophone nuschelt...
(Auch Teil 2 basiert auf Jörg Bergers Buch, Berichten aus Frank Gottas eintracht-archiv, Rüdigers Blog The Diva and the Kid sowie dem Pressearchiv von Frank mit Schnipseln der Abendpost Nachtausgabe, FR, FAZ und dem kicker. Vielen Dank an Frank und sein tolles eintracht-archiv)
Ganz großer Sport Thomas!
jörg berger und die eintracht. tolle momente.
mir fehlen die richtigen worte. deshalb einfach nur danke. ich habe unzählige trainer in frankfurt erlebt, aber nur weise und berger waren für mich ohne wenn und aber immer "eintracht". und letzterer nicht nur wegen der dramatischen momente.
der treppenwitz der geschichte ist, das gerster in zusammenarbeit mit binz und auch weber es später dann geschafft hat stein (und mit ihm toppmöller) zu vertreiben. dann kam osram und wie es weiterging wissen wir alle.
schice wie die zeit verfliegt.
"eins, zwei, drei, im sauseschritt
eilt die zeit, wir eilen mit."
wilhelm busch
Ein sehr bewegtes Leben von Jörg Berger. Viele Einblicke und Eindrücke.
Danke. Jörg Berger würde sich sicherlich freuen.
Grüße Bluerider
Vielen dank und ich freue mich schon auf Teil 3
Und ich verneig mich vor einem gradlinigen Trainerr, der sicherlich -bei allen Fehlern - zu den besten seiner Zunft gehörte.
Bei dem Rückblick merkt man wirklich wie die Zeit verfliegt...
Vielen Dank, lieber Thomas für die Zeit und für den Eintracht-Spirit, den du in diese Aufbereitung und Würdigung steckst. Es liest sich wunderbar - wenn nur der Anlass nicht so traurig wäre.
Danke!
Ja, danke!! Beim Lesen wird Berger wieder "lebendig" und dann kommen Sekunden, wo man es gar nicht recht glauben kann, der der Mann nicht mehr am Leben ist.
April 1999: “Zu spät! Spart euch die Mühe, spart euch das Geld.“
“Mit System und Hinterlist entmachtet“, schrieb das Darmstädter Echo zum Rauswurf von Horst Ehrmantraut, den grauen Männern im Hintergrund war er bereits im Sommer 1998 nach dem grandiosen Aufstieg ein Dorn im Auge. So durfte Manager Rohr dem Hotte die Nachricht am 16. Spieltag übermitteln, die Eintracht war 14. “Man kann nicht überleben, wenn man solche taktischen Fehler macht“, erzählt Fjørtoft über die weise Entscheidung, im Abstiegskampf einen Jugendtrainer zum Chefcoach zu machen. Nach der 3:1-Niederlage ist Schluss für den ungeliebten Dilettanten Fanz, die Eintracht steht auf Rang 17 mit 4 Punkten Rückstand auf Rang 15.
Peter Neururer bietet sich selbst als Nachfolger an, wird aber ignoriert. Da fällt intern der Name Berger und Präsident Heller kontaktiert Ex-Manager Hölzenbein: “Zu spät! Die Eintracht ist leider nicht mehr zu retten. Da hilft auch ein Jörg Berger, der wirklich ein sehr guter Mann ist, nicht mehr. Spart euch die Mühe, spart euch das Geld“...
Rückblick: 1952-1963 – “Nichts, hat man vom Leben, ich ziehe aus!“
Trotzt der 7jährige Jörg, der sich ein 9 QM-Zimmer mit seiner Oma in der Siedlung Reudnitz im Osten Leipzigs teilen muss. “So dann packen wir mal“, spricht seine resolute Mutter und wirft ihm einen Koffer vor die Füße...
“Nur weil ich Jeans anhabe, muss ich doch nicht gleich gegen den Staat sein“, antwortet der siebzehnjährige Jugendauswahlspieler, der inzwischen auf dem Sprung in die Oberligamannschaft des SC Leipzig ist, einen Parteisekretär, als er Maloche auf dem Bau und Training bei einer FdJ-Feier seine gescheite Hose vergisst. Gut für ihn, er kickt gut. Und das weiß er. An Selbstbewusstsein mangelte es ihm nie. “So sieht kein sozialistischer Sportler aus! Diese Stemmeisen (Koteletten) hier“, wirft ihm erneut ein Parteisekretär vor. “Meine Haare gehen Sie gar nichts an“, trotzt Jörg zurück und hat erneut Glück...
