
Steinat1975
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Steinat1975
Phantomas
Glühwein
Schlittschuhlaufen unterhalb vom Heidelberger Schloss
Jürgen von der Lippe
Homer Simpson
ismirdochegal! schrieb:Spalter, charakterliche Defizite, Aufwiegler, Rädelsführer, eigene Interessen über die des Vereins stellen auf der einen Seite - unfehlbar, trifft immer die richtigen Entscheidungen auf der anderen Seite.
Meier ist ganz sicher nicht der Teufel in Person und er will ganz sicher nichts und niemanden spalten. Er könnte aber immerhin ein einigermaßen ausgeprägtes Interesse haben, seine eigenen Interessen durchzusetzen. Einigen hier scheint der Gedanken, dass Meier vielleicht nicht unfehlbar ist und womöglich nicht immer die richtigen Entscheidungen trifft, nicht zu behagen. So schön, perfekt und heil ist die Welt nicht, wie Ihr sie gerne hättet.
Es dürfte etwas dazwischen sein.
Aber interessant, wie Menschen hier (und ich wage zu behaupten, die meisten ohne wirkliche Kenntnis der Sachlage) über die charakterlichen Defizite und die Urheber und Hauptverantwortlichen für den Schaaf-Abschuss, die Rotweinconnection u.ä. urteilen, das ist schon erstaunlich, und vor allem mit erstaunlicher Chuzpe vorgetragen.
Fakt ist, dass Meier der erfolgreichste Spieler seit etlichen Jahren hier ist, und im Training ein absoluter Musterprofi.
Mag sein, dass er nicht die hellste Kerze auf der Torte ist, das hat er aber mit ner Menge Spieler gemeinsam.
Genervt zu sein, weil man nicht von Anfang an spielte und Schwierigkeiten mit der Tatsache, dass die Einsatzzeiten mit höherem Alter zurückgehen, das haben ebenfalls ganz andere Spieler gezeigt.
Halte ich für menschlich, sich mit so ner Situation erstmal arrangieren zu müssen.
reggaetyp schrieb:Thema Loslassen...
dass die Einsatzzeiten mit höherem Alter zurückgehen, das haben ebenfalls ganz andere Spieler gezeigt.
Halte ich für menschlich, sich mit so ner Situation erstmal arrangieren zu müssen.
Stelle es mir unglaublich schwer vor wenn jemand so gehypt wird wie AM!"Fußballgott"Du stehst vor Anpfiff in den Katakomben und aus dem Stadionrund ertönt dein Name aus 50.000 Kehlen und zusätzlich dieses "Fußballgott".
Ein Wunder das er nicht abhebt! Wäre es doch Menschlich nach meinem Verständnis. Er weiß das die Zeit naht und er aus dem Scheinwerferlicht Treten wird.Wann?Keine Ahnung aber seine Knochen werden es ihm schon mitteilen.
Was ich mir Wünsche ist, dass er bis zum letzten Spieltag alles für Eintracht Frankfurt gibt und die Größe hat sich nicht wichtiger zu nehmen wie er ist!
Wird Zeit was für die Tordifferenz zu machen
3:0
3:0
Leere Kassen
Kaffee!Rabenschwarz
FCKW
Salami-Turnhalle
Bin noch am Polieren
Das Interview mit AM14 gestern im heimspiel war schon ziemlich missmutig. Fand ich nicht gut. Gerade als Kapitän sollte man sich bemühen sich etwas konstruktiver zu äußern. Ich bin, wie oft gesagt, ein langjähriger Meier-Fan, aber ich erwarte von allen Spielern, dass sie sich uneingeschränkt in den Dienst des Erfolges von Eintracht Frankfurt stellen und nicht rummaulen, wenn sie mal nur eine Halbzeit spielen.
Das Trainerteam zeigt andauernd, dass hinter allen Maßnahmen inklusive Rotation ein klarer Plan steht. Das dann persönlich zu nehmen finde ich kindisch und egoistisch. Und Peppi flankiert "journalistisch". So lange es läuft ist das alles nicht so problematisch, aber wenn eine Delle kommt, wird es unappetitlich.
Das Trainerteam zeigt andauernd, dass hinter allen Maßnahmen inklusive Rotation ein klarer Plan steht. Das dann persönlich zu nehmen finde ich kindisch und egoistisch. Und Peppi flankiert "journalistisch". So lange es läuft ist das alles nicht so problematisch, aber wenn eine Delle kommt, wird es unappetitlich.
maobit schrieb:Jep
So lange es läuft ist das alles nicht so problematisch, aber wenn eine Delle kommt, wird es unappetitlich.
Al Bundy
Aktive "Haar in der Suppe" Sucher
Zeit
Gude,
ich habe mir gedacht, ich führe meine selbst begonnene Tradition einfach fort, und schreibe hier mal wieder eine kleine (haha) Erlebnisgeschichte aus Italien im November. Vielleicht liest es ja noch jemand.
Ansonsten war’s das auch schon mit dem Vorgeplänkel und wir gehen direkt rein ins Vergnügen (?) und meine Selbstbeweihräucherung.
Dreht die Welt sich mittlerweile eigentlich nicht mehr nur um sich selbst, sondern auch völlig am Rad? Da wacht man heute Morgen auf und Donald Trump ist Präsident der USA. Die Briten kehren aus einer Laune raus der EU den Rücken, die Türkei ist auf bestem Wege in die Diktatur und in heimischen Gefilden erzielt eine angebliche Alternative für was auch immer utopische Wahlergebnisse. Und während das nächste Flüchtlingsboot im Mittelmeer versinkt, Syrien weiterhin in Schutt und Asche gelegt wird und im Irak Massengräber entdeckt werden, darf eine lokale NPD Größe weiterhin ungeniert vor sich hin hetzen, während weiter östlich die Herren Putin und Orban ihre Auslegung von lupenreiner Demokratie zeigen. Das macht doch alles keinen Spaß - und das ist ja nur die Oberfläche bzw. das, was man so direkt mitbekommt. Was bleibt einem in solchen Zeiten eigentlich noch, um nicht völlig einzugehen? Eigentlich nur Fußball, Sport und Pokémon. Damit das jetzt aber nicht allzu pessimistisch wird, schalte ich die Nachrichten mal ab und wähle einen anderen, weitaus hoffnungsvolleren Auftakt für dieses Pamphlet.
Drei Stunden. Dreiundzwanzig Minuten. Zweiundvierzig Sekunden.
Nein, hierbei handelt es sich nicht um die durchschnittliche Dauer des Orgasmus eines Schweins. Dieses hat zwar den ausgiebigsten im gesamten Tierreich, nach lediglich 30 Minuten ist der Käse aber auch gegessen. Nein, die Zahlen geben den Zeitraum an, der zwischen meinen jeweiligen Überquerungen der Start und Ziellinie des Frankfurt Marathons lag. Zu behaupten, diese Zeit wäre ein einziger Orgasmus gewesen, wäre sicherlich gelogen - gerade das letzte Viertel würde ich eher unter der Kategorie "Hölle" archivieren - dennoch lässt die Zeit auch ohne anzugeben nur eine Schlussfolgerung zu: Ich bin eine Maschine. Da für dieses Ziel in der Vorbereitung einiges andere hinten anstehen musste, habe ich mir als kleine Belohnung selbst eine kleine Tour geschenkt. Nur Italien wäre zu einfach, daher wird kurzerhand noch ein neuer Länderpunkt eingebaut (VAE).
Da es hier aber um Italien gehen soll, lasse ich diesen Teil mal aus, der Text ist sonst doppelt so lang. Also machen wir einen Zeitsprung und befinden uns mittlerweile am Dubai Inernational Airport, Terminal 3, das übrigens nur mit dem Taxi zu erreichen ist
Die gar nicht mal so knappe Zeit bis zum Weiterflug schlage ich mit Elektronik laden, Lesen (Murakamis Hard Boiled Wonderland) und Kippenkauf (eine Stange roter Gauloises für 11,-€, fair) tot, ehe es um 4:00 Uhr nachts endlich weiter geht. Den Flug verschlafe ich zum Glück völlig, erst das aufgeregte Gejapse meiner Sitznachbarin lässt mich so langsam wieder zu Sinnen kommen. Es ist aber auch ein Unding, da steht doch tatsächlich ein Passagier schon im Gang, obwohl die Anschnallleuchten noch nicht erloschen sind. „Also manche Leute“, kommentiert sie das und wirft nach, dass sie sich schon hochgradig illegal fühlten würde, wäre sie schon abgeschnallt. „Also manche Leute“, denke ich…
Den dreistündigen Zwischenstopp in Istanbul verbringe ich größtenteils auch schlafend. Ich liege auf dem nackten Fußboden, irgendwo zwischen einem Café und der Toilette, um mich ist es laut, und trotzdem liege ich so gut wie schon lange nicht mehr. Um wohlig zu schlafen braucht man kein ach so gemütliches Bett, viel effektiver ist einfach völlige Übermüdung, da ist einem alles andere egal, Hauptsache Augen zu. Augen auf heißt es trotzdem nach nicht allzu langer Verweildauer, will ich meinen Anschluss nicht verpassen. Etwas Proviant brauche ich noch sicherheitshalber, dass ich beim dafür nötigen Kauf allerdings auf die weltunfreundlichste Bedienung treffe, hätte ich vorher nicht vermutet. Kein „Hallo“, „Danke“ oder „Bitte“ ist man ja leider stellenweise schon gewohnt. Dass man nicht angeschaut wird, auch. Dass Madame aber rein technisch gar nicht in der Lage ist, etwas zu sagen, da sie mit ihrem Mund eine orale Pediküre betreibt, während vor ihr die Kundschaft auf Abwicklung der Tauschgeschäfte warte, ist dann auch für mich neu. Also wirklich, manche Leute…
Trotz der widrigen Umstände sitze ich tatschlich mit Getränken bewaffnet im nächsten Pegasus Bomber und mache dasselbe wie auf allen anderen bisherigen Flügen mit dieser Airline. Lediglich vor Start und nach Landung in Rom (FCO) unterbricht mein Nachbar meinen dringend benötigten Schlaf, indem er gar nicht abwarten kann, bis ich ihm Platz machen und durchlassen kann, sondern einfach über mich drüber steigt wie der weltberühmte Sitzsteiger in der Frankfurter Straßenbahn über eben die Sitze. Also manche Leute, wirklich...
