
Misanthrop
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peter schrieb:
beethoven bleibt großartig, egal wie viele unsägliche klingeltöne von irgendwelchen handys abgedudelt werden.
Dem kann man ja auch mit noch so viel bösem Willen nicht den Vorwurf machen, er sei irgendwie total kommerziell geworden.
peter schrieb:
es ist immer ein problem, wenn man sich selbst nicht zum mainstream zählt und dann erlebt, dass ein geschätzter künstler, schriftsteller oder eine band, plötzlich öffentlicher wahrgenommen wird als man das selbst erwartet hat.
plötzlich ist eine band, die man irgendwie selbst entdeckt hat, in aller munde und (in meinem fall "arcade fire") plötzlich steht der unsägliche bono mit denen auf der bühne. oder die band füllt plötzlich nicht mehr nur clubs sondern stadien. und dann steht die große integritäts-frage im raum. kann eine band noch eine gute band sein, wenn nicht nur wir sektierer deren qualität schätzen sondern auch "die massen"?
in meiner punkzeit hätte ich sofort den finger erhoben und "verräter" genölt. heute denke ich eher, dass es schön ist, wenn die leute, an stelle von lena trullala, musik schätzen, die ein bißchen weniger am reißtisch entworfen ist.
Da auch bei mir der Reifeprozess inzwischen eingesetzt hat und ich auch mal "jönne" kann, hatte ich die Frage oben extra unbeantwortet gelassen.
nick cave ist da ein gutes beispiel. der hat nie etwas dafür getan kommerziell zu sein. soll die musik nun schlecht sein, nur weil es von mehr als einer hand voll sektierern angenommen wird?
Hand auf's Herz?
Es klang eine Weile lang so als ob auch er (oder sein Label Mute) den verkaufsträchtigen Markt entdeckt hätte und bedienen wollte.
Da aber jeder die Freiheit besitzt, Platten im Verkaufsregal stehen und Fehlkäufe verstauben zu lassen, hätte ich selbst das heutzutage verziehen ohne Liebesentzugbriefe zu verschicken.
ich fand orange juice immer classe, soll ich edwyn collins übel nehmen, dass er plötzlich mit "a girl like you" (das ich übrigens klasse finde) einen hit hatte? soll er doch noch hunderte haben, wenn die musik gut ist.
Ich sehe das zwiegespalten.
Wen ich früher mochte, der darf heute Geld scheffeln. Meine Inspiration hole ich mir aber noch immer lieber nicht aus den SWR3-Charts (was natürlich einfach auch an den dortigen Darbietungen liegt).
Mein aktuelles Lieblingsbeispiel: Da dudelte jüngst ein recht lieblicher Song durch die O2- oder sonstwas-Werbung. Hätte ich dasselbe Lied nicht gerade im Werbefernsehen gehört, wäre ich wohl mal nachforschen gegangen, was es damit auf sich hat. So aber habe ich nur wohlwollend zur Kenntnis genommen, dass nicht jeder Werbeblock grenzenlos nervig sein muss.
Es ist also dennoch etwas von der alten (elitären?) Denke zurückgeblieben. Im Sinne von: Es gibt Sachen, die macht man nicht als ernstzunehmender Musiker.
Pedrogranata schrieb:
Ich sprach von "rechten" Oi! und HC-Bands. Natürlich waren die Oi!- und auch die HC-Punks nicht alles Rechte. Aber der übrige - weitaus größere - Teil war doch eher unpolitisch und überließ damit eher den Rechten und Mainstreamern den politischen Teil des Punk-Terrains.
Ganz ehrlich, Pedro, da haben wir eine völlig gegensätzliche Wahrnehmung der Vergangenheit.
Mit fällt, nur mal exemplarisch, keine einzige Figur des rechten Spektrums der damaligen HC-Bewegung ein, die auch nur annähernd die mediale Aufmerksamkeit eines Yello Biaffra bzw. der Dead Kennedys erreicht hätte.
Ähnliches würde ich auch ohne zu zögern über Ian MacKay (Minor Threat, Fugazi u.a.) behaupten.