30. April 1999: “Der ist bekloppt...“
“Sie haben mir gesagt, ich komme als Retter, weil ich das vorher bewiesen habe. Das ist ganz wichtig für die Psyche.“ Die eigene. Er bleibt seiner Linie treu, auch nach einem Remis gegen Rostock und der 0:2-Niederlage in Freiburg: “Ich habe aus dieser Niederlage eigentlich einen Sieg gemacht. Die haben alle gesagt, der ist bekloppt, das war der Abstieg. Aber ich habe immer gesagt, man muss an sich glauben. Und ich glaube an die Mannschaft, daran das erst am Ende abgerechnet wird...“
8.11.2002: “Krank? Ich? Nein, das ist nicht möglich“
Berger ist inzwischen Trainer bei Aachen und hat Darmprobleme. “Sie haben Darmkrebs“, eröffnet ihm der Arzt. Kein Entsetzen, es ist Unglaube. Er kann doch nicht krank sein. Er nicht. Nein. “Früher musste ich Mannschaften retten, jetzt musste ich mich selbst retten und wurde mein eigener Coach.“ Er liest und verinnerlicht Lance Amstrongs Buch “Tour des Lebens“. Die Operation verläuft erfolgreich. Drei Jahre lang...
Rückblick: 1970: “Ron geht nicht, schöne kurze Namen wie Juri, Igor... gehen“
Im September 1968 heiratet Jörg Berger die DDR-Olympiaschwimmerin Harriet Blank. Nicht aus Liebe, sondern weil beide ein besseres Leben mit größerer Wohnung führen wollen. Im September 1970 kommt der Sohn auf die Welt und der ausgesuchte Name wird als nicht sozialistisch abgelehnt. “Geht Ronald?“ Klar “Auch die Kurzform?“ Auch. Ronald heißt dann doch Ron und Berger beendet sein Studium zum Diplomsportlehrer 1972...
22.5.1999: “Einer hofft, vier zittern“
Schreibt der kicker nach dem 33. Spieltag. Siege in Bremen und gegen Dortmund, während die Konkurrenz weiter punktet und Schur ratlos schimpft: “Alles Mafia!“ (Nürnberg gewinnt gegen Bayern, Bremen gegen die Löwen). Nach einem 0:2-Rückstand gewinnt die Eintracht durch Tore von Fjørtoft, Sobotzik und Janßen mit 3:2 auf Schalke. “Die Eintracht erkämpft das Endspiel“ (FAZ). “Ich glaube, dass die Situation vor dem letzten Spieltag ein kleiner Vorteil für uns ist“, meint Jörg Berger. 12. Nürnberg 37P. 13. Stuttgart 36P., 14. Freiburg 36 P., 15. Rostock 35P., 16. Frankfurt 34 Punkte...
Rückblick 1974-1977: “Es war mir unmöglich, mich ständig unterzuordnen“
Dachte der Jungspund im Trainerteam von Hans Meyer in Jena, um 1974, entgegen dem Plan, die zweite Mannschaft von Halle zu übernehmen, in der die Talente Jürgen Pahl und Norbert Nachtweih kickten... “Genosse, fahr nach Hause und klär das mit deiner Ehe“, sagt der Generalsekretär und macht Berger 1976 zum Trainer der U18-Auswahl der DDR. “Wir lassen es einfach so laufen wie bisher“, meint Gattin Herriet, während sich Berger über den Einfluss der Partei maßlos ärgert. Danach wird ihm eine Tätigkeit beim Ministerium für Staatssicherheit angeboten. “Nein!“ ist die kurze Antwort...
“Leider kann ich euch nicht begleiten...“ Berger muss seine Jugendspieler anlügen, weil er nicht zu Spielen in den Westen darf. Die Stasi fand heraus, dass er sich von seiner Frau scheiden lassen will. Nur die beiden haben darüber gesprochen...
29.05.1999: Übersteiger
0:0 zur Pause. Yang (47.), Schjönberg (68., Elfmeter), Sobotzik (70.), Gebhardt (80.), Schneider (82.)... Westerthaler kommt für Janßen (86.)... zittern, rechnen, verzweifeln, schreien... und dann...