Nach so vielen skurrilen Begegnungen mit Menschen bin ich fast schon froh, als ich es mal wieder mit einer Maschine zu tun bekomme. Da gut 90% der Flugzeuginsassen die türkische Staatsbürgerschaft besitzen, freue ich mich an der Passkontrolle, dass ich die nicht vorhandene Schlange für EU Bürger nutzen darf. Hier ist kein menschlicher Grenzbeamter im Dienst, es gibt lediglich eine elektronische Passkontrolle. Super Sache, ist man schnell durch…vorausgesetzt man kommt nicht aus Deutschland. Aus irgendeinem dummen Grund sind diese Kackautomaten nicht in der Lage, deutsche Reisepässe zu lesen. Laut fluchend stelle ich mich also notgedrungen ans Ende der Schlange für Nicht-EU Bürger. Erst als ich einige Zeit später in meinem Mietwagen sitze, habe ich mich etwas abgeregt und bin froh, für die nächsten Stunden erstmal keine Menschen zu sehen. So ein Beifahrer wäre zwar von Vorteil gewesen, aber so bin ich auch mal selbständig dazu gezwungen, mich mit den Begriffen „Navi“, „Google Maps“ und „Roaming“ vertraut zu machen. Erstaunlicherweise funktioniert das zu meiner eigenen Überraschung recht gut, zeigt mir mein Mobilfunkgerät doch eine realistische Wegstrecke zu meinem Tagesziel an. Jetzt ist es natürlich eine berechtigte Frage, wieso ich mir als Einzelkämpfer ein Auto mieten muss, die Antwort ist mit den Spielansetzungen aber recht schnell gegeben. Da wird einfach mal wieder alles durcheinander gewürfelt, dass es eine Wahre Pracht ist, und so ist es eben die einzige Möglichkeit, eine halbwegs gescheite Tour auf die Beine zu stellen. Ohne Scheiß, ich glaube, mittlerweile sind die Ansetzungen in Bulgarien oder sonst wo in Osteuropa zuverlässiger als in Italien. Gegen 14:00 Uhr befinde ich mich auf der Straße, mit genügend Puffer ist das abendliche Geholze in der Provinzhauptstadt Macerata in den Marken das einzige für mich erreichbare Ziel. Drei Stunden und lediglich 4,40€ Mautkosten später checke ich im Best Western ein, man gönnt sich ja sonst nix. Die 35,- Euro (schon abzüglich aller Rabatte und Cashbacks) sind dennoch gut investiert. Auf eine nächtliche Weiterfahrt, lediglich um ein paar Cents zu sparen, habe ich wahrlich kein Interesse.
Bis vor kurzem dürfte für die meisten Menschen die Erwähnung des Namens Macerata noch für Fragezeischen gesorgt haben, seit das letzte Erdbeben hier sein Epizentrum hatte, ist er aber einer größeren Masse geläufig. Von irgendwelchen Schäden selbst sehe ich in der Stadt nichts, dafür passiere ich auf meinem Weg hierher Straßenschilder nach Rieti und Norcia, die beide wesentlich heftiger getroffen wurden als Macerata selbst. Ich bin heute weder als Katastrophentourist, noch als Aufbauhelfer unterwegs, mich zieht viel mehr der ortsansässige Drittligist an. Deshalb mache ich mich auch gleich auf die Suche nach einem Ticket. Fündig werde ich in der Bar Idea 88 unweit des Stadions. Hier sitzen in einem zugequalmten, nur notdürftig eingerichtetem Raum drei Mädels an einem Tisch, auf dem Drucker aus den 80er Jahren stehen, und überreichen gegen eine Gebühr von 20,- Euro tatsächlich ein gültiges Ticket - Kartenkauf in Italien, immer ein Erlebnis.
S.S. Maceratese – Parma Calcio 0:0
1.500 Zuschauer (150 Gäste)
3. Liga Italien, Sa. 12.11.16
Da ich noch etwas Zeit bis Kick-Off habe, hole ich mir in einem nahen Supermercado noch schnell zwei Pizzastücke und eine Dose Cola light, genehme mir daraufhin mein hochwertiges Mahl und lande auf dem Weg zurück direkt im Corteo der Curva Just (benannt nach Fabrizio „Lu Just“ Giustozzi, eine wohl großartige Persönlichkeit Maceratas, Förderer der Jugend, Kultur und des Sports und großer Fan des Vereins, gestorben am 12.11.2007). Es sind zwar nur etwas mehr als 50 Leute, dafür kratzt die Sonnenbrillenquote an der 100% Markierung – dass es eigentlich stockdunkel ist und lediglich die zahlreich abrennenden bangalischen Fackeln für etwas Beleuchtung sorgen, muss ich eigentlich nicht extra erwähnen. Unter schönen Gesängen und meiner Begleitung marschiert man so zum Stadion Helvia Recina, hier trennen sich unsere Wege. Der Ultrahaufen nimmt den direkten Weg in seine Kurve, ich versuche auf der gegenüberliegenden Seite Einlass zu erhalten. Obwohl ich richtig bin, zieht sich das Einlassprozedere gehörig in die Länge, sind die drei Ordner doch mit den Zuordnungen der Ausweise zu den richtigen Pesronen und Karten der sechsköpfigen Familie vor mir überfordert. Es ist wieder einmal ein herrliches Beispiel dieser sinnlosen, schikanösen Vorschriften. So wie ich es interpretiere, besteht die Familie aus Mutter, Vater, Großeltern mütterlicherseits (der Optik nach) und zwei unter zehnjährigen Kindern, eines davon im Rollstuhl. Eigentlich die Defintion von harmlosen Stadionbesuchern, und dennoch wird ein Aufstand gemacht als versuchten sie mit einem Saudi Arabien Visum in Israel einzureisen. Da muss man sich nicht wundern, wenn keiner mehr Lust hat ins Stadion zu gehen. Da ich alleine bin, fällt meine Personenüberprüfung entsprechend kürzer aus, noch kürzere Zeit später sitze ich auch schon auf der einzig überdachten Tribüne. Gegenüber von mir befindet sich die schwer bauffällige Gegengerade, bei der es mich wundert, dass diese überhaupt bevölkert werden darf. Jeweils an den Seiten dieser befinden sich Heim- und Gästeblock. In beiden stehen ca. 150 Supportwillige, obwohl die Polizei dies am liebsten verhindert hätte. Das Spiel wurde als Risikospiel eingestuft, den Gästen der Bigliettierwerb erheblich erschwert – klar, die Szene Parmas ist ja auch für ihre brandschatzenden Auswärtsfahrten in der letzten Zeit bekannt. Dementsprechend zeigten sie auch, was sie davon halten, und reisten schon weit vor Spielbeginn an. Nicht jedoch, um das Stadtzentrum in Schutt und Asche zu legen, sondern um gesammelte Spenden und Hilfsgüter für die Opfer der Erdbeben zu überbringen. Im Gästeblock selbst hängt über die gesamte Spieldauer das Spruchband „Centro Italia non mollare“ (nicht aufgeben, Zentralitalien), in der zweiten Hälfte wird unter großem Applaus und Sprechchören des restlichen Stadions eine weitere Tapete gezeigt: „Vicino ai terremotati“ (sinngemäß etwa „wir sind bei den Erdbebenopfern“). Ich finde es immer wieder beeindruckend, wie in Zeiten von großen Tragödien in quasi allen Kurven landesweit Solidarität gezeigt wird,die auch in sehr vielen Fällen gelebt. Spendenaktionen und aktive Hilfsarbeiten vor Ort werden abseits jeglicher Rivalität von vielen Gruppen durchgeführt, ob es jetzt um die Erdbeben, das Hochwasser in Genua oder auch die Terroranschläge in Paris letztes Jahr, bei der auch in nahezu jeder Kurve und Stadt entsprechende Spruchbänder gezeigt wurden, geht. Es zeugt von Reife und von Größe, auch wenn die Medien davon selbstredend nichts berichten möchten.
Das dritte gezeigte Spruchband Parmas bedarf in Anbetracht des Datums keine weitere Erläuterung („Gabriele vive“), ansonsten steht man relativ kompakt hinter der fast schon legendären Boys Fahne und sorgt durch ununterbrochenen Fahnen- und Doppelhaltereinsatz dafür, dass die Blockauslastung höher aussieht als sie wirklich ist. Die Anfeuerungen sind nicht zu durchgängig wie das Fahnengewedel und der Lautstärke mangelt es dank fehlender Masse, dafür vorhandener weitläufiger Laufbahn an Durchschlagkraft, trotzdem oder auch gerade deswegen ist es einfach authentisch und weiß mich zu überzeugen. Ein ähnliches Zeugnis stelle ich auch der Heimseite aus. Optisch trotz recht schöner Zaunbeflaggung nicht ganz so gut, akustisch dafür etwas lauter, auch wenn leider keine Trommel im Stadion ist. Ich habe derweil starke Kopfschmerzen, es ist inzwischen leidlich eisig und richtig zufrieden gesättigt bin auch nicht. Von dem was die angeblichen Profifußballer da vor mir veranstalten, fange ich gar nicht erst an. Auch wenn man jetzt zurecht denken könnte, dass ich nur nach Hause möchte, fühle ich mich dennoch gut unterhalten. Es ist sicherlich kein Spiel, mit dem man jemanden von Italien überzeugen kann, hat man aber ein Faible dafür, kommt man voll und ganz auf seine Kosten. Der Blick in die Kurven durch den Zoom des Fotoapparates, bei dem man über 40jährige Ultras rumspringen sieht wie Ede auf dem „Konzert“ der RTL Autohändler; Das Tribünenpublikum;, dass bei jeder misslungen Szene – und von diesen gibt es viele – die komplette Palette bekannter und noch unbekannter Schimpfwörter vom Stapel lässt; Spieler, die mehr damit beschäftigt sind, dass die Frisur bei der nächsten Schwalbe noch sitzt als dass sie ernsthaft versuchen mal einen Gegner richtig umzutreten; ein Stadion, dass aussieht als hätte es alles Schäden des letzten Erdbebens freiwillig auf sich genommen; eine Stadiongastronomie, die nicht mehr hergibt als Chips, Softdrinks, Bier, Borghetti und Kaffee.
Letzterer ist es, der mich in der Halbzeitpause rettet. Der kleine Schluck pures Koffein vertreibt mit einem Schlag sowohl Kopfschmerzen als auch Kälte, lediglich das Spielniveau vermag er nicht zu steigern. Der Tabellenzweite aus Parma, der nach der letzten Neugründung im Jahre 2015 inzwischen auf den Namen Parma Calcio 1913 hört und im letzten Jahr nach dem Zwangsabstieg/-neuanfang in der vierten Liga ungeschlagen aufsteigen konnte (dabei wurde ein neuer Zuschauerrekord in der Serie D aufgestellt, Präsident seit der Neugründung ist Nevio Scala), hat zwar mehr vom Spiel, Chancen sind aber nicht dabei. Maceratese, oder kurz „Rata“ genannt, ist ebenfalls ein Liganeuling, im Gegensatz zum großen Gegenüber ist das Ziel jedoch nicht so schnell wie möglich wieder ganz nach oben zu kommen, sondern schlicht und einfach der Klassenerhalt. Alles andere wäre in Anbetracht der Geschichte des Vereins auch vermessen, ist der größte Erfolg doch lediglich ein Jahr in der zweiten Liga – damals, Ende der 40er. Heute holt man einen nicht unverdienten Punkt (also wenn man bei diesem Geholze von verdient sprechen kann), mit etwas Glück wäre sogar der Dreier (lalalala…) dringewesen. Den Befreiungsschlag aus der eigenen Hälfte in der Nachspielzeit kann der Torwart gerade so über die Latte lenken, so nah wie in diesem Moment kam am ganzen Abend kein weiterer Torabschluss. Dennoch freut man sich ausgiebig über den Punkterfolg und feiert diesen mit den eigenen Schlachtenbummlern.
Eigentlich will ich mich direkt ins Bett legen, natürlich laufe ich aber noch eine Runde über Kopfsteinpflaster durch die mehr als ansehnliche Altstadt Maceratas. Tolle Gassen, schöne Fassaden, die ein oder andere Piazza, dazu überraschend viel junges Leben auf der Straße – ich bin wirklich überrascht. Nachdem ich mein Ein erfolgreich ausgebrütet habe (Dodu, war wohl aus Dubai), begebe ich mich dennoch nicht allzu spät in meine Herberge, wo auch alsbald Schicht im Schacht ist.