Ich persönlich habe die 80er-Punk-Szene als überaus rege in Erinnerung. Nicht zufällig waren es viele der dort vertretenen Gesichter, die sich auch in der Antifa oder der Besetzerszene wiederfanden.
Dadurch wurde es der Musikindustrie auch leicht gemacht, den Punk seiner Rebellions-Ästhetik zu entkleiden.
Die Musikindustrie hatte für mein Dafürhalten selten weniger zu melden als in der amerikanischen HC-Szene der 80er. Vielmehr basierte diese doch gerade auf Labels wie Alternative Tentacles, Dischord, SST usw.
Das geschah mit dem aus dem Punk hervorgegangenen, die Kommerzialisierung des Punk manifestierenden New Wave.
Das ist ein Begriff, den die Musikindustrie gegen den des Punk ( Deutsch: Schmutz, Abfall ) setzte. Weil er eben sauber, neutral und politisch wertfrei war, aber damit eben auch den Punk seiner rebellischen gesellschaftlichen Implikationen entkleidete.
Die Kommerzialisierung des Punk ist für mich eher Malcolm McLaren und Vivien Westwood vorzuwerfen als den musizierenden Protagonisten.
Wobei im Übrigen auch auf weiteren 20 Forumsseiten nicht gelingen würde zu definieren, wer und was New Wave war.
Auf einer EMI-Scheibe namnes "This is New Wave" von 1987 etwa, die es meines Wissens nicht gibt, wäre er - bzw. sie - wohl aber kaum zu finden gewesen. Deshalb bereits oben meine Bemerkungen zu NDW.
Das war für mich, was die distanzierte, kalte und technokratische Ästhetik von Bands wie zB The Cure, Joy Division, Ultravox, Depeche Mode und anderen betrifft, [...]
Niemals, bitte gar niemals, irgendeine negative Äußerung zu Joy Division. ,-)
Ian Curtis war definitiv ein Künstler, dessen jedem seiner Lieder innewohnende Innenschau das Gegenteil von Distanz oder Kälte darstellte.
[...]ein Angriff auf das Gemeinschaftsgefühl der 60er und 70er, eine Musik der gesellschaftlichen Vereinzelung des Individuums und seiner Entsolidarisierung, die den Kohls und Reagans und Thatcheristen einen kulturellen Nährboden bereitete und der in der totalen Verseichtung des Punk durch Gruppen wie Spandau Ballet, Duran-Duran oder Visage seine Vollendung fand.
Mein persönliches Gemeinschaftsefühl der 60er und frühen 70er bestand im gemeinsamen Absingen von Kinderliedern. Dazu kann ich nicht mehr sagen.
Aber: Wendland, Startbahn, Whyl usw.... Ich bin nicht der Meinung, dass die 80er entsolidarisierte Zeiten waren.
Die Kajagoogooisierung der Gesellschaft betraf m.E. diejenigen, die bedauerlicherweise ohnehin irgendeinem Blödsinn zum Opfer gefallen wären und grüne Pullunder zu gelben Lederschlipsen und roten Hosen tragen wollten.
Andere Gruppen, wie zB die des Post Punk, versuchten hier gegenzuhalten, waren aber als "Indie" im kulturellen und damit auch politischen Abseits gelandet, wo sie sich leider bis heute befinden.
Oh, das ist wieder so ein weites Feld.
Ist ein Nick Cave heute noch ein ernstzunehmender Künstler, nachdem er sich von Kylie Minogue zum Duett bezirzen ließ (oder andersrum?) oder weil er in gefühlt jedem dritten Ami-Streifen sein "Red right hand" gedudelt wird?
Oder ist es gar ein Sieg über den weichgespülten Mainstream, dass dergestalt der ehemalige Frontmann einer "Underground"-Band wie Birthday Party, flankiert von Blixa Bargeld, den Weg in die Charts gefunden hat?
Pedrogranata schrieb:3zu7 schrieb:raideg schrieb:
Oh Gott die 80er!
Das wohl beste und kreativste Musik-Jahrzehnt der letzten 100 Jahre.
Dann hast Du von den 60ern und 70ern nicht viel mitbekommen, oder?
Ein echter Musikkenner eben..