2005: “Nein, sonst hätte ich vorher etwas falsch gemacht.“
Antwortet Berger jedem, der ihn fragt, ob der Krebs sein Leben verändert hätte. Er ist gerade als Trainer in Rostock entlassen worden, als sich im September bei einer Nachuntersuchung herausstellt, dass er Metastasen in der Leber hat. Wieder wird er operiert und macht weiter, als Kommentator bei Premiere und im Morgenmagazin. Im Herbst 2006 steht die nächste schwere Operation an, der Krebs hatte gestreut. Der Professor fragte mich: „Was haben Sie heute gemacht?“ – „Ich war mit Falko Götz beim Italiener.“ Ich durfte ja nichts essen, aber das war mir egal, dann kriege ich eben einen Einlauf mehr. „Und dann?“ – „War ich bei Udo Walz, dem Friseur.“
“Auch wenn es mal Schwankungen gibt: Ich gehe mit einer positiven Einstellung durchs Leben. Ich tue das, was ich immer am besten konnte. Ich kämpfe, ich blicke nach vorn.“
07-12/1999: “Die größten Fehler werden in der Stunde des größten Erfolgs gemacht.“
Immer und immer wieder mahnt Jörg Berger vor zu großen Erwartungen, die nach zwei Siegen und einem Unentschieden zu Saisonbeginn immer höher in den Himmel wachsen. Doch dann kommen die Spiele mit den individuellen Fehlern, Nikolov, der Garant für den Klassenerhalt, patzt mehrfach, Heldt und Guié-Mien schwächeln. Das Ergebnis: Eine Serie von sechs Niederlagen und das Pokalaus in Köln. Bereits nach der Niederlage gegen Stuttgart antwortet Präsident Heller auf die Frage, ob Berger Trainer bleibt: “Ja, äh…“, während Fjørtoft laut wird: "Ich warne davor, auch die Leute im Umfeld, jetzt auf den Trainer loszugehen. Das würde uns Spielern doch nur ein Alibi geben."
Doch nach einem kurzen Zwischenhoch verliert die Eintracht erneut fünf Mal und ist nach dem 16. Spieltag 17ter mit nur elf Punkten. Rückhalt hat Berger längst nicht mehr und im Umfeld tobt ein dreckiger Machtkampf zwischen Präsidium und Vorstand…
18.05.2009: Trainer für einen Spieltag
“Der abstiegsbedrohte Bundesligist Arminia Bielefeld hat Jörg Berger als neuen Trainer und Nachfolger des entlassenen Michael Frontzeck präsentiert. Der 64-jährige Berger wird die auf dem 16. Platz liegenden Ostwestfalen am 34. und letzten Spieltag gegen Hannover 96 und auch in den möglichen zwei Relegationsspielen gegen den Dritten der 2. Liga betreuen (dpa)…
18.12.1999: “Es hat nicht in Ulm geendet, es hat im Größenwahn begonnen…“
Pressekonferenz vor dem letzten Hinrundenspiel, der Raum ist überfüllt. "Ich weiß, warum Sie alle hier sind“, sagt Jörg Berger tapfer. “Scheiß Millionäre“ schreien die mitgereisten Fans nach dem 0:3 und blockieren 90 Minuten lang den Mannschaftsbus...
Die offizielle Pressemitteilung: “Fußball-Bundesligist Eintracht Frankfurt hat sich am Sonntagmittag von Trainer Jörg Berger getrennt. Präsident Rolf Heller erklärte auf einer Pressekonferenz, dass der Club sich aufgrund der aktuellen Tabellensituation dazu entschlossen habe, Berger mit sofortiger Wirkung von seinem Amt zu entbinden.“
Nicht nur Fjørtoft ist bedient: ”Mir tut die Entlassung von Jörg Berger fürchterlich leid. Mit ihm ist zu 110 Prozent das fantastische Saisonende verbunden. Die Mannschaft sollte nicht glauben, dass es besser geht, nur weil jetzt ein neuer Trainer kommt."
2007-2010:“Herr Professor, ich bin nicht der Durchschnitt
Erneut hat der Krebs gestreut, diesmal sind Lunge, Leber und die Lymphdrüsen betroffen. Der leitende Arzt geht von einer Lebenserwartung von zwei bis drei Jahren aus…
Er beginnt, an seinem Buch zu schreiben und erkennt: “Rückblickend auf meine zwei Halbzeiten habe ich – egoistisch und auch ein bisschen oberflächlich begriffen, was wichtiger ist als Ruhm und Erfolg: Das ist meine Familie und das sind natürlich Freunde, echte Freunde.“ Er bekommt Chemotherapie. “Einmal Pleete für 8,50.“ Berger entscheidet sich gegen ein Toupet und für die Glatze vor dem nächsten Auftritt bei Premiere:
“Etwas verstecken, übertünchen oder gar vortäuschen, das ist nicht meine Sache. Und Absagen? Kommt nicht in Frage!“ “…Dann mit offenem Visier in die Sendung. Wenn es auch nicht leichtfällt. Denn: Resignation ist das Alibi der Schwachen.“
Am 23. Juni 2010 stirbt Jörg Berger im Kreise seiner Familie.
(Zitate aus: Jörg Berger, Meine zwei Halbzeiten, rowohlt-Verlag / Jörg Heinisch, Frankfurter Fußballwunder, Agon-Verlag / Interview im Tagesspiegel vom 15.03.09, Frank Gottas eintracht-archiv, Saison 2000/01, Fanks Pressearchiv)
Unser Forum kann stolz auf dich sein, und Eintracht Frankfurt stolz auf Jörg Berger.