Guten Morgen Sonne. Wie schön, dass Du mich wach küsst. Bei diesem Wetter ist es keine Qual, die müden Knochen aufzuraffen und mich auf die nächste Etappe zu machen. Völlig mautfrei genieße ich ein weiteres Mal die Landschaft. Zu meiner Rechten die Adria, zur Linken schneebedeckte Berggipfel – utopische Pyroshows hin, heiße Partynächte mit den besten Freunden in Osteuropa her, es sind diese kurzen Augenblicke, in denen ich für mich selbst entscheide, mit meinem Hobby richtigzuliegen. Hört sich pathetisch oder geschwollen an? Mag sein, es ist aber wie bei der Sendung mit der Maus einfach so. Immer noch in recht träumerischen Gedanken versunken, erreiche ich mehr als zeitig Cesena, finde einen bis jetzt noch kostenfreien Parkplatz in unmittelbarer Stadionnähe und genieße ein weiteres Mal ein nährstoffreiches Frühstück. Dieses Mal den aus Dubai importierten Fertigkuchen. Ist zwar ganz lecker und erfüllt seinen Zweck, trotzdem komme ich nicht umher festzustellen, dass meine Ernährung auf der Tour eindeutig zu kurz kommt. Einen fantastischen Cappucino in einer stadionnahen Bar gönne ich mir noch, dann schaue ich mir die Gepflogenheiten vor Ort an.
A.C. Cesena – A.C. Pisa 2:0
12.180 Zuschauer (700 Gäste)
2. Liga Italien, So. 13.11.16
Es herrscht schon ganz schönes Gewusel hinter der Curva Mare und dem Szenetreffpunkt „Bombonera“: Die typischen Imbisswagen, bei denen ich mich jedes Mal ärgere, dass ich keinen Hunger habe, jede Menge Fanartikelstände, vollbesetzte Bars – es riecht nicht nur nach Spanferkel, es riecht im gleichen Maße nach Fußball. Als ich vom Bigliettikauf zurückkomme, trägt eine kleine Abordnung der ortsansässigen Ultras Trommel und Tifomaterial ins Stadion, wodurch meine Vorfreude noch weiter angestachelt wird. Ergo mache ich keine Gefangen und suche alsbald den Weg ins Stadioninnere. Nicht nur die Fremdensprachkenntnisse der Signora am Schalter lassen mich kurz die Frage stellen, ob ich wirklich in Italien bin, auch die Soundanlage gibt landesuntypisch mehr her als der handelsübliche Fisher Price Kassettenrekorder. Ich frage mich nicht nur, ob ich im richtigen Land bin, ich frage mich auch, ob ich bei der richtigen Veranstaltung bin oder ob es etwa schon Juni 2017 im Waldstadion ist, so laut und klar dröhnt mir Depeche Modes „Personal Jesus“ entgegen. Das weitere musikalische Programm ist nicht viel schlechter, so dass die Wartezeit bis es endlich los geht, recht schnell verfliegt. Bis dahin nehme ich das Stadion Dino Manuzzi (ehemaliger Präsident Cesenas) unter die Lupe und stelle fest, dass es auf Bildern größer wirkt, als es tatsächlich ist, was vor allem an der kleinen Haupttribüne liegt, die mir völlig unbekannt ist. Genauso beobachte ich die sich langsam füllenden Fansektoren. Die Gäste nehmen ihre Plätze im Unterrang ein und werden es am Ende auf gute 700 Tifosi bringen. Auch wenn sie vor dem Spiel einige intensive Gesänge und Hassparolen durch den engen Kasten jagen, bemerkt man das Fehlen der leider nicht auswärtsahrenden Ultraszene deutlich. Die wenigen, auf Planen gedruckten Zaunfahnen gefallen mir einfach nicht, der Gesänge sind bis auf wenige Ausnahmen unkoordiniert. Trotzdem ist es schön, eine solch große Gästschar zu sehen. Es ist halt schade, wenn man das zweifellos vorhandene Potential sieht. Trotzdem ist es mehr als erwartet, man weiß ja, worauf man sich einlässt
Gegenüber ist hingegen wesentlich mehr los. So ein bisschen scheint Cesenas Szene von der ganz großen Repression verschont zu sein. Bis auf die fehlenden großen Zaunfahnen sieht das hier eigentlich aus wie früher, die alten Gruppen sind noch aktiv: im Unterrang Viking Forli (auch wenn diese personell stark dezimiert scheinen), im Oberrang Sconvolts und Weiss Schwarz Brigaden. Wie fragt Domenico Mungo in seinem faszinierenden Buch „Cani Sciolti“: Was ist das eigentlich für ein bekackter Name? Um etwas Licht ins Dunkel zu bringen, hier die Erklärung. Es handelt sich dabei um die deutsche (?) Übersetzung des Namens der ersten organisierten Gruppe Cesenas „Brigate Bianconere“. Der Name wurde nach dem Aufstieg in die Serie A im Jahre 1981 zu Ehren Walter Schachners, des ersten Ausländers in Reihen Cesenas, geändert. Auf deutscher Ebene ist die Gruppe sicherlich durch ihre Freundschaft zum Commando Cannstatt bekannt. Diese sind heute vor Ort, dafür sind befreundete Gäste der magischen Fans des französischen Rekordmeisters sowie der Fahne nach zu urteilen auch welche von Peterborough United anwesend. Dennoch ist es in der Curva Mare gespenstisch still, als die Mannschaften aufs Feld kommen. Im mittleren Teil erfüllen Absperrbänder ihren Zweck und sperren ihn eben ab. Lediglich zwei Spruchbänder füllen ihn aus, die die unmöglichen Anstoßzeiten (heute: 12:30 Uhr) kritisieren und den dafür verantwortlichen ewigen Hass versprechen. Im unteren Teil des Blocks diskutieren einige ältere Ultras mit irgendwelchen offiziell aussehenden Typen, ich nutze hingegen die Gelegenheit etwas zur Ausgangslage der Partie zu formulieren.
Cesena scheint ja relativ skandalfrei zu sein, nicht einmal eine Pleite bzw. Namensänderung bzw. Neugründung bzw. Zwangsabstieg gab es hier. Was aber in Pisa los ist, spottet mal wieder jeglicher Beschreibung. Die im Satz vorher angesprochenen Ereignisse kennt man hier alle. In der abgelaufenen Saison konnte in den Play Offs nach etlichen Spielzeiten wieder der Aufstieg in die Serie B klargemacht werden, seitdem geht es drunter und drüber.
Grob zusammengefasst: in der abgelaufenen Saison war wohl schon kein Geld da, Gehälter wurden nicht bezahlt, dubiose Besitzer mit illegalen Machenschaften gaben sich die Klinke in die Hand – das Übliche eben. Der sportliche Erfolg verdrängte das alles etwas, jetzt schlägt es aber mit voller Wucht ein. Das Stadion war wegen nicht Zweitligatauglichkeit gesperrt (mittlerweile dar wieder darin gespielt werden), kurz vor Saisonbeginn hat man nur eine unvollständige Mannschaft und keinen Trainer und das erste Auswärtsspiel der neuen Saison musste verschoben werden, da man die Kosten nicht tragen konnte. Irgendwie regelte sich zwar alles insofern, dass wenigstens der Spielbetrieb sichergestellt ist und auch der Aufstiegstrainer, niemand geringeres als Weltmeister Gennaro Gattuso, ist wieder zurück an Bord, trotzdem bleibt es abzuwarten, wie sich die ganze Geschichte entwickelt. Der Saisonstart war jedenfalls überraschend positiv, mittlerweile hat man sich im Mittelfeld der Liga eingefunden, also in Schlagdistanz zu den Auf- und Abstiegsplayoffs.
Das Spiel ist weit davon entfernt, hochwertige Fußballkunst zu zeigen, den Klassenunterschied zum gestrigen Abend merkt man aber dennoch deutlich. Nach all den Darbietungen der letzten Tage ist es eine Wohltat, hier zuzuschauen, da sehe ich auch über die mehrfach auftretenden haarsträubenden Stockfehler oder misslungenen Kurzpässe hinweg. Wenigstens das Tempo und der Einsatz stimmen. Als die digitale Spielzeitanzeige neben dem Tor die Zweistelligkeit erreicht, werden die Absperrbänder eingerissen und von allen Seiten stürmen Tifosi ins Heiligtum der Kurve. Alle Arme gehen nach oben, der Capo, der wohl bei der Gründung der ersten Gruppe 1974 schon einer der älteren war, macht eine kurze Ansage, und es folgen inklusive Nachspielzeit 90 Minuten überragender gesanglicher Fußballbegleitung. Ja, zu einem gar nicht mal so kleinen Teil erfolgt diese nur von eben diesem mittleren Teil der Kurve, dennoch überzeugt es mich völlig. Da sind sogar Melodien dabei, die man nicht überall hört, es sind regelmäßig viele Fahnen in der Luft („Fahnen runner“), der Trommler ist gut und durch die Position in der Nähe des Daches und der Enge des Stadions ist die Lautstärke auch mehr als akzeptabel. Wenn der Rest der Kurve oder sogar das ganze Stadion einteigen, wird es richtig utopisch. Nach dem 1:0 Mitte der ersten Hälfte ist so ein Moment, die letzen zehn Minuten des Spiels lassen mich nur mit offenem Mund da sitzen. Eine mir unbekannte, fantastische Melodie wird mit einer in Deutschland nicht möglichen (und nein, das ist kein „bei uns ist alles scheiße“-Gejammer, ist es nämlich nicht) Intensität vorgetragen, beim zweiten Treffer des Spaniers Alejandro Rodriguez in der 96. Minute brechen schließlich alle Dämme. Ich strecke beide Daumen in die Höhe, im vollen Bewusstsein, dass stellenweise nicht mehr Leute als gestern in Macerata gesungen haben. Aber das ist wie mit dem Harndrang. Da bist Du irgendwo auf Sightseeingtour in einer fremden Stadt, du musst pissen wie ein Stier, findest aber keine Möglichkeit deine Blase zu entleeren. Die ganze Zeit hast du nur das Bedürfnis, dir endlich Erleichterung zu verschaffen, dir gelingt das aber erst nach einigen Stunden. Abend liegst du dann im Bett, lässt den Tag Revue passieren, bist absolut begeistert von allem, was du gesehen und erlebt hast und blendest völlig aus, dass ihr den ganzen Tag scheiße ging. Welch gelungene Metapher und welch noch bessere Überleitung, das mit dem Toilettenbesuch ist mir immer noch ein Rätsel. Gestern im Stadion war ich schon verwundert, dass das Männerurinal nur von Frauen besucht wurde, heute ist das Frauenklo mit Pissoirs ausgestattet. Mit Geschlechtern scheinen sie es nicht zu haben, erleichtern kann ich mich dennoch.