Aber es kommt wie immer auf den Standpunkt an..:
die 80er waren musikalisch genauso wie gesellschaftlich und politisch ein Roll-Back.
Angeführt von rechten "Oi!"- und HC-Punk-Bands wurde "Strength Thru Oi!" (eine Analogie zu "Kraft durch Freude" der Nazis) zur Kampfparole gegen den Rock'n Roll und der New Wave verkörperte die kommerzielle Weiterentwicklung des HC Punks und machte Fascho-Schwarz zum weltweiten Kommerz-Trend. Diese Entwicklung hat bis heute ihre Auswirkungen auf die Musikszene beibehalten.
Das sollte aber so nicht gänzlich unwidersprochen bleiben.
Zunächst sollte man auf keinen Fall die Skin-Oi!-Szene mit den aus dem englischen 77er-Punk entstandenen HC-Punk-Bands vergleichen oder in den Zielen irgendwie gleichsetzen (auch die Oi!-Szene war übrigens keineswegs immer politisch oder gar stets rechtslastig).
Möglicherweise liegt da eine Verwechslung mit der HC-Straight-Edge-Geschichte vor. Die allerdings war zunächst überhaupt nicht politisch motiviert, sondern entstand aus der Erkenntnis einiger amerikanischer HC-Musiker, dass die HC-Szene durch algegenwärtigen exzessiven Drogen- und Alkoholkonsum in eine für viele bedenkliche Richtung abgedriftet war und die Konzerte stets in Saalschlachten mündeten. Im Übrigen war das "X" auf der Hand ein Zeichen jugendlicher Punks, die bei den Konzerten nichts Hartes zu trinken bekamen. Einen prima Einblick in die damlige Szene vermittelt der Streifen American Hardcore. Sehr empfehlenswert.
Die HC-Szene der frühen und mittleren 80er war definitiv politisch aktiv. Aber ebenso definitiv alles andere als rechts. Tatsächlich gab es in späteren Jahren eine Fascho-Fraktion. Aber die gab und gibt es bei anderen Szenen eben leider auch.
Auch wenn die ausdrücklich "rechte" [...-] Bands geschrieben hattest, sollte man nicht den Fehler machen, diese als meinungs- oder stilbildend in den 80ern anzusehen.
Ich bin übrigens der Meinung, dass die 80er daher durchaus kein "Roll-Back" waren. Für mich waren die konservativen Regierungen der wichtigen Industrienationen in den 80ern vielmehr der Grund für eine rege Protestkultur, die sich auch musikalisch in einem weitverbreiteten Nonkoformismus wiederspiegelte.
New Wave taugt daher als Oberbegriff so wenig wie "Neue Deutsche Welle". So wenig wie Spandau Ballet und Duran Duran für das Erste standen, war es zutreffend, die Neubauten, D.A.F. oder Fehlfarben als NDW-Bands zu bezeichnen.
Vielmehr wurde in den 80ern m.E. ein beachtlicher Grundstein für fast sämtliche heute noch interessante Musik abseits der Charts gelegt. Wer sich die Mühe macht, fernab des Mainstreams die zahlreich zu findenden Perlen der Post-Punk-Ära aufzustöbern, merkt das recht schnell.
Und Metropolen wie Berlin, London u.a. waren m.E. niemals seither spannender, kreativer, lebendiger als in den 80ern. Trotz - oder besser wohl gerade wegen - Kohl, Thatcher, Reagan, Neonklamotten und Karottenhosen. Dass der Kommerz Ideen einer Subkultur aufschnappt und nutzbar macht, ist keine Erfindung der 80er, sondern zieht sich nicht erst seit Elvis durch Musik und Zeitgeschichte.
Wenn das infolge der 80er tatsächlich in größerem Maße erfolgt sein sollte, spricht dies wohl dafür, dass die Subkultur weitverbreitet und auf ihre Art erfolgreich gewesen sein muss. Ob einer Subkultur allerdings tatsächlich "Erfolg" bescheinigt werden kann und sollte, wenn sie vom Mainstream aufgefressen wird, steht auf einem ganz anderen Blatt.
http://www.youtube.com/watch?v=FGEQUSVPt7A