Auch wenn ich gerne noch länger verbleiben würde, dieser elendige Zeitdruck hindert mich daran. Welch großer Vorteil, dass mein Wagen in direkter Fluchtrichtung auf mich wartet. Welch großer Nachteil, dass die dafür benötigte Straße gesperrt ist. Mir bleibt nichts anderes übrig, als es den anderen abwandernden Zuschauern gleichzutun und versuche mich durch irgendwelche Seitenstraßen Richtung Autostrada durchzuschlagen, was aufgrund des nichtfließenden Verkehrs nur von maximal suboptimalem Erfolg gekrönt ist. Eine geschlagene Dreiviertelstunde benötige ich für die 3 km zur alternativen Autobahnauffahrt, wodurch mein Zeitpuffer analog zu meiner Stimmung mittlerweile im Negativbereich angekommen ist. Ankunft am Stadion in Arezzo laut Google Maps um 16:40, Spielbeginn ist angesetzt auf 16:30. Man muss kein Rechenkünstler sein, um hier eine gewisse Diskrepanz zu erkennen. Um meine nichtvorhandenen Schnellfahrskills in der unheilvollen Kombination mit meiner ebenso wenig ausgeprägten Stärke bei der Parkplatzsuche wissend, schreibe ich nicht nur das pünktliche Erscheinen, sondern gleich die ganze erste Halbzeit ab. So hab ich wenigstens etwas zum Freuen, sollte ich wider Erwarten doch früher erscheinen. Und in der Tat, ich rolle trotz des mehr als schlechten Straßenbelags ziemlich gut durch die sensationellen Landschaften. In diesen Momenten bin ich auch über das Upgrade meiner Mietkarosse froh, ich gehe gar schwer davon aus, dass ich mit einem kleineren Wagen und weniger guter Kurvenlage direkt in die Erdumlaufbahn katapultiert worden wäre. Ohne Scheiß, als Straße darf man diesen Untergrund eigentlich nicht bezeichnen. Regelmäßig alle drei Sekunden gibt es einen Schlag, dass ich denke, die Achse bricht gleich. Das Geräusch dabei erinnert quasi eins zu eins an das Rumpeln von Zügen in Osteuropa. Wenn man einmal einige Tage in Folge in diesen genächtigt hat, verbindet man es automatisch mit Einschlafen. Dementsprechend muss ich auch aufpassen, dass meine Augen nicht zufallen. Als sich plötzlich am Wegesrand Schnee auftürmt, bin ich nicht mehr sicher, ob ich nicht schon im Land der Träume angekommen bin - es sind immerhin Neun Grad nach Celsius, seltsam, seltsam. Eine Bergkuppe später ändert sich das Bild jedoch schlagartig und mir eröffnet sich ein phänomenaler Blick über eine Landschaft, wie man sie aus Bildbändern über die Toskana kennt. Mit hohen Pinien bewachsene Hügel, malerische Dörfer - nicht nur das Verkehrsschild kündigt an, dass ich mich mittlerweile in dieser traumhaften Region befinde. Die ganze Szenerie wird durch die langsam untergehende Sonne in ein sanftes Rot getüncht, so dass mich nicht nur ein leichter Hauch von Romantik umgibt. Wie gerne würde ich einfach anhalten und den Moment genießen, die Silhouette Arezzos - übrigens ebenfalls nicht zu verachten -, die Ausschilderung des Stadions sowie der Blick zur Uhr lassen daran aber keinen Gedanken verschwenden. Ich bin wieder im Game. Ganz still und heimlich habe ich sogar etwas Zeit gewonnen, jetzt muss ich nur noch schnell ins Stadion gelangen. Meinen ersten Parkversuch macht jedoch die Polizia zunichte. Gut, zugegeben ist es auch nicht die schlaueste Idee, mitten in einem von dieser bewachten Kreisel stehen bleiben zu wollen. Einen halben Kilometer hinter dem Stadion werde ich jedoch auch semilegal fündig und wuchte mein Gefährt auf einen kniehohen Bordstein. Gedanken über etwaige Schäden mache ich mir nicht, wofür hat man denn sonst die Selbstbeteiligung gekillt? Jetzt nur noch die paar läppischen Meter zurücksprinten, beim Passieren des Kassenhäuschens mir selbst für die grandiose Idee gratulieren, mein Ticket schon online erworben zu haben, die elektrischen Tore passieren und rein in die gute Stube. Gerade als das grüne Licht signalisiert, dass ich berechtigten Einlass erhalte, höre ich ein Geräusch, dass eindeutig als Spieleröffnungspfiff auszumachen ist. Misti, gerade so verpasst, aber nicht zu ändern und in Anbetracht der widrigen Umstände bin ich doch mehr als zufrieden mit meiner Ankunftszeit.
U.S. Arezzo – Piacenza Calcio 1:0
2.484 Zuschauer (80 Gäste)
3. Liga Italien, So. 13.12.16
Die ganze Zeit über habe ich mir schon ausgemalt, wie das Spiel wohl ablaufen wird. Aufgrund der recht mangelnden Torausbeute der Tour wollte ich schon Geld drauf setzen, dass ich leicht verspätet ankomme und dabei das einzige Tor des Abends verpassen werde. Wie nah ich mit dieser Vermutung an der Realität liege, zeigt sich nach fünf Minuten, als eine lange Flanke vom am Boden liegenden Verteidiger Matteo Solini ins Gästetor bugsiert wird. Der Aufsteiger aus Piacenza übernimmt zwar in der Folgezeit das Spielgeschehen, was sich jedoch effektiv einzig und allein darin zeigt, dass sie weniger Fehlpässe als ihr Kontrahent – beide Vereine haben natürlich auch schon die ein oder andere Neugründung in letzter Zeit hinter sich (Arezzo 2010, Piacenza 2012) - spielen. Ich nehme es vorweg, beinahe hätte ich wirklich das einzige Tor verpasst.
Verpasst habe ich hingegen die emotionale Verabschiedung des in der Woche verstorbenen Fans Franco, Mitglied der Gruppe Arezzo Ovunque (eher ältere Semester), dem vorm Spiel mittels Blumenniederlegung und Gesängen der ganzen Kurve bedacht wurde. Besagte Kurve ist seit dem letzten Aufstieg in die Serie B 2004 eher eine Gerade aus Stahlrohr und ist heute nicht überragend, aber doch ordentlich gefüllt. Eine schöne Zaunbeflaggung, einige Fahnen und Doppelhalter, ein unfassbarer Coolnessfaktor, dazu ein fantastisches Bordeauxrot als Vereinsfarbe – so sehr die Optik überzeugt, so sehr bin ich leider im gleichen Maße von der Akustik enttäuscht. Es wird zwar ausdauernd gesungen, es machen eigentlich auch genug Leute mit, aber irgendwie mangelt es völlig an Durchschlagkraft. Ob es die fehlende Trommel oder das genauso wenig präsente Dach ist, ich weiß es nicht. Die knapp 50 Gäste setzen dem ein paar Schlachtrufe entgegen, die nicht viel leiser sind als das Gemurmel aus der Kurve, für den doppelten Mundwinkel nach oben sorgen sie aber durch das Präsentieren der nackten, trotz Eiseskälte verschwitzten Oberkörper. Ansonsten gibt es selbst für den masochistischen Fußballtouristen wenig zu Lachen. Mit einem doppelten Kaffee und einem mittelmäßigem Stück Stadionpizza versuche ich die Kälte zu vertreiben. Neben dem Verkaufstresen spielen Kinder fangen. Als eines im Sprint ausrutscht und nur Zentimeter mit dem Kopf an einem Betonpfosten vorbei fliegt, spucke ich das Bohnengebräu vor Schreck fast wieder aus. Die ins Fangspiel integrierten Akteure stört es nicht weiter, es geht einfach weiter. Selbst als das nächste mit voller Wucht auf den Boden knallt, ist es kein Zeichen für den Abbruch. Der Boden scheint jedenfalls rutschig zu sein. Bevor ich mich auch noch in die Waagrechte begebe, nehme ich wieder meinen Platz auf der 1994 im Zuge des Besuches Papst Johannes Pauls II. erbauten und dadurch erstaunlich modernen Haupttribüne Platz. Im Gegensatz zu dieser sind Gästeblock und Gegengerade noch im Originalzustand. Was das heißt, kann sich ja sicherlich jeder selbst ausmalen…
Nicht weit neben mir sitzt ein älterer, scheinbar kurzsichtiger Herr. Anders ist es nicht zu erklären, dass er die komplette zweite Hälfte durch sein Tablet schaut. Ob er durch diese digitale Vergrößerung ein paar spielerische Finessen entdecken kann, die mir im Verborgenen bleiben? Ich bezweifle es. Hinter mir tritt mich ein kleines, zugegebenermaßen ultrasüßes Kind (Anm. von mir selbst: Hoffentlich liest das Kate nicht. Mir würde doch glatt wieder ein latenter Kinderwunsch unterstellt) mit Bärenmütze ohne Unterlass in den Rücken. Ich bewege mich irgendwo zwischen dem dringenden Wunsch, mir nonverbal meine Ruhe zu verschaffen oder den Moment einfach zu genießen. So ein bisschen was von einer Massage hat es ja schon. Als er mit seinem Micky Maus Schuh zwischen den beiden Sitzlehnen neben mir stecken bleibt, helfe ich aus der Klemme und erblicke dabei seine Mutter. Plötzlich verspüre ich noch einen ganz anderen Wunsch (hoffentlich liest auch das Kate nicht…). Ihr merkt, es wird nicht viel geboten, ich habe reichlich Zeit für solche Beobachtungen. Mein Körper bibbert mittlerweile vor Kälte, nicht wegen der Mutter, wie die Erde in Mittelitalien, irgendetwas muss jetzt passieren. Einen ähnlichen Gedanken hat wohl auch Arezzos Trainer und wechselt munter drauf los, wobei er das Hauptaugenmerk eher nicht auf fußballerisches Können, sondern auf auffälliges Äußeres legt. Zunächst kommt ein Arturo Vidal für Arme, der abgesehen von der Kopfbehaarung allerdings keine Ähnlichkeit mit diesem hat. Noch besser wird es, als in der 80. Minute Davide Moscardelli ins Spiel kommt und für Entlastung sorgen soll. Da er mit einer Laufbereitschaft wie Haris Seferovic überzeugt, klappt das nicht ganz wie geplant, dafür zieht er mit seinem Bart, der länger als das Gemächt von Dirk Diggler ist, meine Aufmerksam auf sich. Und wie das immer so ist, wenn man sich auf zwei Spieler eingeschossen hat, sorgen diese noch für die spielerischen Glanzpunkte der zugegeben wirklich guten Schlussphase. Sowohl Spieler, als auch Kurve und restliches Publikum geben nochmals alles, so dass ich mich frage, wieso ein Spiel eigentlich nicht nur aus Crunch Time bestehen kann. Dirk Diggler vernascht unter dem Jubel der Tifosi drei Gegner auf dem sprichwörtlichen Bierdeckel, Vidal setzt den Ball gar mit einem perfekten Heber über den Torwart in die Maschen. Leider hat das Unparteiischengespann nicht nur aufgrund der neongelben Trikots keinen Sinn für Ästhetik und verweigert dem Treffer die wohlverdiente Anerkennung. Trotzdem reicht es zum Heimsieg, wodurch Arezzo weiter ganz oben anklopft.
So, ursprünglich wollte ich jetzt noch einen Abstecher zum westlich von Arezzo gelegenen Autogrill Badio al Pino machen. Hier war es vor fast auf den Tag genau neun Jahren, dass eine von einem Polizisten abgefeuerte Kugel das Leben Gabriele Sandris beendete. Benzinmangel, Kälte und Müdigkeit lassen mich diesen Plan aber auf ein anderes Mal vertagen , so dass ich nur noch zurück nach Ciampino düse, mir endlich etwas gescheites zu Essen gönne und mit mir selbst mit dem ersten und einzigen Bier des Ausfluges auf den Länderpunkt VAE und die gelungene Tour anstoße, bevor mich am nächsten Morgen Ryanair pünktlich wie immer in Köln absetzt, von wo aus ich zwei Stunden später schon wieder im Büro sitze und die Welt verfluche. So wollte ich zumindest den Bericht beenden. In der Realität sieht das dann so aus, dass ich nichts mehr zu Essen finde, die Tankstellen mein reiches Arsenal an Kreditkarten konsequent ablehnen, das Hotelzimmer keine Heizung besitzt und Ryanair mit gehöriger, aber leider nicht genug, Verspätung aufwartet. Wenigstens wird mir so zurück in der Heimat der restliche, mittlerweile reichlich überflüssige Arbeitstag erlassen. Jetzt muss ich nur noch hoffen, dass mein waghalsiger Ritt zwischen Cesena und Arezzo keine finanziellen Konsequenzen nach sich zieht, dann war die ungewollte Miete des Vehikels auch gar nicht so teuer. Typisch wäre es mal wieder. Ich bin ja für gewöhnlich der gechillteste Autofahrer überhaupt. Lieber fahr ich 20kmh zu langsam als nur etwas zu schnell, überschreite ich die Geschwindigkeit dann aber nur um drei Kilometer in der Stunde, darf ich gleich 45,-€ latzen. Und das ist keine Übertreibung, die Zahlen stehen so wirklich auf einer Rechnung, die auf der Rückfahrt aus Lyon erstanden ist. Die spinnen, die Franzosen. Egal, ich merke selbst, ich mache schon wieder das, was ich neben Brötchen belegen am besten kann, ich schweife ab. Daher mache ich mich jetzt auf zum Konzert der Beginner, die für mich immer absolut bleiben werden und zusammen mit den alten Haudegen Torch und Toni L für einen überphänomenalen Abend und somit den krönenden Schlusspunkt sorgen. Das war’s und ich bin draussen wie ein Blinddarm. Rock On!
PS: Und wer bis hier her durchgehalten hat: Bilder hab ich auch, ich weiß wie immer nur nicht wie das geht
ich habe mir gedacht, ich führe meine selbst begonnene Tradition einfach fort, und schreibe hier mal wieder eine kleine (haha) Erlebnisgeschichte aus Italien im November. Vielleicht liest es ja noch jemand.
Ansonsten war’s das auch schon mit dem Vorgeplänkel und wir gehen direkt rein ins Vergnügen (?) und meine Selbstbeweihräucherung.
Dreht die Welt sich mittlerweile eigentlich nicht mehr nur um sich selbst, sondern auch völlig am Rad? Da wacht man heute Morgen auf und Donald Trump ist Präsident der USA. Die Briten kehren aus einer Laune raus der EU den Rücken, die Türkei ist auf bestem Wege in die Diktatur und in heimischen Gefilden erzielt eine angebliche Alternative für was auch immer utopische Wahlergebnisse. Und während das nächste Flüchtlingsboot im Mittelmeer versinkt, Syrien weiterhin in Schutt und Asche gelegt wird und im Irak Massengräber entdeckt werden, darf eine lokale NPD Größe weiterhin ungeniert vor sich hin hetzen, während weiter östlich die Herren Putin und Orban ihre Auslegung von lupenreiner Demokratie zeigen. Das macht doch alles keinen Spaß - und das ist ja nur die Oberfläche bzw. das, was man so direkt mitbekommt. Was bleibt einem in solchen Zeiten eigentlich noch, um nicht völlig einzugehen? Eigentlich nur Fußball, Sport und Pokémon. Damit das jetzt aber nicht allzu pessimistisch wird, schalte ich die Nachrichten mal ab und wähle einen anderen, weitaus hoffnungsvolleren Auftakt für dieses Pamphlet.
Drei Stunden. Dreiundzwanzig Minuten. Zweiundvierzig Sekunden.
Nein, hierbei handelt es sich nicht um die durchschnittliche Dauer des Orgasmus eines Schweins. Dieses hat zwar den ausgiebigsten im gesamten Tierreich, nach lediglich 30 Minuten ist der Käse aber auch gegessen. Nein, die Zahlen geben den Zeitraum an, der zwischen meinen jeweiligen Überquerungen der Start und Ziellinie des Frankfurt Marathons lag. Zu behaupten, diese Zeit wäre ein einziger Orgasmus gewesen, wäre sicherlich gelogen - gerade das letzte Viertel würde ich eher unter der Kategorie "Hölle" archivieren - dennoch lässt die Zeit auch ohne anzugeben nur eine Schlussfolgerung zu: Ich bin eine Maschine. Da für dieses Ziel in der Vorbereitung einiges andere hinten anstehen musste, habe ich mir als kleine Belohnung selbst eine kleine Tour geschenkt. Nur Italien wäre zu einfach, daher wird kurzerhand noch ein neuer Länderpunkt eingebaut (VAE).
Da es hier aber um Italien gehen soll, lasse ich diesen Teil mal aus, der Text ist sonst doppelt so lang. Also machen wir einen Zeitsprung und befinden uns mittlerweile am Dubai Inernational Airport, Terminal 3, das übrigens nur mit dem Taxi zu erreichen ist
Die gar nicht mal so knappe Zeit bis zum Weiterflug schlage ich mit Elektronik laden, Lesen (Murakamis Hard Boiled Wonderland) und Kippenkauf (eine Stange roter Gauloises für 11,-€, fair) tot, ehe es um 4:00 Uhr nachts endlich weiter geht. Den Flug verschlafe ich zum Glück völlig, erst das aufgeregte Gejapse meiner Sitznachbarin lässt mich so langsam wieder zu Sinnen kommen. Es ist aber auch ein Unding, da steht doch tatsächlich ein Passagier schon im Gang, obwohl die Anschnallleuchten noch nicht erloschen sind. „Also manche Leute“, kommentiert sie das und wirft nach, dass sie sich schon hochgradig illegal fühlten würde, wäre sie schon abgeschnallt. „Also manche Leute“, denke ich…
Den dreistündigen Zwischenstopp in Istanbul verbringe ich größtenteils auch schlafend. Ich liege auf dem nackten Fußboden, irgendwo zwischen einem Café und der Toilette, um mich ist es laut, und trotzdem liege ich so gut wie schon lange nicht mehr. Um wohlig zu schlafen braucht man kein ach so gemütliches Bett, viel effektiver ist einfach völlige Übermüdung, da ist einem alles andere egal, Hauptsache Augen zu. Augen auf heißt es trotzdem nach nicht allzu langer Verweildauer, will ich meinen Anschluss nicht verpassen. Etwas Proviant brauche ich noch sicherheitshalber, dass ich beim dafür nötigen Kauf allerdings auf die weltunfreundlichste Bedienung treffe, hätte ich vorher nicht vermutet. Kein „Hallo“, „Danke“ oder „Bitte“ ist man ja leider stellenweise schon gewohnt. Dass man nicht angeschaut wird, auch. Dass Madame aber rein technisch gar nicht in der Lage ist, etwas zu sagen, da sie mit ihrem Mund eine orale Pediküre betreibt, während vor ihr die Kundschaft auf Abwicklung der Tauschgeschäfte warte, ist dann auch für mich neu. Also wirklich, manche Leute…
Trotz der widrigen Umstände sitze ich tatschlich mit Getränken bewaffnet im nächsten Pegasus Bomber und mache dasselbe wie auf allen anderen bisherigen Flügen mit dieser Airline. Lediglich vor Start und nach Landung in Rom (FCO) unterbricht mein Nachbar meinen dringend benötigten Schlaf, indem er gar nicht abwarten kann, bis ich ihm Platz machen und durchlassen kann, sondern einfach über mich drüber steigt wie der weltberühmte Sitzsteiger in der Frankfurter Straßenbahn über eben die Sitze. Also manche Leute, wirklich...
Nach so vielen skurrilen Begegnungen mit Menschen bin ich fast schon froh, als ich es mal wieder mit einer Maschine zu tun bekomme. Da gut 90% der Flugzeuginsassen die türkische Staatsbürgerschaft besitzen, freue ich mich an der Passkontrolle, dass ich die nicht vorhandene Schlange für EU Bürger nutzen darf. Hier ist kein menschlicher Grenzbeamter im Dienst, es gibt lediglich eine elektronische Passkontrolle. Super Sache, ist man schnell durch…vorausgesetzt man kommt nicht aus Deutschland. Aus irgendeinem dummen Grund sind diese Kackautomaten nicht in der Lage, deutsche Reisepässe zu lesen. Laut fluchend stelle ich mich also notgedrungen ans Ende der Schlange für Nicht-EU Bürger. Erst als ich einige Zeit später in meinem Mietwagen sitze, habe ich mich etwas abgeregt und bin froh, für die nächsten Stunden erstmal keine Menschen zu sehen. So ein Beifahrer wäre zwar von Vorteil gewesen, aber so bin ich auch mal selbständig dazu gezwungen, mich mit den Begriffen „Navi“, „Google Maps“ und „Roaming“ vertraut zu machen. Erstaunlicherweise funktioniert das zu meiner eigenen Überraschung recht gut, zeigt mir mein Mobilfunkgerät doch eine realistische Wegstrecke zu meinem Tagesziel an. Jetzt ist es natürlich eine berechtigte Frage, wieso ich mir als Einzelkämpfer ein Auto mieten muss, die Antwort ist mit den Spielansetzungen aber recht schnell gegeben. Da wird einfach mal wieder alles durcheinander gewürfelt, dass es eine Wahre Pracht ist, und so ist es eben die einzige Möglichkeit, eine halbwegs gescheite Tour auf die Beine zu stellen. Ohne Scheiß, ich glaube, mittlerweile sind die Ansetzungen in Bulgarien oder sonst wo in Osteuropa zuverlässiger als in Italien. Gegen 14:00 Uhr befinde ich mich auf der Straße, mit genügend Puffer ist das abendliche Geholze in der Provinzhauptstadt Macerata in den Marken das einzige für mich erreichbare Ziel. Drei Stunden und lediglich 4,40€ Mautkosten später checke ich im Best Western ein, man gönnt sich ja sonst nix. Die 35,- Euro (schon abzüglich aller Rabatte und Cashbacks) sind dennoch gut investiert. Auf eine nächtliche Weiterfahrt, lediglich um ein paar Cents zu sparen, habe ich wahrlich kein Interesse.
Bis vor kurzem dürfte für die meisten Menschen die Erwähnung des Namens Macerata noch für Fragezeischen gesorgt haben, seit das letzte Erdbeben hier sein Epizentrum hatte, ist er aber einer größeren Masse geläufig. Von irgendwelchen Schäden selbst sehe ich in der Stadt nichts, dafür passiere ich auf meinem Weg hierher Straßenschilder nach Rieti und Norcia, die beide wesentlich heftiger getroffen wurden als Macerata selbst. Ich bin heute weder als Katastrophentourist, noch als Aufbauhelfer unterwegs, mich zieht viel mehr der ortsansässige Drittligist an. Deshalb mache ich mich auch gleich auf die Suche nach einem Ticket. Fündig werde ich in der Bar Idea 88 unweit des Stadions. Hier sitzen in einem zugequalmten, nur notdürftig eingerichtetem Raum drei Mädels an einem Tisch, auf dem Drucker aus den 80er Jahren stehen, und überreichen gegen eine Gebühr von 20,- Euro tatsächlich ein gültiges Ticket - Kartenkauf in Italien, immer ein Erlebnis.
S.S. Maceratese – Parma Calcio 0:0
1.500 Zuschauer (150 Gäste)
3. Liga Italien, Sa. 12.11.16
Da ich noch etwas Zeit bis Kick-Off habe, hole ich mir in einem nahen Supermercado noch schnell zwei Pizzastücke und eine Dose Cola light, genehme mir daraufhin mein hochwertiges Mahl und lande auf dem Weg zurück direkt im Corteo der Curva Just (benannt nach Fabrizio „Lu Just“ Giustozzi, eine wohl großartige Persönlichkeit Maceratas, Förderer der Jugend, Kultur und des Sports und großer Fan des Vereins, gestorben am 12.11.2007). Es sind zwar nur etwas mehr als 50 Leute, dafür kratzt die Sonnenbrillenquote an der 100% Markierung – dass es eigentlich stockdunkel ist und lediglich die zahlreich abrennenden bangalischen Fackeln für etwas Beleuchtung sorgen, muss ich eigentlich nicht extra erwähnen. Unter schönen Gesängen und meiner Begleitung marschiert man so zum Stadion Helvia Recina, hier trennen sich unsere Wege. Der Ultrahaufen nimmt den direkten Weg in seine Kurve, ich versuche auf der gegenüberliegenden Seite Einlass zu erhalten. Obwohl ich richtig bin, zieht sich das Einlassprozedere gehörig in die Länge, sind die drei Ordner doch mit den Zuordnungen der Ausweise zu den richtigen Pesronen und Karten der sechsköpfigen Familie vor mir überfordert. Es ist wieder einmal ein herrliches Beispiel dieser sinnlosen, schikanösen Vorschriften. So wie ich es interpretiere, besteht die Familie aus Mutter, Vater, Großeltern mütterlicherseits (der Optik nach) und zwei unter zehnjährigen Kindern, eines davon im Rollstuhl. Eigentlich die Defintion von harmlosen Stadionbesuchern, und dennoch wird ein Aufstand gemacht als versuchten sie mit einem Saudi Arabien Visum in Israel einzureisen. Da muss man sich nicht wundern, wenn keiner mehr Lust hat ins Stadion zu gehen. Da ich alleine bin, fällt meine Personenüberprüfung entsprechend kürzer aus, noch kürzere Zeit später sitze ich auch schon auf der einzig überdachten Tribüne. Gegenüber von mir befindet sich die schwer bauffällige Gegengerade, bei der es mich wundert, dass diese überhaupt bevölkert werden darf. Jeweils an den Seiten dieser befinden sich Heim- und Gästeblock. In beiden stehen ca. 150 Supportwillige, obwohl die Polizei dies am liebsten verhindert hätte. Das Spiel wurde als Risikospiel eingestuft, den Gästen der Bigliettierwerb erheblich erschwert – klar, die Szene Parmas ist ja auch für ihre brandschatzenden Auswärtsfahrten in der letzten Zeit bekannt. Dementsprechend zeigten sie auch, was sie davon halten, und reisten schon weit vor Spielbeginn an. Nicht jedoch, um das Stadtzentrum in Schutt und Asche zu legen, sondern um gesammelte Spenden und Hilfsgüter für die Opfer der Erdbeben zu überbringen. Im Gästeblock selbst hängt über die gesamte Spieldauer das Spruchband „Centro Italia non mollare“ (nicht aufgeben, Zentralitalien), in der zweiten Hälfte wird unter großem Applaus und Sprechchören des restlichen Stadions eine weitere Tapete gezeigt: „Vicino ai terremotati“ (sinngemäß etwa „wir sind bei den Erdbebenopfern“). Ich finde es immer wieder beeindruckend, wie in Zeiten von großen Tragödien in quasi allen Kurven landesweit Solidarität gezeigt wird,die auch in sehr vielen Fällen gelebt. Spendenaktionen und aktive Hilfsarbeiten vor Ort werden abseits jeglicher Rivalität von vielen Gruppen durchgeführt, ob es jetzt um die Erdbeben, das Hochwasser in Genua oder auch die Terroranschläge in Paris letztes Jahr, bei der auch in nahezu jeder Kurve und Stadt entsprechende Spruchbänder gezeigt wurden, geht. Es zeugt von Reife und von Größe, auch wenn die Medien davon selbstredend nichts berichten möchten.
Das dritte gezeigte Spruchband Parmas bedarf in Anbetracht des Datums keine weitere Erläuterung („Gabriele vive“), ansonsten steht man relativ kompakt hinter der fast schon legendären Boys Fahne und sorgt durch ununterbrochenen Fahnen- und Doppelhaltereinsatz dafür, dass die Blockauslastung höher aussieht als sie wirklich ist. Die Anfeuerungen sind nicht zu durchgängig wie das Fahnengewedel und der Lautstärke mangelt es dank fehlender Masse, dafür vorhandener weitläufiger Laufbahn an Durchschlagkraft, trotzdem oder auch gerade deswegen ist es einfach authentisch und weiß mich zu überzeugen. Ein ähnliches Zeugnis stelle ich auch der Heimseite aus. Optisch trotz recht schöner Zaunbeflaggung nicht ganz so gut, akustisch dafür etwas lauter, auch wenn leider keine Trommel im Stadion ist. Ich habe derweil starke Kopfschmerzen, es ist inzwischen leidlich eisig und richtig zufrieden gesättigt bin auch nicht. Von dem was die angeblichen Profifußballer da vor mir veranstalten, fange ich gar nicht erst an. Auch wenn man jetzt zurecht denken könnte, dass ich nur nach Hause möchte, fühle ich mich dennoch gut unterhalten. Es ist sicherlich kein Spiel, mit dem man jemanden von Italien überzeugen kann, hat man aber ein Faible dafür, kommt man voll und ganz auf seine Kosten. Der Blick in die Kurven durch den Zoom des Fotoapparates, bei dem man über 40jährige Ultras rumspringen sieht wie Ede auf dem „Konzert“ der RTL Autohändler; Das Tribünenpublikum;, dass bei jeder misslungen Szene – und von diesen gibt es viele – die komplette Palette bekannter und noch unbekannter Schimpfwörter vom Stapel lässt; Spieler, die mehr damit beschäftigt sind, dass die Frisur bei der nächsten Schwalbe noch sitzt als dass sie ernsthaft versuchen mal einen Gegner richtig umzutreten; ein Stadion, dass aussieht als hätte es alles Schäden des letzten Erdbebens freiwillig auf sich genommen; eine Stadiongastronomie, die nicht mehr hergibt als Chips, Softdrinks, Bier, Borghetti und Kaffee.
Letzterer ist es, der mich in der Halbzeitpause rettet. Der kleine Schluck pures Koffein vertreibt mit einem Schlag sowohl Kopfschmerzen als auch Kälte, lediglich das Spielniveau vermag er nicht zu steigern. Der Tabellenzweite aus Parma, der nach der letzten Neugründung im Jahre 2015 inzwischen auf den Namen Parma Calcio 1913 hört und im letzten Jahr nach dem Zwangsabstieg/-neuanfang in der vierten Liga ungeschlagen aufsteigen konnte (dabei wurde ein neuer Zuschauerrekord in der Serie D aufgestellt, Präsident seit der Neugründung ist Nevio Scala), hat zwar mehr vom Spiel, Chancen sind aber nicht dabei. Maceratese, oder kurz „Rata“ genannt, ist ebenfalls ein Liganeuling, im Gegensatz zum großen Gegenüber ist das Ziel jedoch nicht so schnell wie möglich wieder ganz nach oben zu kommen, sondern schlicht und einfach der Klassenerhalt. Alles andere wäre in Anbetracht der Geschichte des Vereins auch vermessen, ist der größte Erfolg doch lediglich ein Jahr in der zweiten Liga – damals, Ende der 40er. Heute holt man einen nicht unverdienten Punkt (also wenn man bei diesem Geholze von verdient sprechen kann), mit etwas Glück wäre sogar der Dreier (lalalala…) dringewesen. Den Befreiungsschlag aus der eigenen Hälfte in der Nachspielzeit kann der Torwart gerade so über die Latte lenken, so nah wie in diesem Moment kam am ganzen Abend kein weiterer Torabschluss. Dennoch freut man sich ausgiebig über den Punkterfolg und feiert diesen mit den eigenen Schlachtenbummlern.
Eigentlich will ich mich direkt ins Bett legen, natürlich laufe ich aber noch eine Runde über Kopfsteinpflaster durch die mehr als ansehnliche Altstadt Maceratas. Tolle Gassen, schöne Fassaden, die ein oder andere Piazza, dazu überraschend viel junges Leben auf der Straße – ich bin wirklich überrascht. Nachdem ich mein Ein erfolgreich ausgebrütet habe (Dodu, war wohl aus Dubai), begebe ich mich dennoch nicht allzu spät in meine Herberge, wo auch alsbald Schicht im Schacht ist.
Guten Morgen Sonne. Wie schön, dass Du mich wach küsst. Bei diesem Wetter ist es keine Qual, die müden Knochen aufzuraffen und mich auf die nächste Etappe zu machen. Völlig mautfrei genieße ich ein weiteres Mal die Landschaft. Zu meiner Rechten die Adria, zur Linken schneebedeckte Berggipfel – utopische Pyroshows hin, heiße Partynächte mit den besten Freunden in Osteuropa her, es sind diese kurzen Augenblicke, in denen ich für mich selbst entscheide, mit meinem Hobby richtigzuliegen. Hört sich pathetisch oder geschwollen an? Mag sein, es ist aber wie bei der Sendung mit der Maus einfach so. Immer noch in recht träumerischen Gedanken versunken, erreiche ich mehr als zeitig Cesena, finde einen bis jetzt noch kostenfreien Parkplatz in unmittelbarer Stadionnähe und genieße ein weiteres Mal ein nährstoffreiches Frühstück. Dieses Mal den aus Dubai importierten Fertigkuchen. Ist zwar ganz lecker und erfüllt seinen Zweck, trotzdem komme ich nicht umher festzustellen, dass meine Ernährung auf der Tour eindeutig zu kurz kommt. Einen fantastischen Cappucino in einer stadionnahen Bar gönne ich mir noch, dann schaue ich mir die Gepflogenheiten vor Ort an.
A.C. Cesena – A.C. Pisa 2:0
12.180 Zuschauer (700 Gäste)
2. Liga Italien, So. 13.11.16
Es herrscht schon ganz schönes Gewusel hinter der Curva Mare und dem Szenetreffpunkt „Bombonera“: Die typischen Imbisswagen, bei denen ich mich jedes Mal ärgere, dass ich keinen Hunger habe, jede Menge Fanartikelstände, vollbesetzte Bars – es riecht nicht nur nach Spanferkel, es riecht im gleichen Maße nach Fußball. Als ich vom Bigliettikauf zurückkomme, trägt eine kleine Abordnung der ortsansässigen Ultras Trommel und Tifomaterial ins Stadion, wodurch meine Vorfreude noch weiter angestachelt wird. Ergo mache ich keine Gefangen und suche alsbald den Weg ins Stadioninnere. Nicht nur die Fremdensprachkenntnisse der Signora am Schalter lassen mich kurz die Frage stellen, ob ich wirklich in Italien bin, auch die Soundanlage gibt landesuntypisch mehr her als der handelsübliche Fisher Price Kassettenrekorder. Ich frage mich nicht nur, ob ich im richtigen Land bin, ich frage mich auch, ob ich bei der richtigen Veranstaltung bin oder ob es etwa schon Juni 2017 im Waldstadion ist, so laut und klar dröhnt mir Depeche Modes „Personal Jesus“ entgegen. Das weitere musikalische Programm ist nicht viel schlechter, so dass die Wartezeit bis es endlich los geht, recht schnell verfliegt. Bis dahin nehme ich das Stadion Dino Manuzzi (ehemaliger Präsident Cesenas) unter die Lupe und stelle fest, dass es auf Bildern größer wirkt, als es tatsächlich ist, was vor allem an der kleinen Haupttribüne liegt, die mir völlig unbekannt ist. Genauso beobachte ich die sich langsam füllenden Fansektoren. Die Gäste nehmen ihre Plätze im Unterrang ein und werden es am Ende auf gute 700 Tifosi bringen. Auch wenn sie vor dem Spiel einige intensive Gesänge und Hassparolen durch den engen Kasten jagen, bemerkt man das Fehlen der leider nicht auswärtsahrenden Ultraszene deutlich. Die wenigen, auf Planen gedruckten Zaunfahnen gefallen mir einfach nicht, der Gesänge sind bis auf wenige Ausnahmen unkoordiniert. Trotzdem ist es schön, eine solch große Gästschar zu sehen. Es ist halt schade, wenn man das zweifellos vorhandene Potential sieht. Trotzdem ist es mehr als erwartet, man weiß ja, worauf man sich einlässt
Gegenüber ist hingegen wesentlich mehr los. So ein bisschen scheint Cesenas Szene von der ganz großen Repression verschont zu sein. Bis auf die fehlenden großen Zaunfahnen sieht das hier eigentlich aus wie früher, die alten Gruppen sind noch aktiv: im Unterrang Viking Forli (auch wenn diese personell stark dezimiert scheinen), im Oberrang Sconvolts und Weiss Schwarz Brigaden. Wie fragt Domenico Mungo in seinem faszinierenden Buch „Cani Sciolti“: Was ist das eigentlich für ein bekackter Name? Um etwas Licht ins Dunkel zu bringen, hier die Erklärung. Es handelt sich dabei um die deutsche (?) Übersetzung des Namens der ersten organisierten Gruppe Cesenas „Brigate Bianconere“. Der Name wurde nach dem Aufstieg in die Serie A im Jahre 1981 zu Ehren Walter Schachners, des ersten Ausländers in Reihen Cesenas, geändert. Auf deutscher Ebene ist die Gruppe sicherlich durch ihre Freundschaft zum Commando Cannstatt bekannt. Diese sind heute vor Ort, dafür sind befreundete Gäste der magischen Fans des französischen Rekordmeisters sowie der Fahne nach zu urteilen auch welche von Peterborough United anwesend. Dennoch ist es in der Curva Mare gespenstisch still, als die Mannschaften aufs Feld kommen. Im mittleren Teil erfüllen Absperrbänder ihren Zweck und sperren ihn eben ab. Lediglich zwei Spruchbänder füllen ihn aus, die die unmöglichen Anstoßzeiten (heute: 12:30 Uhr) kritisieren und den dafür verantwortlichen ewigen Hass versprechen. Im unteren Teil des Blocks diskutieren einige ältere Ultras mit irgendwelchen offiziell aussehenden Typen, ich nutze hingegen die Gelegenheit etwas zur Ausgangslage der Partie zu formulieren.
Cesena scheint ja relativ skandalfrei zu sein, nicht einmal eine Pleite bzw. Namensänderung bzw. Neugründung bzw. Zwangsabstieg gab es hier. Was aber in Pisa los ist, spottet mal wieder jeglicher Beschreibung. Die im Satz vorher angesprochenen Ereignisse kennt man hier alle. In der abgelaufenen Saison konnte in den Play Offs nach etlichen Spielzeiten wieder der Aufstieg in die Serie B klargemacht werden, seitdem geht es drunter und drüber.
Grob zusammengefasst: in der abgelaufenen Saison war wohl schon kein Geld da, Gehälter wurden nicht bezahlt, dubiose Besitzer mit illegalen Machenschaften gaben sich die Klinke in die Hand – das Übliche eben. Der sportliche Erfolg verdrängte das alles etwas, jetzt schlägt es aber mit voller Wucht ein. Das Stadion war wegen nicht Zweitligatauglichkeit gesperrt (mittlerweile dar wieder darin gespielt werden), kurz vor Saisonbeginn hat man nur eine unvollständige Mannschaft und keinen Trainer und das erste Auswärtsspiel der neuen Saison musste verschoben werden, da man die Kosten nicht tragen konnte. Irgendwie regelte sich zwar alles insofern, dass wenigstens der Spielbetrieb sichergestellt ist und auch der Aufstiegstrainer, niemand geringeres als Weltmeister Gennaro Gattuso, ist wieder zurück an Bord, trotzdem bleibt es abzuwarten, wie sich die ganze Geschichte entwickelt. Der Saisonstart war jedenfalls überraschend positiv, mittlerweile hat man sich im Mittelfeld der Liga eingefunden, also in Schlagdistanz zu den Auf- und Abstiegsplayoffs.
Das Spiel ist weit davon entfernt, hochwertige Fußballkunst zu zeigen, den Klassenunterschied zum gestrigen Abend merkt man aber dennoch deutlich. Nach all den Darbietungen der letzten Tage ist es eine Wohltat, hier zuzuschauen, da sehe ich auch über die mehrfach auftretenden haarsträubenden Stockfehler oder misslungenen Kurzpässe hinweg. Wenigstens das Tempo und der Einsatz stimmen. Als die digitale Spielzeitanzeige neben dem Tor die Zweistelligkeit erreicht, werden die Absperrbänder eingerissen und von allen Seiten stürmen Tifosi ins Heiligtum der Kurve. Alle Arme gehen nach oben, der Capo, der wohl bei der Gründung der ersten Gruppe 1974 schon einer der älteren war, macht eine kurze Ansage, und es folgen inklusive Nachspielzeit 90 Minuten überragender gesanglicher Fußballbegleitung. Ja, zu einem gar nicht mal so kleinen Teil erfolgt diese nur von eben diesem mittleren Teil der Kurve, dennoch überzeugt es mich völlig. Da sind sogar Melodien dabei, die man nicht überall hört, es sind regelmäßig viele Fahnen in der Luft („Fahnen runner“), der Trommler ist gut und durch die Position in der Nähe des Daches und der Enge des Stadions ist die Lautstärke auch mehr als akzeptabel. Wenn der Rest der Kurve oder sogar das ganze Stadion einteigen, wird es richtig utopisch. Nach dem 1:0 Mitte der ersten Hälfte ist so ein Moment, die letzen zehn Minuten des Spiels lassen mich nur mit offenem Mund da sitzen. Eine mir unbekannte, fantastische Melodie wird mit einer in Deutschland nicht möglichen (und nein, das ist kein „bei uns ist alles scheiße“-Gejammer, ist es nämlich nicht) Intensität vorgetragen, beim zweiten Treffer des Spaniers Alejandro Rodriguez in der 96. Minute brechen schließlich alle Dämme. Ich strecke beide Daumen in die Höhe, im vollen Bewusstsein, dass stellenweise nicht mehr Leute als gestern in Macerata gesungen haben. Aber das ist wie mit dem Harndrang. Da bist Du irgendwo auf Sightseeingtour in einer fremden Stadt, du musst pissen wie ein Stier, findest aber keine Möglichkeit deine Blase zu entleeren. Die ganze Zeit hast du nur das Bedürfnis, dir endlich Erleichterung zu verschaffen, dir gelingt das aber erst nach einigen Stunden. Abend liegst du dann im Bett, lässt den Tag Revue passieren, bist absolut begeistert von allem, was du gesehen und erlebt hast und blendest völlig aus, dass ihr den ganzen Tag scheiße ging. Welch gelungene Metapher und welch noch bessere Überleitung, das mit dem Toilettenbesuch ist mir immer noch ein Rätsel. Gestern im Stadion war ich schon verwundert, dass das Männerurinal nur von Frauen besucht wurde, heute ist das Frauenklo mit Pissoirs ausgestattet. Mit Geschlechtern scheinen sie es nicht zu haben, erleichtern kann ich mich dennoch.
Auch wenn ich gerne noch länger verbleiben würde, dieser elendige Zeitdruck hindert mich daran. Welch großer Vorteil, dass mein Wagen in direkter Fluchtrichtung auf mich wartet. Welch großer Nachteil, dass die dafür benötigte Straße gesperrt ist. Mir bleibt nichts anderes übrig, als es den anderen abwandernden Zuschauern gleichzutun und versuche mich durch irgendwelche Seitenstraßen Richtung Autostrada durchzuschlagen, was aufgrund des nichtfließenden Verkehrs nur von maximal suboptimalem Erfolg gekrönt ist. Eine geschlagene Dreiviertelstunde benötige ich für die 3 km zur alternativen Autobahnauffahrt, wodurch mein Zeitpuffer analog zu meiner Stimmung mittlerweile im Negativbereich angekommen ist. Ankunft am Stadion in Arezzo laut Google Maps um 16:40, Spielbeginn ist angesetzt auf 16:30. Man muss kein Rechenkünstler sein, um hier eine gewisse Diskrepanz zu erkennen. Um meine nichtvorhandenen Schnellfahrskills in der unheilvollen Kombination mit meiner ebenso wenig ausgeprägten Stärke bei der Parkplatzsuche wissend, schreibe ich nicht nur das pünktliche Erscheinen, sondern gleich die ganze erste Halbzeit ab. So hab ich wenigstens etwas zum Freuen, sollte ich wider Erwarten doch früher erscheinen. Und in der Tat, ich rolle trotz des mehr als schlechten Straßenbelags ziemlich gut durch die sensationellen Landschaften. In diesen Momenten bin ich auch über das Upgrade meiner Mietkarosse froh, ich gehe gar schwer davon aus, dass ich mit einem kleineren Wagen und weniger guter Kurvenlage direkt in die Erdumlaufbahn katapultiert worden wäre. Ohne Scheiß, als Straße darf man diesen Untergrund eigentlich nicht bezeichnen. Regelmäßig alle drei Sekunden gibt es einen Schlag, dass ich denke, die Achse bricht gleich. Das Geräusch dabei erinnert quasi eins zu eins an das Rumpeln von Zügen in Osteuropa. Wenn man einmal einige Tage in Folge in diesen genächtigt hat, verbindet man es automatisch mit Einschlafen. Dementsprechend muss ich auch aufpassen, dass meine Augen nicht zufallen. Als sich plötzlich am Wegesrand Schnee auftürmt, bin ich nicht mehr sicher, ob ich nicht schon im Land der Träume angekommen bin - es sind immerhin Neun Grad nach Celsius, seltsam, seltsam. Eine Bergkuppe später ändert sich das Bild jedoch schlagartig und mir eröffnet sich ein phänomenaler Blick über eine Landschaft, wie man sie aus Bildbändern über die Toskana kennt. Mit hohen Pinien bewachsene Hügel, malerische Dörfer - nicht nur das Verkehrsschild kündigt an, dass ich mich mittlerweile in dieser traumhaften Region befinde. Die ganze Szenerie wird durch die langsam untergehende Sonne in ein sanftes Rot getüncht, so dass mich nicht nur ein leichter Hauch von Romantik umgibt. Wie gerne würde ich einfach anhalten und den Moment genießen, die Silhouette Arezzos - übrigens ebenfalls nicht zu verachten -, die Ausschilderung des Stadions sowie der Blick zur Uhr lassen daran aber keinen Gedanken verschwenden. Ich bin wieder im Game. Ganz still und heimlich habe ich sogar etwas Zeit gewonnen, jetzt muss ich nur noch schnell ins Stadion gelangen. Meinen ersten Parkversuch macht jedoch die Polizia zunichte. Gut, zugegeben ist es auch nicht die schlaueste Idee, mitten in einem von dieser bewachten Kreisel stehen bleiben zu wollen. Einen halben Kilometer hinter dem Stadion werde ich jedoch auch semilegal fündig und wuchte mein Gefährt auf einen kniehohen Bordstein. Gedanken über etwaige Schäden mache ich mir nicht, wofür hat man denn sonst die Selbstbeteiligung gekillt? Jetzt nur noch die paar läppischen Meter zurücksprinten, beim Passieren des Kassenhäuschens mir selbst für die grandiose Idee gratulieren, mein Ticket schon online erworben zu haben, die elektrischen Tore passieren und rein in die gute Stube. Gerade als das grüne Licht signalisiert, dass ich berechtigten Einlass erhalte, höre ich ein Geräusch, dass eindeutig als Spieleröffnungspfiff auszumachen ist. Misti, gerade so verpasst, aber nicht zu ändern und in Anbetracht der widrigen Umstände bin ich doch mehr als zufrieden mit meiner Ankunftszeit.
U.S. Arezzo – Piacenza Calcio 1:0
2.484 Zuschauer (80 Gäste)
3. Liga Italien, So. 13.12.16
Die ganze Zeit über habe ich mir schon ausgemalt, wie das Spiel wohl ablaufen wird. Aufgrund der recht mangelnden Torausbeute der Tour wollte ich schon Geld drauf setzen, dass ich leicht verspätet ankomme und dabei das einzige Tor des Abends verpassen werde. Wie nah ich mit dieser Vermutung an der Realität liege, zeigt sich nach fünf Minuten, als eine lange Flanke vom am Boden liegenden Verteidiger Matteo Solini ins Gästetor bugsiert wird. Der Aufsteiger aus Piacenza übernimmt zwar in der Folgezeit das Spielgeschehen, was sich jedoch effektiv einzig und allein darin zeigt, dass sie weniger Fehlpässe als ihr Kontrahent – beide Vereine haben natürlich auch schon die ein oder andere Neugründung in letzter Zeit hinter sich (Arezzo 2010, Piacenza 2012) - spielen. Ich nehme es vorweg, beinahe hätte ich wirklich das einzige Tor verpasst.
Verpasst habe ich hingegen die emotionale Verabschiedung des in der Woche verstorbenen Fans Franco, Mitglied der Gruppe Arezzo Ovunque (eher ältere Semester), dem vorm Spiel mittels Blumenniederlegung und Gesängen der ganzen Kurve bedacht wurde. Besagte Kurve ist seit dem letzten Aufstieg in die Serie B 2004 eher eine Gerade aus Stahlrohr und ist heute nicht überragend, aber doch ordentlich gefüllt. Eine schöne Zaunbeflaggung, einige Fahnen und Doppelhalter, ein unfassbarer Coolnessfaktor, dazu ein fantastisches Bordeauxrot als Vereinsfarbe – so sehr die Optik überzeugt, so sehr bin ich leider im gleichen Maße von der Akustik enttäuscht. Es wird zwar ausdauernd gesungen, es machen eigentlich auch genug Leute mit, aber irgendwie mangelt es völlig an Durchschlagkraft. Ob es die fehlende Trommel oder das genauso wenig präsente Dach ist, ich weiß es nicht. Die knapp 50 Gäste setzen dem ein paar Schlachtrufe entgegen, die nicht viel leiser sind als das Gemurmel aus der Kurve, für den doppelten Mundwinkel nach oben sorgen sie aber durch das Präsentieren der nackten, trotz Eiseskälte verschwitzten Oberkörper. Ansonsten gibt es selbst für den masochistischen Fußballtouristen wenig zu Lachen. Mit einem doppelten Kaffee und einem mittelmäßigem Stück Stadionpizza versuche ich die Kälte zu vertreiben. Neben dem Verkaufstresen spielen Kinder fangen. Als eines im Sprint ausrutscht und nur Zentimeter mit dem Kopf an einem Betonpfosten vorbei fliegt, spucke ich das Bohnengebräu vor Schreck fast wieder aus. Die ins Fangspiel integrierten Akteure stört es nicht weiter, es geht einfach weiter. Selbst als das nächste mit voller Wucht auf den Boden knallt, ist es kein Zeichen für den Abbruch. Der Boden scheint jedenfalls rutschig zu sein. Bevor ich mich auch noch in die Waagrechte begebe, nehme ich wieder meinen Platz auf der 1994 im Zuge des Besuches Papst Johannes Pauls II. erbauten und dadurch erstaunlich modernen Haupttribüne Platz. Im Gegensatz zu dieser sind Gästeblock und Gegengerade noch im Originalzustand. Was das heißt, kann sich ja sicherlich jeder selbst ausmalen…
Nicht weit neben mir sitzt ein älterer, scheinbar kurzsichtiger Herr. Anders ist es nicht zu erklären, dass er die komplette zweite Hälfte durch sein Tablet schaut. Ob er durch diese digitale Vergrößerung ein paar spielerische Finessen entdecken kann, die mir im Verborgenen bleiben? Ich bezweifle es. Hinter mir tritt mich ein kleines, zugegebenermaßen ultrasüßes Kind (Anm. von mir selbst: Hoffentlich liest das Kate nicht. Mir würde doch glatt wieder ein latenter Kinderwunsch unterstellt) mit Bärenmütze ohne Unterlass in den Rücken. Ich bewege mich irgendwo zwischen dem dringenden Wunsch, mir nonverbal meine Ruhe zu verschaffen oder den Moment einfach zu genießen. So ein bisschen was von einer Massage hat es ja schon. Als er mit seinem Micky Maus Schuh zwischen den beiden Sitzlehnen neben mir stecken bleibt, helfe ich aus der Klemme und erblicke dabei seine Mutter. Plötzlich verspüre ich noch einen ganz anderen Wunsch (hoffentlich liest auch das Kate nicht…). Ihr merkt, es wird nicht viel geboten, ich habe reichlich Zeit für solche Beobachtungen. Mein Körper bibbert mittlerweile vor Kälte, nicht wegen der Mutter, wie die Erde in Mittelitalien, irgendetwas muss jetzt passieren. Einen ähnlichen Gedanken hat wohl auch Arezzos Trainer und wechselt munter drauf los, wobei er das Hauptaugenmerk eher nicht auf fußballerisches Können, sondern auf auffälliges Äußeres legt. Zunächst kommt ein Arturo Vidal für Arme, der abgesehen von der Kopfbehaarung allerdings keine Ähnlichkeit mit diesem hat. Noch besser wird es, als in der 80. Minute Davide Moscardelli ins Spiel kommt und für Entlastung sorgen soll. Da er mit einer Laufbereitschaft wie Haris Seferovic überzeugt, klappt das nicht ganz wie geplant, dafür zieht er mit seinem Bart, der länger als das Gemächt von Dirk Diggler ist, meine Aufmerksam auf sich. Und wie das immer so ist, wenn man sich auf zwei Spieler eingeschossen hat, sorgen diese noch für die spielerischen Glanzpunkte der zugegeben wirklich guten Schlussphase. Sowohl Spieler, als auch Kurve und restliches Publikum geben nochmals alles, so dass ich mich frage, wieso ein Spiel eigentlich nicht nur aus Crunch Time bestehen kann. Dirk Diggler vernascht unter dem Jubel der Tifosi drei Gegner auf dem sprichwörtlichen Bierdeckel, Vidal setzt den Ball gar mit einem perfekten Heber über den Torwart in die Maschen. Leider hat das Unparteiischengespann nicht nur aufgrund der neongelben Trikots keinen Sinn für Ästhetik und verweigert dem Treffer die wohlverdiente Anerkennung. Trotzdem reicht es zum Heimsieg, wodurch Arezzo weiter ganz oben anklopft.
So, ursprünglich wollte ich jetzt noch einen Abstecher zum westlich von Arezzo gelegenen Autogrill Badio al Pino machen. Hier war es vor fast auf den Tag genau neun Jahren, dass eine von einem Polizisten abgefeuerte Kugel das Leben Gabriele Sandris beendete. Benzinmangel, Kälte und Müdigkeit lassen mich diesen Plan aber auf ein anderes Mal vertagen , so dass ich nur noch zurück nach Ciampino düse, mir endlich etwas gescheites zu Essen gönne und mit mir selbst mit dem ersten und einzigen Bier des Ausfluges auf den Länderpunkt VAE und die gelungene Tour anstoße, bevor mich am nächsten Morgen Ryanair pünktlich wie immer in Köln absetzt, von wo aus ich zwei Stunden später schon wieder im Büro sitze und die Welt verfluche. So wollte ich zumindest den Bericht beenden. In der Realität sieht das dann so aus, dass ich nichts mehr zu Essen finde, die Tankstellen mein reiches Arsenal an Kreditkarten konsequent ablehnen, das Hotelzimmer keine Heizung besitzt und Ryanair mit gehöriger, aber leider nicht genug, Verspätung aufwartet. Wenigstens wird mir so zurück in der Heimat der restliche, mittlerweile reichlich überflüssige Arbeitstag erlassen. Jetzt muss ich nur noch hoffen, dass mein waghalsiger Ritt zwischen Cesena und Arezzo keine finanziellen Konsequenzen nach sich zieht, dann war die ungewollte Miete des Vehikels auch gar nicht so teuer. Typisch wäre es mal wieder. Ich bin ja für gewöhnlich der gechillteste Autofahrer überhaupt. Lieber fahr ich 20kmh zu langsam als nur etwas zu schnell, überschreite ich die Geschwindigkeit dann aber nur um drei Kilometer in der Stunde, darf ich gleich 45,-€ latzen. Und das ist keine Übertreibung, die Zahlen stehen so wirklich auf einer Rechnung, die auf der Rückfahrt aus Lyon erstanden ist. Die spinnen, die Franzosen. Egal, ich merke selbst, ich mache schon wieder das, was ich neben Brötchen belegen am besten kann, ich schweife ab. Daher mache ich mich jetzt auf zum Konzert der Beginner, die für mich immer absolut bleiben werden und zusammen mit den alten Haudegen Torch und Toni L für einen überphänomenalen Abend und somit den krönenden Schlusspunkt sorgen. Das war’s und ich bin draussen wie ein Blinddarm. Rock On!
PS: Und wer bis hier her durchgehalten hat: Bilder hab ich auch, ich weiß wie immer nur nicht wie das geht
Oesch schrieb:
Egal, ich merke selbst, ich mache schon wieder das, was ich neben Brötchen belegen am besten kann, ich schweife ab.
Und gerade das macht deine Zeilen so Lesenswert!
Danke Oesch
Es ist Freitagabend der 09.12.2016.Es ist 22.18 Uhr und der Schiri pfeift ab
Wir haben 30 Punkte
Wir haben 30 Punkte
Steinat1975 schrieb:Es ist der 20.05.2017 und unsere Jungs recken die Meisterschale in die Höhe, während Red Bull sich nach einem beispiellosen Einbruch in der Rückrunde und dem direkten Abstieg aus dem Fußball zurück zieht. Es hatte für RB nicht gereicht die ebenfalls desolaten Hamburger und Darmstädter hinter sich zu lassen
Es ist Freitagabend der 09.12.2016.Es ist 22.18 Uhr und der Schiri pfeift ab
Das würde bei mir allerdings so viel Euphorie auslösen, dass ich mir nicht sicher bin ob das gesund wäre
Bitte
Meine kurze Meldung aus dem Lazarett:
Große Freude meinerseits über den Auswärtssieg, den ich so erhofft hatte....das goldene Händchen von Kovac bei der Einwechslung von Alex und dem jungen Bartok hat wieder gezeigt, welch klasse Trainer er doch ist und er wurde dafür auch mit tollen Toren belohnt....den Fischköppen haben wir nur die Gräten dagelassen als Revanche für den Mai.....ich hoffe, gegen den BVB wieder daheim zu sein und auch wieder hier teilnehmen zu können...bis bald......
Große Freude meinerseits über den Auswärtssieg, den ich so erhofft hatte....das goldene Händchen von Kovac bei der Einwechslung von Alex und dem jungen Bartok hat wieder gezeigt, welch klasse Trainer er doch ist und er wurde dafür auch mit tollen Toren belohnt....den Fischköppen haben wir nur die Gräten dagelassen als Revanche für den Mai.....ich hoffe, gegen den BVB wieder daheim zu sein und auch wieder hier teilnehmen zu können...bis bald......
Würde mich Freuen